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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

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Regierung und Parlament in Deutschland

der Regierungsseite hin (vgl. Möller, Miquel) wie ihr ebenso radikales Ein¬
schwenken in die Bahnen des "part^ system" mit seinen Folgen grotesker
Parlamentspatronage, des Amterschachers, der Korruption und Demagogie ver¬
meidet. Ob im Reiche der Vorschlag, parlamentarische Staatssekretäre ohne Porte¬
feuille zu ernennen, die im Reichstag bleiben und im Bundesrat beratende Stimme
haben, genügt, um die dauernde Verbindung zwischen Parlament und Negierung
befriedigend herzustellen, sei hier nur zur Diskussion gestellt.

Die andere technische Hauptschwierigkeit ist natürlich die polar entgegengesetzte:
wie werden die Interessen des Monarchen mit der neuen Wandlung der Dinge in Ein¬
klang gebracht? Der leidige Zufall bei der Ministerernennung muß ausgeschaltet
bleiben. Werden damit aber die Kronrechte angetastet? Wir glauben nicht. Mit Recht
betonte der stellvertretende Ministerpräsident Dr. Friedberg jüngst im Herrenhause,
daß nur "in Übereinstimmung aller in Betracht kommenden Faktoren das Staats¬
schiff sich in dieser schweren Zeit mit Erfolg steuern" lasse. Die Worte galten
den Vorgängen, die zur Ernennung des gegenwärtigen Kanzlers geführt haben,
und in dem damals geübten Verfahren sehen wir allerdings immer noch den
richtigen Weg der mittleren Linie, wie er einem auch von Dr. Friedberg gebilligten
"deutschen" Parlamentarismus gut entsprechen würde. Die Negierungsmethoden
sind dem Wandel der Zeiten unterworfen und mit Vorliebe zeichnen kriegerische
Ereignisse die Cäsur zwischen das innerpolitische Gestern und Heute. Natürlich
liegt eine Art Zugeständnis des monarchischen Faktors vor, wenn er die durch
das Parlament sich ausdrückende öffentliche Meinung bei Personenwechseln in den
entscheidenden Andern in Rechnung stellt, aber "Kryptoparlamentarismu?" wie
Graf Posadowsky argwöhnt, ist das noch lange nicht. Wenn der Monarch "ge¬
wisse Vorschläge aus eigener freier Entschließung gutheißt" (Friedberg), so tut er
nicht mehr als einst die durch Verfassungen sich selbst beschränkenden Fürsten des
beginnenden neunzehnten Jahrhunderts, denen diese Tat -- wenigstens in Deutsch¬
land -- durchaus nicht zum Unheil ausgeschlagen ist, wie die damalige Reaktion
düster prophezeite. Aber auch die Gegenseite könnte damit zufrieden sein, um so
mehr, je geschicktere Hand bei Auswahl der nächsten Staatsmänner bewiesen wird
und je klarer man sich über die Schattenseiten des reinen "part^ s/Stein" ge¬
worden ist. Ohne politisches Taktgefühl freilich wird es nicht abgehen, aber in
ihm liegt ja stets das balanzierende Moment bei dem oft recht labilen Zustande
politischer Machtverhältnisse."

Jene "Übereinstimmung aller in Betracht kommenden Faktoren, von der
der Minister am 9. Juli sprach, ist bei dem tags zuvor entschiedenen Rücktritt
von Kühlmanns als nicht erforderlich erachtet worden. Graf Hertling versichert
uns allerdings kategorisch, daß er als einziger verantwortlicher Minister die
Politik mache, und daß bei ihr der Kurs der alte Acide. Da also hiermit
der Leiter des Auswärtigen Amtes im Bismarckschen Sinne nur als Hand¬
langer des Kanzlers betrachtet wird, wäre an dem Verfahren bei seiner Ent¬
lassung as jure nichts auszusetzen. Andererseits läßt sich nicht leugnen, daß
ac kaLto die Dinge etwas anders liegen. Die Frankfurter Zeitung kann nicht
ohne Grund darauf hinweisen, daß der allein die Politik bestimmende Kanzler
bei wichtigen Anlässen den Staatssekretär reden ließ und sich selbst im Hinter¬
grund" hielt. Auch der Auslandspolitiker der Kreuz-Zeitung, Otto Hoetzsch,
mag die verwunderte Frage nicht unterdrücken, warum -- wenn es sich so ver¬
hält, wie Graf Hertling behauptet -- "bis zum Juli 1917 in der auswärtigen
Politik der Reichskanzler von Bethmann Hollweg angegriffen und verteidigt wurde
und seit dem August 1917 der Staatssekretär von Kühlmann, nicht der Kanzler
Graf Hertling." (Mittwochs-Artikel vom 17. Juli.) Das soeben genannte konser¬
vative Organ stattete schon früher der Regierung ausdrücklich seinen Dank ab,
weil sie dem bedenklichen Gewohnheitsrecht einer parlamentarischen Mitwirkung
bei den Ministerernennungen die Wurzeln abgegraben habe. Wie Graf Hertling
über diese Dinge denkt, wird jetzt um so zweifelhafter, als er doch schon früher
das bei seiner und von Papers Ernennung geübte Verfahren wohl mehr als


Regierung und Parlament in Deutschland

der Regierungsseite hin (vgl. Möller, Miquel) wie ihr ebenso radikales Ein¬
schwenken in die Bahnen des „part^ system" mit seinen Folgen grotesker
Parlamentspatronage, des Amterschachers, der Korruption und Demagogie ver¬
meidet. Ob im Reiche der Vorschlag, parlamentarische Staatssekretäre ohne Porte¬
feuille zu ernennen, die im Reichstag bleiben und im Bundesrat beratende Stimme
haben, genügt, um die dauernde Verbindung zwischen Parlament und Negierung
befriedigend herzustellen, sei hier nur zur Diskussion gestellt.

Die andere technische Hauptschwierigkeit ist natürlich die polar entgegengesetzte:
wie werden die Interessen des Monarchen mit der neuen Wandlung der Dinge in Ein¬
klang gebracht? Der leidige Zufall bei der Ministerernennung muß ausgeschaltet
bleiben. Werden damit aber die Kronrechte angetastet? Wir glauben nicht. Mit Recht
betonte der stellvertretende Ministerpräsident Dr. Friedberg jüngst im Herrenhause,
daß nur „in Übereinstimmung aller in Betracht kommenden Faktoren das Staats¬
schiff sich in dieser schweren Zeit mit Erfolg steuern" lasse. Die Worte galten
den Vorgängen, die zur Ernennung des gegenwärtigen Kanzlers geführt haben,
und in dem damals geübten Verfahren sehen wir allerdings immer noch den
richtigen Weg der mittleren Linie, wie er einem auch von Dr. Friedberg gebilligten
„deutschen" Parlamentarismus gut entsprechen würde. Die Negierungsmethoden
sind dem Wandel der Zeiten unterworfen und mit Vorliebe zeichnen kriegerische
Ereignisse die Cäsur zwischen das innerpolitische Gestern und Heute. Natürlich
liegt eine Art Zugeständnis des monarchischen Faktors vor, wenn er die durch
das Parlament sich ausdrückende öffentliche Meinung bei Personenwechseln in den
entscheidenden Andern in Rechnung stellt, aber „Kryptoparlamentarismu?" wie
Graf Posadowsky argwöhnt, ist das noch lange nicht. Wenn der Monarch „ge¬
wisse Vorschläge aus eigener freier Entschließung gutheißt" (Friedberg), so tut er
nicht mehr als einst die durch Verfassungen sich selbst beschränkenden Fürsten des
beginnenden neunzehnten Jahrhunderts, denen diese Tat — wenigstens in Deutsch¬
land — durchaus nicht zum Unheil ausgeschlagen ist, wie die damalige Reaktion
düster prophezeite. Aber auch die Gegenseite könnte damit zufrieden sein, um so
mehr, je geschicktere Hand bei Auswahl der nächsten Staatsmänner bewiesen wird
und je klarer man sich über die Schattenseiten des reinen „part^ s/Stein" ge¬
worden ist. Ohne politisches Taktgefühl freilich wird es nicht abgehen, aber in
ihm liegt ja stets das balanzierende Moment bei dem oft recht labilen Zustande
politischer Machtverhältnisse."

Jene „Übereinstimmung aller in Betracht kommenden Faktoren, von der
der Minister am 9. Juli sprach, ist bei dem tags zuvor entschiedenen Rücktritt
von Kühlmanns als nicht erforderlich erachtet worden. Graf Hertling versichert
uns allerdings kategorisch, daß er als einziger verantwortlicher Minister die
Politik mache, und daß bei ihr der Kurs der alte Acide. Da also hiermit
der Leiter des Auswärtigen Amtes im Bismarckschen Sinne nur als Hand¬
langer des Kanzlers betrachtet wird, wäre an dem Verfahren bei seiner Ent¬
lassung as jure nichts auszusetzen. Andererseits läßt sich nicht leugnen, daß
ac kaLto die Dinge etwas anders liegen. Die Frankfurter Zeitung kann nicht
ohne Grund darauf hinweisen, daß der allein die Politik bestimmende Kanzler
bei wichtigen Anlässen den Staatssekretär reden ließ und sich selbst im Hinter¬
grund» hielt. Auch der Auslandspolitiker der Kreuz-Zeitung, Otto Hoetzsch,
mag die verwunderte Frage nicht unterdrücken, warum — wenn es sich so ver¬
hält, wie Graf Hertling behauptet — „bis zum Juli 1917 in der auswärtigen
Politik der Reichskanzler von Bethmann Hollweg angegriffen und verteidigt wurde
und seit dem August 1917 der Staatssekretär von Kühlmann, nicht der Kanzler
Graf Hertling." (Mittwochs-Artikel vom 17. Juli.) Das soeben genannte konser¬
vative Organ stattete schon früher der Regierung ausdrücklich seinen Dank ab,
weil sie dem bedenklichen Gewohnheitsrecht einer parlamentarischen Mitwirkung
bei den Ministerernennungen die Wurzeln abgegraben habe. Wie Graf Hertling
über diese Dinge denkt, wird jetzt um so zweifelhafter, als er doch schon früher
das bei seiner und von Papers Ernennung geübte Verfahren wohl mehr als


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/100>, abgerufen am 23.06.2024.