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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr.

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gefügt hatte, nicht zuzumuten sei, "einige Lappen mehr zu dem teutschen Hans¬
wursttuche zu liefern". Prophetisch mahnte der "Rheinische Merkur", den beiden
Trägern der deutschen Einheit, Österreich und Preußen, den Grenzschutz in Elsaß
und Lothringen zu übertragen. Vor allem den Staat der Hoherizollern wollte er
so dauernd an die Interessen Süddeutschlands fesseln: "Die Festigkeit und Sicher¬
heit Teutschlands wird sich dadurch vermehren und die innere Lebenskraft unseresVater-
landes dadurch einen Zuwachs und einen erhöhten Schwung ihrer Tätigkeit gewinnen."

All diese Hoffnungen vernichtete bekanntlich der zweiie Pariser Frieden. Aber
ungebrochen hielt sich in der Sehnsucht des deutschen Volkes die Verbindung der
Gedanken an Freiheit und Einheit im Innern und nach außen. Wohl trieb der
harte Druck der Reaktion zeitweise die Forderung der verfassungsmäßigen Freiheit
so stark in den Vordergrund, daß die Sicherung der Westgrenze scheinbar völlig
zurücktrat. Ju den Tagen der deutschen Revolution mußte sich das Denken dös
deutschen Volkes erst mühsam herausarbeiten aus dem Genius weltbürgerlicher
und nationalstaatlicher Vorstellungen, mit denen es eine ungeheuer reiche Ge¬
schichte belastet hatte. Siegreich setzte sich zunächst nur der Gedanke an den klein¬
deutschen Bundesstaat, der sich in der Entwicklung der thüringischen EinigunzS-
frage spiegelte, durch. Doch unverloren blieben auch weiterhin die Pläne von
einem föderativ geeinten Mitteleuropa, die der Weltkrieg siegreich wieder empor-
treibt. Und fest und sicher blieb trotz aller Teilnahme, die sich das demokratische
Frankreich in den Jahrzehnten der Demagogenverfolgungen erworben hatte, das
Verlangen nach neuer Sicherung im Westen verankert.

"Alles, was uns der Einheit näher bringt, bringt uns auch der Hoffnung
auf Wiedererlangung von Elsaß und Lothringen näher": so konnte die deutsche
Publizistik bereits 1860 das Zeitalter der Reichsgründung einleiten. Als im
Kampfe um die Vorherrschaft in Deutschland Osterreich unterlegen war, drängte
die nationale Entwicklung in logischer Folge zur endgültigen Abrechnung auch
mit Frankreich, zum Abschluß der "unvollendeten Freiheitskriege". "Zuerst leise
anklopfend wie ein verschämter Wunsch" wurde der Ruf nach Elsaß und Lothringen
bereits Mitte August zum mächtigen Feldgeschrei der Nationen. Und gleichzeitig
erneuerte sich der Kampf der Meinungen um die staatsrechtliche Zukunft der ge¬
raubten Länder. Aufs neue schieden sich die Geister in der Forderung eines
Pufferstaats und einer Aufteilung an die angrenzenden Bundesstaaten, bis Bismarck
den Gedanken eines Reichslandes wieder aufnahm und in ihm die, Wünsche der
Parteien, Stämme und Dynastien des neuen Reiches einte.

Wie im Pariser Frieden die internationale Interessengemeinschaft der übrigen
Großmächte, so verzichtete jetzt die aufkeimende Internationale der deutschen sozial¬
demokratischen Gedankenwelt von vornherein auf alle "Erobcrungs"absichten.
Anklang und Beifall aber fand sie ebensowenig wie der Gedanke an einen Puffer¬
staat, den zahlreiche Diplomaten der alten Schule in ewiger Neutralität oder als
"autonomen Bundesstaat" zu schaffen hofften. Einleuchtender und aussichtsreicher
schien längere Zeit der Vorschlag, Oberelsaß an Baden, Unterelsatz an Bayern,
Lothringen an Preußen zu geben, Württemberg dafür mit den Hohenzvllernschen
Landen, Hessen in der bayerischen Pfalz zu entschädigen. Die schlimmsten Tage
der Rheinbundszeit schienen wiederzukehren. Und doch war diese Eigenpolitik der
süddeutschen Einzelstaaten auch damals noch wohlberechtigt, solange nicht ein
übergeordneter Einheitsstaat den Ausgleich der wirtschaftlichen und politischen
Lebensinteressen seiner Glieder gewährleistete. Erst die publizistischen Erörterungen
und dann die diplomatischen Verhandlungen über die Reichsgründung selbst
konnten zu neuen, rein nationalen Wünschen und Forderungen über die Zukunft
des Neichslcmdes überleiten. Den mächtigsten Anstoß dazu gab Großherzog
Friedrich von Baden, als er offen erklärte, daß kein süddeutscher Staat imstande
sei, die neu erworbenen Gebiete "mit seinen Machtmitteln festzuhalten oder mit
Erfolg sich innerlich anzueignen".

Beifällig nahm die gesamte liberale Publizistik Deutschlands den Hinweis
auf Preußen auf, der in diesen Worten lag. Vor allem der "Schwäbische Merkur"


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gefügt hatte, nicht zuzumuten sei, „einige Lappen mehr zu dem teutschen Hans¬
wursttuche zu liefern". Prophetisch mahnte der „Rheinische Merkur", den beiden
Trägern der deutschen Einheit, Österreich und Preußen, den Grenzschutz in Elsaß
und Lothringen zu übertragen. Vor allem den Staat der Hoherizollern wollte er
so dauernd an die Interessen Süddeutschlands fesseln: „Die Festigkeit und Sicher¬
heit Teutschlands wird sich dadurch vermehren und die innere Lebenskraft unseresVater-
landes dadurch einen Zuwachs und einen erhöhten Schwung ihrer Tätigkeit gewinnen."

All diese Hoffnungen vernichtete bekanntlich der zweiie Pariser Frieden. Aber
ungebrochen hielt sich in der Sehnsucht des deutschen Volkes die Verbindung der
Gedanken an Freiheit und Einheit im Innern und nach außen. Wohl trieb der
harte Druck der Reaktion zeitweise die Forderung der verfassungsmäßigen Freiheit
so stark in den Vordergrund, daß die Sicherung der Westgrenze scheinbar völlig
zurücktrat. Ju den Tagen der deutschen Revolution mußte sich das Denken dös
deutschen Volkes erst mühsam herausarbeiten aus dem Genius weltbürgerlicher
und nationalstaatlicher Vorstellungen, mit denen es eine ungeheuer reiche Ge¬
schichte belastet hatte. Siegreich setzte sich zunächst nur der Gedanke an den klein¬
deutschen Bundesstaat, der sich in der Entwicklung der thüringischen EinigunzS-
frage spiegelte, durch. Doch unverloren blieben auch weiterhin die Pläne von
einem föderativ geeinten Mitteleuropa, die der Weltkrieg siegreich wieder empor-
treibt. Und fest und sicher blieb trotz aller Teilnahme, die sich das demokratische
Frankreich in den Jahrzehnten der Demagogenverfolgungen erworben hatte, das
Verlangen nach neuer Sicherung im Westen verankert.

„Alles, was uns der Einheit näher bringt, bringt uns auch der Hoffnung
auf Wiedererlangung von Elsaß und Lothringen näher": so konnte die deutsche
Publizistik bereits 1860 das Zeitalter der Reichsgründung einleiten. Als im
Kampfe um die Vorherrschaft in Deutschland Osterreich unterlegen war, drängte
die nationale Entwicklung in logischer Folge zur endgültigen Abrechnung auch
mit Frankreich, zum Abschluß der „unvollendeten Freiheitskriege". „Zuerst leise
anklopfend wie ein verschämter Wunsch" wurde der Ruf nach Elsaß und Lothringen
bereits Mitte August zum mächtigen Feldgeschrei der Nationen. Und gleichzeitig
erneuerte sich der Kampf der Meinungen um die staatsrechtliche Zukunft der ge¬
raubten Länder. Aufs neue schieden sich die Geister in der Forderung eines
Pufferstaats und einer Aufteilung an die angrenzenden Bundesstaaten, bis Bismarck
den Gedanken eines Reichslandes wieder aufnahm und in ihm die, Wünsche der
Parteien, Stämme und Dynastien des neuen Reiches einte.

Wie im Pariser Frieden die internationale Interessengemeinschaft der übrigen
Großmächte, so verzichtete jetzt die aufkeimende Internationale der deutschen sozial¬
demokratischen Gedankenwelt von vornherein auf alle „Erobcrungs"absichten.
Anklang und Beifall aber fand sie ebensowenig wie der Gedanke an einen Puffer¬
staat, den zahlreiche Diplomaten der alten Schule in ewiger Neutralität oder als
„autonomen Bundesstaat" zu schaffen hofften. Einleuchtender und aussichtsreicher
schien längere Zeit der Vorschlag, Oberelsaß an Baden, Unterelsatz an Bayern,
Lothringen an Preußen zu geben, Württemberg dafür mit den Hohenzvllernschen
Landen, Hessen in der bayerischen Pfalz zu entschädigen. Die schlimmsten Tage
der Rheinbundszeit schienen wiederzukehren. Und doch war diese Eigenpolitik der
süddeutschen Einzelstaaten auch damals noch wohlberechtigt, solange nicht ein
übergeordneter Einheitsstaat den Ausgleich der wirtschaftlichen und politischen
Lebensinteressen seiner Glieder gewährleistete. Erst die publizistischen Erörterungen
und dann die diplomatischen Verhandlungen über die Reichsgründung selbst
konnten zu neuen, rein nationalen Wünschen und Forderungen über die Zukunft
des Neichslcmdes überleiten. Den mächtigsten Anstoß dazu gab Großherzog
Friedrich von Baden, als er offen erklärte, daß kein süddeutscher Staat imstande
sei, die neu erworbenen Gebiete „mit seinen Machtmitteln festzuhalten oder mit
Erfolg sich innerlich anzueignen".

Beifällig nahm die gesamte liberale Publizistik Deutschlands den Hinweis
auf Preußen auf, der in diesen Worten lag. Vor allem der „Schwäbische Merkur"


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[0310] Deutsche Flurbereinigung gefügt hatte, nicht zuzumuten sei, „einige Lappen mehr zu dem teutschen Hans¬ wursttuche zu liefern". Prophetisch mahnte der „Rheinische Merkur", den beiden Trägern der deutschen Einheit, Österreich und Preußen, den Grenzschutz in Elsaß und Lothringen zu übertragen. Vor allem den Staat der Hoherizollern wollte er so dauernd an die Interessen Süddeutschlands fesseln: „Die Festigkeit und Sicher¬ heit Teutschlands wird sich dadurch vermehren und die innere Lebenskraft unseresVater- landes dadurch einen Zuwachs und einen erhöhten Schwung ihrer Tätigkeit gewinnen." All diese Hoffnungen vernichtete bekanntlich der zweiie Pariser Frieden. Aber ungebrochen hielt sich in der Sehnsucht des deutschen Volkes die Verbindung der Gedanken an Freiheit und Einheit im Innern und nach außen. Wohl trieb der harte Druck der Reaktion zeitweise die Forderung der verfassungsmäßigen Freiheit so stark in den Vordergrund, daß die Sicherung der Westgrenze scheinbar völlig zurücktrat. Ju den Tagen der deutschen Revolution mußte sich das Denken dös deutschen Volkes erst mühsam herausarbeiten aus dem Genius weltbürgerlicher und nationalstaatlicher Vorstellungen, mit denen es eine ungeheuer reiche Ge¬ schichte belastet hatte. Siegreich setzte sich zunächst nur der Gedanke an den klein¬ deutschen Bundesstaat, der sich in der Entwicklung der thüringischen EinigunzS- frage spiegelte, durch. Doch unverloren blieben auch weiterhin die Pläne von einem föderativ geeinten Mitteleuropa, die der Weltkrieg siegreich wieder empor- treibt. Und fest und sicher blieb trotz aller Teilnahme, die sich das demokratische Frankreich in den Jahrzehnten der Demagogenverfolgungen erworben hatte, das Verlangen nach neuer Sicherung im Westen verankert. „Alles, was uns der Einheit näher bringt, bringt uns auch der Hoffnung auf Wiedererlangung von Elsaß und Lothringen näher": so konnte die deutsche Publizistik bereits 1860 das Zeitalter der Reichsgründung einleiten. Als im Kampfe um die Vorherrschaft in Deutschland Osterreich unterlegen war, drängte die nationale Entwicklung in logischer Folge zur endgültigen Abrechnung auch mit Frankreich, zum Abschluß der „unvollendeten Freiheitskriege". „Zuerst leise anklopfend wie ein verschämter Wunsch" wurde der Ruf nach Elsaß und Lothringen bereits Mitte August zum mächtigen Feldgeschrei der Nationen. Und gleichzeitig erneuerte sich der Kampf der Meinungen um die staatsrechtliche Zukunft der ge¬ raubten Länder. Aufs neue schieden sich die Geister in der Forderung eines Pufferstaats und einer Aufteilung an die angrenzenden Bundesstaaten, bis Bismarck den Gedanken eines Reichslandes wieder aufnahm und in ihm die, Wünsche der Parteien, Stämme und Dynastien des neuen Reiches einte. Wie im Pariser Frieden die internationale Interessengemeinschaft der übrigen Großmächte, so verzichtete jetzt die aufkeimende Internationale der deutschen sozial¬ demokratischen Gedankenwelt von vornherein auf alle „Erobcrungs"absichten. Anklang und Beifall aber fand sie ebensowenig wie der Gedanke an einen Puffer¬ staat, den zahlreiche Diplomaten der alten Schule in ewiger Neutralität oder als „autonomen Bundesstaat" zu schaffen hofften. Einleuchtender und aussichtsreicher schien längere Zeit der Vorschlag, Oberelsaß an Baden, Unterelsatz an Bayern, Lothringen an Preußen zu geben, Württemberg dafür mit den Hohenzvllernschen Landen, Hessen in der bayerischen Pfalz zu entschädigen. Die schlimmsten Tage der Rheinbundszeit schienen wiederzukehren. Und doch war diese Eigenpolitik der süddeutschen Einzelstaaten auch damals noch wohlberechtigt, solange nicht ein übergeordneter Einheitsstaat den Ausgleich der wirtschaftlichen und politischen Lebensinteressen seiner Glieder gewährleistete. Erst die publizistischen Erörterungen und dann die diplomatischen Verhandlungen über die Reichsgründung selbst konnten zu neuen, rein nationalen Wünschen und Forderungen über die Zukunft des Neichslcmdes überleiten. Den mächtigsten Anstoß dazu gab Großherzog Friedrich von Baden, als er offen erklärte, daß kein süddeutscher Staat imstande sei, die neu erworbenen Gebiete „mit seinen Machtmitteln festzuhalten oder mit Erfolg sich innerlich anzueignen". Beifällig nahm die gesamte liberale Publizistik Deutschlands den Hinweis auf Preußen auf, der in diesen Worten lag. Vor allem der „Schwäbische Merkur"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095/310>, abgerufen am 22.07.2024.