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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr.

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Das ZVahlrecktsxroblem nach der zweiten Lesung

Zu obigen Sicherungen fügten die Freikonservativen noch die Bedingung
einer Zweidrittelmehrheit bei Änderungen des Gemeindewahlrechtes und die
Nationalliberalen die inzwischen abgekehrte Forderung der Verhältniswahl für
Berlin, den westlichen Jndustriebezirk und die gemischtsprachigen Kreise des Ostens.

Daß die Linke über diese Zumutungen Ach und Weh schreien würde, war
vorauszusehen. Das "Berliner Tageblatt" sieht in dem vom Ministerpräsidenten
angedeuteten Kompromiß letzten Endes die Entwertung des gleichen Wahlrechtes
zu einem "parlamentarischen Dekorationsstück"; die bisherigen Einschränkungen,
als da sind: berufsständische Zusammensetzung des Herrenhauses, Erweiterung
seines Etatsrechtes, sowie die erschwerenden Vorbedingungen für die Ausübung
der Wahl zum Abgeordnetenhause habe man allenfalls noch hinnehmen können,
um des großen Zieles willen; kämen aber nun "noch weitere Sicherungen etwa
im Sinne des Zentrums", dann "könne die Linke nicht mehr mit", dann müßte
sie einen solchen Tauschhandel entschieden abweisen. "Ohnmacht des Parlaments",
"Scheindasein" usw. . . . Diesen Ton kennen wir. Man erinnert sich ver¬
ständnisvoll der Szene in "Soll und Haben" zwischen Fink und dem Händler
Tinkeles. Auch die Politik ist ein Geschäft!"

Ernstere Folgerungen sind aus der Stellungnahme des "Vorwärts zu
ziehen, der unter der Spitzmarke vom "Unfug der Sicherungen" nicht etwa eine
Schwächung der parlamentarischen Macht beklagt, sondern im Gegenteil die schärfste
Radikalisierung des öffentlichen Lebens voraussagt, wenn jener "Unfug" gesetzlich
geschützt würde. "Das System der Sicherungen zwingt das Abgeordnetenhaus
zum sofortigen Kampf um das parlamentarische System"; je fester der Mehrheit der
Zugriff zur Gesetzgebung gesperrt sei, desto sicherer würde sie den Kampf um
die Verwaltung aufnehmen. Und weiter: die zweite mit Bestimmtheit voraus¬
zusehende Folge sei eine Stärkung der Reichsgesetzgebung, denn es läge in der
Natur der Sache, daß sich die Landtagsmehrheit, wo sie durch "Sicherungen" ge¬
hemmt wird, an ihren großen Bruder, die Reichstagsmehrheit wenden werde.
Drohend angekündigtes Exempel: ein Reichsschulgesetz. Es ist der Appell an die
Reichsgewalt, den die unitarisch gerichtete "Demokratie" von jeher als ungesetz¬
liches Rechtsmittel bei der Hand hat."

Daraufhin kann man zunächst mit der -"Kreuzzeitung fragen: wozu der
Lärm, wenn auf diese Weise die schönsten Früchte der demokratischen Träume
reifen? Dann aber liegt der Gedanke nahe: nun gut, wenn die "Sicherungen"
so wenig ihren Zweck erfüllen, müssen eben noch stärkere Geister beschworen werden,
die womöglich jene Landtagsmehrheit ausschließen, wenigstens in einer die Ziele
des "Vorwärts" verfolgenden Zusammensetzung.

Zu gleichem Ergebnis führt aber auch die, an den Anfang gestellte Über¬
legung, daß alle Zeiger einer gedeihlichen Entwicklung unseres Problems
auf die Politik des "juste milieu" weisen. Gleiches Wahlrecht und plutokratisches
Wahlrecht scheinen zunächst unversöhnliche Gegensätze im Sinne des Entweder--
Oder. Aber vielleicht gibt es doch eine Versöhnung des Sowohl--Alsauch!

Graf Hertling betonte, das plutokratische Wahlrecht sei entweder unwirksam,
oder, weil zu große Beschränkungen einführend, unanwendbar. Wie gesagt, man
müßte das ominöse Wort ganz aus dem Spiel lassen.

Der jetzt zurückgetretene Abgeordnete Frhr. von Zedlitz, der wirklich oft
ein parlamentarischer "Führer" war, hat schon in der ersten Plenarlesung einen
unseres Erachtens sehr bemerkenswerten Vorschlag gemacht. Er sprach damals
von einer "auf breiter Grundlage aufgebauten, volkstümlichen, aber neben
dem gleichen Wahlrecht durch sachgemäße Mehrstimmen ergänzenden Wahl¬
ordnung"), also von einer Art Kombination von gleichem und Pluralwahlrecht.
Er hat jüngst seinen Standpunkt noch deutlicher und zugleich den Wahlrechts¬
freunden entgegenkommender präzisiert in einem, "Verständigung" überschriebenen,
Artikel des Noten "Tag", wo es heißt: "Es müßte also ein Weg gefunden werden



') "Sitzungsberichte" Sy. 6703.
Das ZVahlrecktsxroblem nach der zweiten Lesung

Zu obigen Sicherungen fügten die Freikonservativen noch die Bedingung
einer Zweidrittelmehrheit bei Änderungen des Gemeindewahlrechtes und die
Nationalliberalen die inzwischen abgekehrte Forderung der Verhältniswahl für
Berlin, den westlichen Jndustriebezirk und die gemischtsprachigen Kreise des Ostens.

Daß die Linke über diese Zumutungen Ach und Weh schreien würde, war
vorauszusehen. Das „Berliner Tageblatt" sieht in dem vom Ministerpräsidenten
angedeuteten Kompromiß letzten Endes die Entwertung des gleichen Wahlrechtes
zu einem „parlamentarischen Dekorationsstück"; die bisherigen Einschränkungen,
als da sind: berufsständische Zusammensetzung des Herrenhauses, Erweiterung
seines Etatsrechtes, sowie die erschwerenden Vorbedingungen für die Ausübung
der Wahl zum Abgeordnetenhause habe man allenfalls noch hinnehmen können,
um des großen Zieles willen; kämen aber nun „noch weitere Sicherungen etwa
im Sinne des Zentrums", dann „könne die Linke nicht mehr mit", dann müßte
sie einen solchen Tauschhandel entschieden abweisen. „Ohnmacht des Parlaments",
„Scheindasein" usw. . . . Diesen Ton kennen wir. Man erinnert sich ver¬
ständnisvoll der Szene in „Soll und Haben" zwischen Fink und dem Händler
Tinkeles. Auch die Politik ist ein Geschäft!"

Ernstere Folgerungen sind aus der Stellungnahme des „Vorwärts zu
ziehen, der unter der Spitzmarke vom „Unfug der Sicherungen" nicht etwa eine
Schwächung der parlamentarischen Macht beklagt, sondern im Gegenteil die schärfste
Radikalisierung des öffentlichen Lebens voraussagt, wenn jener „Unfug" gesetzlich
geschützt würde. „Das System der Sicherungen zwingt das Abgeordnetenhaus
zum sofortigen Kampf um das parlamentarische System"; je fester der Mehrheit der
Zugriff zur Gesetzgebung gesperrt sei, desto sicherer würde sie den Kampf um
die Verwaltung aufnehmen. Und weiter: die zweite mit Bestimmtheit voraus¬
zusehende Folge sei eine Stärkung der Reichsgesetzgebung, denn es läge in der
Natur der Sache, daß sich die Landtagsmehrheit, wo sie durch „Sicherungen" ge¬
hemmt wird, an ihren großen Bruder, die Reichstagsmehrheit wenden werde.
Drohend angekündigtes Exempel: ein Reichsschulgesetz. Es ist der Appell an die
Reichsgewalt, den die unitarisch gerichtete „Demokratie" von jeher als ungesetz¬
liches Rechtsmittel bei der Hand hat."

Daraufhin kann man zunächst mit der -„Kreuzzeitung fragen: wozu der
Lärm, wenn auf diese Weise die schönsten Früchte der demokratischen Träume
reifen? Dann aber liegt der Gedanke nahe: nun gut, wenn die „Sicherungen"
so wenig ihren Zweck erfüllen, müssen eben noch stärkere Geister beschworen werden,
die womöglich jene Landtagsmehrheit ausschließen, wenigstens in einer die Ziele
des „Vorwärts" verfolgenden Zusammensetzung.

Zu gleichem Ergebnis führt aber auch die, an den Anfang gestellte Über¬
legung, daß alle Zeiger einer gedeihlichen Entwicklung unseres Problems
auf die Politik des „juste milieu" weisen. Gleiches Wahlrecht und plutokratisches
Wahlrecht scheinen zunächst unversöhnliche Gegensätze im Sinne des Entweder—
Oder. Aber vielleicht gibt es doch eine Versöhnung des Sowohl—Alsauch!

Graf Hertling betonte, das plutokratische Wahlrecht sei entweder unwirksam,
oder, weil zu große Beschränkungen einführend, unanwendbar. Wie gesagt, man
müßte das ominöse Wort ganz aus dem Spiel lassen.

Der jetzt zurückgetretene Abgeordnete Frhr. von Zedlitz, der wirklich oft
ein parlamentarischer „Führer" war, hat schon in der ersten Plenarlesung einen
unseres Erachtens sehr bemerkenswerten Vorschlag gemacht. Er sprach damals
von einer „auf breiter Grundlage aufgebauten, volkstümlichen, aber neben
dem gleichen Wahlrecht durch sachgemäße Mehrstimmen ergänzenden Wahl¬
ordnung"), also von einer Art Kombination von gleichem und Pluralwahlrecht.
Er hat jüngst seinen Standpunkt noch deutlicher und zugleich den Wahlrechts¬
freunden entgegenkommender präzisiert in einem, „Verständigung" überschriebenen,
Artikel des Noten „Tag", wo es heißt: „Es müßte also ein Weg gefunden werden



') „Sitzungsberichte" Sy. 6703.
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[0176] Das ZVahlrecktsxroblem nach der zweiten Lesung Zu obigen Sicherungen fügten die Freikonservativen noch die Bedingung einer Zweidrittelmehrheit bei Änderungen des Gemeindewahlrechtes und die Nationalliberalen die inzwischen abgekehrte Forderung der Verhältniswahl für Berlin, den westlichen Jndustriebezirk und die gemischtsprachigen Kreise des Ostens. Daß die Linke über diese Zumutungen Ach und Weh schreien würde, war vorauszusehen. Das „Berliner Tageblatt" sieht in dem vom Ministerpräsidenten angedeuteten Kompromiß letzten Endes die Entwertung des gleichen Wahlrechtes zu einem „parlamentarischen Dekorationsstück"; die bisherigen Einschränkungen, als da sind: berufsständische Zusammensetzung des Herrenhauses, Erweiterung seines Etatsrechtes, sowie die erschwerenden Vorbedingungen für die Ausübung der Wahl zum Abgeordnetenhause habe man allenfalls noch hinnehmen können, um des großen Zieles willen; kämen aber nun „noch weitere Sicherungen etwa im Sinne des Zentrums", dann „könne die Linke nicht mehr mit", dann müßte sie einen solchen Tauschhandel entschieden abweisen. „Ohnmacht des Parlaments", „Scheindasein" usw. . . . Diesen Ton kennen wir. Man erinnert sich ver¬ ständnisvoll der Szene in „Soll und Haben" zwischen Fink und dem Händler Tinkeles. Auch die Politik ist ein Geschäft!" Ernstere Folgerungen sind aus der Stellungnahme des „Vorwärts zu ziehen, der unter der Spitzmarke vom „Unfug der Sicherungen" nicht etwa eine Schwächung der parlamentarischen Macht beklagt, sondern im Gegenteil die schärfste Radikalisierung des öffentlichen Lebens voraussagt, wenn jener „Unfug" gesetzlich geschützt würde. „Das System der Sicherungen zwingt das Abgeordnetenhaus zum sofortigen Kampf um das parlamentarische System"; je fester der Mehrheit der Zugriff zur Gesetzgebung gesperrt sei, desto sicherer würde sie den Kampf um die Verwaltung aufnehmen. Und weiter: die zweite mit Bestimmtheit voraus¬ zusehende Folge sei eine Stärkung der Reichsgesetzgebung, denn es läge in der Natur der Sache, daß sich die Landtagsmehrheit, wo sie durch „Sicherungen" ge¬ hemmt wird, an ihren großen Bruder, die Reichstagsmehrheit wenden werde. Drohend angekündigtes Exempel: ein Reichsschulgesetz. Es ist der Appell an die Reichsgewalt, den die unitarisch gerichtete „Demokratie" von jeher als ungesetz¬ liches Rechtsmittel bei der Hand hat." Daraufhin kann man zunächst mit der -„Kreuzzeitung fragen: wozu der Lärm, wenn auf diese Weise die schönsten Früchte der demokratischen Träume reifen? Dann aber liegt der Gedanke nahe: nun gut, wenn die „Sicherungen" so wenig ihren Zweck erfüllen, müssen eben noch stärkere Geister beschworen werden, die womöglich jene Landtagsmehrheit ausschließen, wenigstens in einer die Ziele des „Vorwärts" verfolgenden Zusammensetzung. Zu gleichem Ergebnis führt aber auch die, an den Anfang gestellte Über¬ legung, daß alle Zeiger einer gedeihlichen Entwicklung unseres Problems auf die Politik des „juste milieu" weisen. Gleiches Wahlrecht und plutokratisches Wahlrecht scheinen zunächst unversöhnliche Gegensätze im Sinne des Entweder— Oder. Aber vielleicht gibt es doch eine Versöhnung des Sowohl—Alsauch! Graf Hertling betonte, das plutokratische Wahlrecht sei entweder unwirksam, oder, weil zu große Beschränkungen einführend, unanwendbar. Wie gesagt, man müßte das ominöse Wort ganz aus dem Spiel lassen. Der jetzt zurückgetretene Abgeordnete Frhr. von Zedlitz, der wirklich oft ein parlamentarischer „Führer" war, hat schon in der ersten Plenarlesung einen unseres Erachtens sehr bemerkenswerten Vorschlag gemacht. Er sprach damals von einer „auf breiter Grundlage aufgebauten, volkstümlichen, aber neben dem gleichen Wahlrecht durch sachgemäße Mehrstimmen ergänzenden Wahl¬ ordnung"), also von einer Art Kombination von gleichem und Pluralwahlrecht. Er hat jüngst seinen Standpunkt noch deutlicher und zugleich den Wahlrechts¬ freunden entgegenkommender präzisiert in einem, „Verständigung" überschriebenen, Artikel des Noten „Tag", wo es heißt: „Es müßte also ein Weg gefunden werden ') „Sitzungsberichte" Sy. 6703.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/176>, abgerufen am 26.06.2024.