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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr.

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Zur Reform des Herrenhauses

sondern wie unter solchen Bedingungen das gleiche Wahlrecht in Preußen ein¬
geführt wird.

Die hierbei zu beobachtenden "Sicherheitsvorrichtungen, Kautelen und Kom¬
pensationen" sind dann, was vor vierzehn Tagen an dieser Stelle bereits an¬
gedeutet wurde, der "Kernpunkt der preußischen Wahlrechtsfrage". Der bekannte
linksliberale Publizist Hugo Preusz allerdings gebrauchte kürzlich die Wendungen
in verneinenden Sinne*). Gerade "Verständigungen und Kompromisse" bergen
nach seiner Meinung die "größte Gefahr"; entweder die Reform wird die Ein¬
führung des Reichstagswahlrechts schlechthin sein oder sie wird nicht sein.

Dagegen müssen wir mit aller Entschiedenheit betonen, daß für uns jene
"Sicherungen" Mindestforderungen bedeuten, die unter allen Umständen in den
Rahmen der Vorlage einzubauen sind, wenn er nicht gesprengt werden soll.

Man sieht, der Appetit kommt auch den Wahlrechtsfreunden beim Essen;
das außerordentliche prinzipielle Zugeständnis wird sofort zur Plattform, von der
aus man allen unliebsamen Einschränkungen abzuwinken versucht. Schon versieht
die Reformpresse Begriffe wie "Sicherungen" u. a. mit Anführungsstrichen, um
sie anrüchig zu machen, die gröbere Tonart wagt sogar von "Verschandelungen"
zu sprechen und bestreitet damit dem anderen Teile das Recht, seinen Standpunkt
zu wahren. Ein seltsam unbilliges und undankbares Verfahren, wenn man gerade
beschäftigt ist, die eigenen Scheuern zu füllen.

Bei der Gelegenheit wird mit Begriffen wahrhaft jongliert. Die "Frank¬
furter Zeitung" beschuldigt die "Reaktion" einer "immer dotieren Demagogie", ohne
bei diesen Worten zu stocken und, wenn die Kommissionsberatungen nicht im D-Zug-
Tempo verlaufen, müssen sich die vor dem Wagen mit Fug und Recht erst wägenden
Mehrheitsparteien des Abgeordnetenhauses den Vorwurf "parlamentischer Sabo¬
tage"^) machen lassen. Kommt den Drängern nie der Gedanke, daß gerade ihre
übertriebenen Forderungen eine befriedigende Lösung erschweren und so viel eher
Sabotage am gleichen Wahlrecht genannt werden können? Sie sind es in Wirk¬
lichkeit, die der auf Ausgleich der verschiedenen Interessen ehrlich bedachten Regie¬
rung am störendsten entgegenarbeiten. Daß diese den Trumpf der Möglichkeit
eines gewaltsamen Eingriffs in der Hand habe, sollte man ihr nicht immer wieder
einflüstern. Gerade ein lebhafter Anhänger der Reform, Professor Anschütz, ver¬
neint die staatsrechtliche Zulnssigkeit einer "Oktroyierung". Was übrigens die an¬
geblichen. Verschleppungsabsichten betrifft, wie reimt es sich damit, daß die Mehr-
heit das einfachste Mittel, eine Verlängerung der Legislaturperiode abzulehnen,
bisher noch nicht angewendet hat? Gerade diese ungeduldige Rücksichtslosigkeit,
wo man doch in der Hauptsache den Willen getan bekommen soll, rechtfertigt das
Bedürfnis, sich nach Sicherungen umzusehen, die eine "den Staatswagen zerbrechende
Geschwindigkeit" lBismarck) verhüten.

Es kann sich hier nicht darum handeln, sie der Reihe nach zu betrachten,
in Heft 4 der "Grenzboten" hat sie Friedrich Thinae ziemlich vollständig zu¬
zusammengestellt. Wir möchten heute nur eine Frage herausgreifen, deren Beach¬
tung und Vertiefung uns besonders wichtig erscheint, nämlich die jetzt gerade auch
die .Kommission beschäftigende Reform des Herrenhauses.

Die Ansichten über diesen zweiten Faktor der Gesetzgebung gehen ja weit
auseinander. Gegner des Zweikammersystems, z. B. die Sozialdemokraten, halten
seine Existenz für überflüssig, indem sie darauf hinweisen, daß man doch auch im
Reiche mit einem einzigen Parlament auskomme. Doch hier liegen die Dinge
anders, insofern der Bundesrat, wenn er sich auch sonst nicht mit einem Ober¬
haus vergleichen läßt, bis zu einem gewissen Grade die Stelle eines solchen vertritt,
und ein drittes Organ den Betrieb allzusehr komplizieren würde. Andere wollen die
erste Kammer zwar beibehalten, weil es, wie Fürst Lichnowsky im "Berliner Tage¬
blatt" sich ausdrückt, immerhin "nützlich" sei, "eine Körperschaft zu erhalten, die für




*) "Europäische Staats- und WirtschaftS-Zeitung" II. Jahrg. Ur. 62 (1917).
"
Bon Theodor Heuß in "Deutsche Politik (1918), Heft 4.
Zur Reform des Herrenhauses

sondern wie unter solchen Bedingungen das gleiche Wahlrecht in Preußen ein¬
geführt wird.

Die hierbei zu beobachtenden „Sicherheitsvorrichtungen, Kautelen und Kom¬
pensationen" sind dann, was vor vierzehn Tagen an dieser Stelle bereits an¬
gedeutet wurde, der „Kernpunkt der preußischen Wahlrechtsfrage". Der bekannte
linksliberale Publizist Hugo Preusz allerdings gebrauchte kürzlich die Wendungen
in verneinenden Sinne*). Gerade „Verständigungen und Kompromisse" bergen
nach seiner Meinung die „größte Gefahr"; entweder die Reform wird die Ein¬
führung des Reichstagswahlrechts schlechthin sein oder sie wird nicht sein.

Dagegen müssen wir mit aller Entschiedenheit betonen, daß für uns jene
„Sicherungen" Mindestforderungen bedeuten, die unter allen Umständen in den
Rahmen der Vorlage einzubauen sind, wenn er nicht gesprengt werden soll.

Man sieht, der Appetit kommt auch den Wahlrechtsfreunden beim Essen;
das außerordentliche prinzipielle Zugeständnis wird sofort zur Plattform, von der
aus man allen unliebsamen Einschränkungen abzuwinken versucht. Schon versieht
die Reformpresse Begriffe wie „Sicherungen" u. a. mit Anführungsstrichen, um
sie anrüchig zu machen, die gröbere Tonart wagt sogar von „Verschandelungen"
zu sprechen und bestreitet damit dem anderen Teile das Recht, seinen Standpunkt
zu wahren. Ein seltsam unbilliges und undankbares Verfahren, wenn man gerade
beschäftigt ist, die eigenen Scheuern zu füllen.

Bei der Gelegenheit wird mit Begriffen wahrhaft jongliert. Die „Frank¬
furter Zeitung" beschuldigt die „Reaktion" einer „immer dotieren Demagogie", ohne
bei diesen Worten zu stocken und, wenn die Kommissionsberatungen nicht im D-Zug-
Tempo verlaufen, müssen sich die vor dem Wagen mit Fug und Recht erst wägenden
Mehrheitsparteien des Abgeordnetenhauses den Vorwurf „parlamentischer Sabo¬
tage"^) machen lassen. Kommt den Drängern nie der Gedanke, daß gerade ihre
übertriebenen Forderungen eine befriedigende Lösung erschweren und so viel eher
Sabotage am gleichen Wahlrecht genannt werden können? Sie sind es in Wirk¬
lichkeit, die der auf Ausgleich der verschiedenen Interessen ehrlich bedachten Regie¬
rung am störendsten entgegenarbeiten. Daß diese den Trumpf der Möglichkeit
eines gewaltsamen Eingriffs in der Hand habe, sollte man ihr nicht immer wieder
einflüstern. Gerade ein lebhafter Anhänger der Reform, Professor Anschütz, ver¬
neint die staatsrechtliche Zulnssigkeit einer „Oktroyierung". Was übrigens die an¬
geblichen. Verschleppungsabsichten betrifft, wie reimt es sich damit, daß die Mehr-
heit das einfachste Mittel, eine Verlängerung der Legislaturperiode abzulehnen,
bisher noch nicht angewendet hat? Gerade diese ungeduldige Rücksichtslosigkeit,
wo man doch in der Hauptsache den Willen getan bekommen soll, rechtfertigt das
Bedürfnis, sich nach Sicherungen umzusehen, die eine „den Staatswagen zerbrechende
Geschwindigkeit" lBismarck) verhüten.

Es kann sich hier nicht darum handeln, sie der Reihe nach zu betrachten,
in Heft 4 der „Grenzboten" hat sie Friedrich Thinae ziemlich vollständig zu¬
zusammengestellt. Wir möchten heute nur eine Frage herausgreifen, deren Beach¬
tung und Vertiefung uns besonders wichtig erscheint, nämlich die jetzt gerade auch
die .Kommission beschäftigende Reform des Herrenhauses.

Die Ansichten über diesen zweiten Faktor der Gesetzgebung gehen ja weit
auseinander. Gegner des Zweikammersystems, z. B. die Sozialdemokraten, halten
seine Existenz für überflüssig, indem sie darauf hinweisen, daß man doch auch im
Reiche mit einem einzigen Parlament auskomme. Doch hier liegen die Dinge
anders, insofern der Bundesrat, wenn er sich auch sonst nicht mit einem Ober¬
haus vergleichen läßt, bis zu einem gewissen Grade die Stelle eines solchen vertritt,
und ein drittes Organ den Betrieb allzusehr komplizieren würde. Andere wollen die
erste Kammer zwar beibehalten, weil es, wie Fürst Lichnowsky im „Berliner Tage¬
blatt" sich ausdrückt, immerhin „nützlich" sei, „eine Körperschaft zu erhalten, die für




*) „Europäische Staats- und WirtschaftS-Zeitung" II. Jahrg. Ur. 62 (1917).
"
Bon Theodor Heuß in „Deutsche Politik (1918), Heft 4.
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[0184] Zur Reform des Herrenhauses sondern wie unter solchen Bedingungen das gleiche Wahlrecht in Preußen ein¬ geführt wird. Die hierbei zu beobachtenden „Sicherheitsvorrichtungen, Kautelen und Kom¬ pensationen" sind dann, was vor vierzehn Tagen an dieser Stelle bereits an¬ gedeutet wurde, der „Kernpunkt der preußischen Wahlrechtsfrage". Der bekannte linksliberale Publizist Hugo Preusz allerdings gebrauchte kürzlich die Wendungen in verneinenden Sinne*). Gerade „Verständigungen und Kompromisse" bergen nach seiner Meinung die „größte Gefahr"; entweder die Reform wird die Ein¬ führung des Reichstagswahlrechts schlechthin sein oder sie wird nicht sein. Dagegen müssen wir mit aller Entschiedenheit betonen, daß für uns jene „Sicherungen" Mindestforderungen bedeuten, die unter allen Umständen in den Rahmen der Vorlage einzubauen sind, wenn er nicht gesprengt werden soll. Man sieht, der Appetit kommt auch den Wahlrechtsfreunden beim Essen; das außerordentliche prinzipielle Zugeständnis wird sofort zur Plattform, von der aus man allen unliebsamen Einschränkungen abzuwinken versucht. Schon versieht die Reformpresse Begriffe wie „Sicherungen" u. a. mit Anführungsstrichen, um sie anrüchig zu machen, die gröbere Tonart wagt sogar von „Verschandelungen" zu sprechen und bestreitet damit dem anderen Teile das Recht, seinen Standpunkt zu wahren. Ein seltsam unbilliges und undankbares Verfahren, wenn man gerade beschäftigt ist, die eigenen Scheuern zu füllen. Bei der Gelegenheit wird mit Begriffen wahrhaft jongliert. Die „Frank¬ furter Zeitung" beschuldigt die „Reaktion" einer „immer dotieren Demagogie", ohne bei diesen Worten zu stocken und, wenn die Kommissionsberatungen nicht im D-Zug- Tempo verlaufen, müssen sich die vor dem Wagen mit Fug und Recht erst wägenden Mehrheitsparteien des Abgeordnetenhauses den Vorwurf „parlamentischer Sabo¬ tage"^) machen lassen. Kommt den Drängern nie der Gedanke, daß gerade ihre übertriebenen Forderungen eine befriedigende Lösung erschweren und so viel eher Sabotage am gleichen Wahlrecht genannt werden können? Sie sind es in Wirk¬ lichkeit, die der auf Ausgleich der verschiedenen Interessen ehrlich bedachten Regie¬ rung am störendsten entgegenarbeiten. Daß diese den Trumpf der Möglichkeit eines gewaltsamen Eingriffs in der Hand habe, sollte man ihr nicht immer wieder einflüstern. Gerade ein lebhafter Anhänger der Reform, Professor Anschütz, ver¬ neint die staatsrechtliche Zulnssigkeit einer „Oktroyierung". Was übrigens die an¬ geblichen. Verschleppungsabsichten betrifft, wie reimt es sich damit, daß die Mehr- heit das einfachste Mittel, eine Verlängerung der Legislaturperiode abzulehnen, bisher noch nicht angewendet hat? Gerade diese ungeduldige Rücksichtslosigkeit, wo man doch in der Hauptsache den Willen getan bekommen soll, rechtfertigt das Bedürfnis, sich nach Sicherungen umzusehen, die eine „den Staatswagen zerbrechende Geschwindigkeit" lBismarck) verhüten. Es kann sich hier nicht darum handeln, sie der Reihe nach zu betrachten, in Heft 4 der „Grenzboten" hat sie Friedrich Thinae ziemlich vollständig zu¬ zusammengestellt. Wir möchten heute nur eine Frage herausgreifen, deren Beach¬ tung und Vertiefung uns besonders wichtig erscheint, nämlich die jetzt gerade auch die .Kommission beschäftigende Reform des Herrenhauses. Die Ansichten über diesen zweiten Faktor der Gesetzgebung gehen ja weit auseinander. Gegner des Zweikammersystems, z. B. die Sozialdemokraten, halten seine Existenz für überflüssig, indem sie darauf hinweisen, daß man doch auch im Reiche mit einem einzigen Parlament auskomme. Doch hier liegen die Dinge anders, insofern der Bundesrat, wenn er sich auch sonst nicht mit einem Ober¬ haus vergleichen läßt, bis zu einem gewissen Grade die Stelle eines solchen vertritt, und ein drittes Organ den Betrieb allzusehr komplizieren würde. Andere wollen die erste Kammer zwar beibehalten, weil es, wie Fürst Lichnowsky im „Berliner Tage¬ blatt" sich ausdrückt, immerhin „nützlich" sei, „eine Körperschaft zu erhalten, die für *) „Europäische Staats- und WirtschaftS-Zeitung" II. Jahrg. Ur. 62 (1917). " Bon Theodor Heuß in „Deutsche Politik (1918), Heft 4.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095/184>, abgerufen am 22.07.2024.