Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Das neue Mecklenburg

Versuche, diese Verfassung in den neueren Konstitutionalismus überzuleiten,
sind bisher gescheitert. Im Jahre 1848 war man schon einmal so weit gelangt.
Aber in der folgenden Reaktionszeit mußte infolge des Freienwalder Schieds¬
spruches die altständische Verfassung wieder hergestellt werden. Seitdem ist es bei
vergeblichen Versuchen geblieben. In der Tat mußte eine konstitutionelle Ver¬
fassung mit zwei verschiedenen Staatsregierungen noch ungeheuerlicher wirken.

Da entzog ein trübes Geschick den Strelitzern ihren Landesherrn ohne
Hinterlassung näherer Erben. Von der ganzen Strelitzer Linie ist nur noch ein
entfernter Vetter des verstorbenen Großherzogs, der 1863 geborene Herzog Karl
Michael, vorhanden, der aber auch unverheiratet und kinderlos ist. Doch er lebt
als Sohn einer russischen Großfürstin von seiner Geburt an in Nußland, ist
Deutschland vollständig entfremdet und hat sich beim Beginne des Weltkrieges am
25. Juli 1914 (alten Stils) sogar förmlich in den russischen Untertanenverband
aufnehmen lassen.

Schon lange vor dem Kriege ist immer wieder die Forderung erhoben worden,
daß bei den mannigfachen Beziehungen deutscher Herrscherhäuser zum Auslande
Ausländer nicht mehr zu deutschen Fürstentronen zugelassen werden sollen. In
Oldenburg hatte man schon vor dem Kriege nach dem Verzichte Kaiser Nikolaus
des Zweiten für sich und sein Haus zugunsten der Linie Glücksburg diese 1905
berufen, in Sachsen-Koburg-Gotha sind 1917 wenigstens die Angehörigen der feind¬
lichen Staaten samt Nachkommenschaft für die Zukunft ausgeschlossen. In Meck¬
lenburg blieb die Forderung unerfüllt. Und so erleben wir denn das erbauliche
Schauspiel, daß mitten unter den Stürmen des Weltkrieges ein russischer General
zur Thronfolge im Großherzogtum Mecklenburg-Strelitz berufen ist, wenn er nicht
etwa selbst so taktvoll ist, zu verzichten. Daß er keine Nachkommen hat, wäre
dabei noch das einzige Glück. Vorläufig war freilich der neue Landesherr nicht
auffindbar, man wußte nicht, ob er in der Peter Pauls-Festung oder in Sibirien
oder sonstwo war, so daß der Schweriner Vetter die Regentschaft übernehmen
mußte. Nachläufig bliebe, wenn der Russe nicht verzichtet, nur die Möglichkeit,
daß der Bundesrat, wie es einst im braunschweiger Falle geschehen ist, die tat¬
sächliche Übernahme der Regierung als mit den Neichsinteressen unvereinbar er¬
klärte. Daß wirklich ein russischer General die Regierung eines deutschen
Einzelstaates übernimmt, wäre eine empörende Zumutung an das deutsche
Volksempfinden.

Man sollte meinen, daß auch die Mecklenburger eines Sinnes und hoch¬
erfreut wären, wenn bei dieser Gelegenheit die Landesteilung verschwände. Doch
aus Strelitz ertönten ganz andere Stimmen. Man wollte einen eigenen Landesherrn
behalten, damit Neu-Strelitz Residenz bliebe. Wenn es der Russe nicht sein durfte,
dann sollte der Schweriner Großherzog Strelitz wenigstens seinem zweiten Sohne
geben, also gegen das seit 1701 eingeführte Erstgeburtsrecht rechtswidrig eine neue
Landesteilung durchführen. Und für diese ungeheuerliche Forderung berief man
sich auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker, die nicht nach einem alten Haus-
vcrtrage gegen ihren Willen an einen fremden Staat kommen dürften. Nun kann
es den Mecklenburg-Strelitzern nicht ganz gleichgültig sein, ob ihr Landesherr in
Schwerin oder in Neu-Strelitz wohnt. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker
spiegelt hier die Herzschmerzen der bisherigen Residenz wider und soll hier einmal
den längst überwundenen Patrimonialstaat stützen.

Trotzdem werden sich die Schweriner und Strelitzer in absehbarer Zeit
damit abfinden müssen, in einem Staatswese'n als Mecklenburger vereinigt zu
werden, was sie merkwürdigerweise schon sind. Sobald erst die Persönlichkeit des
Herzogs Karl Michael erledigt ist, wird damit ganz von selbst ein deutscher Einzel¬
staat von der Bildfläche verschwinden und in einem größeren Gemeinwesen aufgehen.

Bei den beiden Schwarzburg ist man schon seit längerer Zeit bemüht, aus
den durch Aussterben der Sondershäuser Linie wieder unter einem Fürsten ver¬
einigten beiden Staaten einen Einheitsstaat zu bilden. Das ist natürlich mit er¬
heblichen Schwierigkeiten verknüpft, da im Wege der Verfassungsgesetzgebung jeder


Das neue Mecklenburg

Versuche, diese Verfassung in den neueren Konstitutionalismus überzuleiten,
sind bisher gescheitert. Im Jahre 1848 war man schon einmal so weit gelangt.
Aber in der folgenden Reaktionszeit mußte infolge des Freienwalder Schieds¬
spruches die altständische Verfassung wieder hergestellt werden. Seitdem ist es bei
vergeblichen Versuchen geblieben. In der Tat mußte eine konstitutionelle Ver¬
fassung mit zwei verschiedenen Staatsregierungen noch ungeheuerlicher wirken.

Da entzog ein trübes Geschick den Strelitzern ihren Landesherrn ohne
Hinterlassung näherer Erben. Von der ganzen Strelitzer Linie ist nur noch ein
entfernter Vetter des verstorbenen Großherzogs, der 1863 geborene Herzog Karl
Michael, vorhanden, der aber auch unverheiratet und kinderlos ist. Doch er lebt
als Sohn einer russischen Großfürstin von seiner Geburt an in Nußland, ist
Deutschland vollständig entfremdet und hat sich beim Beginne des Weltkrieges am
25. Juli 1914 (alten Stils) sogar förmlich in den russischen Untertanenverband
aufnehmen lassen.

Schon lange vor dem Kriege ist immer wieder die Forderung erhoben worden,
daß bei den mannigfachen Beziehungen deutscher Herrscherhäuser zum Auslande
Ausländer nicht mehr zu deutschen Fürstentronen zugelassen werden sollen. In
Oldenburg hatte man schon vor dem Kriege nach dem Verzichte Kaiser Nikolaus
des Zweiten für sich und sein Haus zugunsten der Linie Glücksburg diese 1905
berufen, in Sachsen-Koburg-Gotha sind 1917 wenigstens die Angehörigen der feind¬
lichen Staaten samt Nachkommenschaft für die Zukunft ausgeschlossen. In Meck¬
lenburg blieb die Forderung unerfüllt. Und so erleben wir denn das erbauliche
Schauspiel, daß mitten unter den Stürmen des Weltkrieges ein russischer General
zur Thronfolge im Großherzogtum Mecklenburg-Strelitz berufen ist, wenn er nicht
etwa selbst so taktvoll ist, zu verzichten. Daß er keine Nachkommen hat, wäre
dabei noch das einzige Glück. Vorläufig war freilich der neue Landesherr nicht
auffindbar, man wußte nicht, ob er in der Peter Pauls-Festung oder in Sibirien
oder sonstwo war, so daß der Schweriner Vetter die Regentschaft übernehmen
mußte. Nachläufig bliebe, wenn der Russe nicht verzichtet, nur die Möglichkeit,
daß der Bundesrat, wie es einst im braunschweiger Falle geschehen ist, die tat¬
sächliche Übernahme der Regierung als mit den Neichsinteressen unvereinbar er¬
klärte. Daß wirklich ein russischer General die Regierung eines deutschen
Einzelstaates übernimmt, wäre eine empörende Zumutung an das deutsche
Volksempfinden.

Man sollte meinen, daß auch die Mecklenburger eines Sinnes und hoch¬
erfreut wären, wenn bei dieser Gelegenheit die Landesteilung verschwände. Doch
aus Strelitz ertönten ganz andere Stimmen. Man wollte einen eigenen Landesherrn
behalten, damit Neu-Strelitz Residenz bliebe. Wenn es der Russe nicht sein durfte,
dann sollte der Schweriner Großherzog Strelitz wenigstens seinem zweiten Sohne
geben, also gegen das seit 1701 eingeführte Erstgeburtsrecht rechtswidrig eine neue
Landesteilung durchführen. Und für diese ungeheuerliche Forderung berief man
sich auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker, die nicht nach einem alten Haus-
vcrtrage gegen ihren Willen an einen fremden Staat kommen dürften. Nun kann
es den Mecklenburg-Strelitzern nicht ganz gleichgültig sein, ob ihr Landesherr in
Schwerin oder in Neu-Strelitz wohnt. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker
spiegelt hier die Herzschmerzen der bisherigen Residenz wider und soll hier einmal
den längst überwundenen Patrimonialstaat stützen.

Trotzdem werden sich die Schweriner und Strelitzer in absehbarer Zeit
damit abfinden müssen, in einem Staatswese'n als Mecklenburger vereinigt zu
werden, was sie merkwürdigerweise schon sind. Sobald erst die Persönlichkeit des
Herzogs Karl Michael erledigt ist, wird damit ganz von selbst ein deutscher Einzel¬
staat von der Bildfläche verschwinden und in einem größeren Gemeinwesen aufgehen.

Bei den beiden Schwarzburg ist man schon seit längerer Zeit bemüht, aus
den durch Aussterben der Sondershäuser Linie wieder unter einem Fürsten ver¬
einigten beiden Staaten einen Einheitsstaat zu bilden. Das ist natürlich mit er¬
heblichen Schwierigkeiten verknüpft, da im Wege der Verfassungsgesetzgebung jeder


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0080" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/333563"/>
          <fw type="header" place="top"> Das neue Mecklenburg</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_230"> Versuche, diese Verfassung in den neueren Konstitutionalismus überzuleiten,<lb/>
sind bisher gescheitert. Im Jahre 1848 war man schon einmal so weit gelangt.<lb/>
Aber in der folgenden Reaktionszeit mußte infolge des Freienwalder Schieds¬<lb/>
spruches die altständische Verfassung wieder hergestellt werden. Seitdem ist es bei<lb/>
vergeblichen Versuchen geblieben. In der Tat mußte eine konstitutionelle Ver¬<lb/>
fassung mit zwei verschiedenen Staatsregierungen noch ungeheuerlicher wirken.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_231"> Da entzog ein trübes Geschick den Strelitzern ihren Landesherrn ohne<lb/>
Hinterlassung näherer Erben. Von der ganzen Strelitzer Linie ist nur noch ein<lb/>
entfernter Vetter des verstorbenen Großherzogs, der 1863 geborene Herzog Karl<lb/>
Michael, vorhanden, der aber auch unverheiratet und kinderlos ist. Doch er lebt<lb/>
als Sohn einer russischen Großfürstin von seiner Geburt an in Nußland, ist<lb/>
Deutschland vollständig entfremdet und hat sich beim Beginne des Weltkrieges am<lb/>
25. Juli 1914 (alten Stils) sogar förmlich in den russischen Untertanenverband<lb/>
aufnehmen lassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_232"> Schon lange vor dem Kriege ist immer wieder die Forderung erhoben worden,<lb/>
daß bei den mannigfachen Beziehungen deutscher Herrscherhäuser zum Auslande<lb/>
Ausländer nicht mehr zu deutschen Fürstentronen zugelassen werden sollen. In<lb/>
Oldenburg hatte man schon vor dem Kriege nach dem Verzichte Kaiser Nikolaus<lb/>
des Zweiten für sich und sein Haus zugunsten der Linie Glücksburg diese 1905<lb/>
berufen, in Sachsen-Koburg-Gotha sind 1917 wenigstens die Angehörigen der feind¬<lb/>
lichen Staaten samt Nachkommenschaft für die Zukunft ausgeschlossen. In Meck¬<lb/>
lenburg blieb die Forderung unerfüllt. Und so erleben wir denn das erbauliche<lb/>
Schauspiel, daß mitten unter den Stürmen des Weltkrieges ein russischer General<lb/>
zur Thronfolge im Großherzogtum Mecklenburg-Strelitz berufen ist, wenn er nicht<lb/>
etwa selbst so taktvoll ist, zu verzichten. Daß er keine Nachkommen hat, wäre<lb/>
dabei noch das einzige Glück. Vorläufig war freilich der neue Landesherr nicht<lb/>
auffindbar, man wußte nicht, ob er in der Peter Pauls-Festung oder in Sibirien<lb/>
oder sonstwo war, so daß der Schweriner Vetter die Regentschaft übernehmen<lb/>
mußte. Nachläufig bliebe, wenn der Russe nicht verzichtet, nur die Möglichkeit,<lb/>
daß der Bundesrat, wie es einst im braunschweiger Falle geschehen ist, die tat¬<lb/>
sächliche Übernahme der Regierung als mit den Neichsinteressen unvereinbar er¬<lb/>
klärte. Daß wirklich ein russischer General die Regierung eines deutschen<lb/>
Einzelstaates übernimmt, wäre eine empörende Zumutung an das deutsche<lb/>
Volksempfinden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_233"> Man sollte meinen, daß auch die Mecklenburger eines Sinnes und hoch¬<lb/>
erfreut wären, wenn bei dieser Gelegenheit die Landesteilung verschwände. Doch<lb/>
aus Strelitz ertönten ganz andere Stimmen. Man wollte einen eigenen Landesherrn<lb/>
behalten, damit Neu-Strelitz Residenz bliebe. Wenn es der Russe nicht sein durfte,<lb/>
dann sollte der Schweriner Großherzog Strelitz wenigstens seinem zweiten Sohne<lb/>
geben, also gegen das seit 1701 eingeführte Erstgeburtsrecht rechtswidrig eine neue<lb/>
Landesteilung durchführen. Und für diese ungeheuerliche Forderung berief man<lb/>
sich auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker, die nicht nach einem alten Haus-<lb/>
vcrtrage gegen ihren Willen an einen fremden Staat kommen dürften. Nun kann<lb/>
es den Mecklenburg-Strelitzern nicht ganz gleichgültig sein, ob ihr Landesherr in<lb/>
Schwerin oder in Neu-Strelitz wohnt. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker<lb/>
spiegelt hier die Herzschmerzen der bisherigen Residenz wider und soll hier einmal<lb/>
den längst überwundenen Patrimonialstaat stützen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_234"> Trotzdem werden sich die Schweriner und Strelitzer in absehbarer Zeit<lb/>
damit abfinden müssen, in einem Staatswese'n als Mecklenburger vereinigt zu<lb/>
werden, was sie merkwürdigerweise schon sind. Sobald erst die Persönlichkeit des<lb/>
Herzogs Karl Michael erledigt ist, wird damit ganz von selbst ein deutscher Einzel¬<lb/>
staat von der Bildfläche verschwinden und in einem größeren Gemeinwesen aufgehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_235" next="#ID_236"> Bei den beiden Schwarzburg ist man schon seit längerer Zeit bemüht, aus<lb/>
den durch Aussterben der Sondershäuser Linie wieder unter einem Fürsten ver¬<lb/>
einigten beiden Staaten einen Einheitsstaat zu bilden. Das ist natürlich mit er¬<lb/>
heblichen Schwierigkeiten verknüpft, da im Wege der Verfassungsgesetzgebung jeder</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0080] Das neue Mecklenburg Versuche, diese Verfassung in den neueren Konstitutionalismus überzuleiten, sind bisher gescheitert. Im Jahre 1848 war man schon einmal so weit gelangt. Aber in der folgenden Reaktionszeit mußte infolge des Freienwalder Schieds¬ spruches die altständische Verfassung wieder hergestellt werden. Seitdem ist es bei vergeblichen Versuchen geblieben. In der Tat mußte eine konstitutionelle Ver¬ fassung mit zwei verschiedenen Staatsregierungen noch ungeheuerlicher wirken. Da entzog ein trübes Geschick den Strelitzern ihren Landesherrn ohne Hinterlassung näherer Erben. Von der ganzen Strelitzer Linie ist nur noch ein entfernter Vetter des verstorbenen Großherzogs, der 1863 geborene Herzog Karl Michael, vorhanden, der aber auch unverheiratet und kinderlos ist. Doch er lebt als Sohn einer russischen Großfürstin von seiner Geburt an in Nußland, ist Deutschland vollständig entfremdet und hat sich beim Beginne des Weltkrieges am 25. Juli 1914 (alten Stils) sogar förmlich in den russischen Untertanenverband aufnehmen lassen. Schon lange vor dem Kriege ist immer wieder die Forderung erhoben worden, daß bei den mannigfachen Beziehungen deutscher Herrscherhäuser zum Auslande Ausländer nicht mehr zu deutschen Fürstentronen zugelassen werden sollen. In Oldenburg hatte man schon vor dem Kriege nach dem Verzichte Kaiser Nikolaus des Zweiten für sich und sein Haus zugunsten der Linie Glücksburg diese 1905 berufen, in Sachsen-Koburg-Gotha sind 1917 wenigstens die Angehörigen der feind¬ lichen Staaten samt Nachkommenschaft für die Zukunft ausgeschlossen. In Meck¬ lenburg blieb die Forderung unerfüllt. Und so erleben wir denn das erbauliche Schauspiel, daß mitten unter den Stürmen des Weltkrieges ein russischer General zur Thronfolge im Großherzogtum Mecklenburg-Strelitz berufen ist, wenn er nicht etwa selbst so taktvoll ist, zu verzichten. Daß er keine Nachkommen hat, wäre dabei noch das einzige Glück. Vorläufig war freilich der neue Landesherr nicht auffindbar, man wußte nicht, ob er in der Peter Pauls-Festung oder in Sibirien oder sonstwo war, so daß der Schweriner Vetter die Regentschaft übernehmen mußte. Nachläufig bliebe, wenn der Russe nicht verzichtet, nur die Möglichkeit, daß der Bundesrat, wie es einst im braunschweiger Falle geschehen ist, die tat¬ sächliche Übernahme der Regierung als mit den Neichsinteressen unvereinbar er¬ klärte. Daß wirklich ein russischer General die Regierung eines deutschen Einzelstaates übernimmt, wäre eine empörende Zumutung an das deutsche Volksempfinden. Man sollte meinen, daß auch die Mecklenburger eines Sinnes und hoch¬ erfreut wären, wenn bei dieser Gelegenheit die Landesteilung verschwände. Doch aus Strelitz ertönten ganz andere Stimmen. Man wollte einen eigenen Landesherrn behalten, damit Neu-Strelitz Residenz bliebe. Wenn es der Russe nicht sein durfte, dann sollte der Schweriner Großherzog Strelitz wenigstens seinem zweiten Sohne geben, also gegen das seit 1701 eingeführte Erstgeburtsrecht rechtswidrig eine neue Landesteilung durchführen. Und für diese ungeheuerliche Forderung berief man sich auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker, die nicht nach einem alten Haus- vcrtrage gegen ihren Willen an einen fremden Staat kommen dürften. Nun kann es den Mecklenburg-Strelitzern nicht ganz gleichgültig sein, ob ihr Landesherr in Schwerin oder in Neu-Strelitz wohnt. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker spiegelt hier die Herzschmerzen der bisherigen Residenz wider und soll hier einmal den längst überwundenen Patrimonialstaat stützen. Trotzdem werden sich die Schweriner und Strelitzer in absehbarer Zeit damit abfinden müssen, in einem Staatswese'n als Mecklenburger vereinigt zu werden, was sie merkwürdigerweise schon sind. Sobald erst die Persönlichkeit des Herzogs Karl Michael erledigt ist, wird damit ganz von selbst ein deutscher Einzel¬ staat von der Bildfläche verschwinden und in einem größeren Gemeinwesen aufgehen. Bei den beiden Schwarzburg ist man schon seit längerer Zeit bemüht, aus den durch Aussterben der Sondershäuser Linie wieder unter einem Fürsten ver¬ einigten beiden Staaten einen Einheitsstaat zu bilden. Das ist natürlich mit er¬ heblichen Schwierigkeiten verknüpft, da im Wege der Verfassungsgesetzgebung jeder

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/80
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/80>, abgerufen am 25.08.2024.