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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

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Ungarn und Bosnien

gestellt. Wir wollen es lediglich geographisch betrachten. Die Frage, ob die
historischen Ansprüche Ungarns, die bei der Annexion Bosniens einseitig erhoben
wurden, voll gerechtfertigt sind und ob sie von dem König von Ungarn als
solchem oder nur als Herrscher Kroatiens erhoben werden können, soll hier eben¬
sowenig erörtert werden, wie die rechtliche Stellung Dalmatiens und die oben
erwähnte, neuerlich vom Abg. Dr. von Licht in einer Vertrauensmännerversamm¬
lung (Abendausgabe der "Ostrauer Zeitung" vom 17. Juni) wieder betonte Tat¬
sache, daß die Republik Ragusa und die Buchten von Cattaro "niemals mittelbar
oder unmittelbar mit Ungarn oder seinen Nebenländern in staatlicher Verbindung
gestanden" sind. Auch die moralischen Anrechte Österreichs und der Österreicher
auf das Mitbestimmungsrecht im Gemeinsamen Verwaltungsgebiet, ihre Leistungen
für dieses und ihre Kulturarbeit in diesem in Vergleich zu jenen Ungarns sollen
nicht besprochen werden. Es soll lediglich gefragt werden: was bedeutet die
unmittelbare Herrschaft Ungarns über Bosnien für Ungarn und für Osterreich
und welche geographischen Verhältnisse sprechen für oder gegen sie?

Die Angliederung des Gemeinsamen Verwaltungsgebiets an Ungarn bedeutet
nicht mehr und nicht weniger, als daß dieses die Gesamtmonarchie in der
Vermittlerstellung nach dem Südosten vollends ablöst, aber auch zwischen
Kroatien-Slawonien und die Staaten der Südosthalbinsel einen Riegel vorschiebt.
Es würde also für Mitteleuropa, im' besonderen auch für das Deutsche Reich,
jene Rolle übernehmen, welche die Anhänger der jugoslawischen Idee ihrem
Nationalstaat zuweisen wollen: die des Pförtners, der nach Belieben zu- und
durchlassen oder absperren kann -- nach freiem Belieben, auch ohne die Hemmungen,
die das autonome Kroatien auszuüben vermag, sobald es ans Ausland grenzt.
Das müßte Ungarns Stellung in Mitteleuropa überaus verstärken, ja -- wenn
rechtzeitig verwirklicht oder auch nur gut vorbereitet -- diesem Staate schon bei
den Verhandlungen über den Zusammenschluß Mitteleuropas (im engeren wie im
weiteren Sinn) ein weitaus größeres Gewicht verleihen, als er sonst beanspruchen
kann. Denn er kann dann Österreichs Südostverkehr so gut wie ganz auf den
Seeweg drängen. Die Stellung Dalmatiens ist dabei von geringer Bedeutung,
denn es vermittelt nur den Zugang von der See nach Bosnien und der Herzego¬
wina, aber keinen selbständigen Südostweg. Seine enge verkehrsgeographische
Verbindung mit dem heutigen Gemeinsamen Verwaltungsgebiet wird es in
wachsendem Maße von"diesem und seinem Wirtschaftsleben abhängig machen, auch
wenn es politisch bei Österreich bleibt oder an Kroatien kommt. Und damit wird
Ungarn auch die Wege von der Adria nach Serbien immer mehr in der Hand
haben. Eine nichtungarische Südostverbindung steht Mitteleuropa dann nur in
der außerkarpathischen Linie über Lemberg--Czernowitz---Jasfy zu Gebote und
deren Wert könnte durch eine ungeschickte Lösung des polnischen und ukrainischen
Problems wesentlich beeinträchtigt werden. In jedem Fall stellt sie einen Umweg
dar. Man könnte noch auf den Donauweg hinweisen; aber abgesehen von seinen
behebbaren und unbehebbaren Mängeln unterliegt auch er dem ungarischen
Einfluß -- faktisch mehr als nach den Verträgen an sich. Die Stellung, die
Ungarn durch die unmittelbare Herrschaft über Bosnien, in Verbindung mit
Grenzberichtigungen gegen Serbien, vor allem aber mit dessen verkehrsgeographischer
Umklammerung und der unmittelbaren Berührung zwischen Ungarn und Bulgarien,
zu erlangen vermag, gewinnt um so mehr an Bedeutung, je wichtiger der Landweg
Berlin--Bagdad und seine europäischen Teil- und Parallelstrecken werden. Das
Zwischenglied, das diese Stellung wesentlich begründen soll, ist aber bedroht durch
den Jugoslawismus -- der in kurzer Zeit vielleicht schon in dem übrig gelassenen
Rest des serbischen Königreichs ein neues "Piemont" suchen mag -- und es ist
wohlverständlich, daß Ungarn dessen Abwehr nicht dem Kroatentum überlassen
will, dessen Kraft erst die Zukunft erproben muß. Die Magyaren überwinden
also ihre Scheu vor unmittelbarem Anschluß größerer südslawischer Gebiete an
Ungarn und werden offenbar dem Barus von Bosnien (dem die bisherigen über¬
wiegend magyarischen gemeinsamen Finanzminister schon gut vorgearbeitet haben)


Ungarn und Bosnien

gestellt. Wir wollen es lediglich geographisch betrachten. Die Frage, ob die
historischen Ansprüche Ungarns, die bei der Annexion Bosniens einseitig erhoben
wurden, voll gerechtfertigt sind und ob sie von dem König von Ungarn als
solchem oder nur als Herrscher Kroatiens erhoben werden können, soll hier eben¬
sowenig erörtert werden, wie die rechtliche Stellung Dalmatiens und die oben
erwähnte, neuerlich vom Abg. Dr. von Licht in einer Vertrauensmännerversamm¬
lung (Abendausgabe der „Ostrauer Zeitung" vom 17. Juni) wieder betonte Tat¬
sache, daß die Republik Ragusa und die Buchten von Cattaro „niemals mittelbar
oder unmittelbar mit Ungarn oder seinen Nebenländern in staatlicher Verbindung
gestanden" sind. Auch die moralischen Anrechte Österreichs und der Österreicher
auf das Mitbestimmungsrecht im Gemeinsamen Verwaltungsgebiet, ihre Leistungen
für dieses und ihre Kulturarbeit in diesem in Vergleich zu jenen Ungarns sollen
nicht besprochen werden. Es soll lediglich gefragt werden: was bedeutet die
unmittelbare Herrschaft Ungarns über Bosnien für Ungarn und für Osterreich
und welche geographischen Verhältnisse sprechen für oder gegen sie?

Die Angliederung des Gemeinsamen Verwaltungsgebiets an Ungarn bedeutet
nicht mehr und nicht weniger, als daß dieses die Gesamtmonarchie in der
Vermittlerstellung nach dem Südosten vollends ablöst, aber auch zwischen
Kroatien-Slawonien und die Staaten der Südosthalbinsel einen Riegel vorschiebt.
Es würde also für Mitteleuropa, im' besonderen auch für das Deutsche Reich,
jene Rolle übernehmen, welche die Anhänger der jugoslawischen Idee ihrem
Nationalstaat zuweisen wollen: die des Pförtners, der nach Belieben zu- und
durchlassen oder absperren kann — nach freiem Belieben, auch ohne die Hemmungen,
die das autonome Kroatien auszuüben vermag, sobald es ans Ausland grenzt.
Das müßte Ungarns Stellung in Mitteleuropa überaus verstärken, ja — wenn
rechtzeitig verwirklicht oder auch nur gut vorbereitet — diesem Staate schon bei
den Verhandlungen über den Zusammenschluß Mitteleuropas (im engeren wie im
weiteren Sinn) ein weitaus größeres Gewicht verleihen, als er sonst beanspruchen
kann. Denn er kann dann Österreichs Südostverkehr so gut wie ganz auf den
Seeweg drängen. Die Stellung Dalmatiens ist dabei von geringer Bedeutung,
denn es vermittelt nur den Zugang von der See nach Bosnien und der Herzego¬
wina, aber keinen selbständigen Südostweg. Seine enge verkehrsgeographische
Verbindung mit dem heutigen Gemeinsamen Verwaltungsgebiet wird es in
wachsendem Maße von„diesem und seinem Wirtschaftsleben abhängig machen, auch
wenn es politisch bei Österreich bleibt oder an Kroatien kommt. Und damit wird
Ungarn auch die Wege von der Adria nach Serbien immer mehr in der Hand
haben. Eine nichtungarische Südostverbindung steht Mitteleuropa dann nur in
der außerkarpathischen Linie über Lemberg—Czernowitz—-Jasfy zu Gebote und
deren Wert könnte durch eine ungeschickte Lösung des polnischen und ukrainischen
Problems wesentlich beeinträchtigt werden. In jedem Fall stellt sie einen Umweg
dar. Man könnte noch auf den Donauweg hinweisen; aber abgesehen von seinen
behebbaren und unbehebbaren Mängeln unterliegt auch er dem ungarischen
Einfluß — faktisch mehr als nach den Verträgen an sich. Die Stellung, die
Ungarn durch die unmittelbare Herrschaft über Bosnien, in Verbindung mit
Grenzberichtigungen gegen Serbien, vor allem aber mit dessen verkehrsgeographischer
Umklammerung und der unmittelbaren Berührung zwischen Ungarn und Bulgarien,
zu erlangen vermag, gewinnt um so mehr an Bedeutung, je wichtiger der Landweg
Berlin—Bagdad und seine europäischen Teil- und Parallelstrecken werden. Das
Zwischenglied, das diese Stellung wesentlich begründen soll, ist aber bedroht durch
den Jugoslawismus — der in kurzer Zeit vielleicht schon in dem übrig gelassenen
Rest des serbischen Königreichs ein neues „Piemont" suchen mag — und es ist
wohlverständlich, daß Ungarn dessen Abwehr nicht dem Kroatentum überlassen
will, dessen Kraft erst die Zukunft erproben muß. Die Magyaren überwinden
also ihre Scheu vor unmittelbarem Anschluß größerer südslawischer Gebiete an
Ungarn und werden offenbar dem Barus von Bosnien (dem die bisherigen über¬
wiegend magyarischen gemeinsamen Finanzminister schon gut vorgearbeitet haben)


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[0105] Ungarn und Bosnien gestellt. Wir wollen es lediglich geographisch betrachten. Die Frage, ob die historischen Ansprüche Ungarns, die bei der Annexion Bosniens einseitig erhoben wurden, voll gerechtfertigt sind und ob sie von dem König von Ungarn als solchem oder nur als Herrscher Kroatiens erhoben werden können, soll hier eben¬ sowenig erörtert werden, wie die rechtliche Stellung Dalmatiens und die oben erwähnte, neuerlich vom Abg. Dr. von Licht in einer Vertrauensmännerversamm¬ lung (Abendausgabe der „Ostrauer Zeitung" vom 17. Juni) wieder betonte Tat¬ sache, daß die Republik Ragusa und die Buchten von Cattaro „niemals mittelbar oder unmittelbar mit Ungarn oder seinen Nebenländern in staatlicher Verbindung gestanden" sind. Auch die moralischen Anrechte Österreichs und der Österreicher auf das Mitbestimmungsrecht im Gemeinsamen Verwaltungsgebiet, ihre Leistungen für dieses und ihre Kulturarbeit in diesem in Vergleich zu jenen Ungarns sollen nicht besprochen werden. Es soll lediglich gefragt werden: was bedeutet die unmittelbare Herrschaft Ungarns über Bosnien für Ungarn und für Osterreich und welche geographischen Verhältnisse sprechen für oder gegen sie? Die Angliederung des Gemeinsamen Verwaltungsgebiets an Ungarn bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als daß dieses die Gesamtmonarchie in der Vermittlerstellung nach dem Südosten vollends ablöst, aber auch zwischen Kroatien-Slawonien und die Staaten der Südosthalbinsel einen Riegel vorschiebt. Es würde also für Mitteleuropa, im' besonderen auch für das Deutsche Reich, jene Rolle übernehmen, welche die Anhänger der jugoslawischen Idee ihrem Nationalstaat zuweisen wollen: die des Pförtners, der nach Belieben zu- und durchlassen oder absperren kann — nach freiem Belieben, auch ohne die Hemmungen, die das autonome Kroatien auszuüben vermag, sobald es ans Ausland grenzt. Das müßte Ungarns Stellung in Mitteleuropa überaus verstärken, ja — wenn rechtzeitig verwirklicht oder auch nur gut vorbereitet — diesem Staate schon bei den Verhandlungen über den Zusammenschluß Mitteleuropas (im engeren wie im weiteren Sinn) ein weitaus größeres Gewicht verleihen, als er sonst beanspruchen kann. Denn er kann dann Österreichs Südostverkehr so gut wie ganz auf den Seeweg drängen. Die Stellung Dalmatiens ist dabei von geringer Bedeutung, denn es vermittelt nur den Zugang von der See nach Bosnien und der Herzego¬ wina, aber keinen selbständigen Südostweg. Seine enge verkehrsgeographische Verbindung mit dem heutigen Gemeinsamen Verwaltungsgebiet wird es in wachsendem Maße von„diesem und seinem Wirtschaftsleben abhängig machen, auch wenn es politisch bei Österreich bleibt oder an Kroatien kommt. Und damit wird Ungarn auch die Wege von der Adria nach Serbien immer mehr in der Hand haben. Eine nichtungarische Südostverbindung steht Mitteleuropa dann nur in der außerkarpathischen Linie über Lemberg—Czernowitz—-Jasfy zu Gebote und deren Wert könnte durch eine ungeschickte Lösung des polnischen und ukrainischen Problems wesentlich beeinträchtigt werden. In jedem Fall stellt sie einen Umweg dar. Man könnte noch auf den Donauweg hinweisen; aber abgesehen von seinen behebbaren und unbehebbaren Mängeln unterliegt auch er dem ungarischen Einfluß — faktisch mehr als nach den Verträgen an sich. Die Stellung, die Ungarn durch die unmittelbare Herrschaft über Bosnien, in Verbindung mit Grenzberichtigungen gegen Serbien, vor allem aber mit dessen verkehrsgeographischer Umklammerung und der unmittelbaren Berührung zwischen Ungarn und Bulgarien, zu erlangen vermag, gewinnt um so mehr an Bedeutung, je wichtiger der Landweg Berlin—Bagdad und seine europäischen Teil- und Parallelstrecken werden. Das Zwischenglied, das diese Stellung wesentlich begründen soll, ist aber bedroht durch den Jugoslawismus — der in kurzer Zeit vielleicht schon in dem übrig gelassenen Rest des serbischen Königreichs ein neues „Piemont" suchen mag — und es ist wohlverständlich, daß Ungarn dessen Abwehr nicht dem Kroatentum überlassen will, dessen Kraft erst die Zukunft erproben muß. Die Magyaren überwinden also ihre Scheu vor unmittelbarem Anschluß größerer südslawischer Gebiete an Ungarn und werden offenbar dem Barus von Bosnien (dem die bisherigen über¬ wiegend magyarischen gemeinsamen Finanzminister schon gut vorgearbeitet haben)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/105>, abgerufen am 03.07.2024.