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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr.

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Auf dem Wege zum Frieden
Betrachtungen zur Weltlage Georg Lleinow von

l
e militärische Tat im Kriege, darauf gerichtet, den Frieden herbei¬
zuführen, braucht uns durchaus nicht dem Frieden näherzubringen;
es ist denkbar, daß militärische Siege, und seien sie noch so glänzend,
den politischen Sieg, das ist den Frieden, weiter hinausschieben.
Gewonnene Schlachten sind nur dann Etappen auf dem Wege zum
Frieden, wenn sie der Psyche des Gegners Rechnung tragen, den An-
forderungen der politischen Lage entsprechen und dieser ihren Stenipel aufzudrücken
vermögen. Auf die Größe der militärischen Handlungen kommt es dabei kaum an: es
ist denkbar, daß die Vernichtung mehrerer englischer Armeen und Geländegewinn von
hunderttausend Quadratkilometern auf dem europäischen Kontinent ohne merklichen
politischen Einfluß bleibt, während wiederholte- Beschießung von Paris durch
Wenige weittragende Geschütze und Fliegergeschwader die politische Front des
Feindes erschüttert. Solche Gedanken mögen die Oberste Heeresleitung am ersten
Tage der AngriMschlacht im Westen bewogen haben, ihrer Meldung von der
Einnahme der el sten englischen Stellungen die Mnhnnng beizugeben, das Publikum
solle den Umfang des Sieges nicht überschätzen. Das heißt: wir sollen uns des
militärischen Erfolges freuen, aber zunächst noch nicht auf größere politische Kon¬
sequenzen rechnenI Hermann Stegemann schrieb sehr vorsichtig, aber doch ahnungs¬
voll am 8. März d. I. im "Berner Bund": "Eine in diesem Raume angesetzte
deutsche Offensive hätte Albert (inzwischen genommen) und Amiens zum Ziel, wo
die großen Stapel errichtet sind, deren Verlust die Engländer in Gefahr brächte,
den Materialkrieg zu verlieren, auf den ihre Armeen eingeschworen sind. Bricht
eine deutsche Offensive zwischen Scarpe und Oise auf Amiens durch, so zerreißt
sie die englisch französische Front an der Nahtstelle und bedroht das unter dem
strategischen Schutz der Engländer stehende Paris." Und am 24. März fügte der
hellseherische Beschreiber des Weltkrieges hinzu: "In dieser Betrachtung waren
Fernblicke aufgeschlagen, die sehr weitgreifende Operationen zur Voraussetzung
haben und ideale Ziele aufstellen, über deren Erreichung weiter nichts zu sagen ist, da
es sich zunächst nicht um bestimmte geographische Punkte, sondern um die lebenden
englischen Kräfte handelt, die vor denselben aufgepflanzt stehen. ... Es kann
nicht einmal mit Sicherheit behauptet werden, der Abschnitt zwischen
Oise und Scarpe sei dem Hauptangriff vorbehalten worden, obwohl
es heute so aussieht, als hätte die Deutsche Heeresleitung wirklich die klassische
Nahtstelle westlich der Oise hierzu ausersehen." -- Man ersieht aus diesen militärisch
gedachten Sätzen, wie durchaus unpolitisch die Aufgaben sind, die sich die Heer¬
führer in diesem Augenblick zu stellen hatten: Eroberung des englischen Kriegs-


Grenzboten II ISIS 1


Auf dem Wege zum Frieden
Betrachtungen zur Weltlage Georg Lleinow von

l
e militärische Tat im Kriege, darauf gerichtet, den Frieden herbei¬
zuführen, braucht uns durchaus nicht dem Frieden näherzubringen;
es ist denkbar, daß militärische Siege, und seien sie noch so glänzend,
den politischen Sieg, das ist den Frieden, weiter hinausschieben.
Gewonnene Schlachten sind nur dann Etappen auf dem Wege zum
Frieden, wenn sie der Psyche des Gegners Rechnung tragen, den An-
forderungen der politischen Lage entsprechen und dieser ihren Stenipel aufzudrücken
vermögen. Auf die Größe der militärischen Handlungen kommt es dabei kaum an: es
ist denkbar, daß die Vernichtung mehrerer englischer Armeen und Geländegewinn von
hunderttausend Quadratkilometern auf dem europäischen Kontinent ohne merklichen
politischen Einfluß bleibt, während wiederholte- Beschießung von Paris durch
Wenige weittragende Geschütze und Fliegergeschwader die politische Front des
Feindes erschüttert. Solche Gedanken mögen die Oberste Heeresleitung am ersten
Tage der AngriMschlacht im Westen bewogen haben, ihrer Meldung von der
Einnahme der el sten englischen Stellungen die Mnhnnng beizugeben, das Publikum
solle den Umfang des Sieges nicht überschätzen. Das heißt: wir sollen uns des
militärischen Erfolges freuen, aber zunächst noch nicht auf größere politische Kon¬
sequenzen rechnenI Hermann Stegemann schrieb sehr vorsichtig, aber doch ahnungs¬
voll am 8. März d. I. im „Berner Bund": „Eine in diesem Raume angesetzte
deutsche Offensive hätte Albert (inzwischen genommen) und Amiens zum Ziel, wo
die großen Stapel errichtet sind, deren Verlust die Engländer in Gefahr brächte,
den Materialkrieg zu verlieren, auf den ihre Armeen eingeschworen sind. Bricht
eine deutsche Offensive zwischen Scarpe und Oise auf Amiens durch, so zerreißt
sie die englisch französische Front an der Nahtstelle und bedroht das unter dem
strategischen Schutz der Engländer stehende Paris." Und am 24. März fügte der
hellseherische Beschreiber des Weltkrieges hinzu: „In dieser Betrachtung waren
Fernblicke aufgeschlagen, die sehr weitgreifende Operationen zur Voraussetzung
haben und ideale Ziele aufstellen, über deren Erreichung weiter nichts zu sagen ist, da
es sich zunächst nicht um bestimmte geographische Punkte, sondern um die lebenden
englischen Kräfte handelt, die vor denselben aufgepflanzt stehen. ... Es kann
nicht einmal mit Sicherheit behauptet werden, der Abschnitt zwischen
Oise und Scarpe sei dem Hauptangriff vorbehalten worden, obwohl
es heute so aussieht, als hätte die Deutsche Heeresleitung wirklich die klassische
Nahtstelle westlich der Oise hierzu ausersehen." — Man ersieht aus diesen militärisch
gedachten Sätzen, wie durchaus unpolitisch die Aufgaben sind, die sich die Heer¬
führer in diesem Augenblick zu stellen hatten: Eroberung des englischen Kriegs-


Grenzboten II ISIS 1
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/13>, abgerufen am 22.07.2024.