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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr.

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Randglossen zum Tage

zeigt. Wandelt man abends an den Lauben, den einfachen oder den sozial höher
stehenden, an der Stadtperipherie vorüber und sieht, wie emsig und behaglich sich
die Leute den Randländerfreuden der Weltstadt widmen, sieht man auf den
Balkonen im traulichen Licht der Lampe die Familien vereint, hört man aus den
Hintergründen der weitoffenen Zimmer einen Schmalztenor sich von der Gram¬
mophonplatte loslösen, während links und rechts, oben und unten gleichzeitig fünf
Klaviere sich an die Öffentlichkeit flüchten, so wird man an die Rotkehlchen und
SchwarMnseln erinnert und sieht auch hier, das; das kleine Leben sich durch die
großen Ereignisse nicht stören läßt. Ob Pferderennen oder Theaterpremieren, ob
Sommerabend-Familienleben oder Freibad Wannsee, was auch eine Form des
Familienlebens ist, wenn auch nicht die hat suste, wie aufgestautes und wieder frei'
gegebenes Wasser läuft das Leben des Alltags nach dem Orkan, der es durch¬
peitscht hat, in die gewohnten Rinnsale zurück und füllt die alten Pfützen. Sind
die Menschen so stark oder so schwach, so klug oder so töricht, so ruhig oder so
stumpf, so leichtsinnig oder so unerschütterlich? Immer wieder stellt sich die Frage.
Nehmen wir an -- vielleicht ist das richtig --, es sei der Stil des fünften Kriegs¬
jahres, der sich logisch und psychologisch entwickelt hat. Wer vom Regen in einer
Unterkunftshütte überrascht irird, wartet die erste halbe Stunde ungeduldig an der
Tür stehend und alle fünf Minuten hinausspähend. Dann legt er den Mantel
ab, zieht ein Buch hervor, setzt sich nieder und liest und schaut nicht mehr auf.
So hält er den längsten Regen aus, ohne nervös zu werden, während das Warten
an der Tür die Nerven.unruhig macht. Vielleicht haben wir den Stil gefunden,
den wir nunmehr beibehalten werden, bis nach dem aberwitzigen Willen der
Entente ihr soviel Fehlschläge zuteil geworden sind, daß die Autoritäten Lloyd
Georges, Wilsons und Clemenceaus daran zerbrechen.

Es war in den ersten Kriegslager, als noch die erste Aufregung herrschte
und mancher harmlose Zeitgenosse, der durch einen schwarzen Vollbart oder sonder¬
bare Kleidung auffiel, unter erheblichem Geschrei von der Menge als Spion fest¬
genommen wurde. Da eilte in der Tauentzien-Straße ein alter Herr mit wildem
Blick hin und her, und wo er ein junges Mädchen sah, das den damals modernen
Schlitzrock trug, sprang er hinzu und suchte mit bereitgehaltenen Stecknadeln
empört der Erschreckten den Rockschlitz, der einen Blick auf daS mehr oder weniger
hübsche Bein gestattete, zuzustecken. Dieser erregte Greis war der Typus des
außer Rand und Band geratenen Philisters. Dessen politischer Typus waren die
Sänger der Haßgesänge, ihr philologischer die Fremdwortzerstörer, die das un¬
schuldig-gewohnheitsmäßigste "Adiöh" mit rauher Mahnung in die Kehle des
Sprechenden zurückscheuchten und verlangten, daß man "auf Wiedersehen" sage,
auch wenn es dem Gerichtsvollzieher galt. Im Geschäftsleben wütete der kauf¬
männische Vertreter dieser Gattung, der mittels eines den Geschäftsbriefen auf¬
gedruckten Gummistempels den lieben Gott aufforderte, England zu strafen. Man
kann dieses wilogewordene Philistertum als so gut wie verschwunden bezeichnen. Der
Soldat hat auch hier als Erzieher gewirkt, indem er sich an diesen Torheiten nicht
beteiligte, sondern mit sachlicher Ruhe und Gründlichkeit dem Feinde die nötigen Nieder¬
lagen beibrachte, ritterlich seineTapferkeit anerkennend, gutmütig lieber an irregeleitete,
als bewußt böswillige Völker glaubend. Wenn die Feinde zu Propagandazwecken
die Mode der Haßdichtmigen beibehalten und die Amerikaner sie zu neuer Blüte
gebracht haben, so erblickt der Soldat und der vom Philistertum geheilte Bürger
darin nur das Zeichen, daß sie solche Mittel nötig haben, wo alle anderen ver¬
sagen, und zucken die Achseln.

Jiem, ein im Vergleich zu der ersten Kriegszeit neuer Lebensstil hat sich in
Anpassung an die lange Kriegsdauer entwickelt und den ersten schönen Wochen
des vierten Kriegssommers Ähnlichkeiten mit vergangenen Sommern gegeben, die
den Beobachter überraschen. Aber der neue Stil ist kein neuer Stil, sondern die
stillschweigende möglichste Wiedereinführung des vorkriegerischen Lebensstiles, soweit
es die Verhältnisse gestatten, der Frieden im Krieg, soweit es möglich ist. Im
Gegensatz zu dieser im Interesse des Durchhaltens erfreulichen Wiederkehr hat der


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zeigt. Wandelt man abends an den Lauben, den einfachen oder den sozial höher
stehenden, an der Stadtperipherie vorüber und sieht, wie emsig und behaglich sich
die Leute den Randländerfreuden der Weltstadt widmen, sieht man auf den
Balkonen im traulichen Licht der Lampe die Familien vereint, hört man aus den
Hintergründen der weitoffenen Zimmer einen Schmalztenor sich von der Gram¬
mophonplatte loslösen, während links und rechts, oben und unten gleichzeitig fünf
Klaviere sich an die Öffentlichkeit flüchten, so wird man an die Rotkehlchen und
SchwarMnseln erinnert und sieht auch hier, das; das kleine Leben sich durch die
großen Ereignisse nicht stören läßt. Ob Pferderennen oder Theaterpremieren, ob
Sommerabend-Familienleben oder Freibad Wannsee, was auch eine Form des
Familienlebens ist, wenn auch nicht die hat suste, wie aufgestautes und wieder frei'
gegebenes Wasser läuft das Leben des Alltags nach dem Orkan, der es durch¬
peitscht hat, in die gewohnten Rinnsale zurück und füllt die alten Pfützen. Sind
die Menschen so stark oder so schwach, so klug oder so töricht, so ruhig oder so
stumpf, so leichtsinnig oder so unerschütterlich? Immer wieder stellt sich die Frage.
Nehmen wir an — vielleicht ist das richtig —, es sei der Stil des fünften Kriegs¬
jahres, der sich logisch und psychologisch entwickelt hat. Wer vom Regen in einer
Unterkunftshütte überrascht irird, wartet die erste halbe Stunde ungeduldig an der
Tür stehend und alle fünf Minuten hinausspähend. Dann legt er den Mantel
ab, zieht ein Buch hervor, setzt sich nieder und liest und schaut nicht mehr auf.
So hält er den längsten Regen aus, ohne nervös zu werden, während das Warten
an der Tür die Nerven.unruhig macht. Vielleicht haben wir den Stil gefunden,
den wir nunmehr beibehalten werden, bis nach dem aberwitzigen Willen der
Entente ihr soviel Fehlschläge zuteil geworden sind, daß die Autoritäten Lloyd
Georges, Wilsons und Clemenceaus daran zerbrechen.

Es war in den ersten Kriegslager, als noch die erste Aufregung herrschte
und mancher harmlose Zeitgenosse, der durch einen schwarzen Vollbart oder sonder¬
bare Kleidung auffiel, unter erheblichem Geschrei von der Menge als Spion fest¬
genommen wurde. Da eilte in der Tauentzien-Straße ein alter Herr mit wildem
Blick hin und her, und wo er ein junges Mädchen sah, das den damals modernen
Schlitzrock trug, sprang er hinzu und suchte mit bereitgehaltenen Stecknadeln
empört der Erschreckten den Rockschlitz, der einen Blick auf daS mehr oder weniger
hübsche Bein gestattete, zuzustecken. Dieser erregte Greis war der Typus des
außer Rand und Band geratenen Philisters. Dessen politischer Typus waren die
Sänger der Haßgesänge, ihr philologischer die Fremdwortzerstörer, die das un¬
schuldig-gewohnheitsmäßigste „Adiöh" mit rauher Mahnung in die Kehle des
Sprechenden zurückscheuchten und verlangten, daß man „auf Wiedersehen" sage,
auch wenn es dem Gerichtsvollzieher galt. Im Geschäftsleben wütete der kauf¬
männische Vertreter dieser Gattung, der mittels eines den Geschäftsbriefen auf¬
gedruckten Gummistempels den lieben Gott aufforderte, England zu strafen. Man
kann dieses wilogewordene Philistertum als so gut wie verschwunden bezeichnen. Der
Soldat hat auch hier als Erzieher gewirkt, indem er sich an diesen Torheiten nicht
beteiligte, sondern mit sachlicher Ruhe und Gründlichkeit dem Feinde die nötigen Nieder¬
lagen beibrachte, ritterlich seineTapferkeit anerkennend, gutmütig lieber an irregeleitete,
als bewußt böswillige Völker glaubend. Wenn die Feinde zu Propagandazwecken
die Mode der Haßdichtmigen beibehalten und die Amerikaner sie zu neuer Blüte
gebracht haben, so erblickt der Soldat und der vom Philistertum geheilte Bürger
darin nur das Zeichen, daß sie solche Mittel nötig haben, wo alle anderen ver¬
sagen, und zucken die Achseln.

Jiem, ein im Vergleich zu der ersten Kriegszeit neuer Lebensstil hat sich in
Anpassung an die lange Kriegsdauer entwickelt und den ersten schönen Wochen
des vierten Kriegssommers Ähnlichkeiten mit vergangenen Sommern gegeben, die
den Beobachter überraschen. Aber der neue Stil ist kein neuer Stil, sondern die
stillschweigende möglichste Wiedereinführung des vorkriegerischen Lebensstiles, soweit
es die Verhältnisse gestatten, der Frieden im Krieg, soweit es möglich ist. Im
Gegensatz zu dieser im Interesse des Durchhaltens erfreulichen Wiederkehr hat der


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[0264] Randglossen zum Tage zeigt. Wandelt man abends an den Lauben, den einfachen oder den sozial höher stehenden, an der Stadtperipherie vorüber und sieht, wie emsig und behaglich sich die Leute den Randländerfreuden der Weltstadt widmen, sieht man auf den Balkonen im traulichen Licht der Lampe die Familien vereint, hört man aus den Hintergründen der weitoffenen Zimmer einen Schmalztenor sich von der Gram¬ mophonplatte loslösen, während links und rechts, oben und unten gleichzeitig fünf Klaviere sich an die Öffentlichkeit flüchten, so wird man an die Rotkehlchen und SchwarMnseln erinnert und sieht auch hier, das; das kleine Leben sich durch die großen Ereignisse nicht stören läßt. Ob Pferderennen oder Theaterpremieren, ob Sommerabend-Familienleben oder Freibad Wannsee, was auch eine Form des Familienlebens ist, wenn auch nicht die hat suste, wie aufgestautes und wieder frei' gegebenes Wasser läuft das Leben des Alltags nach dem Orkan, der es durch¬ peitscht hat, in die gewohnten Rinnsale zurück und füllt die alten Pfützen. Sind die Menschen so stark oder so schwach, so klug oder so töricht, so ruhig oder so stumpf, so leichtsinnig oder so unerschütterlich? Immer wieder stellt sich die Frage. Nehmen wir an — vielleicht ist das richtig —, es sei der Stil des fünften Kriegs¬ jahres, der sich logisch und psychologisch entwickelt hat. Wer vom Regen in einer Unterkunftshütte überrascht irird, wartet die erste halbe Stunde ungeduldig an der Tür stehend und alle fünf Minuten hinausspähend. Dann legt er den Mantel ab, zieht ein Buch hervor, setzt sich nieder und liest und schaut nicht mehr auf. So hält er den längsten Regen aus, ohne nervös zu werden, während das Warten an der Tür die Nerven.unruhig macht. Vielleicht haben wir den Stil gefunden, den wir nunmehr beibehalten werden, bis nach dem aberwitzigen Willen der Entente ihr soviel Fehlschläge zuteil geworden sind, daß die Autoritäten Lloyd Georges, Wilsons und Clemenceaus daran zerbrechen. Es war in den ersten Kriegslager, als noch die erste Aufregung herrschte und mancher harmlose Zeitgenosse, der durch einen schwarzen Vollbart oder sonder¬ bare Kleidung auffiel, unter erheblichem Geschrei von der Menge als Spion fest¬ genommen wurde. Da eilte in der Tauentzien-Straße ein alter Herr mit wildem Blick hin und her, und wo er ein junges Mädchen sah, das den damals modernen Schlitzrock trug, sprang er hinzu und suchte mit bereitgehaltenen Stecknadeln empört der Erschreckten den Rockschlitz, der einen Blick auf daS mehr oder weniger hübsche Bein gestattete, zuzustecken. Dieser erregte Greis war der Typus des außer Rand und Band geratenen Philisters. Dessen politischer Typus waren die Sänger der Haßgesänge, ihr philologischer die Fremdwortzerstörer, die das un¬ schuldig-gewohnheitsmäßigste „Adiöh" mit rauher Mahnung in die Kehle des Sprechenden zurückscheuchten und verlangten, daß man „auf Wiedersehen" sage, auch wenn es dem Gerichtsvollzieher galt. Im Geschäftsleben wütete der kauf¬ männische Vertreter dieser Gattung, der mittels eines den Geschäftsbriefen auf¬ gedruckten Gummistempels den lieben Gott aufforderte, England zu strafen. Man kann dieses wilogewordene Philistertum als so gut wie verschwunden bezeichnen. Der Soldat hat auch hier als Erzieher gewirkt, indem er sich an diesen Torheiten nicht beteiligte, sondern mit sachlicher Ruhe und Gründlichkeit dem Feinde die nötigen Nieder¬ lagen beibrachte, ritterlich seineTapferkeit anerkennend, gutmütig lieber an irregeleitete, als bewußt böswillige Völker glaubend. Wenn die Feinde zu Propagandazwecken die Mode der Haßdichtmigen beibehalten und die Amerikaner sie zu neuer Blüte gebracht haben, so erblickt der Soldat und der vom Philistertum geheilte Bürger darin nur das Zeichen, daß sie solche Mittel nötig haben, wo alle anderen ver¬ sagen, und zucken die Achseln. Jiem, ein im Vergleich zu der ersten Kriegszeit neuer Lebensstil hat sich in Anpassung an die lange Kriegsdauer entwickelt und den ersten schönen Wochen des vierten Kriegssommers Ähnlichkeiten mit vergangenen Sommern gegeben, die den Beobachter überraschen. Aber der neue Stil ist kein neuer Stil, sondern die stillschweigende möglichste Wiedereinführung des vorkriegerischen Lebensstiles, soweit es die Verhältnisse gestatten, der Frieden im Krieg, soweit es möglich ist. Im Gegensatz zu dieser im Interesse des Durchhaltens erfreulichen Wiederkehr hat der

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/264>, abgerufen am 27.08.2024.