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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr.

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Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland

dieses neuen Frauentyps zu verarbeiten haben. Verschärft wird diese Frauenfrage
durch die trübe gewordenen Heiratsaussichten unzähliger Mädchen aller Schichten.
Der Krieg hat grausam die Männerauswahl in den Heiratsjahrgängen verkleinert.
Die schweren kommenden Jahre werden die Ehescheu der Männer unendlich ver¬
schärfen. Kein Gesetz, keine Steuerentlastung wird dagegen helfen, daß viele, viele
Mädchen sich auf ein eheloses Leben' einrichten müssen. Das Große, das auf
einmal, mit einem gewaltigen Entschluß geleistet werden muß, wird von den
Männern verlangt, das Schwere, das lange, öde Jahre hindurch getragen werden
muß, das Leben ohne anderen Inhalt, als Entsagung, von den Frauen von
ihnen, wie immer, doch das Schwerste.

,
Ihr Nemo


Parlament und Regierung im neugeordneten
Deutschland

meer diesem Titel hat der Heidelberger Nativnalökonom und Politiker
Max Weber soeben eine Schrift erscheinen lassen*), die zu dem sach¬
kundigsten und Wertvollsten gehört, was über den Gegenstand bisher
gesagt worden ist. Auch wo man den Schlüssen und Folgerungen,
die der Verfasser zieht, nicht zustimmen kann, bleibt die intensive
Beschäftigung und Auseinandersetzung mit seinen Gedanken hoher
Gewinn, eine wahre Pflanzschule politischer Bildung. Auch für den "staatsrecht¬
lichen Fachmann", obwohl Weber bescheiden ihm nichts "Neues" zu sagen glaubt.

In Anbetracht der Wichtigkeit des Themas und seiner Behandlung durch
Weber sei zunächst eine Analyse der Schrift vorausgeschickt, mit der wir gleich
Einzelkritik verbinden."

Die "Vorbemerkung begründet die Stellungnahme des Autors zum Problem
mit seiner Beobachtung, "daß die bisherige Art der staatlichen Willensbildung und
des politischen Betriebes bei uns jede deutsche Politik, gleichviel welches ihre Ziele
seien, zum Scheitern verurteilen müsse, daß dies bei gleichbleibenden Verhältnissen
künftig immer wieder genau so sein werde", ohne die Garantie, stets durch das
Schwert wieder gut machen zu können, was die diplomatisch- politische Feder
verdirbt. Man muß also jene Verhältnisse ändern. Und das soll und kann nach
Weber, um es gleich zu sagen, nur durch Einführung der parlamentarischen Re¬
gierungsform geschehen.

Das Bedenken, eine Kritik an unserer Staatsform "liefere den Feinden
Waffen", wird abgelehnt. Damit habe man uns zwanzig Jahre den Mund ver¬
bunden, bis es zu spät war. "Was haben wir jetzt noch durch solche Kritik im
Auslande zu verlieren? Die Feinde könnten sich beglückwünschen, wenn die alten,
schweren Schäden auch weiter bestehen bleiben." Sogleich ein kennzeichnendes
Beispiel für die höchst subjektive und zuspitzende, gelegentlich auch wohl überspitze,
Art Webers, die Dinge zu schauen.
"

"Jetzt haben wir vielleicht nichts mehr zu verlieren, aber damit ist doch
der Einwand nicht erledigt, daß die früher vou gewisser Seite nicht abbrechende
Klage über deutsche Verfassungsunfreiheit dem Auslande die Waffen geliefert hat,



*) In der von Sigmund Hellmann herausgegebenen Sammlung "Die innere Politik",
Duncker u. Humvlot, München und Leipzig 1918. 182 S. Geh. 4 Mark.
Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland

dieses neuen Frauentyps zu verarbeiten haben. Verschärft wird diese Frauenfrage
durch die trübe gewordenen Heiratsaussichten unzähliger Mädchen aller Schichten.
Der Krieg hat grausam die Männerauswahl in den Heiratsjahrgängen verkleinert.
Die schweren kommenden Jahre werden die Ehescheu der Männer unendlich ver¬
schärfen. Kein Gesetz, keine Steuerentlastung wird dagegen helfen, daß viele, viele
Mädchen sich auf ein eheloses Leben' einrichten müssen. Das Große, das auf
einmal, mit einem gewaltigen Entschluß geleistet werden muß, wird von den
Männern verlangt, das Schwere, das lange, öde Jahre hindurch getragen werden
muß, das Leben ohne anderen Inhalt, als Entsagung, von den Frauen von
ihnen, wie immer, doch das Schwerste.

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Ihr Nemo


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Deutschland

meer diesem Titel hat der Heidelberger Nativnalökonom und Politiker
Max Weber soeben eine Schrift erscheinen lassen*), die zu dem sach¬
kundigsten und Wertvollsten gehört, was über den Gegenstand bisher
gesagt worden ist. Auch wo man den Schlüssen und Folgerungen,
die der Verfasser zieht, nicht zustimmen kann, bleibt die intensive
Beschäftigung und Auseinandersetzung mit seinen Gedanken hoher
Gewinn, eine wahre Pflanzschule politischer Bildung. Auch für den „staatsrecht¬
lichen Fachmann", obwohl Weber bescheiden ihm nichts „Neues" zu sagen glaubt.

In Anbetracht der Wichtigkeit des Themas und seiner Behandlung durch
Weber sei zunächst eine Analyse der Schrift vorausgeschickt, mit der wir gleich
Einzelkritik verbinden."

Die „Vorbemerkung begründet die Stellungnahme des Autors zum Problem
mit seiner Beobachtung, „daß die bisherige Art der staatlichen Willensbildung und
des politischen Betriebes bei uns jede deutsche Politik, gleichviel welches ihre Ziele
seien, zum Scheitern verurteilen müsse, daß dies bei gleichbleibenden Verhältnissen
künftig immer wieder genau so sein werde", ohne die Garantie, stets durch das
Schwert wieder gut machen zu können, was die diplomatisch- politische Feder
verdirbt. Man muß also jene Verhältnisse ändern. Und das soll und kann nach
Weber, um es gleich zu sagen, nur durch Einführung der parlamentarischen Re¬
gierungsform geschehen.

Das Bedenken, eine Kritik an unserer Staatsform „liefere den Feinden
Waffen", wird abgelehnt. Damit habe man uns zwanzig Jahre den Mund ver¬
bunden, bis es zu spät war. „Was haben wir jetzt noch durch solche Kritik im
Auslande zu verlieren? Die Feinde könnten sich beglückwünschen, wenn die alten,
schweren Schäden auch weiter bestehen bleiben." Sogleich ein kennzeichnendes
Beispiel für die höchst subjektive und zuspitzende, gelegentlich auch wohl überspitze,
Art Webers, die Dinge zu schauen.
"

„Jetzt haben wir vielleicht nichts mehr zu verlieren, aber damit ist doch
der Einwand nicht erledigt, daß die früher vou gewisser Seite nicht abbrechende
Klage über deutsche Verfassungsunfreiheit dem Auslande die Waffen geliefert hat,



*) In der von Sigmund Hellmann herausgegebenen Sammlung „Die innere Politik",
Duncker u. Humvlot, München und Leipzig 1918. 182 S. Geh. 4 Mark.
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[0266] Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland dieses neuen Frauentyps zu verarbeiten haben. Verschärft wird diese Frauenfrage durch die trübe gewordenen Heiratsaussichten unzähliger Mädchen aller Schichten. Der Krieg hat grausam die Männerauswahl in den Heiratsjahrgängen verkleinert. Die schweren kommenden Jahre werden die Ehescheu der Männer unendlich ver¬ schärfen. Kein Gesetz, keine Steuerentlastung wird dagegen helfen, daß viele, viele Mädchen sich auf ein eheloses Leben' einrichten müssen. Das Große, das auf einmal, mit einem gewaltigen Entschluß geleistet werden muß, wird von den Männern verlangt, das Schwere, das lange, öde Jahre hindurch getragen werden muß, das Leben ohne anderen Inhalt, als Entsagung, von den Frauen von ihnen, wie immer, doch das Schwerste. , Ihr Nemo Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland meer diesem Titel hat der Heidelberger Nativnalökonom und Politiker Max Weber soeben eine Schrift erscheinen lassen*), die zu dem sach¬ kundigsten und Wertvollsten gehört, was über den Gegenstand bisher gesagt worden ist. Auch wo man den Schlüssen und Folgerungen, die der Verfasser zieht, nicht zustimmen kann, bleibt die intensive Beschäftigung und Auseinandersetzung mit seinen Gedanken hoher Gewinn, eine wahre Pflanzschule politischer Bildung. Auch für den „staatsrecht¬ lichen Fachmann", obwohl Weber bescheiden ihm nichts „Neues" zu sagen glaubt. In Anbetracht der Wichtigkeit des Themas und seiner Behandlung durch Weber sei zunächst eine Analyse der Schrift vorausgeschickt, mit der wir gleich Einzelkritik verbinden." Die „Vorbemerkung begründet die Stellungnahme des Autors zum Problem mit seiner Beobachtung, „daß die bisherige Art der staatlichen Willensbildung und des politischen Betriebes bei uns jede deutsche Politik, gleichviel welches ihre Ziele seien, zum Scheitern verurteilen müsse, daß dies bei gleichbleibenden Verhältnissen künftig immer wieder genau so sein werde", ohne die Garantie, stets durch das Schwert wieder gut machen zu können, was die diplomatisch- politische Feder verdirbt. Man muß also jene Verhältnisse ändern. Und das soll und kann nach Weber, um es gleich zu sagen, nur durch Einführung der parlamentarischen Re¬ gierungsform geschehen. Das Bedenken, eine Kritik an unserer Staatsform „liefere den Feinden Waffen", wird abgelehnt. Damit habe man uns zwanzig Jahre den Mund ver¬ bunden, bis es zu spät war. „Was haben wir jetzt noch durch solche Kritik im Auslande zu verlieren? Die Feinde könnten sich beglückwünschen, wenn die alten, schweren Schäden auch weiter bestehen bleiben." Sogleich ein kennzeichnendes Beispiel für die höchst subjektive und zuspitzende, gelegentlich auch wohl überspitze, Art Webers, die Dinge zu schauen. " „Jetzt haben wir vielleicht nichts mehr zu verlieren, aber damit ist doch der Einwand nicht erledigt, daß die früher vou gewisser Seite nicht abbrechende Klage über deutsche Verfassungsunfreiheit dem Auslande die Waffen geliefert hat, *) In der von Sigmund Hellmann herausgegebenen Sammlung „Die innere Politik", Duncker u. Humvlot, München und Leipzig 1918. 182 S. Geh. 4 Mark.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/266>, abgerufen am 27.08.2024.