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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr.

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Sind die Franzosen die echten Lrbe" althellenischer Geistes?

Rhetorisch-pathetischer Geist, eindringlich, feierlich, machtvoll, rauscht durch
den Kampf der Götter und Giganten am pergamenischen Altarfries und durch
die Triumphbogen der römischen Kaiserzeit, wie durch die Säle, Bildwerke und
Wandgemälde des Louvre und des Versailler Königschlosses. Nhetorisch-Pathetischer
Geist, worin nachdenkliche Schwermut und aufschlagende Leidenschaft in Fieberhitze
sich kreuzen, braust in den überlegten Gebärden und überlegenen Redeflüssen auf
der tragischen Bühne des, hellenisierten Spaniers Seneka und des romanisierten
Normannen Corneille, in der Pharsalia von Senekas Neffen Lukan und in den
Leichenreden eines Bossuet, wogt mit gezügelter Kraft im Hochgefühl der Festrede
und der Weihinschrift, gleichviel, ob sie Lob des Lebendigen oder Trauer um den
Toten verkünden. Ziel und Sinn und bedachter Wille bleibt immer und überall
die festliche Schaustellung eindrucksvoller Erlebens.

Hinter diesem selbstbewußten Gefühl, das sich leicht überspannt, deckt der
witzig - skeptische Kopf mit Behagen die enge und dürftige Kehrseite auf. Der
Gryllvs, diese Karikatur hellenistischer Maler, erreicht fast schon die Wirkung eines
Daumier und Gavarni. Satyr und Faun und Silen in des Bacchus Gefolge
verraten auf lüsternem Bildwerk den Rückfall ins Tierisch-Gemeine. Den Mimen
des Sophron und den Mimiamben des Herondas sind die altfranzösischen Fablels
und Farcen durch Geist und durch Herkunft verwandt, von denen noch Moliere
durchschlagende vis comica lernte. Zeitgenössischer Spott in den vorbildlichen
Diatriben der Kyniker und in den Satiren eines Martini und Regnier, in den
Tierfabeln des Phaedrus und des Lafontaine, in den Totengesprächen des Zeitungs¬
mannes Lukian und des Salonphilosophen Fontenelle- im Sittenroman eines
Petron und im kecksten Wagnis des Rokoko, in Voltaires Pucelle; aber das
Größte im kleinsten Raum, das Höchste in der bescheidensten Form, hat doch das
Epigramm erreicht und die c-Janson, das M^-'s>i," und der donmot: attisches Salz
und gallischer esprit sprühen aus Spottvers und Witzwort ihre zündenden Funken
durch die Jahrtausende.

Doch die eigenste Tat, neu und ursprünglich, ganz aus der neuen Bildung
einer höfischen Welt geboren, ist das Dritte, ist die anmutig-gefällige Kunst, und
diese immer geneigt, ins Liebenswürdig-Zierliche Hinüberzugleiten. Das beugt sich
und schmiegt sich, das rieselt und rinnt, entzückt und berückt sogar in den über¬
ragend großen Gestalten aus ewig jungem Götterhimmel: Aphrodite und Apollon,
Nike und Hermes, Ares und Dionysos, und der junge, fast knabenhaft
geformte Herakles. Das neckt und spielt, das scherzt und kost, das schmeichelt
und tändelt in den kleinen Eroten, die der hellenistische Künstler so zärtlich liebt,
in den niedlichen Götterstatuetten aus Bronze und vielleicht am zartesten in den
bescheidenen Tonfiguren, die wir nach Tanagra nennen, in diesen oft nur für
Kinder geschaffenen Bildern böotischer Frauen und Mädchen. In alleoem glänzt
schon mit feinem, höfisch gedämpftem Licht und fern von aufdringlichen Pathos
die kluge und abgestimmte Heiterkeit des Rokoko, dieser echtesten Schöpfung fran¬
zösischen Geistes. -

Dein Bilde gesellt sich das Wort. Gefällige Anmut und schalkhaftes Spiel
der Gedanken durchwebt mit silbernen Fäden die Erzählung von liebenden Paaren
in Roman und Novelle und in den Hirtengeschichten des Longus und Herzogs
von Urfe, durchwebt mit zartem Gespenst die ü^,,v,^"-5! des Plutarch und die
Essays des Montaigne, die Briefe und Lebenserinnerungen feingebildeter Männer
und Frauen, und die artigen Verse zu allerlei Gelegenheit . . . Gefällige Anmut
mildert die Strenge und den Ernst in der Gedankenarbeit eines Descartes und
Malebranche, umspielt schon da und dort die Lieder der Troubadours und die
Abenteuer von Ivain und Gcmvcun, Lcincelot und Gnemevre, und nimmt sich den
Kranz, indem sie Menander und Moliere als ebenbürtige Me,ster des höheren
Lustspiels verbindet. Im Stil des Rokoko ist dieses Lebensgefühl des Anmutig-
Gefälligen ganz herrschend geworden, nachdem es zuvor nur wie ein Grundton
der geistigen Haltung hindurchklang. Der Staat des fünfzehnten Ludwig ist im
furchtbaren Umsturz ruhmlos zerschellt, die höfische Formensprache und die Rang-


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Sind die Franzosen die echten Lrbe» althellenischer Geistes?

Rhetorisch-pathetischer Geist, eindringlich, feierlich, machtvoll, rauscht durch
den Kampf der Götter und Giganten am pergamenischen Altarfries und durch
die Triumphbogen der römischen Kaiserzeit, wie durch die Säle, Bildwerke und
Wandgemälde des Louvre und des Versailler Königschlosses. Nhetorisch-Pathetischer
Geist, worin nachdenkliche Schwermut und aufschlagende Leidenschaft in Fieberhitze
sich kreuzen, braust in den überlegten Gebärden und überlegenen Redeflüssen auf
der tragischen Bühne des, hellenisierten Spaniers Seneka und des romanisierten
Normannen Corneille, in der Pharsalia von Senekas Neffen Lukan und in den
Leichenreden eines Bossuet, wogt mit gezügelter Kraft im Hochgefühl der Festrede
und der Weihinschrift, gleichviel, ob sie Lob des Lebendigen oder Trauer um den
Toten verkünden. Ziel und Sinn und bedachter Wille bleibt immer und überall
die festliche Schaustellung eindrucksvoller Erlebens.

Hinter diesem selbstbewußten Gefühl, das sich leicht überspannt, deckt der
witzig - skeptische Kopf mit Behagen die enge und dürftige Kehrseite auf. Der
Gryllvs, diese Karikatur hellenistischer Maler, erreicht fast schon die Wirkung eines
Daumier und Gavarni. Satyr und Faun und Silen in des Bacchus Gefolge
verraten auf lüsternem Bildwerk den Rückfall ins Tierisch-Gemeine. Den Mimen
des Sophron und den Mimiamben des Herondas sind die altfranzösischen Fablels
und Farcen durch Geist und durch Herkunft verwandt, von denen noch Moliere
durchschlagende vis comica lernte. Zeitgenössischer Spott in den vorbildlichen
Diatriben der Kyniker und in den Satiren eines Martini und Regnier, in den
Tierfabeln des Phaedrus und des Lafontaine, in den Totengesprächen des Zeitungs¬
mannes Lukian und des Salonphilosophen Fontenelle- im Sittenroman eines
Petron und im kecksten Wagnis des Rokoko, in Voltaires Pucelle; aber das
Größte im kleinsten Raum, das Höchste in der bescheidensten Form, hat doch das
Epigramm erreicht und die c-Janson, das M^-'s>i,« und der donmot: attisches Salz
und gallischer esprit sprühen aus Spottvers und Witzwort ihre zündenden Funken
durch die Jahrtausende.

Doch die eigenste Tat, neu und ursprünglich, ganz aus der neuen Bildung
einer höfischen Welt geboren, ist das Dritte, ist die anmutig-gefällige Kunst, und
diese immer geneigt, ins Liebenswürdig-Zierliche Hinüberzugleiten. Das beugt sich
und schmiegt sich, das rieselt und rinnt, entzückt und berückt sogar in den über¬
ragend großen Gestalten aus ewig jungem Götterhimmel: Aphrodite und Apollon,
Nike und Hermes, Ares und Dionysos, und der junge, fast knabenhaft
geformte Herakles. Das neckt und spielt, das scherzt und kost, das schmeichelt
und tändelt in den kleinen Eroten, die der hellenistische Künstler so zärtlich liebt,
in den niedlichen Götterstatuetten aus Bronze und vielleicht am zartesten in den
bescheidenen Tonfiguren, die wir nach Tanagra nennen, in diesen oft nur für
Kinder geschaffenen Bildern böotischer Frauen und Mädchen. In alleoem glänzt
schon mit feinem, höfisch gedämpftem Licht und fern von aufdringlichen Pathos
die kluge und abgestimmte Heiterkeit des Rokoko, dieser echtesten Schöpfung fran¬
zösischen Geistes. -

Dein Bilde gesellt sich das Wort. Gefällige Anmut und schalkhaftes Spiel
der Gedanken durchwebt mit silbernen Fäden die Erzählung von liebenden Paaren
in Roman und Novelle und in den Hirtengeschichten des Longus und Herzogs
von Urfe, durchwebt mit zartem Gespenst die ü^,,v,^«-5! des Plutarch und die
Essays des Montaigne, die Briefe und Lebenserinnerungen feingebildeter Männer
und Frauen, und die artigen Verse zu allerlei Gelegenheit . . . Gefällige Anmut
mildert die Strenge und den Ernst in der Gedankenarbeit eines Descartes und
Malebranche, umspielt schon da und dort die Lieder der Troubadours und die
Abenteuer von Ivain und Gcmvcun, Lcincelot und Gnemevre, und nimmt sich den
Kranz, indem sie Menander und Moliere als ebenbürtige Me,ster des höheren
Lustspiels verbindet. Im Stil des Rokoko ist dieses Lebensgefühl des Anmutig-
Gefälligen ganz herrschend geworden, nachdem es zuvor nur wie ein Grundton
der geistigen Haltung hindurchklang. Der Staat des fünfzehnten Ludwig ist im
furchtbaren Umsturz ruhmlos zerschellt, die höfische Formensprache und die Rang-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/135>, abgerufen am 23.07.2024.