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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr.

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Randglossen zum Tage

Mmschenverächter spielen? Kurz, man lebt auch gedanklich vom Tag in den Tag
und erwartet vom Ende des Ringens, daß sich auch die Trümmer des Weltbildes
wieder schön zusammenfügen, und daß uns dann die Philosophen wieder beweisen
werden, daß und warum alles so und nicht anders ist.

In einem nur sind alle Parteien und Systeme einig, daß das Furchtbare,
das wieder geschieht, eine bittere Notwendigkeit ist, die man uns aufgezwungen
hat. Darin einig, gehen wir einem Osterfest entgegen, das nach äußeren und
inneren Begleiterscheinungen einzig ist und es nur dann nicht mehr sein wird,
wenn das nächste uns im neuen Frieden antrifft. Die Härten der Zeit werden
so in einer Stimmung ertragen, über die sich die verschiedenen für die, Regelung
unseres materiellen Lebens verantwortlichen Stellen um so unbefangener freuen
können, als sie zum geringsten Teil daran schuld sind. Der Festbraten ist so
klein, daß das Vergrößerungsglas den Punkt feststellen muß, an dem das Feder¬
messer zum Zerlegen anzusetzen ist. Wenn die Hausfrau imstande wäre, aus
weißem Sand und Leitungswasser einen Festtagstuchen zu bereiten, könnte sich
die Behörde stolz darauf berufen, daß sie diese Dinge nur unwesentlich verteuert hat.
Wären Ostereier aus Faserstoff mit Kohlrübenschnitzeln gefüllt ein Genußmittel,
würde die Behörde jedem Kind das Nestlein füllen. Wie die Dinge liegen und
die Nahrungsmittel-Organisationen fungieren, müssen und werden wir über den
Ereignissen vergessen, daß wir dieses Fest nur mit geistig-moralischen Werten ver¬
schönern können. Wir müssen uns versagen, dein Großstadt-Häusermeer mittels
Schnellzuges zu entfliehen und es wird uns darüber hinweghelfen, zu sehen, wie
schnell unsere Truppen vorwärtskommen.

So liegt über dem schweren Ernst des EntbehrenmüssenS, der vor allem
der Großstodtbevölterung außer demjenigen Teil, der mit Hundertmarkscheinen
zu nahrhaften Beziehungen die Brücke schlagen kann --, Linien ins Antlitz ge¬
graben hat, heitere Gefaßtheit und Gewißheit, für die wir denen draußen un¬
auslöschlich dankbar sein müssen. So ertragen wir einen Lebenszustand, der,
wenn nicht seine sehr ernste Seite hätte und nicht so verwünscht kostspielig
wäre, W>as Karnevalistisches an sich trüge, in der Umkehrung des gewohnten
Zustandes.'' Keine demokratische Verfassung könnte den Zustand der Gleichheit
schaffen, der zwischen denjenigen besteht, die gleich wenig zu essen haben. Die
Regierungsrütin und die Eisenbahnschaffnerin sind Schwestern, wenn keine von
ihnen einen Onkel aus dein Lande hat und beide zugleich im Laden nach etwas
fragen, das es nicht gibt. Zwischen dem Amtsgerichtsrat und dem Munitions¬
arbeiter besteht im Zigarrengeschäft nur noch der Unterschied, daß der letztere N'ehe
mit der Wimper zuckt, wenn er Fünfzigpfennigzigarren kauft. Keine Dame der
Gesellschaft war je so umworben, wie heute die Verkäuferin im Fleischerladen
und kein Mann hat je vor seinem Chef gezittert, wie er heute vor seinem Schuster
bebt. Was war selbst im Zeitalter der Propheten die Ehrfurcht vor dem Aller
gegen den Respekt, dessen sich heute die unbärtige Jugend in Gestalt von Bureau-
jungen erfreut? . Was von den Taten der antiken Tyrannen erzählt wird, sind
gutmütige Biertischspäßchen gegen das, was der Fleischer, die Gemüsehändlerin,
der Möbelpacker mit uns anfangen. Was sind alle sozialen Umwälzungen der
Vergangenheit und der utopistischen Literatur gegen die sozialen Umwälzungen
von heute?

Im Zeichen dieser Umkehrung der Dinge feiern wir Ostern. Die Welt
hat keine ähnlichen erlebt. Wir Deutsche keine, die so erhaben und voller kleiner
Widerwärtigkeiten, so '^schlitternd gewaltig und so komisch in den Kleinigkeiten
des Lebens, so bitter ernst und so zukunftsfroh) so unfaßbar grauenhaft und so
voll zuversichtlichster Sicherheit gewesen wären.

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Nachdruck sämtlicher Aussähe Nur mit "nsdrü>Iticher Erlnulmis "eS Bcria>,6 gestattet,
"eraniwortlich: der Herausgeber Georg "telum" i" Berlin'LichKrseid" West. -- MamittriPtjend""""" in>"
Bricke werden erbeten unter der Adresse:
An die Echriftlcitimg der Grenzboten in Berlin SV 11, Trmpelhofcr Ufer 85".
ffernsnrecher des Herausgeber": Amt Lichterseide "W, des Verlags und der Schrifileiinng: Amt M""n> WIl>,
Bering: Verlag der "renzdoN" G. in. b. H. in Berlin SV it, Tempelhojer User VS,.
Druck: '"Der ReichSboie" w, in. b. H. i" Berlin LW II, Dessauer Sira!;- :!et/37.
Randglossen zum Tage

Mmschenverächter spielen? Kurz, man lebt auch gedanklich vom Tag in den Tag
und erwartet vom Ende des Ringens, daß sich auch die Trümmer des Weltbildes
wieder schön zusammenfügen, und daß uns dann die Philosophen wieder beweisen
werden, daß und warum alles so und nicht anders ist.

In einem nur sind alle Parteien und Systeme einig, daß das Furchtbare,
das wieder geschieht, eine bittere Notwendigkeit ist, die man uns aufgezwungen
hat. Darin einig, gehen wir einem Osterfest entgegen, das nach äußeren und
inneren Begleiterscheinungen einzig ist und es nur dann nicht mehr sein wird,
wenn das nächste uns im neuen Frieden antrifft. Die Härten der Zeit werden
so in einer Stimmung ertragen, über die sich die verschiedenen für die, Regelung
unseres materiellen Lebens verantwortlichen Stellen um so unbefangener freuen
können, als sie zum geringsten Teil daran schuld sind. Der Festbraten ist so
klein, daß das Vergrößerungsglas den Punkt feststellen muß, an dem das Feder¬
messer zum Zerlegen anzusetzen ist. Wenn die Hausfrau imstande wäre, aus
weißem Sand und Leitungswasser einen Festtagstuchen zu bereiten, könnte sich
die Behörde stolz darauf berufen, daß sie diese Dinge nur unwesentlich verteuert hat.
Wären Ostereier aus Faserstoff mit Kohlrübenschnitzeln gefüllt ein Genußmittel,
würde die Behörde jedem Kind das Nestlein füllen. Wie die Dinge liegen und
die Nahrungsmittel-Organisationen fungieren, müssen und werden wir über den
Ereignissen vergessen, daß wir dieses Fest nur mit geistig-moralischen Werten ver¬
schönern können. Wir müssen uns versagen, dein Großstadt-Häusermeer mittels
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So liegt über dem schweren Ernst des EntbehrenmüssenS, der vor allem
der Großstodtbevölterung außer demjenigen Teil, der mit Hundertmarkscheinen
zu nahrhaften Beziehungen die Brücke schlagen kann —, Linien ins Antlitz ge¬
graben hat, heitere Gefaßtheit und Gewißheit, für die wir denen draußen un¬
auslöschlich dankbar sein müssen. So ertragen wir einen Lebenszustand, der,
wenn nicht seine sehr ernste Seite hätte und nicht so verwünscht kostspielig
wäre, W>as Karnevalistisches an sich trüge, in der Umkehrung des gewohnten
Zustandes.'' Keine demokratische Verfassung könnte den Zustand der Gleichheit
schaffen, der zwischen denjenigen besteht, die gleich wenig zu essen haben. Die
Regierungsrütin und die Eisenbahnschaffnerin sind Schwestern, wenn keine von
ihnen einen Onkel aus dein Lande hat und beide zugleich im Laden nach etwas
fragen, das es nicht gibt. Zwischen dem Amtsgerichtsrat und dem Munitions¬
arbeiter besteht im Zigarrengeschäft nur noch der Unterschied, daß der letztere N'ehe
mit der Wimper zuckt, wenn er Fünfzigpfennigzigarren kauft. Keine Dame der
Gesellschaft war je so umworben, wie heute die Verkäuferin im Fleischerladen
und kein Mann hat je vor seinem Chef gezittert, wie er heute vor seinem Schuster
bebt. Was war selbst im Zeitalter der Propheten die Ehrfurcht vor dem Aller
gegen den Respekt, dessen sich heute die unbärtige Jugend in Gestalt von Bureau-
jungen erfreut? . Was von den Taten der antiken Tyrannen erzählt wird, sind
gutmütige Biertischspäßchen gegen das, was der Fleischer, die Gemüsehändlerin,
der Möbelpacker mit uns anfangen. Was sind alle sozialen Umwälzungen der
Vergangenheit und der utopistischen Literatur gegen die sozialen Umwälzungen
von heute?

Im Zeichen dieser Umkehrung der Dinge feiern wir Ostern. Die Welt
hat keine ähnlichen erlebt. Wir Deutsche keine, die so erhaben und voller kleiner
Widerwärtigkeiten, so '^schlitternd gewaltig und so komisch in den Kleinigkeiten
des Lebens, so bitter ernst und so zukunftsfroh) so unfaßbar grauenhaft und so
voll zuversichtlichster Sicherheit gewesen wären.

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Nachdruck sämtlicher Aussähe Nur mit «nsdrü>Iticher Erlnulmis »eS Bcria>,6 gestattet,
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Bricke werden erbeten unter der Adresse:
An die Echriftlcitimg der Grenzboten in Berlin SV 11, Trmpelhofcr Ufer 85».
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Druck: '„Der ReichSboie" w, in. b. H. i» Berlin LW II, Dessauer Sira!;- :!et/37.
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[0036] Randglossen zum Tage Mmschenverächter spielen? Kurz, man lebt auch gedanklich vom Tag in den Tag und erwartet vom Ende des Ringens, daß sich auch die Trümmer des Weltbildes wieder schön zusammenfügen, und daß uns dann die Philosophen wieder beweisen werden, daß und warum alles so und nicht anders ist. In einem nur sind alle Parteien und Systeme einig, daß das Furchtbare, das wieder geschieht, eine bittere Notwendigkeit ist, die man uns aufgezwungen hat. Darin einig, gehen wir einem Osterfest entgegen, das nach äußeren und inneren Begleiterscheinungen einzig ist und es nur dann nicht mehr sein wird, wenn das nächste uns im neuen Frieden antrifft. Die Härten der Zeit werden so in einer Stimmung ertragen, über die sich die verschiedenen für die, Regelung unseres materiellen Lebens verantwortlichen Stellen um so unbefangener freuen können, als sie zum geringsten Teil daran schuld sind. Der Festbraten ist so klein, daß das Vergrößerungsglas den Punkt feststellen muß, an dem das Feder¬ messer zum Zerlegen anzusetzen ist. Wenn die Hausfrau imstande wäre, aus weißem Sand und Leitungswasser einen Festtagstuchen zu bereiten, könnte sich die Behörde stolz darauf berufen, daß sie diese Dinge nur unwesentlich verteuert hat. Wären Ostereier aus Faserstoff mit Kohlrübenschnitzeln gefüllt ein Genußmittel, würde die Behörde jedem Kind das Nestlein füllen. Wie die Dinge liegen und die Nahrungsmittel-Organisationen fungieren, müssen und werden wir über den Ereignissen vergessen, daß wir dieses Fest nur mit geistig-moralischen Werten ver¬ schönern können. Wir müssen uns versagen, dein Großstadt-Häusermeer mittels Schnellzuges zu entfliehen und es wird uns darüber hinweghelfen, zu sehen, wie schnell unsere Truppen vorwärtskommen. So liegt über dem schweren Ernst des EntbehrenmüssenS, der vor allem der Großstodtbevölterung außer demjenigen Teil, der mit Hundertmarkscheinen zu nahrhaften Beziehungen die Brücke schlagen kann —, Linien ins Antlitz ge¬ graben hat, heitere Gefaßtheit und Gewißheit, für die wir denen draußen un¬ auslöschlich dankbar sein müssen. So ertragen wir einen Lebenszustand, der, wenn nicht seine sehr ernste Seite hätte und nicht so verwünscht kostspielig wäre, W>as Karnevalistisches an sich trüge, in der Umkehrung des gewohnten Zustandes.'' Keine demokratische Verfassung könnte den Zustand der Gleichheit schaffen, der zwischen denjenigen besteht, die gleich wenig zu essen haben. Die Regierungsrütin und die Eisenbahnschaffnerin sind Schwestern, wenn keine von ihnen einen Onkel aus dein Lande hat und beide zugleich im Laden nach etwas fragen, das es nicht gibt. Zwischen dem Amtsgerichtsrat und dem Munitions¬ arbeiter besteht im Zigarrengeschäft nur noch der Unterschied, daß der letztere N'ehe mit der Wimper zuckt, wenn er Fünfzigpfennigzigarren kauft. Keine Dame der Gesellschaft war je so umworben, wie heute die Verkäuferin im Fleischerladen und kein Mann hat je vor seinem Chef gezittert, wie er heute vor seinem Schuster bebt. Was war selbst im Zeitalter der Propheten die Ehrfurcht vor dem Aller gegen den Respekt, dessen sich heute die unbärtige Jugend in Gestalt von Bureau- jungen erfreut? . Was von den Taten der antiken Tyrannen erzählt wird, sind gutmütige Biertischspäßchen gegen das, was der Fleischer, die Gemüsehändlerin, der Möbelpacker mit uns anfangen. Was sind alle sozialen Umwälzungen der Vergangenheit und der utopistischen Literatur gegen die sozialen Umwälzungen von heute? Im Zeichen dieser Umkehrung der Dinge feiern wir Ostern. Die Welt hat keine ähnlichen erlebt. Wir Deutsche keine, die so erhaben und voller kleiner Widerwärtigkeiten, so '^schlitternd gewaltig und so komisch in den Kleinigkeiten des Lebens, so bitter ernst und so zukunftsfroh) so unfaßbar grauenhaft und so voll zuversichtlichster Sicherheit gewesen wären. Ih Nemo r Nachdruck sämtlicher Aussähe Nur mit «nsdrü>Iticher Erlnulmis »eS Bcria>,6 gestattet, «eraniwortlich: der Herausgeber Georg «telum« i» Berlin'LichKrseid» West. — MamittriPtjend»«««» in>» Bricke werden erbeten unter der Adresse: An die Echriftlcitimg der Grenzboten in Berlin SV 11, Trmpelhofcr Ufer 85». ffernsnrecher des Herausgeber«: Amt Lichterseide «W, des Verlags und der Schrifileiinng: Amt M»»n> WIl>, Bering: Verlag der «renzdoN» G. in. b. H. in Berlin SV it, Tempelhojer User VS,. Druck: '„Der ReichSboie" w, in. b. H. i» Berlin LW II, Dessauer Sira!;- :!et/37.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/36>, abgerufen am 22.07.2024.