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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr.

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Der Frankfurter Friede und die französischen Sozialisten

Serbentum hat Anspruch wenigstens auf gewisse Grundlagen seiner Einheit.
Verschafft ihm Österreich-Ungarn diese nicht, so wird es sie sich immer wieder
außerhalb suchen. Die Anbahnung einer österreichisch-ungarischen Lösung der
serbischen Einheitsfrage ist für die Ruhe Europas und die geographisch-wirt¬
schaftliche Geschlossenheit der Monarchie zwischen dem russischen und dem italienischen
Expansionsfeld wichtiger, als die Anbahnung einer österreichischen Lösung der
polnischen Einheitsfrage, die nun einmal im Deutschen Reiche auf starke Be¬
denken stößt.




Der Frankfurter Friede und die französischen
Sozialisten
Geh. Justizrat Professor Dr. Th. Niemeyer von

n Paris hat der Nationalrat der französischen Sozialisten am 18. Fe¬
bruar 1918 die folgende, später auch von der Londoner Sozialisten¬
konferenz angenommene. Erklärung beschlossen:

"Die Konferenz erklärt, daß das elsaß-lothringische Problem
nicht eine territoriale Frage, sondern eine Frage des Rechtes und
somit ein internationales Problem ist, ohne dessen Lösung der
Friedensschluß Gefahr laufen würde weder gerecht noch dauerhaft zu sein. Der
neue Vertrag von Paris (sie) wird über die aus brutaler Eroberung und Ver¬
gewaltigung der Bevölkerung hervorgegangene Pfründe Nichtigkeit verhängen
"trappera alö nullite" durch die Feststellung, daß Deutschland selbst, durch seine
Kriegserklärung 1914, die Wirkungen des Frankfurter Friedens aufgehoben hat
("a rompu les eilends an trait6 as l^ranekort"). Auf Grund dieser Feststellung
wird dann Frankreich in der Lage sein, auf eine neue Befragung der elsässischen
Bevölkerung einzugehen."

Das hier unternommene Kunststück, die bindende Kraft des Frankfurter
Vertrages zwar an sich anzuerkennen, seine Verbindlichkeit für Gegenwart und
Zukunft aber zu leugnen, beruht auf einem leicht zu durchschauenden Taschen¬
spielergriff, der einer ernsthaften Erörterung nicht bedürftig und nicht würdig er¬
scheinen könnte. Aber wir erleben im Weltkriege unaufhörlich, daß es keine
Phrasen unj> keine Widersinnigkeiten gibt, welche nicht Kredit fänden, wenn sie
nur dreist verkündet und nach jener Methode propagiert werden, welche man jetzt
in England durch die Schaffung besonderer Ministerposten krönt. Darum
ist es doch vielleicht nicht ohne Nutzen, wenn die in dem sozialistischen Februar¬
beschluß verkündete, von einer gefälligen Presse auch im neutralen Auslande bereits
verbreitete Theorie von der nachträglichen Nichtigkeit des Frankfurter Vertrages
niedriger gehängt und in ihrer völkerrechtlichen Tragweite verdeutlicht wird.

Die Sozialisten in Paris und London haben sich entschlossen, den Frank¬
furter Frieden an und für sich gelten zu lassen. Sie besitzen genug Klugheit, um
einzusehen, daß man Friedensschlüsse, nicht mit der oxoeptio quocl actus causa
anfechten kann. Sie haben an und für sich anscheinend auch Verständnis dafür,
daß das Wesen der Friedensschlüsse darin besteht, die im Widerspiel der Gewalten
vom Schicksal getroffene Entscheidung anzuerkennen und auf der Grundlage des
tatsächlichen Endergebnisses des Kampfes das Verhältnis der am Krieg beteiligten
Staaten neu und fest zu ordnen. Man scheint auch grundsätzlich nicht verkennen


Der Frankfurter Friede und die französischen Sozialisten

Serbentum hat Anspruch wenigstens auf gewisse Grundlagen seiner Einheit.
Verschafft ihm Österreich-Ungarn diese nicht, so wird es sie sich immer wieder
außerhalb suchen. Die Anbahnung einer österreichisch-ungarischen Lösung der
serbischen Einheitsfrage ist für die Ruhe Europas und die geographisch-wirt¬
schaftliche Geschlossenheit der Monarchie zwischen dem russischen und dem italienischen
Expansionsfeld wichtiger, als die Anbahnung einer österreichischen Lösung der
polnischen Einheitsfrage, die nun einmal im Deutschen Reiche auf starke Be¬
denken stößt.




Der Frankfurter Friede und die französischen
Sozialisten
Geh. Justizrat Professor Dr. Th. Niemeyer von

n Paris hat der Nationalrat der französischen Sozialisten am 18. Fe¬
bruar 1918 die folgende, später auch von der Londoner Sozialisten¬
konferenz angenommene. Erklärung beschlossen:

„Die Konferenz erklärt, daß das elsaß-lothringische Problem
nicht eine territoriale Frage, sondern eine Frage des Rechtes und
somit ein internationales Problem ist, ohne dessen Lösung der
Friedensschluß Gefahr laufen würde weder gerecht noch dauerhaft zu sein. Der
neue Vertrag von Paris (sie) wird über die aus brutaler Eroberung und Ver¬
gewaltigung der Bevölkerung hervorgegangene Pfründe Nichtigkeit verhängen
„trappera alö nullite" durch die Feststellung, daß Deutschland selbst, durch seine
Kriegserklärung 1914, die Wirkungen des Frankfurter Friedens aufgehoben hat
(„a rompu les eilends an trait6 as l^ranekort"). Auf Grund dieser Feststellung
wird dann Frankreich in der Lage sein, auf eine neue Befragung der elsässischen
Bevölkerung einzugehen."

Das hier unternommene Kunststück, die bindende Kraft des Frankfurter
Vertrages zwar an sich anzuerkennen, seine Verbindlichkeit für Gegenwart und
Zukunft aber zu leugnen, beruht auf einem leicht zu durchschauenden Taschen¬
spielergriff, der einer ernsthaften Erörterung nicht bedürftig und nicht würdig er¬
scheinen könnte. Aber wir erleben im Weltkriege unaufhörlich, daß es keine
Phrasen unj> keine Widersinnigkeiten gibt, welche nicht Kredit fänden, wenn sie
nur dreist verkündet und nach jener Methode propagiert werden, welche man jetzt
in England durch die Schaffung besonderer Ministerposten krönt. Darum
ist es doch vielleicht nicht ohne Nutzen, wenn die in dem sozialistischen Februar¬
beschluß verkündete, von einer gefälligen Presse auch im neutralen Auslande bereits
verbreitete Theorie von der nachträglichen Nichtigkeit des Frankfurter Vertrages
niedriger gehängt und in ihrer völkerrechtlichen Tragweite verdeutlicht wird.

Die Sozialisten in Paris und London haben sich entschlossen, den Frank¬
furter Frieden an und für sich gelten zu lassen. Sie besitzen genug Klugheit, um
einzusehen, daß man Friedensschlüsse, nicht mit der oxoeptio quocl actus causa
anfechten kann. Sie haben an und für sich anscheinend auch Verständnis dafür,
daß das Wesen der Friedensschlüsse darin besteht, die im Widerspiel der Gewalten
vom Schicksal getroffene Entscheidung anzuerkennen und auf der Grundlage des
tatsächlichen Endergebnisses des Kampfes das Verhältnis der am Krieg beteiligten
Staaten neu und fest zu ordnen. Man scheint auch grundsätzlich nicht verkennen


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[0124] Der Frankfurter Friede und die französischen Sozialisten Serbentum hat Anspruch wenigstens auf gewisse Grundlagen seiner Einheit. Verschafft ihm Österreich-Ungarn diese nicht, so wird es sie sich immer wieder außerhalb suchen. Die Anbahnung einer österreichisch-ungarischen Lösung der serbischen Einheitsfrage ist für die Ruhe Europas und die geographisch-wirt¬ schaftliche Geschlossenheit der Monarchie zwischen dem russischen und dem italienischen Expansionsfeld wichtiger, als die Anbahnung einer österreichischen Lösung der polnischen Einheitsfrage, die nun einmal im Deutschen Reiche auf starke Be¬ denken stößt. Der Frankfurter Friede und die französischen Sozialisten Geh. Justizrat Professor Dr. Th. Niemeyer von n Paris hat der Nationalrat der französischen Sozialisten am 18. Fe¬ bruar 1918 die folgende, später auch von der Londoner Sozialisten¬ konferenz angenommene. Erklärung beschlossen: „Die Konferenz erklärt, daß das elsaß-lothringische Problem nicht eine territoriale Frage, sondern eine Frage des Rechtes und somit ein internationales Problem ist, ohne dessen Lösung der Friedensschluß Gefahr laufen würde weder gerecht noch dauerhaft zu sein. Der neue Vertrag von Paris (sie) wird über die aus brutaler Eroberung und Ver¬ gewaltigung der Bevölkerung hervorgegangene Pfründe Nichtigkeit verhängen „trappera alö nullite" durch die Feststellung, daß Deutschland selbst, durch seine Kriegserklärung 1914, die Wirkungen des Frankfurter Friedens aufgehoben hat („a rompu les eilends an trait6 as l^ranekort"). Auf Grund dieser Feststellung wird dann Frankreich in der Lage sein, auf eine neue Befragung der elsässischen Bevölkerung einzugehen." Das hier unternommene Kunststück, die bindende Kraft des Frankfurter Vertrages zwar an sich anzuerkennen, seine Verbindlichkeit für Gegenwart und Zukunft aber zu leugnen, beruht auf einem leicht zu durchschauenden Taschen¬ spielergriff, der einer ernsthaften Erörterung nicht bedürftig und nicht würdig er¬ scheinen könnte. Aber wir erleben im Weltkriege unaufhörlich, daß es keine Phrasen unj> keine Widersinnigkeiten gibt, welche nicht Kredit fänden, wenn sie nur dreist verkündet und nach jener Methode propagiert werden, welche man jetzt in England durch die Schaffung besonderer Ministerposten krönt. Darum ist es doch vielleicht nicht ohne Nutzen, wenn die in dem sozialistischen Februar¬ beschluß verkündete, von einer gefälligen Presse auch im neutralen Auslande bereits verbreitete Theorie von der nachträglichen Nichtigkeit des Frankfurter Vertrages niedriger gehängt und in ihrer völkerrechtlichen Tragweite verdeutlicht wird. Die Sozialisten in Paris und London haben sich entschlossen, den Frank¬ furter Frieden an und für sich gelten zu lassen. Sie besitzen genug Klugheit, um einzusehen, daß man Friedensschlüsse, nicht mit der oxoeptio quocl actus causa anfechten kann. Sie haben an und für sich anscheinend auch Verständnis dafür, daß das Wesen der Friedensschlüsse darin besteht, die im Widerspiel der Gewalten vom Schicksal getroffene Entscheidung anzuerkennen und auf der Grundlage des tatsächlichen Endergebnisses des Kampfes das Verhältnis der am Krieg beteiligten Staaten neu und fest zu ordnen. Man scheint auch grundsätzlich nicht verkennen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/124>, abgerufen am 23.07.2024.