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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr.

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Randglossen zum Tage

rakter dem klassischen vielfach nicht nur fremd, nein, oft diametral entgegengesetzt
ist. Was wir hier an dem Beispiel der deutschen Verssprache aufgezeigt haben,
gilt von der gesamten Kultur. Was einem Organismus an nicht assimilierbaren
Stoffen eingeimpft wird, ist nicht bloß toter Ballast, es ist oft schädliches Gift.
Was wir hier an der Geschichte der deutschen Versspracbe gezeigt haben, ist allent¬
halben zu beobachten, obwohl leider nur sehr selten die Kulturgeschichte unter
solchen volkspsychologischen Gesichtspunkten betrachtet worden ist. Mit einem gut¬
gemeinten Kampf gegen Fremdworte oder Pariser Moden schafft man keine nationale
Eigenkultur: es gilt tiefer zu graben und die spezifisch nationalen Werte als
solche zu erkennen und dem Bewußtsein einzuprägen, nicht aber mit klassischem
Matze- zu messen und danach entweder sie umzuformen oder gar zu verwerfen.
Leider aber zeigt die Geschichte unserer Kultur nur zu deutlich, wie oft gerade
die besten Bausteine für eine nationale Kultur verworfen worden sind.




Randglossen zum Tage
An den Herausgeber

assen Sie, sehr geehrter Herr, manchmal den gedankenvollen Blick
vom Militärischen und Politischen weg zu den sozialen und gesell-
schaftlichenVeränderungen schweifen, die unseren menschlichen Ameisen¬
haufen durcheinandertreiben? Versäumen Sie's nicht und denken,
Sie dabei zurück an die Zeit, als wir Tango tanzten, die Korre¬
spondenten der englischen Blätter ihren Lesern vom Kleiderluxus der Berlinerin
erzählten und es ein Ereignis war, daß auf einem Künstlerfest Hanns Heinz
Ewers einen Schönheitspreis erhielt. Das Leben ist eine Rutschbahn, sagt Wede¬
kind, der sich's auch nicht hätte träumen lassen, datz ihn Theodor Wolff nach
seinem Tode in den Olymp seiner Leitartikel versetzen würde. Das Leben war
eine Rutschbahn, heute ist es eine Berg- und Talbahn ä la Lunapark. Was oben
war, nutz unten stehen. Wer unten war uyd zufällig unentbehrliche Dinge zu
liefern hatte, bewohnt heute ein Palais oder wenigstens eine Luxusvilla, itzt mit
dem silbernen Messer von echtem Meißener, wandelt auf Perser Teppichen, kauft
in Ol gemalte Bilder, die mit Nahmen 20000 Mark kosten. Ja, diese Schicht
des neuen Reichtums hat auch schon ihre Oberschicht, die vom Papa nur in dunklen
Andeutungen spricht und nicht einmal auf dem Balkon Wucherpflanzen duldet,
von wegen peinlicher Erinnerungen. Mit kräftigen Ellenbogen drängt sich die
neue Schicht in die vorderen Reihen, wo sonst nur die Leute zu finden waren,
die schon mit festen Manschetten und Manieren zur Welt gekommen waren.
Seine Exzellenz, der Herr Schatzsekretär, möchte sie, -- natürlich nicht aus gesell¬
schaftlichen Gründen -- mit der Dcimpframme der Steuerveranlagung wieder bis
zu der Grenze hinunter treiben, wo das Ärgernis aufhört. Auch die vielum¬
strittene Seisachtheia, die einmalige Vermögensabgabe, gegen die niemand etwas
hat, der nichts hat, wird vielleicht kommen und nivellieren helfen. Aber glauben
Sie im Ernst, datz darum die Damen, die heute vor dem Spiegel nach geeigneten


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rakter dem klassischen vielfach nicht nur fremd, nein, oft diametral entgegengesetzt
ist. Was wir hier an dem Beispiel der deutschen Verssprache aufgezeigt haben,
gilt von der gesamten Kultur. Was einem Organismus an nicht assimilierbaren
Stoffen eingeimpft wird, ist nicht bloß toter Ballast, es ist oft schädliches Gift.
Was wir hier an der Geschichte der deutschen Versspracbe gezeigt haben, ist allent¬
halben zu beobachten, obwohl leider nur sehr selten die Kulturgeschichte unter
solchen volkspsychologischen Gesichtspunkten betrachtet worden ist. Mit einem gut¬
gemeinten Kampf gegen Fremdworte oder Pariser Moden schafft man keine nationale
Eigenkultur: es gilt tiefer zu graben und die spezifisch nationalen Werte als
solche zu erkennen und dem Bewußtsein einzuprägen, nicht aber mit klassischem
Matze- zu messen und danach entweder sie umzuformen oder gar zu verwerfen.
Leider aber zeigt die Geschichte unserer Kultur nur zu deutlich, wie oft gerade
die besten Bausteine für eine nationale Kultur verworfen worden sind.




Randglossen zum Tage
An den Herausgeber

assen Sie, sehr geehrter Herr, manchmal den gedankenvollen Blick
vom Militärischen und Politischen weg zu den sozialen und gesell-
schaftlichenVeränderungen schweifen, die unseren menschlichen Ameisen¬
haufen durcheinandertreiben? Versäumen Sie's nicht und denken,
Sie dabei zurück an die Zeit, als wir Tango tanzten, die Korre¬
spondenten der englischen Blätter ihren Lesern vom Kleiderluxus der Berlinerin
erzählten und es ein Ereignis war, daß auf einem Künstlerfest Hanns Heinz
Ewers einen Schönheitspreis erhielt. Das Leben ist eine Rutschbahn, sagt Wede¬
kind, der sich's auch nicht hätte träumen lassen, datz ihn Theodor Wolff nach
seinem Tode in den Olymp seiner Leitartikel versetzen würde. Das Leben war
eine Rutschbahn, heute ist es eine Berg- und Talbahn ä la Lunapark. Was oben
war, nutz unten stehen. Wer unten war uyd zufällig unentbehrliche Dinge zu
liefern hatte, bewohnt heute ein Palais oder wenigstens eine Luxusvilla, itzt mit
dem silbernen Messer von echtem Meißener, wandelt auf Perser Teppichen, kauft
in Ol gemalte Bilder, die mit Nahmen 20000 Mark kosten. Ja, diese Schicht
des neuen Reichtums hat auch schon ihre Oberschicht, die vom Papa nur in dunklen
Andeutungen spricht und nicht einmal auf dem Balkon Wucherpflanzen duldet,
von wegen peinlicher Erinnerungen. Mit kräftigen Ellenbogen drängt sich die
neue Schicht in die vorderen Reihen, wo sonst nur die Leute zu finden waren,
die schon mit festen Manschetten und Manieren zur Welt gekommen waren.
Seine Exzellenz, der Herr Schatzsekretär, möchte sie, — natürlich nicht aus gesell¬
schaftlichen Gründen — mit der Dcimpframme der Steuerveranlagung wieder bis
zu der Grenze hinunter treiben, wo das Ärgernis aufhört. Auch die vielum¬
strittene Seisachtheia, die einmalige Vermögensabgabe, gegen die niemand etwas
hat, der nichts hat, wird vielleicht kommen und nivellieren helfen. Aber glauben
Sie im Ernst, datz darum die Damen, die heute vor dem Spiegel nach geeigneten


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[0344] Randglossen zum Tage rakter dem klassischen vielfach nicht nur fremd, nein, oft diametral entgegengesetzt ist. Was wir hier an dem Beispiel der deutschen Verssprache aufgezeigt haben, gilt von der gesamten Kultur. Was einem Organismus an nicht assimilierbaren Stoffen eingeimpft wird, ist nicht bloß toter Ballast, es ist oft schädliches Gift. Was wir hier an der Geschichte der deutschen Versspracbe gezeigt haben, ist allent¬ halben zu beobachten, obwohl leider nur sehr selten die Kulturgeschichte unter solchen volkspsychologischen Gesichtspunkten betrachtet worden ist. Mit einem gut¬ gemeinten Kampf gegen Fremdworte oder Pariser Moden schafft man keine nationale Eigenkultur: es gilt tiefer zu graben und die spezifisch nationalen Werte als solche zu erkennen und dem Bewußtsein einzuprägen, nicht aber mit klassischem Matze- zu messen und danach entweder sie umzuformen oder gar zu verwerfen. Leider aber zeigt die Geschichte unserer Kultur nur zu deutlich, wie oft gerade die besten Bausteine für eine nationale Kultur verworfen worden sind. Randglossen zum Tage An den Herausgeber assen Sie, sehr geehrter Herr, manchmal den gedankenvollen Blick vom Militärischen und Politischen weg zu den sozialen und gesell- schaftlichenVeränderungen schweifen, die unseren menschlichen Ameisen¬ haufen durcheinandertreiben? Versäumen Sie's nicht und denken, Sie dabei zurück an die Zeit, als wir Tango tanzten, die Korre¬ spondenten der englischen Blätter ihren Lesern vom Kleiderluxus der Berlinerin erzählten und es ein Ereignis war, daß auf einem Künstlerfest Hanns Heinz Ewers einen Schönheitspreis erhielt. Das Leben ist eine Rutschbahn, sagt Wede¬ kind, der sich's auch nicht hätte träumen lassen, datz ihn Theodor Wolff nach seinem Tode in den Olymp seiner Leitartikel versetzen würde. Das Leben war eine Rutschbahn, heute ist es eine Berg- und Talbahn ä la Lunapark. Was oben war, nutz unten stehen. Wer unten war uyd zufällig unentbehrliche Dinge zu liefern hatte, bewohnt heute ein Palais oder wenigstens eine Luxusvilla, itzt mit dem silbernen Messer von echtem Meißener, wandelt auf Perser Teppichen, kauft in Ol gemalte Bilder, die mit Nahmen 20000 Mark kosten. Ja, diese Schicht des neuen Reichtums hat auch schon ihre Oberschicht, die vom Papa nur in dunklen Andeutungen spricht und nicht einmal auf dem Balkon Wucherpflanzen duldet, von wegen peinlicher Erinnerungen. Mit kräftigen Ellenbogen drängt sich die neue Schicht in die vorderen Reihen, wo sonst nur die Leute zu finden waren, die schon mit festen Manschetten und Manieren zur Welt gekommen waren. Seine Exzellenz, der Herr Schatzsekretär, möchte sie, — natürlich nicht aus gesell¬ schaftlichen Gründen — mit der Dcimpframme der Steuerveranlagung wieder bis zu der Grenze hinunter treiben, wo das Ärgernis aufhört. Auch die vielum¬ strittene Seisachtheia, die einmalige Vermögensabgabe, gegen die niemand etwas hat, der nichts hat, wird vielleicht kommen und nivellieren helfen. Aber glauben Sie im Ernst, datz darum die Damen, die heute vor dem Spiegel nach geeigneten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095/344>, abgerufen am 26.06.2024.