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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr.

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Englands weltpolitische Lage

oder in irgend welcher Weise wiederhergestellt werden, das berührt kein englisches
Interesse. Daneben sorgt schon die bedeutende Machtstellung, welche Bulgarien
gewonnen hat und das nunmehr für Österreich den Weg nach Saloniki versperrt,
dafür, daß die ausschließliche Beherrschung der Balkanhalbinsel nicht an
Osterreich fällt.

So bliebe noch Frankreich.

Jahrhunderte hindurch, von den englisch-französischen Kriegen des ausgehenden
Mittelalters bis über die Zeiten Napoleon des Ersten hinaus, ist die Weltgeschichte
von dem englisch-französischen Gegensatze erfüllt. Frankreich war immer einer der
gefährlichsten Gegner Englands, weil es die diesem gegenüberliegende Küste be¬
herrschte und daher England in seiner militärischen und wirtschaftlichen Insel-
sicherheit bedrohte. Diese Gefahr war um so größer, da Frankreich zeitweise
nicht nur die bedeutendste Landmacht des Festlandes, sondern sogar eine bedeutendere
See- und Kolonialmacht war als England selbst. Wie sich die neuere englische
Politik' immer gegen die bedeutendste Festlandsmacht richtete, die ihm auf dem
Gebiete des Seehandels gefährlich werden konnte, erst gegen Spanien, dann
gegen die Niederlande, so richtete sich die englische Politik in dieser Hinsicht von
ven Zeiten Ludwigs des Vierzehnten bis zu denen Napoleons des Ersten gegen
Frankreich. Endlich mit dem Wiener Kongresse war das englische Ziel erreicht,
Frankreich war als See- und Kolonialmacht vernichtet.

Doch es konnte als solche wieder aufleben. Die dritte Republik hatte wieder
ein gewaltiges Kolonialreich zusammengerafft. Frankreich besaß wieder eine be¬
deutende Flotte. Damit erwachte ganz von selbst wieder der englisch-französische
Gegensatz. Man braucht nur das Wort Faschoda zu nennen. Da war es denn
ein Glück für England, daß die Franzosen wie hypnotisiert auf das Loch in den
Vogesen starrten und sich als englische Landsknechte für den Festlandskrieg ge-
winnen ließen.

Daß Frankreich sich wesentlich für englische Interessen verblutet und nie
Mehr die Stellung einer Großmacht, geschweige denn einer Weltmacht für sich
beanspruchen kann, ist ein weiterer Gewinn der englischen Politik. Und dabei springt
"och ein besonderer Vorteil heraus. Die französische Kanalküste wird England nie
wieder freiwillig herausgeben, und das geschwächte Frankreich ist am wenigsten die
Macht, die es dazu zwingen kann. Behauptet Deutschland die militärische Herr¬
schaft über Belgien, und gelingt England die Befreiung Belgiens nicht, so steht es
freilich bewaffnet daneben in Calais und Boulogne.

Bei den meisten der englischen Bundesgenossen bedeutet es also für England
Mehl eine Niederlage, sondern geradezu einen Vorteil, wenn sie durch das deutsche
Schwert abgetan werden. Die einzige Ausnahme in dieser Hinsicht macht nur Belgien.

Andererseits ist doch auch Deutschland durch den Weltkrieg erheblich geschwächt.
Sein Gewerbe ist wenigstens vorläufig von dem Weltmarkt verdrängt, seine Handels¬
flagge von den Weltmeeren verschwunden. DaS Erbe haben Angelsachsen und
Japaner angetreten.

Weshalb sollte also England trotz aller deutschen Siege mit den Ergebnissen
des Weltkrieges nicht zufrieden sein, zumal es dabei auch seinem Kolonialreiche
ewe gewaltige, bisher selbst in den kühnsten Träumen kaum gehoffte Ausdehnung
geben konnte?


Englands weltpolitische Lage

oder in irgend welcher Weise wiederhergestellt werden, das berührt kein englisches
Interesse. Daneben sorgt schon die bedeutende Machtstellung, welche Bulgarien
gewonnen hat und das nunmehr für Österreich den Weg nach Saloniki versperrt,
dafür, daß die ausschließliche Beherrschung der Balkanhalbinsel nicht an
Osterreich fällt.

So bliebe noch Frankreich.

Jahrhunderte hindurch, von den englisch-französischen Kriegen des ausgehenden
Mittelalters bis über die Zeiten Napoleon des Ersten hinaus, ist die Weltgeschichte
von dem englisch-französischen Gegensatze erfüllt. Frankreich war immer einer der
gefährlichsten Gegner Englands, weil es die diesem gegenüberliegende Küste be¬
herrschte und daher England in seiner militärischen und wirtschaftlichen Insel-
sicherheit bedrohte. Diese Gefahr war um so größer, da Frankreich zeitweise
nicht nur die bedeutendste Landmacht des Festlandes, sondern sogar eine bedeutendere
See- und Kolonialmacht war als England selbst. Wie sich die neuere englische
Politik' immer gegen die bedeutendste Festlandsmacht richtete, die ihm auf dem
Gebiete des Seehandels gefährlich werden konnte, erst gegen Spanien, dann
gegen die Niederlande, so richtete sich die englische Politik in dieser Hinsicht von
ven Zeiten Ludwigs des Vierzehnten bis zu denen Napoleons des Ersten gegen
Frankreich. Endlich mit dem Wiener Kongresse war das englische Ziel erreicht,
Frankreich war als See- und Kolonialmacht vernichtet.

Doch es konnte als solche wieder aufleben. Die dritte Republik hatte wieder
ein gewaltiges Kolonialreich zusammengerafft. Frankreich besaß wieder eine be¬
deutende Flotte. Damit erwachte ganz von selbst wieder der englisch-französische
Gegensatz. Man braucht nur das Wort Faschoda zu nennen. Da war es denn
ein Glück für England, daß die Franzosen wie hypnotisiert auf das Loch in den
Vogesen starrten und sich als englische Landsknechte für den Festlandskrieg ge-
winnen ließen.

Daß Frankreich sich wesentlich für englische Interessen verblutet und nie
Mehr die Stellung einer Großmacht, geschweige denn einer Weltmacht für sich
beanspruchen kann, ist ein weiterer Gewinn der englischen Politik. Und dabei springt
"och ein besonderer Vorteil heraus. Die französische Kanalküste wird England nie
wieder freiwillig herausgeben, und das geschwächte Frankreich ist am wenigsten die
Macht, die es dazu zwingen kann. Behauptet Deutschland die militärische Herr¬
schaft über Belgien, und gelingt England die Befreiung Belgiens nicht, so steht es
freilich bewaffnet daneben in Calais und Boulogne.

Bei den meisten der englischen Bundesgenossen bedeutet es also für England
Mehl eine Niederlage, sondern geradezu einen Vorteil, wenn sie durch das deutsche
Schwert abgetan werden. Die einzige Ausnahme in dieser Hinsicht macht nur Belgien.

Andererseits ist doch auch Deutschland durch den Weltkrieg erheblich geschwächt.
Sein Gewerbe ist wenigstens vorläufig von dem Weltmarkt verdrängt, seine Handels¬
flagge von den Weltmeeren verschwunden. DaS Erbe haben Angelsachsen und
Japaner angetreten.

Weshalb sollte also England trotz aller deutschen Siege mit den Ergebnissen
des Weltkrieges nicht zufrieden sein, zumal es dabei auch seinem Kolonialreiche
ewe gewaltige, bisher selbst in den kühnsten Träumen kaum gehoffte Ausdehnung
geben konnte?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095/281>, abgerufen am 24.08.2024.