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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Alltägliches, das selbstverständlich geworden
ist, als Merkwürdigkeit aufzeigt. Von all
den Vorschriften, die die volle Ausnützung
unserer Getreideernte für die Volksgemein¬
schaft sichern sollen, versagen gerade die
wichtigsten. Die Kontrolle der örtlichen
Organe wird aus Gründen, die in der mensch¬
lichen Natur liegen, vielfach nur sacht und
rücksichtsvoll ausgeübt. In dem patriarcha¬
lischen Bestreben, den Gemeinde- und Kreis¬
eingesessenen die erzeugte Körnerfrucht mög¬
lichst zu erhalten, wirkt alles zusammen,
damit die Selbstversorger nicht zu kurz
kommen. Die Kontrolleure aus der Ferne, die
ihre Tätigkeit nicht auf Kirchturmspolitik ein¬
stellen, können nur Stichproben nehmen. Ihre
Wirksamkeit verpufft in Aufdeckung von Verfeh¬
lungen, deren Ahndung für die Getreidewirt¬
schaft ohne praktische Bedeutung ist. Herannahen
oder Anwesenheit des Kontrolleurs wird rings¬
um bekannt. Die Müller richten sich, so¬
weit sie es können oder für nötig halten, auf
den zu erwartenden Besuch ein. In den
meisten Fällen ist eine einzelne Person zur
Ausübung einer wirksamen Kontrolle über¬
haupt nicht imstande. Dazu gehören immer
drei, mindestens aber zwei Hand in Hand
arbeitende Personen, die je nach den einzelnen
Verhältnissen mit verteilten Rollen sachgemäß
vorzugehen verstehen. Besser keine Kontrolle
als eine unvollständige und schwächliche. So¬
bald der Kontrolleur die Mühle verlassen hat,
weiß der ins Fäustchen lachende Müller sich
auf lange Zeit hinaus wieder gesichert, und
er hat bei dem Besuche manches hinzugelernt,
was ihm nützlich ist.

Das Direktorium der Reichsgetreidestelle
schreibt für Roggen und Weizen einen Aus¬
mahlungssatz "mindestens bis 94 Prozent"
vor. Dies Gebot findet bei der von den
Selbstversorgern eingebrachten Frucht wenig
Beachtung. Auf Wunsch der Kunden, die
eine geringere Menge besseren Mehles und
zur Viehverfütterung eine größere Menge Kleie
zur Verfügung haben wollen, findet häufig
eine zu geringe Ausmahlung statt, die bis zu
70 Prozent und weiter herabgeht. Grieß und
sogenannte Auszugsmehle werden hergestellt.
Um die zu geringe Ausmahlung zu ver¬
decken, wird das Mehl möglichst rasch -- in

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der Nacht oder am frühen Morgen -- aus
der Mühle geschafft, so daß die Kontrolleure
nur selten Partien vorfinden, die zur Abgabe
fertiggerichtet sind. Häufig lagert Mehl und
feine Kleie getrennt in Trögen und Säcken;
mit der Behauptung, beides solle noch vor Ab¬
gabe gemischt werden, suchen die Müller sich
auszureden. "Auszug", gewöhnlich dem ersten
oder zweiten Zug entnommen, wird unter ir¬
gendeinem beschönigenden Phantasienamen ge¬
trennt abgegeben. Der in manchen Verkaufsla¬
den üblich gewordene Vermerk "Auslandsware"
hat in den Mühlen Schule gemacht. Der
Ausdruck "Kochmehl" oder "Suppenmehl"
soll das Gewissen saldieren und vom guten
Glauben überzeugen.

Das Gebot, daß Frucht nicht ohne Mahl¬
schein angenommen werden darf, wird häufig
übertreten. Zur Verschleierung wird ohne
Mahlschein angelieferte Frucht in benachbarten
nicht zur Mühle gehörigen Räumen gelagert
oder es wird ein fremder Mahlschein mit
passenden Gewichtsmengen untergeschoben.
Von Frucht, die der Kontrolleur ohne Mahl¬
schein vorfindet, behauptet der Müller, sie sei
in seiner Abwesenheit in die Mühle gebracht
worden oder sie sei sein Eigentum. Daß auf
einen und denselben Mahlschein immer wieder
neue Posten Frucht ausgenähten werden,
wird glaubhaft versichert. Nachgewiesen wer¬
den kann ein solches Vergehen Wohl kaum;
begünstigt wird es durch Unterlassung der
Unterschrift des Abholers im Mahlbuch, so¬
wie durch Nichtabgabe oder nicht rechtzeitige
Abgabe der Mahlkartenabschnitte an Kom¬
munalverband und Kunden. Häufig nehmen
die Müller Fruchtmengcn entgegen, die größer
sind als die auf den Mahlkarten angegebenen;
das bei der Kontrolle sich zeigende Über¬
gewicht an Frucht oder an Mehl und Kleie
wird damit entschuldigt, daß die Zeit zur
Feststellung des Fruchtgewichtes bei Ein<-
lieferung oft fehle. Auch nimmt der Müller
andere als die auf den Mahlscheinen ver¬
zeichneten Fruchtsorten an.

Nach den ergangenen Bestimmungen sind
die Säcke mit Getreide und mit Mahlgut mit
Anhängezetteln zu versehen, die den Inhalt
der Säcke nach Fruchtart und Gewicht sowie
Namen und Wohnort des Selbstversorgers

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Alltägliches, das selbstverständlich geworden
ist, als Merkwürdigkeit aufzeigt. Von all
den Vorschriften, die die volle Ausnützung
unserer Getreideernte für die Volksgemein¬
schaft sichern sollen, versagen gerade die
wichtigsten. Die Kontrolle der örtlichen
Organe wird aus Gründen, die in der mensch¬
lichen Natur liegen, vielfach nur sacht und
rücksichtsvoll ausgeübt. In dem patriarcha¬
lischen Bestreben, den Gemeinde- und Kreis¬
eingesessenen die erzeugte Körnerfrucht mög¬
lichst zu erhalten, wirkt alles zusammen,
damit die Selbstversorger nicht zu kurz
kommen. Die Kontrolleure aus der Ferne, die
ihre Tätigkeit nicht auf Kirchturmspolitik ein¬
stellen, können nur Stichproben nehmen. Ihre
Wirksamkeit verpufft in Aufdeckung von Verfeh¬
lungen, deren Ahndung für die Getreidewirt¬
schaft ohne praktische Bedeutung ist. Herannahen
oder Anwesenheit des Kontrolleurs wird rings¬
um bekannt. Die Müller richten sich, so¬
weit sie es können oder für nötig halten, auf
den zu erwartenden Besuch ein. In den
meisten Fällen ist eine einzelne Person zur
Ausübung einer wirksamen Kontrolle über¬
haupt nicht imstande. Dazu gehören immer
drei, mindestens aber zwei Hand in Hand
arbeitende Personen, die je nach den einzelnen
Verhältnissen mit verteilten Rollen sachgemäß
vorzugehen verstehen. Besser keine Kontrolle
als eine unvollständige und schwächliche. So¬
bald der Kontrolleur die Mühle verlassen hat,
weiß der ins Fäustchen lachende Müller sich
auf lange Zeit hinaus wieder gesichert, und
er hat bei dem Besuche manches hinzugelernt,
was ihm nützlich ist.

Das Direktorium der Reichsgetreidestelle
schreibt für Roggen und Weizen einen Aus¬
mahlungssatz „mindestens bis 94 Prozent"
vor. Dies Gebot findet bei der von den
Selbstversorgern eingebrachten Frucht wenig
Beachtung. Auf Wunsch der Kunden, die
eine geringere Menge besseren Mehles und
zur Viehverfütterung eine größere Menge Kleie
zur Verfügung haben wollen, findet häufig
eine zu geringe Ausmahlung statt, die bis zu
70 Prozent und weiter herabgeht. Grieß und
sogenannte Auszugsmehle werden hergestellt.
Um die zu geringe Ausmahlung zu ver¬
decken, wird das Mehl möglichst rasch — in

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der Nacht oder am frühen Morgen — aus
der Mühle geschafft, so daß die Kontrolleure
nur selten Partien vorfinden, die zur Abgabe
fertiggerichtet sind. Häufig lagert Mehl und
feine Kleie getrennt in Trögen und Säcken;
mit der Behauptung, beides solle noch vor Ab¬
gabe gemischt werden, suchen die Müller sich
auszureden. „Auszug", gewöhnlich dem ersten
oder zweiten Zug entnommen, wird unter ir¬
gendeinem beschönigenden Phantasienamen ge¬
trennt abgegeben. Der in manchen Verkaufsla¬
den üblich gewordene Vermerk „Auslandsware"
hat in den Mühlen Schule gemacht. Der
Ausdruck „Kochmehl" oder „Suppenmehl"
soll das Gewissen saldieren und vom guten
Glauben überzeugen.

Das Gebot, daß Frucht nicht ohne Mahl¬
schein angenommen werden darf, wird häufig
übertreten. Zur Verschleierung wird ohne
Mahlschein angelieferte Frucht in benachbarten
nicht zur Mühle gehörigen Räumen gelagert
oder es wird ein fremder Mahlschein mit
passenden Gewichtsmengen untergeschoben.
Von Frucht, die der Kontrolleur ohne Mahl¬
schein vorfindet, behauptet der Müller, sie sei
in seiner Abwesenheit in die Mühle gebracht
worden oder sie sei sein Eigentum. Daß auf
einen und denselben Mahlschein immer wieder
neue Posten Frucht ausgenähten werden,
wird glaubhaft versichert. Nachgewiesen wer¬
den kann ein solches Vergehen Wohl kaum;
begünstigt wird es durch Unterlassung der
Unterschrift des Abholers im Mahlbuch, so¬
wie durch Nichtabgabe oder nicht rechtzeitige
Abgabe der Mahlkartenabschnitte an Kom¬
munalverband und Kunden. Häufig nehmen
die Müller Fruchtmengcn entgegen, die größer
sind als die auf den Mahlkarten angegebenen;
das bei der Kontrolle sich zeigende Über¬
gewicht an Frucht oder an Mehl und Kleie
wird damit entschuldigt, daß die Zeit zur
Feststellung des Fruchtgewichtes bei Ein<-
lieferung oft fehle. Auch nimmt der Müller
andere als die auf den Mahlscheinen ver¬
zeichneten Fruchtsorten an.

Nach den ergangenen Bestimmungen sind
die Säcke mit Getreide und mit Mahlgut mit
Anhängezetteln zu versehen, die den Inhalt
der Säcke nach Fruchtart und Gewicht sowie
Namen und Wohnort des Selbstversorgers

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[0250] Maßgebliches und Unmaßgebliches Alltägliches, das selbstverständlich geworden ist, als Merkwürdigkeit aufzeigt. Von all den Vorschriften, die die volle Ausnützung unserer Getreideernte für die Volksgemein¬ schaft sichern sollen, versagen gerade die wichtigsten. Die Kontrolle der örtlichen Organe wird aus Gründen, die in der mensch¬ lichen Natur liegen, vielfach nur sacht und rücksichtsvoll ausgeübt. In dem patriarcha¬ lischen Bestreben, den Gemeinde- und Kreis¬ eingesessenen die erzeugte Körnerfrucht mög¬ lichst zu erhalten, wirkt alles zusammen, damit die Selbstversorger nicht zu kurz kommen. Die Kontrolleure aus der Ferne, die ihre Tätigkeit nicht auf Kirchturmspolitik ein¬ stellen, können nur Stichproben nehmen. Ihre Wirksamkeit verpufft in Aufdeckung von Verfeh¬ lungen, deren Ahndung für die Getreidewirt¬ schaft ohne praktische Bedeutung ist. Herannahen oder Anwesenheit des Kontrolleurs wird rings¬ um bekannt. Die Müller richten sich, so¬ weit sie es können oder für nötig halten, auf den zu erwartenden Besuch ein. In den meisten Fällen ist eine einzelne Person zur Ausübung einer wirksamen Kontrolle über¬ haupt nicht imstande. Dazu gehören immer drei, mindestens aber zwei Hand in Hand arbeitende Personen, die je nach den einzelnen Verhältnissen mit verteilten Rollen sachgemäß vorzugehen verstehen. Besser keine Kontrolle als eine unvollständige und schwächliche. So¬ bald der Kontrolleur die Mühle verlassen hat, weiß der ins Fäustchen lachende Müller sich auf lange Zeit hinaus wieder gesichert, und er hat bei dem Besuche manches hinzugelernt, was ihm nützlich ist. Das Direktorium der Reichsgetreidestelle schreibt für Roggen und Weizen einen Aus¬ mahlungssatz „mindestens bis 94 Prozent" vor. Dies Gebot findet bei der von den Selbstversorgern eingebrachten Frucht wenig Beachtung. Auf Wunsch der Kunden, die eine geringere Menge besseren Mehles und zur Viehverfütterung eine größere Menge Kleie zur Verfügung haben wollen, findet häufig eine zu geringe Ausmahlung statt, die bis zu 70 Prozent und weiter herabgeht. Grieß und sogenannte Auszugsmehle werden hergestellt. Um die zu geringe Ausmahlung zu ver¬ decken, wird das Mehl möglichst rasch — in der Nacht oder am frühen Morgen — aus der Mühle geschafft, so daß die Kontrolleure nur selten Partien vorfinden, die zur Abgabe fertiggerichtet sind. Häufig lagert Mehl und feine Kleie getrennt in Trögen und Säcken; mit der Behauptung, beides solle noch vor Ab¬ gabe gemischt werden, suchen die Müller sich auszureden. „Auszug", gewöhnlich dem ersten oder zweiten Zug entnommen, wird unter ir¬ gendeinem beschönigenden Phantasienamen ge¬ trennt abgegeben. Der in manchen Verkaufsla¬ den üblich gewordene Vermerk „Auslandsware" hat in den Mühlen Schule gemacht. Der Ausdruck „Kochmehl" oder „Suppenmehl" soll das Gewissen saldieren und vom guten Glauben überzeugen. Das Gebot, daß Frucht nicht ohne Mahl¬ schein angenommen werden darf, wird häufig übertreten. Zur Verschleierung wird ohne Mahlschein angelieferte Frucht in benachbarten nicht zur Mühle gehörigen Räumen gelagert oder es wird ein fremder Mahlschein mit passenden Gewichtsmengen untergeschoben. Von Frucht, die der Kontrolleur ohne Mahl¬ schein vorfindet, behauptet der Müller, sie sei in seiner Abwesenheit in die Mühle gebracht worden oder sie sei sein Eigentum. Daß auf einen und denselben Mahlschein immer wieder neue Posten Frucht ausgenähten werden, wird glaubhaft versichert. Nachgewiesen wer¬ den kann ein solches Vergehen Wohl kaum; begünstigt wird es durch Unterlassung der Unterschrift des Abholers im Mahlbuch, so¬ wie durch Nichtabgabe oder nicht rechtzeitige Abgabe der Mahlkartenabschnitte an Kom¬ munalverband und Kunden. Häufig nehmen die Müller Fruchtmengcn entgegen, die größer sind als die auf den Mahlkarten angegebenen; das bei der Kontrolle sich zeigende Über¬ gewicht an Frucht oder an Mehl und Kleie wird damit entschuldigt, daß die Zeit zur Feststellung des Fruchtgewichtes bei Ein<- lieferung oft fehle. Auch nimmt der Müller andere als die auf den Mahlscheinen ver¬ zeichneten Fruchtsorten an. Nach den ergangenen Bestimmungen sind die Säcke mit Getreide und mit Mahlgut mit Anhängezetteln zu versehen, die den Inhalt der Säcke nach Fruchtart und Gewicht sowie Namen und Wohnort des Selbstversorgers

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/250>, abgerufen am 23.07.2024.