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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr.

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doch, daß im Schoße der Partei alles andere als Einigkeit herrscht, und daß die
fatal-agrarischen Elemente sowie die Geistlichkeit schwerlich mit Mathias Erzberger
durch dick und dünn gehen werden, "Die Zentrumspartei als Ganzes kann sich
nur als Partei der Mitte mit vorsichtiger, aber zuverlässiger Pflege ihrer alten
Beziehungen zur Rechten lebensfähig erhalten", schrieb kürzlich der jüngere spähn,
Die Zeiten des schwarz-dienen Blocks sind noch nicht vergessen! Das offenbart
sich sogar ganz deutlich bei dem im übrigen gegen spähn polemisierenden
Abgeordneten Jaeger (Germania Ur. 172, 173). Heute kommt aber auch
noch das Bündnis mit den Nationalliberalen in Frage. Mit Recht wird von
einer "Tragödie der Irrungen" bei den zwei Mittelparteien gesprochen. Hier
wie dort "leidet man unter der taktischen Unmöglichkeit, wirklich das zu sagen,
was ist, die Nationalliberalcn noch mehr als das Zentrum, weil sie eben unter
den Druck der Agitation im eigenen Lager gestellt sind. Diese Situation hat bei
der gegenseitigen Abhängigkeit dahin geführt, daß abwechselnd ein Schritt nach
dem andern auf der schiefen Ebene abwärts geschah. Sie könnte ebensogut zur
umgekehrten Erscheinung führen, sobald von einer Seite dazu entschlossen der Anfang
gemacht würde. Einem Schritt des einen Teiles rückwärts vom Abgrund müßte
der andere Teil ebenfalls folgen und würde es mit einem Gefühl der Erleichterung
tun." ("Rote Tag" vom 2. April.)

Wie dem sein mag, der Kampf um die Wahlreform -- auch darin liegt
eine Parallele zwischen innerer und äußerer Politik -- befindet sich jetzt in jenem
Stadium, wo eine Verständigung unter den Parteien aussichtslos geworden ist,
es handelt sich lediglich um die Probe der Macht. Darum dauerte auch die
erneute Lesung nicht volle zwei Stunden. "Jeder sagte sich, so bemerkt mit
Recht der "Vorwärts", "daß das Reden keinen Zweck mehr hat, denn daran,
daß man sich gegenseitig überzeugen könnte, war nicht zu denken." Aber eben
weil die "Überzeugungen" auf beiden Seiten festgelegt sind, sollte das Blatt der
sozialdemokratischen Mehrheit sie auch beim Gegner gelten lassen und bei diesem
nicht von "dreister Herausforderung" oder -- in Plumpester Agitationsmanier
von "Hohn und Betrug einem ganzen Volke gegenüber" reden.

Es wäre viel gewonnen, wenn unsere Politiker sich die Fähigkeit aneigneten,
den gegnerischen Standpunkt objektiver zu begreifen und nicht immer gleich per¬
sönliche Zwecke zu wittern. Gar zu leicht springt dieser Pfeil auf den Schützen zurück.
Findet sich z. B. doch in demselben "Vorwärts" - Artikel die unvorsichtige Behauptung,
die wenigen Änderungen, die die Vorlage gegenüber den Beschlüssen erster Lesung
erfahren habe, seien teils "Verschlechterungen", teils "völlig belanglos". Natür¬
lich spießt die "Kreuzzeitung" sofort den fetten Bissen auf, indem sie an die be¬
sondere Berücksichtigung der Kriegsteilnehmer, was Wohnsitzklausel und Zusatz¬
stimmen betrifft, erinnert. Und so geht die leere Polemik in Replik und Duplik
auf Kosten des sachlichen endlos weiter.

Auch noch ein anderes würde die so oft beklagte Schroffheit unserer deutschen
Parteigegensätze mildern. Wenn man nämlich Sinnesänderungen innerhalb des
gegnerischen Lagers nicht immer gleich als vereinzelte Fälle abtun und höhnisch
als "Bekehrungen" brandmarken wollte, wodurch die Betreffenden vor den Kopf
gestoßen und die Brücken leichterer Verständigung schon im Bau wieder ab¬
gebrochen werden.

Ein Beispiel dafür von rechts, denn auch hier ist man nicht ohne Schuld
und Fehler. Die im Verlage für Sozialwissenschaft erscheinende, von Parvus
herausgegebene Zeitschrift: "Die Glocke" enthält bei aller Parteilichkeit der Anschau-
ungen eine Fülle von Beiträgen sozialdemokratischer Schriftsteller, deren Geistes-
richtung man im Interesse einer Gewinnung der größten deutschen Partei für den
Staat nur aufs allerherzlichste begrüßen sollte. Was hier Männer wie Hellmann,
Wirrig, Lensch und andere über innere und äußere Politik schreiben, läßt höchste
Zukunftshoffnungen keimen. Wie aber stellt sich unsere konservative Presse dazu?
Die Botschaft hört sie wohl, allein der Glaube fehlt ihr, weil es ja doch nur
"Stimmen von Predigern in der Wüste" seien ("Tag" von: S. April, "Kreuzzeitung"


doch, daß im Schoße der Partei alles andere als Einigkeit herrscht, und daß die
fatal-agrarischen Elemente sowie die Geistlichkeit schwerlich mit Mathias Erzberger
durch dick und dünn gehen werden, „Die Zentrumspartei als Ganzes kann sich
nur als Partei der Mitte mit vorsichtiger, aber zuverlässiger Pflege ihrer alten
Beziehungen zur Rechten lebensfähig erhalten", schrieb kürzlich der jüngere spähn,
Die Zeiten des schwarz-dienen Blocks sind noch nicht vergessen! Das offenbart
sich sogar ganz deutlich bei dem im übrigen gegen spähn polemisierenden
Abgeordneten Jaeger (Germania Ur. 172, 173). Heute kommt aber auch
noch das Bündnis mit den Nationalliberalen in Frage. Mit Recht wird von
einer „Tragödie der Irrungen" bei den zwei Mittelparteien gesprochen. Hier
wie dort „leidet man unter der taktischen Unmöglichkeit, wirklich das zu sagen,
was ist, die Nationalliberalcn noch mehr als das Zentrum, weil sie eben unter
den Druck der Agitation im eigenen Lager gestellt sind. Diese Situation hat bei
der gegenseitigen Abhängigkeit dahin geführt, daß abwechselnd ein Schritt nach
dem andern auf der schiefen Ebene abwärts geschah. Sie könnte ebensogut zur
umgekehrten Erscheinung führen, sobald von einer Seite dazu entschlossen der Anfang
gemacht würde. Einem Schritt des einen Teiles rückwärts vom Abgrund müßte
der andere Teil ebenfalls folgen und würde es mit einem Gefühl der Erleichterung
tun." („Rote Tag" vom 2. April.)

Wie dem sein mag, der Kampf um die Wahlreform — auch darin liegt
eine Parallele zwischen innerer und äußerer Politik — befindet sich jetzt in jenem
Stadium, wo eine Verständigung unter den Parteien aussichtslos geworden ist,
es handelt sich lediglich um die Probe der Macht. Darum dauerte auch die
erneute Lesung nicht volle zwei Stunden. „Jeder sagte sich, so bemerkt mit
Recht der „Vorwärts", „daß das Reden keinen Zweck mehr hat, denn daran,
daß man sich gegenseitig überzeugen könnte, war nicht zu denken." Aber eben
weil die „Überzeugungen" auf beiden Seiten festgelegt sind, sollte das Blatt der
sozialdemokratischen Mehrheit sie auch beim Gegner gelten lassen und bei diesem
nicht von „dreister Herausforderung" oder — in Plumpester Agitationsmanier
von „Hohn und Betrug einem ganzen Volke gegenüber" reden.

Es wäre viel gewonnen, wenn unsere Politiker sich die Fähigkeit aneigneten,
den gegnerischen Standpunkt objektiver zu begreifen und nicht immer gleich per¬
sönliche Zwecke zu wittern. Gar zu leicht springt dieser Pfeil auf den Schützen zurück.
Findet sich z. B. doch in demselben „Vorwärts" - Artikel die unvorsichtige Behauptung,
die wenigen Änderungen, die die Vorlage gegenüber den Beschlüssen erster Lesung
erfahren habe, seien teils „Verschlechterungen", teils „völlig belanglos". Natür¬
lich spießt die „Kreuzzeitung" sofort den fetten Bissen auf, indem sie an die be¬
sondere Berücksichtigung der Kriegsteilnehmer, was Wohnsitzklausel und Zusatz¬
stimmen betrifft, erinnert. Und so geht die leere Polemik in Replik und Duplik
auf Kosten des sachlichen endlos weiter.

Auch noch ein anderes würde die so oft beklagte Schroffheit unserer deutschen
Parteigegensätze mildern. Wenn man nämlich Sinnesänderungen innerhalb des
gegnerischen Lagers nicht immer gleich als vereinzelte Fälle abtun und höhnisch
als „Bekehrungen" brandmarken wollte, wodurch die Betreffenden vor den Kopf
gestoßen und die Brücken leichterer Verständigung schon im Bau wieder ab¬
gebrochen werden.

Ein Beispiel dafür von rechts, denn auch hier ist man nicht ohne Schuld
und Fehler. Die im Verlage für Sozialwissenschaft erscheinende, von Parvus
herausgegebene Zeitschrift: „Die Glocke" enthält bei aller Parteilichkeit der Anschau-
ungen eine Fülle von Beiträgen sozialdemokratischer Schriftsteller, deren Geistes-
richtung man im Interesse einer Gewinnung der größten deutschen Partei für den
Staat nur aufs allerherzlichste begrüßen sollte. Was hier Männer wie Hellmann,
Wirrig, Lensch und andere über innere und äußere Politik schreiben, läßt höchste
Zukunftshoffnungen keimen. Wie aber stellt sich unsere konservative Presse dazu?
Die Botschaft hört sie wohl, allein der Glaube fehlt ihr, weil es ja doch nur
«Stimmen von Predigern in der Wüste" seien („Tag" von: S. April, „Kreuzzeitung"


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[0091] doch, daß im Schoße der Partei alles andere als Einigkeit herrscht, und daß die fatal-agrarischen Elemente sowie die Geistlichkeit schwerlich mit Mathias Erzberger durch dick und dünn gehen werden, „Die Zentrumspartei als Ganzes kann sich nur als Partei der Mitte mit vorsichtiger, aber zuverlässiger Pflege ihrer alten Beziehungen zur Rechten lebensfähig erhalten", schrieb kürzlich der jüngere spähn, Die Zeiten des schwarz-dienen Blocks sind noch nicht vergessen! Das offenbart sich sogar ganz deutlich bei dem im übrigen gegen spähn polemisierenden Abgeordneten Jaeger (Germania Ur. 172, 173). Heute kommt aber auch noch das Bündnis mit den Nationalliberalen in Frage. Mit Recht wird von einer „Tragödie der Irrungen" bei den zwei Mittelparteien gesprochen. Hier wie dort „leidet man unter der taktischen Unmöglichkeit, wirklich das zu sagen, was ist, die Nationalliberalcn noch mehr als das Zentrum, weil sie eben unter den Druck der Agitation im eigenen Lager gestellt sind. Diese Situation hat bei der gegenseitigen Abhängigkeit dahin geführt, daß abwechselnd ein Schritt nach dem andern auf der schiefen Ebene abwärts geschah. Sie könnte ebensogut zur umgekehrten Erscheinung führen, sobald von einer Seite dazu entschlossen der Anfang gemacht würde. Einem Schritt des einen Teiles rückwärts vom Abgrund müßte der andere Teil ebenfalls folgen und würde es mit einem Gefühl der Erleichterung tun." („Rote Tag" vom 2. April.) Wie dem sein mag, der Kampf um die Wahlreform — auch darin liegt eine Parallele zwischen innerer und äußerer Politik — befindet sich jetzt in jenem Stadium, wo eine Verständigung unter den Parteien aussichtslos geworden ist, es handelt sich lediglich um die Probe der Macht. Darum dauerte auch die erneute Lesung nicht volle zwei Stunden. „Jeder sagte sich, so bemerkt mit Recht der „Vorwärts", „daß das Reden keinen Zweck mehr hat, denn daran, daß man sich gegenseitig überzeugen könnte, war nicht zu denken." Aber eben weil die „Überzeugungen" auf beiden Seiten festgelegt sind, sollte das Blatt der sozialdemokratischen Mehrheit sie auch beim Gegner gelten lassen und bei diesem nicht von „dreister Herausforderung" oder — in Plumpester Agitationsmanier von „Hohn und Betrug einem ganzen Volke gegenüber" reden. Es wäre viel gewonnen, wenn unsere Politiker sich die Fähigkeit aneigneten, den gegnerischen Standpunkt objektiver zu begreifen und nicht immer gleich per¬ sönliche Zwecke zu wittern. Gar zu leicht springt dieser Pfeil auf den Schützen zurück. Findet sich z. B. doch in demselben „Vorwärts" - Artikel die unvorsichtige Behauptung, die wenigen Änderungen, die die Vorlage gegenüber den Beschlüssen erster Lesung erfahren habe, seien teils „Verschlechterungen", teils „völlig belanglos". Natür¬ lich spießt die „Kreuzzeitung" sofort den fetten Bissen auf, indem sie an die be¬ sondere Berücksichtigung der Kriegsteilnehmer, was Wohnsitzklausel und Zusatz¬ stimmen betrifft, erinnert. Und so geht die leere Polemik in Replik und Duplik auf Kosten des sachlichen endlos weiter. Auch noch ein anderes würde die so oft beklagte Schroffheit unserer deutschen Parteigegensätze mildern. Wenn man nämlich Sinnesänderungen innerhalb des gegnerischen Lagers nicht immer gleich als vereinzelte Fälle abtun und höhnisch als „Bekehrungen" brandmarken wollte, wodurch die Betreffenden vor den Kopf gestoßen und die Brücken leichterer Verständigung schon im Bau wieder ab¬ gebrochen werden. Ein Beispiel dafür von rechts, denn auch hier ist man nicht ohne Schuld und Fehler. Die im Verlage für Sozialwissenschaft erscheinende, von Parvus herausgegebene Zeitschrift: „Die Glocke" enthält bei aller Parteilichkeit der Anschau- ungen eine Fülle von Beiträgen sozialdemokratischer Schriftsteller, deren Geistes- richtung man im Interesse einer Gewinnung der größten deutschen Partei für den Staat nur aufs allerherzlichste begrüßen sollte. Was hier Männer wie Hellmann, Wirrig, Lensch und andere über innere und äußere Politik schreiben, läßt höchste Zukunftshoffnungen keimen. Wie aber stellt sich unsere konservative Presse dazu? Die Botschaft hört sie wohl, allein der Glaube fehlt ihr, weil es ja doch nur «Stimmen von Predigern in der Wüste" seien („Tag" von: S. April, „Kreuzzeitung"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/91>, abgerufen am 22.07.2024.