Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr.Parlamentarische Regierung und gleiches Wahlrecht Und doch braucht kein Täuschungsversuch vorzuliegen, denn zur Verteidigung Da aber Preußen nicht auf einer Insel im Weltmeer gebettet liegt, sondern Hand in Hand mit diesen demokratisch-republikanischen Folgerungen geht So sehen wir, wie die Herausnahme eines Steines (PreußenWahlrecht) nach Noch zwar ist jener Stein nicht aus dem Mauerwerk gelöst', die erste Parlamentarische Regierung und gleiches Wahlrecht Und doch braucht kein Täuschungsversuch vorzuliegen, denn zur Verteidigung Da aber Preußen nicht auf einer Insel im Weltmeer gebettet liegt, sondern Hand in Hand mit diesen demokratisch-republikanischen Folgerungen geht So sehen wir, wie die Herausnahme eines Steines (PreußenWahlrecht) nach Noch zwar ist jener Stein nicht aus dem Mauerwerk gelöst', die erste <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0268" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/333365"/> <fw type="header" place="top"> Parlamentarische Regierung und gleiches Wahlrecht</fw><lb/> <p xml:id="ID_949"> Und doch braucht kein Täuschungsversuch vorzuliegen, denn zur Verteidigung<lb/> des überlieferten Besitzstandes gehört auch die traditionelle Stellung der Monarchie,<lb/> deren Interessen sich gleichsam automatisch mit jenem decken.</p><lb/> <p xml:id="ID_950"> Da aber Preußen nicht auf einer Insel im Weltmeer gebettet liegt, sondern<lb/> inmitten und als Glied eines komplizierten Staatsgebildes, Deutsches Reich ge¬<lb/> nannt, so wird jede dort vorgenommene Machtverschiebung in allen Teilen des<lb/> Gesamtorganismus fühlbar. Die Verschiedenheit der Wahlrechte und als Folge<lb/> davon der Mehrheitsverhältnisse in Preußen und dem Reich schloß es aus, daß<lb/> die von ein und derselben Persönlichkeit (Kanzler, bzw. Ministerpräsident) vertreten;<lb/> Regierung einen parlamentarischen Charakter gewann. Werden nunmehr die<lb/> beiden Parlamente nach gleichen Grundsätzen gebildet, so ist eine wichtige Voraus¬<lb/> setzung für die Parteiregierung vor allem im Reiche geschaffen, die, wie wir wissen,<lb/> nur auf eine Verneinung der im Bundesrate verkörperten Einzelmonarchien<lb/> hinauslaufen kann.</p><lb/> <p xml:id="ID_951"> Hand in Hand mit diesen demokratisch-republikanischen Folgerungen geht<lb/> drittens eine Strukturveränderung unserer Reichsverfassung. „Die JdentifilMon<lb/> der beiden Parlamente würde ein Riesenschritt auf dem Wege zur Einheit sein",<lb/> urteilte ein ausländischer Autor, W. Martin, vor dem Kriege. „Einheit", hier<lb/> nicht im Sinne des Attinghausenwortes, sondern des Einheitsstaates im Gegensatz<lb/> zum bisherigen Bundesstaat. In dieser Richtung würde die Machtvermehrung des<lb/> Reichstages, als des rein unitarischen Organs unserer Gesamtverfassung, wirksam<lb/> werden. Das bedeutete aber eine Bedrohung aller föderalistischen Elemente, ins¬<lb/> besondere der außerpreußischen Staaten. Der oben erwähnte Ausländer hat gut<lb/> beobachtet, wenn er in dem „preußischen Egoismus, gegen den die übrigen<lb/> Staaten unaufhörlich protestieren, eine Garantie ihrer eigenen Unabhängigkeit"<lb/> sieht. Der „Egoismus" der Wahlrechtsgegner verliert darum nicht seine Eigen¬<lb/> schaft, aber er erfüllt eben zugleich noch andere Zwecke.</p><lb/> <p xml:id="ID_952"> So sehen wir, wie die Herausnahme eines Steines (PreußenWahlrecht) nach<lb/> und nach das ganze Gefüge unseres Staatsbaues ins Wanken und Gleiten bringt.<lb/> Wenn es schließlich zum Einsturz kommt, ist noch nicht gesagt, daß aus den ein<lb/> zelnen Elementen nicht ein neues Gebäude entstehen könne — aber der Wunsch<lb/> wird begreiflich, wenn irgend möglich, das von genialen Meisterhänden errichtete<lb/> Werk vor solchen Gefahren zu behüten. Ob und wie das möglich ist, darauf<lb/> soll diesmal nicht eingegangen werden. Die Antwort würde Zugleich die Schwierig¬<lb/> keiten und Aussichten parlamentarischer Regierungsweise bei uns zu Lande näher<lb/> betrachten müssen.</p><lb/> <p xml:id="ID_953" next="#ID_954"> Noch zwar ist jener Stein nicht aus dem Mauerwerk gelöst', die erste<lb/> Abstimmung über den Z 3 des Regierungsentwurfs hat eine nicht unbedeutende<lb/> Mehrheit gegen die Vorlage gebracht, indem sich ^ der Nationalliberalen dem<lb/> Votum der konservativen Parteien anschlössen. Die vier Abgeordneten, insbesondere<lb/> ihr Führer Lohmann, haben jetzt den gesammelten Zorn der reformfreundlichon<lb/> Linken auf sich geladen, ihre Namen werden gleichsam an den Pranger gestellt.<lb/> Der „Vorwäris" fällt in seine alte Tonart zurück, wenn er die „Antinationalen<lb/> und Antiliberalen" der „schlimmsten Tat gegen Deutschlands Ruhm und Ehre"<lb/> bezichtigt und ihnen als Motiv „lediglich Mandatsrettung" unterschiebt. Zwei<lb/> Seiten später wird der Vorschlag einer Wahlpflicht als „Mittel, das höchste Recht</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0268]
Parlamentarische Regierung und gleiches Wahlrecht
Und doch braucht kein Täuschungsversuch vorzuliegen, denn zur Verteidigung
des überlieferten Besitzstandes gehört auch die traditionelle Stellung der Monarchie,
deren Interessen sich gleichsam automatisch mit jenem decken.
Da aber Preußen nicht auf einer Insel im Weltmeer gebettet liegt, sondern
inmitten und als Glied eines komplizierten Staatsgebildes, Deutsches Reich ge¬
nannt, so wird jede dort vorgenommene Machtverschiebung in allen Teilen des
Gesamtorganismus fühlbar. Die Verschiedenheit der Wahlrechte und als Folge
davon der Mehrheitsverhältnisse in Preußen und dem Reich schloß es aus, daß
die von ein und derselben Persönlichkeit (Kanzler, bzw. Ministerpräsident) vertreten;
Regierung einen parlamentarischen Charakter gewann. Werden nunmehr die
beiden Parlamente nach gleichen Grundsätzen gebildet, so ist eine wichtige Voraus¬
setzung für die Parteiregierung vor allem im Reiche geschaffen, die, wie wir wissen,
nur auf eine Verneinung der im Bundesrate verkörperten Einzelmonarchien
hinauslaufen kann.
Hand in Hand mit diesen demokratisch-republikanischen Folgerungen geht
drittens eine Strukturveränderung unserer Reichsverfassung. „Die JdentifilMon
der beiden Parlamente würde ein Riesenschritt auf dem Wege zur Einheit sein",
urteilte ein ausländischer Autor, W. Martin, vor dem Kriege. „Einheit", hier
nicht im Sinne des Attinghausenwortes, sondern des Einheitsstaates im Gegensatz
zum bisherigen Bundesstaat. In dieser Richtung würde die Machtvermehrung des
Reichstages, als des rein unitarischen Organs unserer Gesamtverfassung, wirksam
werden. Das bedeutete aber eine Bedrohung aller föderalistischen Elemente, ins¬
besondere der außerpreußischen Staaten. Der oben erwähnte Ausländer hat gut
beobachtet, wenn er in dem „preußischen Egoismus, gegen den die übrigen
Staaten unaufhörlich protestieren, eine Garantie ihrer eigenen Unabhängigkeit"
sieht. Der „Egoismus" der Wahlrechtsgegner verliert darum nicht seine Eigen¬
schaft, aber er erfüllt eben zugleich noch andere Zwecke.
So sehen wir, wie die Herausnahme eines Steines (PreußenWahlrecht) nach
und nach das ganze Gefüge unseres Staatsbaues ins Wanken und Gleiten bringt.
Wenn es schließlich zum Einsturz kommt, ist noch nicht gesagt, daß aus den ein
zelnen Elementen nicht ein neues Gebäude entstehen könne — aber der Wunsch
wird begreiflich, wenn irgend möglich, das von genialen Meisterhänden errichtete
Werk vor solchen Gefahren zu behüten. Ob und wie das möglich ist, darauf
soll diesmal nicht eingegangen werden. Die Antwort würde Zugleich die Schwierig¬
keiten und Aussichten parlamentarischer Regierungsweise bei uns zu Lande näher
betrachten müssen.
Noch zwar ist jener Stein nicht aus dem Mauerwerk gelöst', die erste
Abstimmung über den Z 3 des Regierungsentwurfs hat eine nicht unbedeutende
Mehrheit gegen die Vorlage gebracht, indem sich ^ der Nationalliberalen dem
Votum der konservativen Parteien anschlössen. Die vier Abgeordneten, insbesondere
ihr Führer Lohmann, haben jetzt den gesammelten Zorn der reformfreundlichon
Linken auf sich geladen, ihre Namen werden gleichsam an den Pranger gestellt.
Der „Vorwäris" fällt in seine alte Tonart zurück, wenn er die „Antinationalen
und Antiliberalen" der „schlimmsten Tat gegen Deutschlands Ruhm und Ehre"
bezichtigt und ihnen als Motiv „lediglich Mandatsrettung" unterschiebt. Zwei
Seiten später wird der Vorschlag einer Wahlpflicht als „Mittel, das höchste Recht
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