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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr.

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der Gemeinden um so mehr beschnitten wird. Wir haben den interessanten Unter¬
schied zwischen Frankreich und Deutschland. Dort ausgeprägter Parlamentarismus
und formell scharfe Demokratie, demgemäß die Gemeinden von der Zentral-
Verwaltung und den von ihr bestellten Präfekten sehr abhängig, während bei uns
der Abwesenheit der scharf demokratischen Verfassungskonstruktion ein hohes Matz
von Selbständigkeit der Gemeinden entspricht. Eben hierbei aber nehmen wir
auch wiederum wahr, daß formell ausgeprägte scharfe Demokratie keineswegs
wahre Freiheit garantiert.

Was I)r. Reiche über die ländliche Verwaltung sagt, das würde gleichfalls
nur unter der Voraussetzung zutreffen, daß der Staat noch ganz unabhängig
bliebe. Er setzt es als selbstverständlich voraus, daß die Negierung die Beamten
nach ganz sachlichen Gesichtspunkten werde ernennen können, daß "niemals ein
dem Staate nicht genehmer Mann" ein wichtigeres Amt erhalten werde. Dr. Reiche
scheint den Staat als in der Luft frei schwebend, unbeeinflußt von realen Parteien
und ihren Interessen anzusehen. Das Entscheidende liegt ja aber gerade darin,
daß der "neu orientierte" Staat nichts weniger als unbeeinflußt von der Sozial¬
demokratie sein wird. Wir können uns der Meinung l)r. Reiches, daß "niemals
ein dem Staat nicht genehmer Mann" ein wichtigeres Amt erhalten werde, in
diesem Sinn anschließen, insofern hier der stark demokratisch beeinflußte Staat
in Betracht gezogen wird : dieser wird in der Tat dafür sorgen, daß niemals ein
"ihm nicht genehmer Mann" Beamter wird. In diesem Sinn nehmen wir auch
die weitere Bemerkung Dr. Reiches an, in einem Konflikt werde der Staat mit
der Entschlossenheit und Zähigkeit, mit der er seine Macht geltend mache, stets
siegen. Gewiß, aber welcher Staat! Und hier haben wir daran zu erinnern,
daß der demokratisch beeinflußte Staat seine Entschlossenheit und Zähigkeit oft
auch zuungunsten einer Gemeinde, die nicht so demokratisch gestimmt ist, ferner
zugunsten einer demokratischen Parteigruppe in einer Gemeinde gegen eine
anders gesinnte Bcvölkerungsschicht geltend machen wird.

Von der Kirche meint Dr. Reiche, daß "sie der Einwirkung des städtischen
oder sonstigen Patronats durch ihre Verfassung entzogen ist". Darauf ist zunächst
zu entgegnen, daß jeder Patron aus die Bestellung des Geistlichen Einfluß hat.
Aber auch sonst würde die Kirche unter dem vorwaltenden Einfluß der Sozial¬
demokratie mancherlei Schicksale durchzumachen haben.-

Hinsichtlich der sprachlich und national gemischten Provinzen sieht Dr. Reiche
selbst die Folgen der vollen Demokratisierung der Gemeinden nicht so. ganz rosig
an. Aber auch hier begegnet uns wiederum der Trost, "der Staat" werde das
notwendige tun, "um sich 'gegen das Überhandnehmen des Polentums zu schützen".
Der Landrat, der Distriktskommissar, "der Treueid für König und Vaterland",
"der Staat, bei dem die Anstellung der Volksschullehrer liegt", "der auch weiter¬
hin .zu Orts- und Kreisschulinspektoren keine polnischen Geistlichen bestellt", --
auf diese Instanzen glaubt sich Dr. Reiche verlassen zu können. Daraus müssen
wir nur von neuem erwidern, daß der durch ein radikales Abgeordnetenhaus
beeinflußte "Staat" nicht mehr die alte Unabhängigkeit besitzen würde. Die Zu¬
sammensetzung unseres Reichstags hätte ja die unabhängige Polenpolitik des
preußischen Staats, die Dr. Reiche erhalten zu sehen wünscht, unmöglich gemacht,
wenn der preußischen Regierung nicht ein in anderer Weise zusammengesetztes
Abgeordnetenhaus zur Seite gestanden hätte. Mas aber den Landrat und Distrikts¬
kommissar betrifft, so sind sie ja Organe der jeweiligen Negierung. Und man
weiß, daß schon jetzt, unter dem Druck der gegenwärtig hochgehenden demokratisch-
polenfreundlichen Welle, mehrere hochverdiente Regierungspräsidenten und Land¬
räte aus ihrem Amt entfernt worden sind, weil sie den Standpunkt der bisherigen
unabhängigen preußischen Polenpolitik nicht aufgeben wollten. Wenn dies bereits
heute geschehen ist, wo Preußen nur den Druck der Erzberger-Gothein-Scheide-
mcmnschen Reichstagsmehrheit erfährt, so kann man sich ein Bild davon machen,
was wir von der Einwirkung eines preußischen Abgeordnetenhauses zu erwarten
haben, in dem es zu einer entsprechenden Mehrheitsbildung kommt. <so sehr wir


der Gemeinden um so mehr beschnitten wird. Wir haben den interessanten Unter¬
schied zwischen Frankreich und Deutschland. Dort ausgeprägter Parlamentarismus
und formell scharfe Demokratie, demgemäß die Gemeinden von der Zentral-
Verwaltung und den von ihr bestellten Präfekten sehr abhängig, während bei uns
der Abwesenheit der scharf demokratischen Verfassungskonstruktion ein hohes Matz
von Selbständigkeit der Gemeinden entspricht. Eben hierbei aber nehmen wir
auch wiederum wahr, daß formell ausgeprägte scharfe Demokratie keineswegs
wahre Freiheit garantiert.

Was I)r. Reiche über die ländliche Verwaltung sagt, das würde gleichfalls
nur unter der Voraussetzung zutreffen, daß der Staat noch ganz unabhängig
bliebe. Er setzt es als selbstverständlich voraus, daß die Negierung die Beamten
nach ganz sachlichen Gesichtspunkten werde ernennen können, daß „niemals ein
dem Staate nicht genehmer Mann" ein wichtigeres Amt erhalten werde. Dr. Reiche
scheint den Staat als in der Luft frei schwebend, unbeeinflußt von realen Parteien
und ihren Interessen anzusehen. Das Entscheidende liegt ja aber gerade darin,
daß der „neu orientierte" Staat nichts weniger als unbeeinflußt von der Sozial¬
demokratie sein wird. Wir können uns der Meinung l)r. Reiches, daß „niemals
ein dem Staat nicht genehmer Mann" ein wichtigeres Amt erhalten werde, in
diesem Sinn anschließen, insofern hier der stark demokratisch beeinflußte Staat
in Betracht gezogen wird : dieser wird in der Tat dafür sorgen, daß niemals ein
„ihm nicht genehmer Mann" Beamter wird. In diesem Sinn nehmen wir auch
die weitere Bemerkung Dr. Reiches an, in einem Konflikt werde der Staat mit
der Entschlossenheit und Zähigkeit, mit der er seine Macht geltend mache, stets
siegen. Gewiß, aber welcher Staat! Und hier haben wir daran zu erinnern,
daß der demokratisch beeinflußte Staat seine Entschlossenheit und Zähigkeit oft
auch zuungunsten einer Gemeinde, die nicht so demokratisch gestimmt ist, ferner
zugunsten einer demokratischen Parteigruppe in einer Gemeinde gegen eine
anders gesinnte Bcvölkerungsschicht geltend machen wird.

Von der Kirche meint Dr. Reiche, daß „sie der Einwirkung des städtischen
oder sonstigen Patronats durch ihre Verfassung entzogen ist". Darauf ist zunächst
zu entgegnen, daß jeder Patron aus die Bestellung des Geistlichen Einfluß hat.
Aber auch sonst würde die Kirche unter dem vorwaltenden Einfluß der Sozial¬
demokratie mancherlei Schicksale durchzumachen haben.-

Hinsichtlich der sprachlich und national gemischten Provinzen sieht Dr. Reiche
selbst die Folgen der vollen Demokratisierung der Gemeinden nicht so. ganz rosig
an. Aber auch hier begegnet uns wiederum der Trost, „der Staat" werde das
notwendige tun, „um sich 'gegen das Überhandnehmen des Polentums zu schützen".
Der Landrat, der Distriktskommissar, „der Treueid für König und Vaterland",
„der Staat, bei dem die Anstellung der Volksschullehrer liegt", „der auch weiter¬
hin .zu Orts- und Kreisschulinspektoren keine polnischen Geistlichen bestellt", —
auf diese Instanzen glaubt sich Dr. Reiche verlassen zu können. Daraus müssen
wir nur von neuem erwidern, daß der durch ein radikales Abgeordnetenhaus
beeinflußte „Staat" nicht mehr die alte Unabhängigkeit besitzen würde. Die Zu¬
sammensetzung unseres Reichstags hätte ja die unabhängige Polenpolitik des
preußischen Staats, die Dr. Reiche erhalten zu sehen wünscht, unmöglich gemacht,
wenn der preußischen Regierung nicht ein in anderer Weise zusammengesetztes
Abgeordnetenhaus zur Seite gestanden hätte. Mas aber den Landrat und Distrikts¬
kommissar betrifft, so sind sie ja Organe der jeweiligen Negierung. Und man
weiß, daß schon jetzt, unter dem Druck der gegenwärtig hochgehenden demokratisch-
polenfreundlichen Welle, mehrere hochverdiente Regierungspräsidenten und Land¬
räte aus ihrem Amt entfernt worden sind, weil sie den Standpunkt der bisherigen
unabhängigen preußischen Polenpolitik nicht aufgeben wollten. Wenn dies bereits
heute geschehen ist, wo Preußen nur den Druck der Erzberger-Gothein-Scheide-
mcmnschen Reichstagsmehrheit erfährt, so kann man sich ein Bild davon machen,
was wir von der Einwirkung eines preußischen Abgeordnetenhauses zu erwarten
haben, in dem es zu einer entsprechenden Mehrheitsbildung kommt. <so sehr wir


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[0296] der Gemeinden um so mehr beschnitten wird. Wir haben den interessanten Unter¬ schied zwischen Frankreich und Deutschland. Dort ausgeprägter Parlamentarismus und formell scharfe Demokratie, demgemäß die Gemeinden von der Zentral- Verwaltung und den von ihr bestellten Präfekten sehr abhängig, während bei uns der Abwesenheit der scharf demokratischen Verfassungskonstruktion ein hohes Matz von Selbständigkeit der Gemeinden entspricht. Eben hierbei aber nehmen wir auch wiederum wahr, daß formell ausgeprägte scharfe Demokratie keineswegs wahre Freiheit garantiert. Was I)r. Reiche über die ländliche Verwaltung sagt, das würde gleichfalls nur unter der Voraussetzung zutreffen, daß der Staat noch ganz unabhängig bliebe. Er setzt es als selbstverständlich voraus, daß die Negierung die Beamten nach ganz sachlichen Gesichtspunkten werde ernennen können, daß „niemals ein dem Staate nicht genehmer Mann" ein wichtigeres Amt erhalten werde. Dr. Reiche scheint den Staat als in der Luft frei schwebend, unbeeinflußt von realen Parteien und ihren Interessen anzusehen. Das Entscheidende liegt ja aber gerade darin, daß der „neu orientierte" Staat nichts weniger als unbeeinflußt von der Sozial¬ demokratie sein wird. Wir können uns der Meinung l)r. Reiches, daß „niemals ein dem Staat nicht genehmer Mann" ein wichtigeres Amt erhalten werde, in diesem Sinn anschließen, insofern hier der stark demokratisch beeinflußte Staat in Betracht gezogen wird : dieser wird in der Tat dafür sorgen, daß niemals ein „ihm nicht genehmer Mann" Beamter wird. In diesem Sinn nehmen wir auch die weitere Bemerkung Dr. Reiches an, in einem Konflikt werde der Staat mit der Entschlossenheit und Zähigkeit, mit der er seine Macht geltend mache, stets siegen. Gewiß, aber welcher Staat! Und hier haben wir daran zu erinnern, daß der demokratisch beeinflußte Staat seine Entschlossenheit und Zähigkeit oft auch zuungunsten einer Gemeinde, die nicht so demokratisch gestimmt ist, ferner zugunsten einer demokratischen Parteigruppe in einer Gemeinde gegen eine anders gesinnte Bcvölkerungsschicht geltend machen wird. Von der Kirche meint Dr. Reiche, daß „sie der Einwirkung des städtischen oder sonstigen Patronats durch ihre Verfassung entzogen ist". Darauf ist zunächst zu entgegnen, daß jeder Patron aus die Bestellung des Geistlichen Einfluß hat. Aber auch sonst würde die Kirche unter dem vorwaltenden Einfluß der Sozial¬ demokratie mancherlei Schicksale durchzumachen haben.- Hinsichtlich der sprachlich und national gemischten Provinzen sieht Dr. Reiche selbst die Folgen der vollen Demokratisierung der Gemeinden nicht so. ganz rosig an. Aber auch hier begegnet uns wiederum der Trost, „der Staat" werde das notwendige tun, „um sich 'gegen das Überhandnehmen des Polentums zu schützen". Der Landrat, der Distriktskommissar, „der Treueid für König und Vaterland", „der Staat, bei dem die Anstellung der Volksschullehrer liegt", „der auch weiter¬ hin .zu Orts- und Kreisschulinspektoren keine polnischen Geistlichen bestellt", — auf diese Instanzen glaubt sich Dr. Reiche verlassen zu können. Daraus müssen wir nur von neuem erwidern, daß der durch ein radikales Abgeordnetenhaus beeinflußte „Staat" nicht mehr die alte Unabhängigkeit besitzen würde. Die Zu¬ sammensetzung unseres Reichstags hätte ja die unabhängige Polenpolitik des preußischen Staats, die Dr. Reiche erhalten zu sehen wünscht, unmöglich gemacht, wenn der preußischen Regierung nicht ein in anderer Weise zusammengesetztes Abgeordnetenhaus zur Seite gestanden hätte. Mas aber den Landrat und Distrikts¬ kommissar betrifft, so sind sie ja Organe der jeweiligen Negierung. Und man weiß, daß schon jetzt, unter dem Druck der gegenwärtig hochgehenden demokratisch- polenfreundlichen Welle, mehrere hochverdiente Regierungspräsidenten und Land¬ räte aus ihrem Amt entfernt worden sind, weil sie den Standpunkt der bisherigen unabhängigen preußischen Polenpolitik nicht aufgeben wollten. Wenn dies bereits heute geschehen ist, wo Preußen nur den Druck der Erzberger-Gothein-Scheide- mcmnschen Reichstagsmehrheit erfährt, so kann man sich ein Bild davon machen, was wir von der Einwirkung eines preußischen Abgeordnetenhauses zu erwarten haben, in dem es zu einer entsprechenden Mehrheitsbildung kommt. <so sehr wir

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095/296>, abgerufen am 22.07.2024.