Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Demobilisierung der weiblichen industriellen Armee

Tüchtigkeit, mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln fördern. Obenan steht der
Schutz der Mütter.

Gewiß kommt es zuweilen vor, daß eine stark herabgekommene Mutter zur
Überraschung der Umgebung ein wohlgenährtes Kind zur Welt bringt. Das
Kind ist eben ein Parasit, der auf Kosten seines Wirtes lebt. Trotzdem darf der
Zustand der Mutter nicht als zu vernachlässigende Größe behandelt werden,
sondern ist vielmehr von hoher Bedeutung für die Hervorbringung und Aufzucht
der Nachkommenschaft. Eine Nation, die ihren Müttern den Schutz versagt, und
ihre Güter auf Kosten des weiblichen Geschlechtes erzeugt, lebt vom lebendigen
Kapital und verarmt trotz allen aufgestapelten Reichtums. Mutterschaft und Beruf
vertragen sich nur in Ausnahmefällen miteinander. Fabrikarbeit und Erfüllung
der natürlichen Gattungspflichten stehen in schroffem Gegensatz zueinander.

Wir sind nicht in der Lage, den Endzweck des Naturgeschehens zu erfassen;
aber wir vermögen einige wenige Grundsätze zu erkennen, unter denen sich dieses
Geschehen vollzieht. So wird die gesamte Lebewelt unseres Planeten beherrscht
von dem Prinzip der Erhaltung der Gattung. Der erwähnte Parasitismus der
menschlichen Frucht, der unter Umständen bis zur Aufopferung der Mutter geht,
ist ein Beispiel dafür. Andererseits hängt es offenbar gleichfalls mit diesem
Prinzip zusammen, daß dem weiblichen Geschlecht, welches im Gattungsprozeß
eine so viel wichtigere Rolle spielt als das männliche, eine größere Lebenskraft
verliehen ist als diesem; es besitzt eine stärkere Widerstandskraft gegen den Tod.
Daß im frühen Kindesalter mehr Knaben als Mädchen sterben, ist bekannt;
weniger bekannt ist es, daß sich auch unter den vorzeitig absterbenden Früchten
weit mehr männliche als weibliche befinden. Fritz Lenz hat es wahrscheinlich
c^macht, daß das männliche Geschlecht mit mehr krankhaften Erbanlagen belastet
ist als das weibliche. Die Ansprüche, welche der Gattungsprozeß an den weib¬
lichen Körper stellt, setzen nun dessen Widerstandskraft erheblich herab. Kommt
dann die industrielle Arbeit hinzu, so verschärft sich diese Verminderung. Den
Beweis hierfür habe ich an der Hand der amtlichen Statistik der Leipziger
Ortskrankenkasse erbringen können durch Kurven, welche die sterbe- und Er¬
krankungshäufigkeit der weiblichen mit derjenigen der männlichen.Kassenmitglieder
vergleichen"). Besonders lehrreich ist eine Kurve, welche die Sterblichkeit der
Leipziger Arbeiterinnen derjenigen der weiblichen Reichsbevölkerung in den ver¬
schiedenen Altersklassen gegenüberstellt. Setzen wir letzere - 100, so beträgt die
erstere im 5. und 6, Jahrfünft, also in der Hauptfortpflanzungsperiode, 108 bezw.
109 und zwischen 44 und 50 Jahren, also im kritischen Alter der Frau. 105-,
in den übrigen Altersklassen bleibt sie dagegen weit hinter derjenigen der weib¬
lichen Reichsbevölkerung zurück. Die Arbeiterinnen stellen demnach bezüglich
ihrer ererbten Konstitution einen günstigen Ausschnitt aus der letzeren dar. Ihre
llbersterblichkeit in den betreffenden Altersklassen kann also nur durch das Zu¬
sammentreffen von Jndustriearbeit und Gattungsleistungen bedingt sein.

Ebenso wie die Gattungstätigkeit die Frau widerstandsloser macht gegenüber
den Schäden der gewerblichen Arbeit, ebenso -- und das ist im vorliegenden
Zusammenhang das wichtigere -- schädigt umgekehrt diese Arbeit die Gattungs¬
leistung der Frau. Auch hierfür liefert die erwähnte Statistik das Beweismaterial.
Indem sie die Versicherungspflichtigen und die nur versicherungsberechtigten
Mitglieder getrennt behandelt, ermöglicht sie einen Vergleich zwischen der Fort¬
pflanzungstätig keit der erwerbstätigen und der nichterwerbstätigen Frauen. Von
je 100 Wöchnerinnen der ersteren Rubrik erlitten Schwangerschaftskrankheiten 5,50;
Fehlgeburten 15,50, Frühgeburten 1,7, den Tod im Wochenbett 0,32; bei der
letzteren lauten die entsprechenden Zahlen 2,10, 2,30, 0,30 und 0,25.
Sicherlich ist ein Teil der Fehlgeburten bei den Pflichtmitgliedern auf
verbrecherische Handlungen zurückzuführen. Das gilt aber nicht für die Früh¬
geburten, bei denen sich die Frucht ja bereits in lebensfähigen Alter befindet.



") Weyls Handbuch der Hygiene, II, Aufl. Lieferung 17. Leipzig, Amvrosms Barth. 1914.
Demobilisierung der weiblichen industriellen Armee

Tüchtigkeit, mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln fördern. Obenan steht der
Schutz der Mütter.

Gewiß kommt es zuweilen vor, daß eine stark herabgekommene Mutter zur
Überraschung der Umgebung ein wohlgenährtes Kind zur Welt bringt. Das
Kind ist eben ein Parasit, der auf Kosten seines Wirtes lebt. Trotzdem darf der
Zustand der Mutter nicht als zu vernachlässigende Größe behandelt werden,
sondern ist vielmehr von hoher Bedeutung für die Hervorbringung und Aufzucht
der Nachkommenschaft. Eine Nation, die ihren Müttern den Schutz versagt, und
ihre Güter auf Kosten des weiblichen Geschlechtes erzeugt, lebt vom lebendigen
Kapital und verarmt trotz allen aufgestapelten Reichtums. Mutterschaft und Beruf
vertragen sich nur in Ausnahmefällen miteinander. Fabrikarbeit und Erfüllung
der natürlichen Gattungspflichten stehen in schroffem Gegensatz zueinander.

Wir sind nicht in der Lage, den Endzweck des Naturgeschehens zu erfassen;
aber wir vermögen einige wenige Grundsätze zu erkennen, unter denen sich dieses
Geschehen vollzieht. So wird die gesamte Lebewelt unseres Planeten beherrscht
von dem Prinzip der Erhaltung der Gattung. Der erwähnte Parasitismus der
menschlichen Frucht, der unter Umständen bis zur Aufopferung der Mutter geht,
ist ein Beispiel dafür. Andererseits hängt es offenbar gleichfalls mit diesem
Prinzip zusammen, daß dem weiblichen Geschlecht, welches im Gattungsprozeß
eine so viel wichtigere Rolle spielt als das männliche, eine größere Lebenskraft
verliehen ist als diesem; es besitzt eine stärkere Widerstandskraft gegen den Tod.
Daß im frühen Kindesalter mehr Knaben als Mädchen sterben, ist bekannt;
weniger bekannt ist es, daß sich auch unter den vorzeitig absterbenden Früchten
weit mehr männliche als weibliche befinden. Fritz Lenz hat es wahrscheinlich
c^macht, daß das männliche Geschlecht mit mehr krankhaften Erbanlagen belastet
ist als das weibliche. Die Ansprüche, welche der Gattungsprozeß an den weib¬
lichen Körper stellt, setzen nun dessen Widerstandskraft erheblich herab. Kommt
dann die industrielle Arbeit hinzu, so verschärft sich diese Verminderung. Den
Beweis hierfür habe ich an der Hand der amtlichen Statistik der Leipziger
Ortskrankenkasse erbringen können durch Kurven, welche die sterbe- und Er¬
krankungshäufigkeit der weiblichen mit derjenigen der männlichen.Kassenmitglieder
vergleichen"). Besonders lehrreich ist eine Kurve, welche die Sterblichkeit der
Leipziger Arbeiterinnen derjenigen der weiblichen Reichsbevölkerung in den ver¬
schiedenen Altersklassen gegenüberstellt. Setzen wir letzere - 100, so beträgt die
erstere im 5. und 6, Jahrfünft, also in der Hauptfortpflanzungsperiode, 108 bezw.
109 und zwischen 44 und 50 Jahren, also im kritischen Alter der Frau. 105-,
in den übrigen Altersklassen bleibt sie dagegen weit hinter derjenigen der weib¬
lichen Reichsbevölkerung zurück. Die Arbeiterinnen stellen demnach bezüglich
ihrer ererbten Konstitution einen günstigen Ausschnitt aus der letzeren dar. Ihre
llbersterblichkeit in den betreffenden Altersklassen kann also nur durch das Zu¬
sammentreffen von Jndustriearbeit und Gattungsleistungen bedingt sein.

Ebenso wie die Gattungstätigkeit die Frau widerstandsloser macht gegenüber
den Schäden der gewerblichen Arbeit, ebenso — und das ist im vorliegenden
Zusammenhang das wichtigere — schädigt umgekehrt diese Arbeit die Gattungs¬
leistung der Frau. Auch hierfür liefert die erwähnte Statistik das Beweismaterial.
Indem sie die Versicherungspflichtigen und die nur versicherungsberechtigten
Mitglieder getrennt behandelt, ermöglicht sie einen Vergleich zwischen der Fort¬
pflanzungstätig keit der erwerbstätigen und der nichterwerbstätigen Frauen. Von
je 100 Wöchnerinnen der ersteren Rubrik erlitten Schwangerschaftskrankheiten 5,50;
Fehlgeburten 15,50, Frühgeburten 1,7, den Tod im Wochenbett 0,32; bei der
letzteren lauten die entsprechenden Zahlen 2,10, 2,30, 0,30 und 0,25.
Sicherlich ist ein Teil der Fehlgeburten bei den Pflichtmitgliedern auf
verbrecherische Handlungen zurückzuführen. Das gilt aber nicht für die Früh¬
geburten, bei denen sich die Frucht ja bereits in lebensfähigen Alter befindet.



") Weyls Handbuch der Hygiene, II, Aufl. Lieferung 17. Leipzig, Amvrosms Barth. 1914.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0140" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/333623"/>
          <fw type="header" place="top"> Demobilisierung der weiblichen industriellen Armee</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_497" prev="#ID_496"> Tüchtigkeit, mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln fördern. Obenan steht der<lb/>
Schutz der Mütter.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_498"> Gewiß kommt es zuweilen vor, daß eine stark herabgekommene Mutter zur<lb/>
Überraschung der Umgebung ein wohlgenährtes Kind zur Welt bringt. Das<lb/>
Kind ist eben ein Parasit, der auf Kosten seines Wirtes lebt. Trotzdem darf der<lb/>
Zustand der Mutter nicht als zu vernachlässigende Größe behandelt werden,<lb/>
sondern ist vielmehr von hoher Bedeutung für die Hervorbringung und Aufzucht<lb/>
der Nachkommenschaft. Eine Nation, die ihren Müttern den Schutz versagt, und<lb/>
ihre Güter auf Kosten des weiblichen Geschlechtes erzeugt, lebt vom lebendigen<lb/>
Kapital und verarmt trotz allen aufgestapelten Reichtums. Mutterschaft und Beruf<lb/>
vertragen sich nur in Ausnahmefällen miteinander. Fabrikarbeit und Erfüllung<lb/>
der natürlichen Gattungspflichten stehen in schroffem Gegensatz zueinander.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_499"> Wir sind nicht in der Lage, den Endzweck des Naturgeschehens zu erfassen;<lb/>
aber wir vermögen einige wenige Grundsätze zu erkennen, unter denen sich dieses<lb/>
Geschehen vollzieht. So wird die gesamte Lebewelt unseres Planeten beherrscht<lb/>
von dem Prinzip der Erhaltung der Gattung. Der erwähnte Parasitismus der<lb/>
menschlichen Frucht, der unter Umständen bis zur Aufopferung der Mutter geht,<lb/>
ist ein Beispiel dafür. Andererseits hängt es offenbar gleichfalls mit diesem<lb/>
Prinzip zusammen, daß dem weiblichen Geschlecht, welches im Gattungsprozeß<lb/>
eine so viel wichtigere Rolle spielt als das männliche, eine größere Lebenskraft<lb/>
verliehen ist als diesem; es besitzt eine stärkere Widerstandskraft gegen den Tod.<lb/>
Daß im frühen Kindesalter mehr Knaben als Mädchen sterben, ist bekannt;<lb/>
weniger bekannt ist es, daß sich auch unter den vorzeitig absterbenden Früchten<lb/>
weit mehr männliche als weibliche befinden. Fritz Lenz hat es wahrscheinlich<lb/>
c^macht, daß das männliche Geschlecht mit mehr krankhaften Erbanlagen belastet<lb/>
ist als das weibliche. Die Ansprüche, welche der Gattungsprozeß an den weib¬<lb/>
lichen Körper stellt, setzen nun dessen Widerstandskraft erheblich herab. Kommt<lb/>
dann die industrielle Arbeit hinzu, so verschärft sich diese Verminderung. Den<lb/>
Beweis hierfür habe ich an der Hand der amtlichen Statistik der Leipziger<lb/>
Ortskrankenkasse erbringen können durch Kurven, welche die sterbe- und Er¬<lb/>
krankungshäufigkeit der weiblichen mit derjenigen der männlichen.Kassenmitglieder<lb/>
vergleichen"). Besonders lehrreich ist eine Kurve, welche die Sterblichkeit der<lb/>
Leipziger Arbeiterinnen derjenigen der weiblichen Reichsbevölkerung in den ver¬<lb/>
schiedenen Altersklassen gegenüberstellt. Setzen wir letzere - 100, so beträgt die<lb/>
erstere im 5. und 6, Jahrfünft, also in der Hauptfortpflanzungsperiode, 108 bezw.<lb/>
109 und zwischen 44 und 50 Jahren, also im kritischen Alter der Frau. 105-,<lb/>
in den übrigen Altersklassen bleibt sie dagegen weit hinter derjenigen der weib¬<lb/>
lichen Reichsbevölkerung zurück. Die Arbeiterinnen stellen demnach bezüglich<lb/>
ihrer ererbten Konstitution einen günstigen Ausschnitt aus der letzeren dar. Ihre<lb/>
llbersterblichkeit in den betreffenden Altersklassen kann also nur durch das Zu¬<lb/>
sammentreffen von Jndustriearbeit und Gattungsleistungen bedingt sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_500" next="#ID_501"> Ebenso wie die Gattungstätigkeit die Frau widerstandsloser macht gegenüber<lb/>
den Schäden der gewerblichen Arbeit, ebenso &#x2014; und das ist im vorliegenden<lb/>
Zusammenhang das wichtigere &#x2014; schädigt umgekehrt diese Arbeit die Gattungs¬<lb/>
leistung der Frau. Auch hierfür liefert die erwähnte Statistik das Beweismaterial.<lb/>
Indem sie die Versicherungspflichtigen und die nur versicherungsberechtigten<lb/>
Mitglieder getrennt behandelt, ermöglicht sie einen Vergleich zwischen der Fort¬<lb/>
pflanzungstätig keit der erwerbstätigen und der nichterwerbstätigen Frauen. Von<lb/>
je 100 Wöchnerinnen der ersteren Rubrik erlitten Schwangerschaftskrankheiten 5,50;<lb/>
Fehlgeburten 15,50, Frühgeburten 1,7, den Tod im Wochenbett 0,32; bei der<lb/>
letzteren lauten die entsprechenden Zahlen 2,10, 2,30, 0,30 und 0,25.<lb/>
Sicherlich ist ein Teil der Fehlgeburten bei den Pflichtmitgliedern auf<lb/>
verbrecherische Handlungen zurückzuführen. Das gilt aber nicht für die Früh¬<lb/>
geburten, bei denen sich die Frucht ja bereits in lebensfähigen Alter befindet.</p><lb/>
          <note xml:id="FID_19" place="foot"> ") Weyls Handbuch der Hygiene, II, Aufl. Lieferung 17. Leipzig, Amvrosms Barth. 1914.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0140] Demobilisierung der weiblichen industriellen Armee Tüchtigkeit, mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln fördern. Obenan steht der Schutz der Mütter. Gewiß kommt es zuweilen vor, daß eine stark herabgekommene Mutter zur Überraschung der Umgebung ein wohlgenährtes Kind zur Welt bringt. Das Kind ist eben ein Parasit, der auf Kosten seines Wirtes lebt. Trotzdem darf der Zustand der Mutter nicht als zu vernachlässigende Größe behandelt werden, sondern ist vielmehr von hoher Bedeutung für die Hervorbringung und Aufzucht der Nachkommenschaft. Eine Nation, die ihren Müttern den Schutz versagt, und ihre Güter auf Kosten des weiblichen Geschlechtes erzeugt, lebt vom lebendigen Kapital und verarmt trotz allen aufgestapelten Reichtums. Mutterschaft und Beruf vertragen sich nur in Ausnahmefällen miteinander. Fabrikarbeit und Erfüllung der natürlichen Gattungspflichten stehen in schroffem Gegensatz zueinander. Wir sind nicht in der Lage, den Endzweck des Naturgeschehens zu erfassen; aber wir vermögen einige wenige Grundsätze zu erkennen, unter denen sich dieses Geschehen vollzieht. So wird die gesamte Lebewelt unseres Planeten beherrscht von dem Prinzip der Erhaltung der Gattung. Der erwähnte Parasitismus der menschlichen Frucht, der unter Umständen bis zur Aufopferung der Mutter geht, ist ein Beispiel dafür. Andererseits hängt es offenbar gleichfalls mit diesem Prinzip zusammen, daß dem weiblichen Geschlecht, welches im Gattungsprozeß eine so viel wichtigere Rolle spielt als das männliche, eine größere Lebenskraft verliehen ist als diesem; es besitzt eine stärkere Widerstandskraft gegen den Tod. Daß im frühen Kindesalter mehr Knaben als Mädchen sterben, ist bekannt; weniger bekannt ist es, daß sich auch unter den vorzeitig absterbenden Früchten weit mehr männliche als weibliche befinden. Fritz Lenz hat es wahrscheinlich c^macht, daß das männliche Geschlecht mit mehr krankhaften Erbanlagen belastet ist als das weibliche. Die Ansprüche, welche der Gattungsprozeß an den weib¬ lichen Körper stellt, setzen nun dessen Widerstandskraft erheblich herab. Kommt dann die industrielle Arbeit hinzu, so verschärft sich diese Verminderung. Den Beweis hierfür habe ich an der Hand der amtlichen Statistik der Leipziger Ortskrankenkasse erbringen können durch Kurven, welche die sterbe- und Er¬ krankungshäufigkeit der weiblichen mit derjenigen der männlichen.Kassenmitglieder vergleichen"). Besonders lehrreich ist eine Kurve, welche die Sterblichkeit der Leipziger Arbeiterinnen derjenigen der weiblichen Reichsbevölkerung in den ver¬ schiedenen Altersklassen gegenüberstellt. Setzen wir letzere - 100, so beträgt die erstere im 5. und 6, Jahrfünft, also in der Hauptfortpflanzungsperiode, 108 bezw. 109 und zwischen 44 und 50 Jahren, also im kritischen Alter der Frau. 105-, in den übrigen Altersklassen bleibt sie dagegen weit hinter derjenigen der weib¬ lichen Reichsbevölkerung zurück. Die Arbeiterinnen stellen demnach bezüglich ihrer ererbten Konstitution einen günstigen Ausschnitt aus der letzeren dar. Ihre llbersterblichkeit in den betreffenden Altersklassen kann also nur durch das Zu¬ sammentreffen von Jndustriearbeit und Gattungsleistungen bedingt sein. Ebenso wie die Gattungstätigkeit die Frau widerstandsloser macht gegenüber den Schäden der gewerblichen Arbeit, ebenso — und das ist im vorliegenden Zusammenhang das wichtigere — schädigt umgekehrt diese Arbeit die Gattungs¬ leistung der Frau. Auch hierfür liefert die erwähnte Statistik das Beweismaterial. Indem sie die Versicherungspflichtigen und die nur versicherungsberechtigten Mitglieder getrennt behandelt, ermöglicht sie einen Vergleich zwischen der Fort¬ pflanzungstätig keit der erwerbstätigen und der nichterwerbstätigen Frauen. Von je 100 Wöchnerinnen der ersteren Rubrik erlitten Schwangerschaftskrankheiten 5,50; Fehlgeburten 15,50, Frühgeburten 1,7, den Tod im Wochenbett 0,32; bei der letzteren lauten die entsprechenden Zahlen 2,10, 2,30, 0,30 und 0,25. Sicherlich ist ein Teil der Fehlgeburten bei den Pflichtmitgliedern auf verbrecherische Handlungen zurückzuführen. Das gilt aber nicht für die Früh¬ geburten, bei denen sich die Frucht ja bereits in lebensfähigen Alter befindet. ") Weyls Handbuch der Hygiene, II, Aufl. Lieferung 17. Leipzig, Amvrosms Barth. 1914.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/140
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/140>, abgerufen am 26.06.2024.