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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr.

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Ein Buel in die Parteiprogramme und Wahlaufrufe der Periode von 1871
bis 1914 zeigt als unentwegter Verfechter parlamentarischer Regierungsweise
eigentlich nur die in der heutigen Fortschrittspartei zusammengeschlossenen Frak¬
tionen. Die deutsche Volkspartei verlangte 1895 "Bestimmung der staatlichen-
Politik durch deu Mehrheitswilleu der parlamentarisch vertretenen Nation" und
sprach damit nur uuverblümt aus, was verwandte Richtungen etwa mit "Ent¬
wicklung eines wahrhaft konstitutionellen Verfassungslebens*) oder der "parla¬
mentarischen Verfassung durch Kräftigung der Rechte des Reichstages" vorsichtiger
umschrieben**).

Vergebens sucht man bei den übrigen Parteien ähnliche Äußerungen, weder
wie selbstverständlich auf der Rechten, noch bei Nationalliberalen, Zentrum und
Sozialdemokratie. Und hente?

Graf Hertling berief sich im Herbst, als er im bayerischen Landtage die Auf¬
hebung des Artikels 9 der R. V ablehnte***), auf die Haltung Windthorsts zu der
Frage verantwortlicher Reichsministerien. Die "Germania" empfahl vor kurzem
eine "gesunde Mischung" zwischen bureaukratischen und parlamentarischen Ministern.

Im nationalliberalen Lager herrscht starke Verschiedenheit der Ansichten.
Der Ministerabgeordnete Dr. Friedberg glaubte jüngst in einer Rede vor seinen
Solinger Wählern in Übereinstimmung mit dem Zentrumsorgan das "gemischte"
System ("Fachminister durchsetzt mit parlamentarisch geschulten Politikern") als
"deutscheu Parlamentansmus" der Zukunft ankündigen zu können, was vielleicht
noch auf der Linie einer parteioffiziösen Kundgebung aus dem Herbste vorigen
Jahres liegt, wo die "Übertragung des parlamentarischen Systems" abgelehnt und
nur "ein enges und vertrauensvolles Zusammenarbeiten von Volksvertretung und
Regierung verlangt" wird. Völlig von diesem Programm entfernt sich jedenfalls
die "Berliner Börsenzeitung", deren politischer Neoakteur soeben den entschlossenen
Abmarsch nach links befürwortet. Die Bedeutung einer Mittelpartei, so lautet
die Begründung, sei in einem parlamentarisch regierten Lande gering. Die Natio¬
nalliberalen würden hoffentlich die Einsicht und das Verständnis für die ver¬
änderten Zeiten haben, daß sie als "unabhängige" Partei nur im Obrigkeitsstaate
zu Ansehen gelangen könnten. Die nun einmal den Parlamentarismus vorbe¬
reitende Gegenwart fordere eine klare Stellung, und die Zukunft der national¬
liberalen Partei sei nur dann gesichert, wenn sie sich bei der Neuformung unseres
politischen Lebens auf die liberale Seite schlage.

Die Sozialdemokratie endlich hat im allgemeinen andere Sorgen, als sich
über die Zusammensetzung des Kabinetts den Kopf zu zerbrechen. Sie verharrt
lieber in der Opposition als Kontrollorgan und Kritiker der Negierung, mit der
sich zu berühren oder gar organisch zu verbinden, peinlich vermieden wird. Ge¬
schehnisse des vergangenen Sommers ließen diese Gruudeinstellung der Partei
übrigens eine Erbschaft ans den Werdejahren deS deutschen Konstitutionalismus
wieder einmal recht deutlich werden. Der Nachdruck liegt bei den sozialdemo¬
kratischen Forderungen auf der Reform von Gesetzgebung und Verwaltung im
Sinne der Arbeiterinteressen; etwaigen Experimenten in der Zusammensetzung der
Negierung steht man hier sehr gleichgültig gegenüber. Es ist nicht überflüssig,
diese Tatsache zu betonen, da die öffentliche Meinung dazu neigt, über dem dicken
Trennungsstrich von "Rechter" und "Linker" die feineren, aber sehr wichtigen
Unterschiede innerhalb der so getrennten Hauptgruppen zu übersehen."

Um ein paar Beispiele zu geben: Im "Berliner Tageblatt erschienen
Herbst 1916 zwei Artikel Wolfgang Heines, "Deutsche Zukunft" überschrieben, die
das "Programm der Grundlinien einer neuen inneren Politik" entwickelten!
vom Parlamentarismus war nicht die Rede.f) Was sich hier mittels Schlusses



") "Freisinnige Volkspartei", Programm vom 24. Sept. 1394. '") "Deutsche Fort-
' schrittSpartei", Programm vom 24. bis 26. Nov. 1878. Andere Äußerungen von dieser
Seite s. "Grenzvoten" Ur. v "Parlamentarismus und gleiches Wahlrecht", -f) Ebensowenig
in seinem bei Diederichs erschienenen Buche: "Zu Deutschlands Erneuerung", einer Saum""
lung von Kriegsaufsätzen.
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Ein Buel in die Parteiprogramme und Wahlaufrufe der Periode von 1871
bis 1914 zeigt als unentwegter Verfechter parlamentarischer Regierungsweise
eigentlich nur die in der heutigen Fortschrittspartei zusammengeschlossenen Frak¬
tionen. Die deutsche Volkspartei verlangte 1895 „Bestimmung der staatlichen-
Politik durch deu Mehrheitswilleu der parlamentarisch vertretenen Nation" und
sprach damit nur uuverblümt aus, was verwandte Richtungen etwa mit „Ent¬
wicklung eines wahrhaft konstitutionellen Verfassungslebens*) oder der „parla¬
mentarischen Verfassung durch Kräftigung der Rechte des Reichstages" vorsichtiger
umschrieben**).

Vergebens sucht man bei den übrigen Parteien ähnliche Äußerungen, weder
wie selbstverständlich auf der Rechten, noch bei Nationalliberalen, Zentrum und
Sozialdemokratie. Und hente?

Graf Hertling berief sich im Herbst, als er im bayerischen Landtage die Auf¬
hebung des Artikels 9 der R. V ablehnte***), auf die Haltung Windthorsts zu der
Frage verantwortlicher Reichsministerien. Die „Germania" empfahl vor kurzem
eine „gesunde Mischung" zwischen bureaukratischen und parlamentarischen Ministern.

Im nationalliberalen Lager herrscht starke Verschiedenheit der Ansichten.
Der Ministerabgeordnete Dr. Friedberg glaubte jüngst in einer Rede vor seinen
Solinger Wählern in Übereinstimmung mit dem Zentrumsorgan das „gemischte"
System („Fachminister durchsetzt mit parlamentarisch geschulten Politikern") als
„deutscheu Parlamentansmus" der Zukunft ankündigen zu können, was vielleicht
noch auf der Linie einer parteioffiziösen Kundgebung aus dem Herbste vorigen
Jahres liegt, wo die „Übertragung des parlamentarischen Systems" abgelehnt und
nur „ein enges und vertrauensvolles Zusammenarbeiten von Volksvertretung und
Regierung verlangt" wird. Völlig von diesem Programm entfernt sich jedenfalls
die „Berliner Börsenzeitung", deren politischer Neoakteur soeben den entschlossenen
Abmarsch nach links befürwortet. Die Bedeutung einer Mittelpartei, so lautet
die Begründung, sei in einem parlamentarisch regierten Lande gering. Die Natio¬
nalliberalen würden hoffentlich die Einsicht und das Verständnis für die ver¬
änderten Zeiten haben, daß sie als „unabhängige" Partei nur im Obrigkeitsstaate
zu Ansehen gelangen könnten. Die nun einmal den Parlamentarismus vorbe¬
reitende Gegenwart fordere eine klare Stellung, und die Zukunft der national¬
liberalen Partei sei nur dann gesichert, wenn sie sich bei der Neuformung unseres
politischen Lebens auf die liberale Seite schlage.

Die Sozialdemokratie endlich hat im allgemeinen andere Sorgen, als sich
über die Zusammensetzung des Kabinetts den Kopf zu zerbrechen. Sie verharrt
lieber in der Opposition als Kontrollorgan und Kritiker der Negierung, mit der
sich zu berühren oder gar organisch zu verbinden, peinlich vermieden wird. Ge¬
schehnisse des vergangenen Sommers ließen diese Gruudeinstellung der Partei
übrigens eine Erbschaft ans den Werdejahren deS deutschen Konstitutionalismus
wieder einmal recht deutlich werden. Der Nachdruck liegt bei den sozialdemo¬
kratischen Forderungen auf der Reform von Gesetzgebung und Verwaltung im
Sinne der Arbeiterinteressen; etwaigen Experimenten in der Zusammensetzung der
Negierung steht man hier sehr gleichgültig gegenüber. Es ist nicht überflüssig,
diese Tatsache zu betonen, da die öffentliche Meinung dazu neigt, über dem dicken
Trennungsstrich von „Rechter" und „Linker" die feineren, aber sehr wichtigen
Unterschiede innerhalb der so getrennten Hauptgruppen zu übersehen."

Um ein paar Beispiele zu geben: Im „Berliner Tageblatt erschienen
Herbst 1916 zwei Artikel Wolfgang Heines, „Deutsche Zukunft" überschrieben, die
das „Programm der Grundlinien einer neuen inneren Politik" entwickelten!
vom Parlamentarismus war nicht die Rede.f) Was sich hier mittels Schlusses



") „Freisinnige Volkspartei", Programm vom 24. Sept. 1394. '») „Deutsche Fort-
' schrittSpartei", Programm vom 24. bis 26. Nov. 1878. Andere Äußerungen von dieser
Seite s. „Grenzvoten" Ur. v „Parlamentarismus und gleiches Wahlrecht", -f) Ebensowenig
in seinem bei Diederichs erschienenen Buche: „Zu Deutschlands Erneuerung", einer Saum«"
lung von Kriegsaufsätzen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095/320>, abgerufen am 24.08.2024.