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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr.

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Die nationale Eigenart der deutschen Verssprache

hat. Wie diese ist der höfische Stil ein ausgesprochener Formalismus, indessen
nicht einer der statischen Regelmäßigkeit, sondern ein Stil recht bewegter Mannig.
sättigten. Infolgedessen wird er besonders in der Lyrik nicht nur als Zwang
empfunden, sondern gestattet der heimischen Kunsttendenz zur beweglichen Mannig.
sättigten reiche Betätigung. Die Kunst Walthers und vieler seiner Zeitgenossen
wirkt daher, soviel sie von den Provenzalen und nördlichen Trouvöres gelernt
haben mag, keineswegs undeutsch. Auch der epische Vers läßt immerhin noch eine
gewisse Freiheit zu, von der das Volksepos noch mehr Gebrauch macht als die
Ritterdichtung. Nur die Dichter zweiten Ranges wie Hartmann oder Friedrich
von Hausen nähern sich einer wirklichen Regelmäßigkeit des Verses an. Die
großen Dichter wie Wolfram und Walther durchbrechen überall das Schema und
bewegen sich in echtgermanischer Freiheit.

Wohin jedoch die sklavische Unterwürfigkeit unter das klassische Formideal
führt, offenbart am besten die Dichtung der Folgezeit. Die Ode der Meister-
singerei mit ihrem erstarrten Formalismus und die Totgeburten der Renaissance-
Poesie, die das Silbenzählen zum Stilprinzip machte, sind die Ergebnisse der un¬
deutschen Nachahmung fremder Formen. Aus dem gleichen Grunde unter uns
die Alexandriner der Barockpoesie so lcicrhaft, so tot an, weil dieser Vers mit
seiner starren Symmetrie dem deutschen Geiste von Grund auf zuwider ist.
Darum kommen uns Verse selbst großer Dichter wie Gryphius oder Angelus
Silesius, von den Opitz und Lobenstein zu schweigen, heute so starr und so
leblos vor.

Das seltsamste Schauspiel jedoch bietet erst die große Zeit unsrer Dichtung,
die wir nach Äußerlichkeiten die "klassische" nennen, die jedoch trotz gewisser
klassischer Maskeraden gerade die reinste Entfaltung deutscher Eigenart ist und als
solche endlich erkannt werden sollte. Gewiß dichtet Klopstock in Hexametern: aber wie
frei sind diese behandelt! Sind die Verse des Messias oder die der Oden in
Wahrheit nicht eine freie Rhythmik, die ziemlich willkürlich in einer antiken
Maßen ähnlichen Ordnung geschrieben sind? Und erreicht Goethe nicht gerade
dort seine tiefsten Wirkungen, wo er, wie in den Liedern oder im Faust sich
einer ganz unschematischen Rhythmik bedient? Lastet nicht auf den kunstvollen
Trimetern der "Pandora" oder der "Helenaszenen" im zweiten Faust die Form-
strenge wie ein atemraubendes Joch? Und erreicht nicht Schiller in der Braut
von Messina seine schönsten Sprachwirkungen gerade durch die völlige Freiheit
der Versbildung? Und zeigt nicht die Geschichte der romantischen und der
gesamten neueren Dichtung, daß nur solche Werke den Weg zum Herzen des
Volkes gefunden haben, die eine freie Rhythmik ausgebildet hatten, während
Platens Oden oder Rückerts Sonette ewig volksfremd bleiben? Es wäre inter¬
essant, unter diesem Gesichtspunkt nachzuprüfen, inwieweit die neuesten Be¬
strebungen zur Befreiung des Rhythmus aus klassizistischen Fesseln eine Auf¬
lehnung urdeutschen Volksgeistes sind. Vielleicht rücken so die Verse von Arno
Holz und Dehmel, von Rilke bis zu denen der jüngsten Expressionisten in neue
Zusammenhänge.




Wir brechen hier ab. Es dürfte schon ans dem Bisherigen zur Genüge
hervorgegangen sein, daß sich ziemlich deutlich scheiden läßt, was an fremdem
Kulturgut assimilierbar und was nicht ist. Eine solche Scheidung aber muß jeder
Bestrebung, die auf eine Reinigung der nationalen Kultur abzielt, vorangehen,
ehe sie fruchtbar werden kann. Das gilt weit über das hier behandelte Gebiet
hinaus I Es bedingt eine Umwertung der erstarrten Wertung, vor allem der
klassizistischen, die hier wie auf anderen Gebieten der Krebsschaden unserer Kultur
ist. Wir wollen gewiß nicht verkennen, was wir den klassischen Völkern verdanken;
es gilt aber in aller Reinlichkeit zu scheiden, was wirkliche Förderung und was
unassimilierbare Belastung ist. Das aber setzt wieder eine klare Erkenntnis un¬
serer eigensten Art voraus. Man muß endlich zugestehen, daß der deutsche Cha-


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Die nationale Eigenart der deutschen Verssprache

hat. Wie diese ist der höfische Stil ein ausgesprochener Formalismus, indessen
nicht einer der statischen Regelmäßigkeit, sondern ein Stil recht bewegter Mannig.
sättigten. Infolgedessen wird er besonders in der Lyrik nicht nur als Zwang
empfunden, sondern gestattet der heimischen Kunsttendenz zur beweglichen Mannig.
sättigten reiche Betätigung. Die Kunst Walthers und vieler seiner Zeitgenossen
wirkt daher, soviel sie von den Provenzalen und nördlichen Trouvöres gelernt
haben mag, keineswegs undeutsch. Auch der epische Vers läßt immerhin noch eine
gewisse Freiheit zu, von der das Volksepos noch mehr Gebrauch macht als die
Ritterdichtung. Nur die Dichter zweiten Ranges wie Hartmann oder Friedrich
von Hausen nähern sich einer wirklichen Regelmäßigkeit des Verses an. Die
großen Dichter wie Wolfram und Walther durchbrechen überall das Schema und
bewegen sich in echtgermanischer Freiheit.

Wohin jedoch die sklavische Unterwürfigkeit unter das klassische Formideal
führt, offenbart am besten die Dichtung der Folgezeit. Die Ode der Meister-
singerei mit ihrem erstarrten Formalismus und die Totgeburten der Renaissance-
Poesie, die das Silbenzählen zum Stilprinzip machte, sind die Ergebnisse der un¬
deutschen Nachahmung fremder Formen. Aus dem gleichen Grunde unter uns
die Alexandriner der Barockpoesie so lcicrhaft, so tot an, weil dieser Vers mit
seiner starren Symmetrie dem deutschen Geiste von Grund auf zuwider ist.
Darum kommen uns Verse selbst großer Dichter wie Gryphius oder Angelus
Silesius, von den Opitz und Lobenstein zu schweigen, heute so starr und so
leblos vor.

Das seltsamste Schauspiel jedoch bietet erst die große Zeit unsrer Dichtung,
die wir nach Äußerlichkeiten die „klassische" nennen, die jedoch trotz gewisser
klassischer Maskeraden gerade die reinste Entfaltung deutscher Eigenart ist und als
solche endlich erkannt werden sollte. Gewiß dichtet Klopstock in Hexametern: aber wie
frei sind diese behandelt! Sind die Verse des Messias oder die der Oden in
Wahrheit nicht eine freie Rhythmik, die ziemlich willkürlich in einer antiken
Maßen ähnlichen Ordnung geschrieben sind? Und erreicht Goethe nicht gerade
dort seine tiefsten Wirkungen, wo er, wie in den Liedern oder im Faust sich
einer ganz unschematischen Rhythmik bedient? Lastet nicht auf den kunstvollen
Trimetern der „Pandora" oder der „Helenaszenen" im zweiten Faust die Form-
strenge wie ein atemraubendes Joch? Und erreicht nicht Schiller in der Braut
von Messina seine schönsten Sprachwirkungen gerade durch die völlige Freiheit
der Versbildung? Und zeigt nicht die Geschichte der romantischen und der
gesamten neueren Dichtung, daß nur solche Werke den Weg zum Herzen des
Volkes gefunden haben, die eine freie Rhythmik ausgebildet hatten, während
Platens Oden oder Rückerts Sonette ewig volksfremd bleiben? Es wäre inter¬
essant, unter diesem Gesichtspunkt nachzuprüfen, inwieweit die neuesten Be¬
strebungen zur Befreiung des Rhythmus aus klassizistischen Fesseln eine Auf¬
lehnung urdeutschen Volksgeistes sind. Vielleicht rücken so die Verse von Arno
Holz und Dehmel, von Rilke bis zu denen der jüngsten Expressionisten in neue
Zusammenhänge.




Wir brechen hier ab. Es dürfte schon ans dem Bisherigen zur Genüge
hervorgegangen sein, daß sich ziemlich deutlich scheiden läßt, was an fremdem
Kulturgut assimilierbar und was nicht ist. Eine solche Scheidung aber muß jeder
Bestrebung, die auf eine Reinigung der nationalen Kultur abzielt, vorangehen,
ehe sie fruchtbar werden kann. Das gilt weit über das hier behandelte Gebiet
hinaus I Es bedingt eine Umwertung der erstarrten Wertung, vor allem der
klassizistischen, die hier wie auf anderen Gebieten der Krebsschaden unserer Kultur
ist. Wir wollen gewiß nicht verkennen, was wir den klassischen Völkern verdanken;
es gilt aber in aller Reinlichkeit zu scheiden, was wirkliche Förderung und was
unassimilierbare Belastung ist. Das aber setzt wieder eine klare Erkenntnis un¬
serer eigensten Art voraus. Man muß endlich zugestehen, daß der deutsche Cha-


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[0343] Die nationale Eigenart der deutschen Verssprache hat. Wie diese ist der höfische Stil ein ausgesprochener Formalismus, indessen nicht einer der statischen Regelmäßigkeit, sondern ein Stil recht bewegter Mannig. sättigten. Infolgedessen wird er besonders in der Lyrik nicht nur als Zwang empfunden, sondern gestattet der heimischen Kunsttendenz zur beweglichen Mannig. sättigten reiche Betätigung. Die Kunst Walthers und vieler seiner Zeitgenossen wirkt daher, soviel sie von den Provenzalen und nördlichen Trouvöres gelernt haben mag, keineswegs undeutsch. Auch der epische Vers läßt immerhin noch eine gewisse Freiheit zu, von der das Volksepos noch mehr Gebrauch macht als die Ritterdichtung. Nur die Dichter zweiten Ranges wie Hartmann oder Friedrich von Hausen nähern sich einer wirklichen Regelmäßigkeit des Verses an. Die großen Dichter wie Wolfram und Walther durchbrechen überall das Schema und bewegen sich in echtgermanischer Freiheit. Wohin jedoch die sklavische Unterwürfigkeit unter das klassische Formideal führt, offenbart am besten die Dichtung der Folgezeit. Die Ode der Meister- singerei mit ihrem erstarrten Formalismus und die Totgeburten der Renaissance- Poesie, die das Silbenzählen zum Stilprinzip machte, sind die Ergebnisse der un¬ deutschen Nachahmung fremder Formen. Aus dem gleichen Grunde unter uns die Alexandriner der Barockpoesie so lcicrhaft, so tot an, weil dieser Vers mit seiner starren Symmetrie dem deutschen Geiste von Grund auf zuwider ist. Darum kommen uns Verse selbst großer Dichter wie Gryphius oder Angelus Silesius, von den Opitz und Lobenstein zu schweigen, heute so starr und so leblos vor. Das seltsamste Schauspiel jedoch bietet erst die große Zeit unsrer Dichtung, die wir nach Äußerlichkeiten die „klassische" nennen, die jedoch trotz gewisser klassischer Maskeraden gerade die reinste Entfaltung deutscher Eigenart ist und als solche endlich erkannt werden sollte. Gewiß dichtet Klopstock in Hexametern: aber wie frei sind diese behandelt! Sind die Verse des Messias oder die der Oden in Wahrheit nicht eine freie Rhythmik, die ziemlich willkürlich in einer antiken Maßen ähnlichen Ordnung geschrieben sind? Und erreicht Goethe nicht gerade dort seine tiefsten Wirkungen, wo er, wie in den Liedern oder im Faust sich einer ganz unschematischen Rhythmik bedient? Lastet nicht auf den kunstvollen Trimetern der „Pandora" oder der „Helenaszenen" im zweiten Faust die Form- strenge wie ein atemraubendes Joch? Und erreicht nicht Schiller in der Braut von Messina seine schönsten Sprachwirkungen gerade durch die völlige Freiheit der Versbildung? Und zeigt nicht die Geschichte der romantischen und der gesamten neueren Dichtung, daß nur solche Werke den Weg zum Herzen des Volkes gefunden haben, die eine freie Rhythmik ausgebildet hatten, während Platens Oden oder Rückerts Sonette ewig volksfremd bleiben? Es wäre inter¬ essant, unter diesem Gesichtspunkt nachzuprüfen, inwieweit die neuesten Be¬ strebungen zur Befreiung des Rhythmus aus klassizistischen Fesseln eine Auf¬ lehnung urdeutschen Volksgeistes sind. Vielleicht rücken so die Verse von Arno Holz und Dehmel, von Rilke bis zu denen der jüngsten Expressionisten in neue Zusammenhänge. Wir brechen hier ab. Es dürfte schon ans dem Bisherigen zur Genüge hervorgegangen sein, daß sich ziemlich deutlich scheiden läßt, was an fremdem Kulturgut assimilierbar und was nicht ist. Eine solche Scheidung aber muß jeder Bestrebung, die auf eine Reinigung der nationalen Kultur abzielt, vorangehen, ehe sie fruchtbar werden kann. Das gilt weit über das hier behandelte Gebiet hinaus I Es bedingt eine Umwertung der erstarrten Wertung, vor allem der klassizistischen, die hier wie auf anderen Gebieten der Krebsschaden unserer Kultur ist. Wir wollen gewiß nicht verkennen, was wir den klassischen Völkern verdanken; es gilt aber in aller Reinlichkeit zu scheiden, was wirkliche Förderung und was unassimilierbare Belastung ist. Das aber setzt wieder eine klare Erkenntnis un¬ serer eigensten Art voraus. Man muß endlich zugestehen, daß der deutsche Cha- 24*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095/343>, abgerufen am 28.09.2024.