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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr.

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Allgemeines Stimmrecht in den Niederlanden

nicht nur wegen Gesetzwidrigkeit, sondern auch wegen Verletzung des StaatS-
interesseS von der Krone außer Kraft gesetzt oder für eine gewisse Zeit bean-
standet werden.

Bei dieser weitgehenden Einwirkung des Staates auf daS kommunale Leben
von Gemeinde und Provinz kann in der Tat das allgemeine Stimmrecht kemen
besonderen Unfug anrichten. Insbesondere ist der größten Gefahr des allgemeinen
Stimmrechtes, daß eine nach Volkstümlichkeit strebende Kommunalpolitik Ausgaben
und Steuern im Interesse der breiten Masse der Nichtbesitzenden, aber aus dem
Geldbeutel der Besitzenden beschließt oder anderweit die kommunalen Finanzen
zugrunde richtet, von Anfang an ein Riegel vorgeschoben. Während man in den
skandinavischen Ländern schrittweise mit Ausdehnung des Gemeindestimmrechtes
die Schranken gegen einen Mißbrauch der Gemeindefreiheit namentlich auf ftnan-
ziellem Gebiete verstärkt und die Gemeindefreiheit selbst unterbunden hat. war das
in den Niederlanden gar nicht mehr nötig. Der Staat hatte bereits alle Waffen
gegen einen Mißbrauch in seiner Hand. ^ . . . ^ - ^

Ganz anders liegen die Verhältnisse in Deutschland seit der Stemschen
Städteordnung von IM. die den Ausgangspunkt für tre ganze kommunale Ent¬
wicklung im 19 Jahrhundert bildete und auch die Einflüsse französischen Rechtes
im Westen und Süden Deutschlands allmählich überwunden hat. Hier hat der
Staat zwar den Kreis der kommunalen Aufgaben erheblich enger gezogen, aber
innerhalb dieses engeren Kreises dem kommunalen Verbände eine weitgehende
Freiheit gelassen. Abgesehen von den Ausnahmefällen, wo der Staat eme höhere
Genehmigung oder Bestätigung der kommunalen Beschlüsse erfordert, nimmt er
im allgemeinen nur deren Nachprüfung vom Standpunkte der Gesetzmäßigkeit in
Anspruch, nicht wegen Verletzung höherer Interessen. Die Richtung der in Aus-
sicht genommenen Verwaltungsreform in Preußen geht sogar dahin, die Falle der
Genehmigung oder Bestätigung auf das äußerste zu beschränken und damit die
kommunale Freiheit noch mehr zu erweitern. Mit dieser Richtung ist eme Er¬
weiterung des Gemeindestimmrechtes unvereinbar. Denn wie man namentlich in
den skandinavischen Ländern eingesehen hat, muß die Gemeindefreiheit eine Schranke
haben, entweder eine innere in dem hervorragenden Einflüsse der Steuerzahler
oder eine äußere in weitgehender Einwirkung der Staatsgewalt. In dieser Be¬
ziehung kann uns also das niederländische Vorbild für deutsche Verhältnisse nur
die Lehre geben: Eins schickt sich nicht für allel




Allgemeines Stimmrecht in den Niederlanden

nicht nur wegen Gesetzwidrigkeit, sondern auch wegen Verletzung des StaatS-
interesseS von der Krone außer Kraft gesetzt oder für eine gewisse Zeit bean-
standet werden.

Bei dieser weitgehenden Einwirkung des Staates auf daS kommunale Leben
von Gemeinde und Provinz kann in der Tat das allgemeine Stimmrecht kemen
besonderen Unfug anrichten. Insbesondere ist der größten Gefahr des allgemeinen
Stimmrechtes, daß eine nach Volkstümlichkeit strebende Kommunalpolitik Ausgaben
und Steuern im Interesse der breiten Masse der Nichtbesitzenden, aber aus dem
Geldbeutel der Besitzenden beschließt oder anderweit die kommunalen Finanzen
zugrunde richtet, von Anfang an ein Riegel vorgeschoben. Während man in den
skandinavischen Ländern schrittweise mit Ausdehnung des Gemeindestimmrechtes
die Schranken gegen einen Mißbrauch der Gemeindefreiheit namentlich auf ftnan-
ziellem Gebiete verstärkt und die Gemeindefreiheit selbst unterbunden hat. war das
in den Niederlanden gar nicht mehr nötig. Der Staat hatte bereits alle Waffen
gegen einen Mißbrauch in seiner Hand. ^ . . . ^ - ^

Ganz anders liegen die Verhältnisse in Deutschland seit der Stemschen
Städteordnung von IM. die den Ausgangspunkt für tre ganze kommunale Ent¬
wicklung im 19 Jahrhundert bildete und auch die Einflüsse französischen Rechtes
im Westen und Süden Deutschlands allmählich überwunden hat. Hier hat der
Staat zwar den Kreis der kommunalen Aufgaben erheblich enger gezogen, aber
innerhalb dieses engeren Kreises dem kommunalen Verbände eine weitgehende
Freiheit gelassen. Abgesehen von den Ausnahmefällen, wo der Staat eme höhere
Genehmigung oder Bestätigung der kommunalen Beschlüsse erfordert, nimmt er
im allgemeinen nur deren Nachprüfung vom Standpunkte der Gesetzmäßigkeit in
Anspruch, nicht wegen Verletzung höherer Interessen. Die Richtung der in Aus-
sicht genommenen Verwaltungsreform in Preußen geht sogar dahin, die Falle der
Genehmigung oder Bestätigung auf das äußerste zu beschränken und damit die
kommunale Freiheit noch mehr zu erweitern. Mit dieser Richtung ist eme Er¬
weiterung des Gemeindestimmrechtes unvereinbar. Denn wie man namentlich in
den skandinavischen Ländern eingesehen hat, muß die Gemeindefreiheit eine Schranke
haben, entweder eine innere in dem hervorragenden Einflüsse der Steuerzahler
oder eine äußere in weitgehender Einwirkung der Staatsgewalt. In dieser Be¬
ziehung kann uns also das niederländische Vorbild für deutsche Verhältnisse nur
die Lehre geben: Eins schickt sich nicht für allel




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[0027] Allgemeines Stimmrecht in den Niederlanden nicht nur wegen Gesetzwidrigkeit, sondern auch wegen Verletzung des StaatS- interesseS von der Krone außer Kraft gesetzt oder für eine gewisse Zeit bean- standet werden. Bei dieser weitgehenden Einwirkung des Staates auf daS kommunale Leben von Gemeinde und Provinz kann in der Tat das allgemeine Stimmrecht kemen besonderen Unfug anrichten. Insbesondere ist der größten Gefahr des allgemeinen Stimmrechtes, daß eine nach Volkstümlichkeit strebende Kommunalpolitik Ausgaben und Steuern im Interesse der breiten Masse der Nichtbesitzenden, aber aus dem Geldbeutel der Besitzenden beschließt oder anderweit die kommunalen Finanzen zugrunde richtet, von Anfang an ein Riegel vorgeschoben. Während man in den skandinavischen Ländern schrittweise mit Ausdehnung des Gemeindestimmrechtes die Schranken gegen einen Mißbrauch der Gemeindefreiheit namentlich auf ftnan- ziellem Gebiete verstärkt und die Gemeindefreiheit selbst unterbunden hat. war das in den Niederlanden gar nicht mehr nötig. Der Staat hatte bereits alle Waffen gegen einen Mißbrauch in seiner Hand. ^ . . . ^ - ^ Ganz anders liegen die Verhältnisse in Deutschland seit der Stemschen Städteordnung von IM. die den Ausgangspunkt für tre ganze kommunale Ent¬ wicklung im 19 Jahrhundert bildete und auch die Einflüsse französischen Rechtes im Westen und Süden Deutschlands allmählich überwunden hat. Hier hat der Staat zwar den Kreis der kommunalen Aufgaben erheblich enger gezogen, aber innerhalb dieses engeren Kreises dem kommunalen Verbände eine weitgehende Freiheit gelassen. Abgesehen von den Ausnahmefällen, wo der Staat eme höhere Genehmigung oder Bestätigung der kommunalen Beschlüsse erfordert, nimmt er im allgemeinen nur deren Nachprüfung vom Standpunkte der Gesetzmäßigkeit in Anspruch, nicht wegen Verletzung höherer Interessen. Die Richtung der in Aus- sicht genommenen Verwaltungsreform in Preußen geht sogar dahin, die Falle der Genehmigung oder Bestätigung auf das äußerste zu beschränken und damit die kommunale Freiheit noch mehr zu erweitern. Mit dieser Richtung ist eme Er¬ weiterung des Gemeindestimmrechtes unvereinbar. Denn wie man namentlich in den skandinavischen Ländern eingesehen hat, muß die Gemeindefreiheit eine Schranke haben, entweder eine innere in dem hervorragenden Einflüsse der Steuerzahler oder eine äußere in weitgehender Einwirkung der Staatsgewalt. In dieser Be¬ ziehung kann uns also das niederländische Vorbild für deutsche Verhältnisse nur die Lehre geben: Eins schickt sich nicht für allel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095/27>, abgerufen am 22.07.2024.