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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr.

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Das Leben aber gleichet von jetzt an einem Baum. Einer Akazie. Mit
vielen Asten. Jeder Ast trägt eine Bezeichnung. ,,Preise", "Steuern", "Löhne",
"Gehälter", "Teuerungszulagen", "Mieter" und so fort in'Wiederholung. Wir
aber müssen wie die Affen von Ast zu Ast klettern. Je höher wir klettern, desto
weniger sind wir auf einen grünen Zweig gekommen. Erst wenn der kräftige
Mist des Angebots und des freien Wettbewerbs und der wohltätige Kunstdünger
eines neu aufgebauten geordneten Wirtschaftslebens wieder die Wurzeln besagten
Baumes nährt, brauchen wir nicht mehr so fieberhaft zu klettern und können uns
auch einmal im schattigen Geäst ausruhen." Vorläufig aber gibt's nur ein Mittel,
uns vor Überanstrengung bei dieser zwangsweisen Aufwärtsbewegung zu schützen:
ein neuer Lebensstil. "Herr und Frau Meier beehren sich, Herrn und Frau
Müller auf Sonntag abend acht Uhr zu fünfzehn Zentimeter Wurst und einem
Viertelpfund Schweizerkäse-Ersatz einzuladen. Anzug: Russische Leinenbluse." Und
in den Gerichtsberichten der Zeitungen muß zu lesen sein: "Der mehrfach vor¬
bestrafte, durch seinen Reichtum berüchtigte Kriegsgewinnler Lehmann wurde wegen
wiederholter Geldprotzerei in öffentlichen Lokalen mit vier Wochen Gefängnis be¬
straft. Der Staatsanwalt hatte zwei Monate beantragt." "Wegen Kaviaresscns
im Rückfalle wurde die bekannte Filmschauspielerin Mizzi Lcivinia zu 300 Mark
Geldstrafe verurteilt." Und so.

Sonderbar ist die Lage, in der wir uns befinden I Wir sollen auch nach
dem Kriege einfach und schlicht leben, wie die Väter lebten und haben uns doch
technisch-materielle Bequemlichkeiten und Bedürfnisse angewöhnt und angezüchtet,
wie so schnell und talentvoll kein anderes Volk und unser Leben mit so viel Ver¬
schmitztheiten der Technik und Industrie angefüllt, wie außer uns höchstens noch
die Amerikaner. Nicht nur Berlin, auch die übrigen großen Städte Deutschlands
haben dem Vergnügen und dem Genuß immer mehr und immer verlockendere
Tempel gebaut. In Miseren Warmhäusern wurden wollene Unterhosen in mar¬
morschillernden Krönungshallen'feilgeboten. Ladenmädchen und Portokassenjüng-
liuge tranken ihr Abendbier in goldstrotzendem LuxuscaM und man konnte kein
belegtes Butterbrot mehr essen, ohne daß eine Kapelle dazu künstlerische Musik
machte. Die schöne Gewohnheit der Altvordern, mit viel Hingabe und Fassungs¬
kraft zu essen und zu trinken, haben wir sorgfältig beibehalten. Und das soll nun
alles anders, einfacher, sparsamer, knapper werden? Wir sollen abends, nachdem
uns Tee und Butterbrot gelabt haben, im trauten Heim beim traulichen Schein
der Lampe auf dem Sofa sitzen und ein gutes Buch lesen, damit wir unsere
Arbeitskraft schonen, Sparkapital anhäufen und keine ausländischen Genußmittel
konsumieren. Mäßig, brav und einfach, sparsam, außer in den Beziehungen zum
Klapperstorch, so sollen wir in die neue Zeit hineinschreiten. Werden wir das?
Ich fürchte, nein, und ich nehme an, daß Exzellenz Michaelis der Stoff zu Bu߬
predigten nicht ausgehen wird, denn die Wahrscheinlichkeit ist sehr groß, daß wir
einer Zeit unerfreulichster materieller Genußsucht entgegengehen, einer Zeit, da
die, die leben, sich ausleben wollen. Einer Zeit, in der vom neuen Reichtum der
Ton angegeben wird, ur der sich die. Macht des Geldes stärker zeigen wird, als
je zuvor, weil die Preissteigerungen für alle äußeren Annehmlichkeiten so viel
mehr Leute als früher von deren Genuß ausschließen. Es wird darum, auch eine
Zeit grimmigsten Neides werden und fieberhafter Anstrengungen, sich zu verschaffen,
was so viel schwerer zugängig wird. Der alte Adam wird wahrscheinlich nicht
nur nicht ausgezogen werden, sondern sich noch häßlicher präsentieren. Die Ge¬
heimräte, die von den neuen Steuern unter anderem auch erhoffen, daß sie spar¬
tanische Menschen schaffen, die nach dem philosophischen Grundsatz leben: "Ent¬
haltsamkeit ist das Vergnügen an Dingen, welche wir nicht kriegen", werden ent¬
täuscht werden. Aber ihre Enttäuschung wird der Segen der Reichsfinanzen sein.
Mit der Kraft, mit der der Deutsche die Feinde in die Pfanne gehauen hat, wird
er arbeiten, daß der Genuß unter der Teuerung der Genüsse nicht leidet und die
modernen Annehmlichkeiten und äußeren Schönheiten des Lebens ob der fiska¬
lischen Unannehmlichkeiten nicht zu kurz kommen. Die Zahl derer, die aus den


Randglossen zum Tage

Das Leben aber gleichet von jetzt an einem Baum. Einer Akazie. Mit
vielen Asten. Jeder Ast trägt eine Bezeichnung. ,,Preise", „Steuern", „Löhne",
„Gehälter", „Teuerungszulagen", „Mieter" und so fort in'Wiederholung. Wir
aber müssen wie die Affen von Ast zu Ast klettern. Je höher wir klettern, desto
weniger sind wir auf einen grünen Zweig gekommen. Erst wenn der kräftige
Mist des Angebots und des freien Wettbewerbs und der wohltätige Kunstdünger
eines neu aufgebauten geordneten Wirtschaftslebens wieder die Wurzeln besagten
Baumes nährt, brauchen wir nicht mehr so fieberhaft zu klettern und können uns
auch einmal im schattigen Geäst ausruhen." Vorläufig aber gibt's nur ein Mittel,
uns vor Überanstrengung bei dieser zwangsweisen Aufwärtsbewegung zu schützen:
ein neuer Lebensstil. „Herr und Frau Meier beehren sich, Herrn und Frau
Müller auf Sonntag abend acht Uhr zu fünfzehn Zentimeter Wurst und einem
Viertelpfund Schweizerkäse-Ersatz einzuladen. Anzug: Russische Leinenbluse." Und
in den Gerichtsberichten der Zeitungen muß zu lesen sein: „Der mehrfach vor¬
bestrafte, durch seinen Reichtum berüchtigte Kriegsgewinnler Lehmann wurde wegen
wiederholter Geldprotzerei in öffentlichen Lokalen mit vier Wochen Gefängnis be¬
straft. Der Staatsanwalt hatte zwei Monate beantragt." „Wegen Kaviaresscns
im Rückfalle wurde die bekannte Filmschauspielerin Mizzi Lcivinia zu 300 Mark
Geldstrafe verurteilt." Und so.

Sonderbar ist die Lage, in der wir uns befinden I Wir sollen auch nach
dem Kriege einfach und schlicht leben, wie die Väter lebten und haben uns doch
technisch-materielle Bequemlichkeiten und Bedürfnisse angewöhnt und angezüchtet,
wie so schnell und talentvoll kein anderes Volk und unser Leben mit so viel Ver¬
schmitztheiten der Technik und Industrie angefüllt, wie außer uns höchstens noch
die Amerikaner. Nicht nur Berlin, auch die übrigen großen Städte Deutschlands
haben dem Vergnügen und dem Genuß immer mehr und immer verlockendere
Tempel gebaut. In Miseren Warmhäusern wurden wollene Unterhosen in mar¬
morschillernden Krönungshallen'feilgeboten. Ladenmädchen und Portokassenjüng-
liuge tranken ihr Abendbier in goldstrotzendem LuxuscaM und man konnte kein
belegtes Butterbrot mehr essen, ohne daß eine Kapelle dazu künstlerische Musik
machte. Die schöne Gewohnheit der Altvordern, mit viel Hingabe und Fassungs¬
kraft zu essen und zu trinken, haben wir sorgfältig beibehalten. Und das soll nun
alles anders, einfacher, sparsamer, knapper werden? Wir sollen abends, nachdem
uns Tee und Butterbrot gelabt haben, im trauten Heim beim traulichen Schein
der Lampe auf dem Sofa sitzen und ein gutes Buch lesen, damit wir unsere
Arbeitskraft schonen, Sparkapital anhäufen und keine ausländischen Genußmittel
konsumieren. Mäßig, brav und einfach, sparsam, außer in den Beziehungen zum
Klapperstorch, so sollen wir in die neue Zeit hineinschreiten. Werden wir das?
Ich fürchte, nein, und ich nehme an, daß Exzellenz Michaelis der Stoff zu Bu߬
predigten nicht ausgehen wird, denn die Wahrscheinlichkeit ist sehr groß, daß wir
einer Zeit unerfreulichster materieller Genußsucht entgegengehen, einer Zeit, da
die, die leben, sich ausleben wollen. Einer Zeit, in der vom neuen Reichtum der
Ton angegeben wird, ur der sich die. Macht des Geldes stärker zeigen wird, als
je zuvor, weil die Preissteigerungen für alle äußeren Annehmlichkeiten so viel
mehr Leute als früher von deren Genuß ausschließen. Es wird darum, auch eine
Zeit grimmigsten Neides werden und fieberhafter Anstrengungen, sich zu verschaffen,
was so viel schwerer zugängig wird. Der alte Adam wird wahrscheinlich nicht
nur nicht ausgezogen werden, sondern sich noch häßlicher präsentieren. Die Ge¬
heimräte, die von den neuen Steuern unter anderem auch erhoffen, daß sie spar¬
tanische Menschen schaffen, die nach dem philosophischen Grundsatz leben: „Ent¬
haltsamkeit ist das Vergnügen an Dingen, welche wir nicht kriegen", werden ent¬
täuscht werden. Aber ihre Enttäuschung wird der Segen der Reichsfinanzen sein.
Mit der Kraft, mit der der Deutsche die Feinde in die Pfanne gehauen hat, wird
er arbeiten, daß der Genuß unter der Teuerung der Genüsse nicht leidet und die
modernen Annehmlichkeiten und äußeren Schönheiten des Lebens ob der fiska¬
lischen Unannehmlichkeiten nicht zu kurz kommen. Die Zahl derer, die aus den


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[0110] Randglossen zum Tage Das Leben aber gleichet von jetzt an einem Baum. Einer Akazie. Mit vielen Asten. Jeder Ast trägt eine Bezeichnung. ,,Preise", „Steuern", „Löhne", „Gehälter", „Teuerungszulagen", „Mieter" und so fort in'Wiederholung. Wir aber müssen wie die Affen von Ast zu Ast klettern. Je höher wir klettern, desto weniger sind wir auf einen grünen Zweig gekommen. Erst wenn der kräftige Mist des Angebots und des freien Wettbewerbs und der wohltätige Kunstdünger eines neu aufgebauten geordneten Wirtschaftslebens wieder die Wurzeln besagten Baumes nährt, brauchen wir nicht mehr so fieberhaft zu klettern und können uns auch einmal im schattigen Geäst ausruhen." Vorläufig aber gibt's nur ein Mittel, uns vor Überanstrengung bei dieser zwangsweisen Aufwärtsbewegung zu schützen: ein neuer Lebensstil. „Herr und Frau Meier beehren sich, Herrn und Frau Müller auf Sonntag abend acht Uhr zu fünfzehn Zentimeter Wurst und einem Viertelpfund Schweizerkäse-Ersatz einzuladen. Anzug: Russische Leinenbluse." Und in den Gerichtsberichten der Zeitungen muß zu lesen sein: „Der mehrfach vor¬ bestrafte, durch seinen Reichtum berüchtigte Kriegsgewinnler Lehmann wurde wegen wiederholter Geldprotzerei in öffentlichen Lokalen mit vier Wochen Gefängnis be¬ straft. Der Staatsanwalt hatte zwei Monate beantragt." „Wegen Kaviaresscns im Rückfalle wurde die bekannte Filmschauspielerin Mizzi Lcivinia zu 300 Mark Geldstrafe verurteilt." Und so. Sonderbar ist die Lage, in der wir uns befinden I Wir sollen auch nach dem Kriege einfach und schlicht leben, wie die Väter lebten und haben uns doch technisch-materielle Bequemlichkeiten und Bedürfnisse angewöhnt und angezüchtet, wie so schnell und talentvoll kein anderes Volk und unser Leben mit so viel Ver¬ schmitztheiten der Technik und Industrie angefüllt, wie außer uns höchstens noch die Amerikaner. Nicht nur Berlin, auch die übrigen großen Städte Deutschlands haben dem Vergnügen und dem Genuß immer mehr und immer verlockendere Tempel gebaut. In Miseren Warmhäusern wurden wollene Unterhosen in mar¬ morschillernden Krönungshallen'feilgeboten. Ladenmädchen und Portokassenjüng- liuge tranken ihr Abendbier in goldstrotzendem LuxuscaM und man konnte kein belegtes Butterbrot mehr essen, ohne daß eine Kapelle dazu künstlerische Musik machte. Die schöne Gewohnheit der Altvordern, mit viel Hingabe und Fassungs¬ kraft zu essen und zu trinken, haben wir sorgfältig beibehalten. Und das soll nun alles anders, einfacher, sparsamer, knapper werden? Wir sollen abends, nachdem uns Tee und Butterbrot gelabt haben, im trauten Heim beim traulichen Schein der Lampe auf dem Sofa sitzen und ein gutes Buch lesen, damit wir unsere Arbeitskraft schonen, Sparkapital anhäufen und keine ausländischen Genußmittel konsumieren. Mäßig, brav und einfach, sparsam, außer in den Beziehungen zum Klapperstorch, so sollen wir in die neue Zeit hineinschreiten. Werden wir das? Ich fürchte, nein, und ich nehme an, daß Exzellenz Michaelis der Stoff zu Bu߬ predigten nicht ausgehen wird, denn die Wahrscheinlichkeit ist sehr groß, daß wir einer Zeit unerfreulichster materieller Genußsucht entgegengehen, einer Zeit, da die, die leben, sich ausleben wollen. Einer Zeit, in der vom neuen Reichtum der Ton angegeben wird, ur der sich die. Macht des Geldes stärker zeigen wird, als je zuvor, weil die Preissteigerungen für alle äußeren Annehmlichkeiten so viel mehr Leute als früher von deren Genuß ausschließen. Es wird darum, auch eine Zeit grimmigsten Neides werden und fieberhafter Anstrengungen, sich zu verschaffen, was so viel schwerer zugängig wird. Der alte Adam wird wahrscheinlich nicht nur nicht ausgezogen werden, sondern sich noch häßlicher präsentieren. Die Ge¬ heimräte, die von den neuen Steuern unter anderem auch erhoffen, daß sie spar¬ tanische Menschen schaffen, die nach dem philosophischen Grundsatz leben: „Ent¬ haltsamkeit ist das Vergnügen an Dingen, welche wir nicht kriegen", werden ent¬ täuscht werden. Aber ihre Enttäuschung wird der Segen der Reichsfinanzen sein. Mit der Kraft, mit der der Deutsche die Feinde in die Pfanne gehauen hat, wird er arbeiten, daß der Genuß unter der Teuerung der Genüsse nicht leidet und die modernen Annehmlichkeiten und äußeren Schönheiten des Lebens ob der fiska¬ lischen Unannehmlichkeiten nicht zu kurz kommen. Die Zahl derer, die aus den

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/110>, abgerufen am 23.07.2024.