Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr.Randglossen zum Tage einer sogenannten Jugendblüte aufnimmt. Das am meisten genannte angebliche Eher kann man vielleicht gewisse psychologische Kennzeichen finden, die Randglossen zum Tage An den Herausgeber se es eine richtige "tote Saison", diese Ruhe der letzten Wochen? Randglossen zum Tage einer sogenannten Jugendblüte aufnimmt. Das am meisten genannte angebliche Eher kann man vielleicht gewisse psychologische Kennzeichen finden, die Randglossen zum Tage An den Herausgeber se es eine richtige „tote Saison", diese Ruhe der letzten Wochen? <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0263" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/333746"/> <fw type="header" place="top"> Randglossen zum Tage</fw><lb/> <p xml:id="ID_1025" prev="#ID_1024"> einer sogenannten Jugendblüte aufnimmt. Das am meisten genannte angebliche<lb/> Niedergangssymptom, der Geburtenrückgang, hat keine biologischen Gründe, liegt<lb/> nicht an versagender Zeugungskraft der Rasse und gibt daher — bei aller Bedenk¬<lb/> lichkeit — in dieser Hinsicht keinen Anlaß zu Schwarzseherei. In biologischer<lb/> Beziehung darf also von einem „Altern" des deutschen Volkes nicht die Rede sein.</p><lb/> <p xml:id="ID_1026"> Eher kann man vielleicht gewisse psychologische Kennzeichen finden, die<lb/> Alterscharakter haben. Das starke Hervortreten der Reflexion, die Freude an<lb/> historischer und psychologischer Abstraktion und damit zusammenhängend ein Zurück¬<lb/> treten des Phantasielebens scheinen das nahezulegen. Man hat sogar im Im¬<lb/> pressionismus, der eine Zeitlang auf allen Kulturgebieten herrschte, eine spezifische<lb/> Alterserscheinung erblicken wollen. Indessen gründet sich auch diese Behauptung<lb/> auf sehr oberflächliche Analogien. Aber selbst wenn sie recht hätte, wer beweist<lb/> denn, daß nicht eine neue Richtung kommt, die wieder von vorn anfängt, wie<lb/> wir das oft genug erlebt haben. Tritt nicht sogar eben im sogenannten Expressio¬<lb/> nismus eine Richtung ins Leben, die alle Kennzeichen der Jugendlichkeit und<lb/> zum Teil einen recht ungebärdigen hat? Belone sie nicht das R>ehe des subjek¬<lb/> tivsten Gefühls, lehrt sie nicht Verachtung alles Relativismus, Psychologidmus<lb/> und was sonst als Alterserscheinung an der geistigen Kultur gelten konnte? Wir<lb/> können es abwarten, ob aus diesem brausenden Most ein echter Wein wird; sicher<lb/> ist jedenfalls, daß auch durch die stark hervortretenden Züge der jüngsten Ver¬<lb/> gangenheit, die einige Analogien zum Greisenalter böten, keinerlei Pessimismus<lb/> berechtigt ist.« Unsere Kultur ist schon öfter alt geworden und hat sich wieder<lb/> verjüngt. Auch im Psychologischen bleiben „Jugend" und „Alter" Analogien.<lb/> Und gerade im Wechsel der Perioden beruht ja die Lebendigkeit der Kultur.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Randglossen zum Tage</head><lb/> <note type="salute"> An den Herausgeber</note><lb/> <p xml:id="ID_1027" next="#ID_1028"> se es eine richtige „tote Saison", diese Ruhe der letzten Wochen?<lb/> WvAA^Wi Wäre nicht die unvermeidliche allwöchentliche Auseinandersetzung<lb/> MM^V^H? mit und über Herrn Erzberger, dem von der Konkurrenz eine frei-<lb/> M5^A?Ü » willige Reklame gemacht wird, um die ihn jeder Waienhausbesitzcr<lb/> oder Thmterdiretior beneiden wird, es fehlten in diesem Mai alle<lb/> ^LL^^MA erregten Ober- und Nnterlöne in der politischen Unterhaltung, ES<lb/> ^ t zu schön und zu vernünftig, um lange zu dauern. Daß ganz wie im Frieden<lb/> um diese Jahreszeit — eigentlich sogar ein wenig früh, selbst für Friedensver-<lb/> ?°ut"sse — in den „weitesten Kreisen" der wesentliche Gegenstand der Aufregung<lb/> Problem ist, ob der Portier das Gepäck rechtzeitig an den richtigen Bahnhof<lb/> 'chasser wird, ruft fast das längst vergessene Wort „saure Gnrkenzeit" ins Ge-<lb/> vachtnis, zumal auch die Zeitungen die üblichen neckischen Plaudereien in der<lb/> ^laublümleinweis friedlichster Sommerzeit darbieten. Nur hie und da grollt's<lb/> ^renat kurz aus der alldeutschen Ecke oder dem sozialdemokratischen Winkel,<lb/> ^raren trieb mir's in die Augen, als ich dieser Tage einen meterlangen richtigen<lb/> «onnnerleitartikel über die Frage der Abschaffung des Goldes als Währungs-<lb/> »rundlage las. Ach Gott, Währungsartikel in der Presse waren von jeher das<lb/> Unsere Zeichen, daß nichts los war. Man denkt gerührt an die Zeiten, da es<lb/> Papier und Geduld und Leser gab für den Bimetallistenstreit. Es wird<lb/> glaubwürdig versichert, daß an der Front, in der unmittelbaren Nähe feuernder<lb/> Lotterien, Rotkehlchen oder Schwarzamseln ruhig in ihrem Neste sitzen bleiben.<lb/> ^ lst dieselbe Anpassung, wie sie sich bei den Menschen im vierten Kriegssommer</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0263]
Randglossen zum Tage
einer sogenannten Jugendblüte aufnimmt. Das am meisten genannte angebliche
Niedergangssymptom, der Geburtenrückgang, hat keine biologischen Gründe, liegt
nicht an versagender Zeugungskraft der Rasse und gibt daher — bei aller Bedenk¬
lichkeit — in dieser Hinsicht keinen Anlaß zu Schwarzseherei. In biologischer
Beziehung darf also von einem „Altern" des deutschen Volkes nicht die Rede sein.
Eher kann man vielleicht gewisse psychologische Kennzeichen finden, die
Alterscharakter haben. Das starke Hervortreten der Reflexion, die Freude an
historischer und psychologischer Abstraktion und damit zusammenhängend ein Zurück¬
treten des Phantasielebens scheinen das nahezulegen. Man hat sogar im Im¬
pressionismus, der eine Zeitlang auf allen Kulturgebieten herrschte, eine spezifische
Alterserscheinung erblicken wollen. Indessen gründet sich auch diese Behauptung
auf sehr oberflächliche Analogien. Aber selbst wenn sie recht hätte, wer beweist
denn, daß nicht eine neue Richtung kommt, die wieder von vorn anfängt, wie
wir das oft genug erlebt haben. Tritt nicht sogar eben im sogenannten Expressio¬
nismus eine Richtung ins Leben, die alle Kennzeichen der Jugendlichkeit und
zum Teil einen recht ungebärdigen hat? Belone sie nicht das R>ehe des subjek¬
tivsten Gefühls, lehrt sie nicht Verachtung alles Relativismus, Psychologidmus
und was sonst als Alterserscheinung an der geistigen Kultur gelten konnte? Wir
können es abwarten, ob aus diesem brausenden Most ein echter Wein wird; sicher
ist jedenfalls, daß auch durch die stark hervortretenden Züge der jüngsten Ver¬
gangenheit, die einige Analogien zum Greisenalter böten, keinerlei Pessimismus
berechtigt ist.« Unsere Kultur ist schon öfter alt geworden und hat sich wieder
verjüngt. Auch im Psychologischen bleiben „Jugend" und „Alter" Analogien.
Und gerade im Wechsel der Perioden beruht ja die Lebendigkeit der Kultur.
Randglossen zum Tage
An den Herausgeber
se es eine richtige „tote Saison", diese Ruhe der letzten Wochen?
WvAA^Wi Wäre nicht die unvermeidliche allwöchentliche Auseinandersetzung
MM^V^H? mit und über Herrn Erzberger, dem von der Konkurrenz eine frei-
M5^A?Ü » willige Reklame gemacht wird, um die ihn jeder Waienhausbesitzcr
oder Thmterdiretior beneiden wird, es fehlten in diesem Mai alle
^LL^^MA erregten Ober- und Nnterlöne in der politischen Unterhaltung, ES
^ t zu schön und zu vernünftig, um lange zu dauern. Daß ganz wie im Frieden
um diese Jahreszeit — eigentlich sogar ein wenig früh, selbst für Friedensver-
?°ut"sse — in den „weitesten Kreisen" der wesentliche Gegenstand der Aufregung
Problem ist, ob der Portier das Gepäck rechtzeitig an den richtigen Bahnhof
'chasser wird, ruft fast das längst vergessene Wort „saure Gnrkenzeit" ins Ge-
vachtnis, zumal auch die Zeitungen die üblichen neckischen Plaudereien in der
^laublümleinweis friedlichster Sommerzeit darbieten. Nur hie und da grollt's
^renat kurz aus der alldeutschen Ecke oder dem sozialdemokratischen Winkel,
^raren trieb mir's in die Augen, als ich dieser Tage einen meterlangen richtigen
«onnnerleitartikel über die Frage der Abschaffung des Goldes als Währungs-
»rundlage las. Ach Gott, Währungsartikel in der Presse waren von jeher das
Unsere Zeichen, daß nichts los war. Man denkt gerührt an die Zeiten, da es
Papier und Geduld und Leser gab für den Bimetallistenstreit. Es wird
glaubwürdig versichert, daß an der Front, in der unmittelbaren Nähe feuernder
Lotterien, Rotkehlchen oder Schwarzamseln ruhig in ihrem Neste sitzen bleiben.
^ lst dieselbe Anpassung, wie sie sich bei den Menschen im vierten Kriegssommer
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