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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

sondern mehr noch dem Volk auch die volle Verantwortung für ein Wasserstraßen-
system zu übertragen. Dujepr und Pripet könnten, einmal schiffbar gemacht, für
Osteuropa eine ähnliche Bedeutuug gewinnen, wie sie die Donau für Mitteleuropa
hat. Die Trockenlegung der Pripetsümpfe und die Beseitigung der Stromschnellen
am Unterlauf des Dujepr sind nächst den vorhandenen Reichtümern die Voraus¬
setzungen für die wirtschaftliche Selbständigkeit des Landes.

Ich muß mi/leider versagen, die in diesen Zeilen angeschlagenen Probleme
tiefer anzufassen. Die staatbildenden Faktoren" der Ukraina habe ich vor drei
Jahren an dieser Stelle dargestellt. In Zukunft werden wir uns öfter mit dem
jungen Staate zu beschäftigen haben, an dessen gefahrenumbrandeter Wiege wir
stehen. Möge der Friede von Brest der Ausgangspunkt eines Zusammenwirkens
zwischen Deutschen und Ukrainern werden, das uns befähigte, unsern Friedens-
willen der Welt gegenüber glücklicher zu vertreten, wie in den Jahren vor dem
Weltkriege. Möge aus dem Friedensschluß ein Bündnis der Arbeit erwachsen.




Maßgebliches und Unmaßgebliches

Annektieren. Es ist in unseren Tagen so viel von Annexionen die Rede,
daß es an der Zeit scheint, einmal dem Ursprung des Wortes nachzugehen, das
i>n Deutschen nicht zufällig Fremdwort ist. Aus lateinisch snneotere ist das Zeit¬
wort schon im sechzehnten Jahrhundert ins Deutsche gelangt: in der Form an-
nection ducht es sogleich das erste Fremdwörterbuch unserer Sprache, das Simon
Roth in Augsburg 1571 hat drucken lassen. Die Bedeutung ist hier, dem Latein
entsprechend, "aneinanderknüpfen", und so. bleibt es bis ins 19. Jahrhundert, z. B.
kennt noch Campes Fremdwörterbuch von 1811 allein diese Bedeutung. Inzwischen
hatte bei unseren gegenwärtigen Feinden im Westen eine über das Substantiv
(lat. nexus) geleitete Entwicklung zu französisch annexer. englisch de> Annex geführt.
Als im Jahre 1845 die Vereinigten Staaten dein benachbarten Mexiko den Staat
Texas abnahmen, da fanden die Yankees für ihren Raub den milden Ausdruck
annex, der alsbald europäisches Zeitungswort wurde und in der Form annexieren
nach Deutschland gelangte. Amtlich das Wort zu gebrauchen hatte in Europa
seit etwa 1860 vor allem die Diplomatie, des Lmpirs-Ja-paix Anlaß, namentlich
bei ihrer Politik gegen Sardinien und Savoyen. Das amerikanische Vorbild bleibt
dabei lebendig, so urteilt im Jahre 1865 Heinrich von Treitschke. "Historische Auf¬
sätze" S. 536: "Napoleon der Dritte hat sein berufenes Wort Annexion dem ameri-


Maßgebliches und Unmaßgebliches

sondern mehr noch dem Volk auch die volle Verantwortung für ein Wasserstraßen-
system zu übertragen. Dujepr und Pripet könnten, einmal schiffbar gemacht, für
Osteuropa eine ähnliche Bedeutuug gewinnen, wie sie die Donau für Mitteleuropa
hat. Die Trockenlegung der Pripetsümpfe und die Beseitigung der Stromschnellen
am Unterlauf des Dujepr sind nächst den vorhandenen Reichtümern die Voraus¬
setzungen für die wirtschaftliche Selbständigkeit des Landes.

Ich muß mi/leider versagen, die in diesen Zeilen angeschlagenen Probleme
tiefer anzufassen. Die staatbildenden Faktoren" der Ukraina habe ich vor drei
Jahren an dieser Stelle dargestellt. In Zukunft werden wir uns öfter mit dem
jungen Staate zu beschäftigen haben, an dessen gefahrenumbrandeter Wiege wir
stehen. Möge der Friede von Brest der Ausgangspunkt eines Zusammenwirkens
zwischen Deutschen und Ukrainern werden, das uns befähigte, unsern Friedens-
willen der Welt gegenüber glücklicher zu vertreten, wie in den Jahren vor dem
Weltkriege. Möge aus dem Friedensschluß ein Bündnis der Arbeit erwachsen.




Maßgebliches und Unmaßgebliches

Annektieren. Es ist in unseren Tagen so viel von Annexionen die Rede,
daß es an der Zeit scheint, einmal dem Ursprung des Wortes nachzugehen, das
i>n Deutschen nicht zufällig Fremdwort ist. Aus lateinisch snneotere ist das Zeit¬
wort schon im sechzehnten Jahrhundert ins Deutsche gelangt: in der Form an-
nection ducht es sogleich das erste Fremdwörterbuch unserer Sprache, das Simon
Roth in Augsburg 1571 hat drucken lassen. Die Bedeutung ist hier, dem Latein
entsprechend, „aneinanderknüpfen", und so. bleibt es bis ins 19. Jahrhundert, z. B.
kennt noch Campes Fremdwörterbuch von 1811 allein diese Bedeutung. Inzwischen
hatte bei unseren gegenwärtigen Feinden im Westen eine über das Substantiv
(lat. nexus) geleitete Entwicklung zu französisch annexer. englisch de> Annex geführt.
Als im Jahre 1845 die Vereinigten Staaten dein benachbarten Mexiko den Staat
Texas abnahmen, da fanden die Yankees für ihren Raub den milden Ausdruck
annex, der alsbald europäisches Zeitungswort wurde und in der Form annexieren
nach Deutschland gelangte. Amtlich das Wort zu gebrauchen hatte in Europa
seit etwa 1860 vor allem die Diplomatie, des Lmpirs-Ja-paix Anlaß, namentlich
bei ihrer Politik gegen Sardinien und Savoyen. Das amerikanische Vorbild bleibt
dabei lebendig, so urteilt im Jahre 1865 Heinrich von Treitschke. „Historische Auf¬
sätze" S. 536: „Napoleon der Dritte hat sein berufenes Wort Annexion dem ameri-


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[0219] Maßgebliches und Unmaßgebliches sondern mehr noch dem Volk auch die volle Verantwortung für ein Wasserstraßen- system zu übertragen. Dujepr und Pripet könnten, einmal schiffbar gemacht, für Osteuropa eine ähnliche Bedeutuug gewinnen, wie sie die Donau für Mitteleuropa hat. Die Trockenlegung der Pripetsümpfe und die Beseitigung der Stromschnellen am Unterlauf des Dujepr sind nächst den vorhandenen Reichtümern die Voraus¬ setzungen für die wirtschaftliche Selbständigkeit des Landes. Ich muß mi/leider versagen, die in diesen Zeilen angeschlagenen Probleme tiefer anzufassen. Die staatbildenden Faktoren" der Ukraina habe ich vor drei Jahren an dieser Stelle dargestellt. In Zukunft werden wir uns öfter mit dem jungen Staate zu beschäftigen haben, an dessen gefahrenumbrandeter Wiege wir stehen. Möge der Friede von Brest der Ausgangspunkt eines Zusammenwirkens zwischen Deutschen und Ukrainern werden, das uns befähigte, unsern Friedens- willen der Welt gegenüber glücklicher zu vertreten, wie in den Jahren vor dem Weltkriege. Möge aus dem Friedensschluß ein Bündnis der Arbeit erwachsen. Maßgebliches und Unmaßgebliches Annektieren. Es ist in unseren Tagen so viel von Annexionen die Rede, daß es an der Zeit scheint, einmal dem Ursprung des Wortes nachzugehen, das i>n Deutschen nicht zufällig Fremdwort ist. Aus lateinisch snneotere ist das Zeit¬ wort schon im sechzehnten Jahrhundert ins Deutsche gelangt: in der Form an- nection ducht es sogleich das erste Fremdwörterbuch unserer Sprache, das Simon Roth in Augsburg 1571 hat drucken lassen. Die Bedeutung ist hier, dem Latein entsprechend, „aneinanderknüpfen", und so. bleibt es bis ins 19. Jahrhundert, z. B. kennt noch Campes Fremdwörterbuch von 1811 allein diese Bedeutung. Inzwischen hatte bei unseren gegenwärtigen Feinden im Westen eine über das Substantiv (lat. nexus) geleitete Entwicklung zu französisch annexer. englisch de> Annex geführt. Als im Jahre 1845 die Vereinigten Staaten dein benachbarten Mexiko den Staat Texas abnahmen, da fanden die Yankees für ihren Raub den milden Ausdruck annex, der alsbald europäisches Zeitungswort wurde und in der Form annexieren nach Deutschland gelangte. Amtlich das Wort zu gebrauchen hatte in Europa seit etwa 1860 vor allem die Diplomatie, des Lmpirs-Ja-paix Anlaß, namentlich bei ihrer Politik gegen Sardinien und Savoyen. Das amerikanische Vorbild bleibt dabei lebendig, so urteilt im Jahre 1865 Heinrich von Treitschke. „Historische Auf¬ sätze" S. 536: „Napoleon der Dritte hat sein berufenes Wort Annexion dem ameri-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095/219>, abgerufen am 22.07.2024.