Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr.Vesterreichisch - ungarisch" Ariegszielpolitik Magyaren zahlenmäßig eine Minderheit gegenüber Slowenen, Rumänen, Tschechen Herrscht nun schon in einer so wichtigen Frage, wie der österreichisch-unga¬ *) "Osterreichische Rundschau" v. 1. Nov. 1917 S. 107. **) E. Treumund, ebenda v. 16. Jan. 1918 S. S1. ° *") Krakau 1914. Druck und Verlag von M. Deutscher. S. 50.
Vesterreichisch - ungarisch« Ariegszielpolitik Magyaren zahlenmäßig eine Minderheit gegenüber Slowenen, Rumänen, Tschechen Herrscht nun schon in einer so wichtigen Frage, wie der österreichisch-unga¬ *) „Osterreichische Rundschau" v. 1. Nov. 1917 S. 107. **) E. Treumund, ebenda v. 16. Jan. 1918 S. S1. ° *") Krakau 1914. Druck und Verlag von M. Deutscher. S. 50.
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0166" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/333263"/> <fw type="header" place="top"> Vesterreichisch - ungarisch« Ariegszielpolitik</fw><lb/> <p xml:id="ID_573" prev="#ID_572"> Magyaren zahlenmäßig eine Minderheit gegenüber Slowenen, Rumänen, Tschechen<lb/> und Deutschen bilden, müßte die größten, an den Grundlagen ihres zentralistischen<lb/> Staates rührenden Konzessionen machen, wollte er die Formel Czernins, die die¬<lb/> jenige der Russen, Wilsons und der Sozialdemokraten Österreich-Ungarns ist, glatt<lb/> annehmen. Aber wo schließlich ein Ausgleich gefunden werden muß, wie hier, wo<lb/> die beiden Staaten aufeinander augewiesen sind, da wird auch ein Weg erkundet<lb/> werden, wenn wir ihn heute auch noch nicht sehen. Die Gedanken, die in Weckerles<lb/> schon erwähnten Worten, daß ein engeres Verhältnis mit Deutschland aus höheren<lb/> volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten wichtig sei, gipfeln, schließen aus diesem Zu¬<lb/> sammenhange heraus nicht nur weltwirtschaftliche Probleme ein, sondern und in<lb/> erster Linie meinen sie das innerpolitische Problem der Schaffung eines ungarischen<lb/> Staatsvolkes durch Jndustriealisierung des Landes und in dessen Folge soziale<lb/> Hebung der zurückgebliebenen Völkerschaften. Es ist bekannt, daß die Magyaren<lb/> sich bisher als staatbildendes Volk außerordentlich bewährt haben; zu unter-<lb/> suchen, ob ihre Kräfte auch in Zukunft ausreichen würden ihren Staatsgedanken<lb/> den anderen Völkern aufzuzwingen, ist hier nicht der Ort. Augenscheinlich<lb/> wollen sie ihre Kräfte noch mehr wie bisher zusammenfassen, wenn sie gerade jetzt<lb/> danach streben ihr Verhältnis zu Österreich auf einer andern Grundlage aufzubauen,<lb/> als es der Ausgleich vou1867war. DieimvorigenJahre eingeleitete Wahlrechtsreform,<lb/> die ein allgemeines Stimmrecht vorsieht, soll nach Ansicht so tüchtiger Kenner der<lb/> ungarischen Verhältnisse, wie Emil neugeboren*) die überragende Stellung der<lb/> Unabhängigkeitspartei nach sich ziehen, die neben der eigenen Armee, das Sonder¬<lb/> zollgebiet und eine eigene Notenbank anstrebt*"). Angesichts der großen inner-<lb/> politischen Aufgaben, die dergestalt der Ungarn harren, ist es wohl verständlich,<lb/> daß sie danach trachten zwischen sich und Rußland einen befreundeten Staat zu<lb/> schieben, wie es ein mit Osterreich verbundener Polenstaat sein könnte. Hieraus<lb/> wird auch der Ungarn Interesse am Zustandekommen der austropolnischen Lösung<lb/> begreiflich.</p><lb/> <p xml:id="ID_574" next="#ID_575"> Herrscht nun schon in einer so wichtigen Frage, wie der österreichisch-unga¬<lb/> rische Ausgleich es ist, unter den regierenden Faktoren keine Übereinstimmung, so<lb/> darf man auch kaum erwarten, daß man sich in Wien ganz klar darüber ist, was<lb/> in der auswärtigen Politik erreicht werden kann. Kurz vor Ausbruch des Welt¬<lb/> krieges erlebte eine in politischer Hinsicht recht naive Schrift von Octavus „Groß-<lb/> Habsburg das Resultat des russisch-österreischen Krieges 1918" fünf Auflagen'<lb/> die das österreichisch-ungarische Kriegsziel also umschrieb: „Der Niederbruch der<lb/> russischen Großmacht verursachte eine wesentliche Neugestaltung der europäischen<lb/> Machtverhältnisse. Es gab nunmehr Großmächte mit sichtbar aufsteigender Macht-<lb/> und Kulturentwicklung und solche, welche den Höhepunkt staatlicher Führergeltung<lb/> bereits überschritten hatten. Zu den Großstaaten mit aufwärts gerichteter Evolu¬<lb/> tionskurve zählten 1918: Groß-Habsburg mit 99 Millionen Einwohnern, das<lb/> deutsche Reich mit 71 Millionen . .. starken Bevölkerung . . ."Eine der Schrift<lb/> beigelegte Karte zeigt die Ukraina in ihrer vollen ethnographischen Ausdehnung<lb/> als Bestandteil der Habsburgischen Monarchie. Diesem vor vier Jahren aufge-</p><lb/> <note xml:id="FID_72" place="foot"> *) „Osterreichische Rundschau" v. 1. Nov. 1917 S. 107.</note><lb/> <note xml:id="FID_73" place="foot"> **) E. Treumund, ebenda v. 16. Jan. 1918 S. S1.<lb/> °</note><lb/> <note xml:id="FID_74" place="foot"> *") Krakau 1914. Druck und Verlag von M. Deutscher. S. 50.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0166]
Vesterreichisch - ungarisch« Ariegszielpolitik
Magyaren zahlenmäßig eine Minderheit gegenüber Slowenen, Rumänen, Tschechen
und Deutschen bilden, müßte die größten, an den Grundlagen ihres zentralistischen
Staates rührenden Konzessionen machen, wollte er die Formel Czernins, die die¬
jenige der Russen, Wilsons und der Sozialdemokraten Österreich-Ungarns ist, glatt
annehmen. Aber wo schließlich ein Ausgleich gefunden werden muß, wie hier, wo
die beiden Staaten aufeinander augewiesen sind, da wird auch ein Weg erkundet
werden, wenn wir ihn heute auch noch nicht sehen. Die Gedanken, die in Weckerles
schon erwähnten Worten, daß ein engeres Verhältnis mit Deutschland aus höheren
volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten wichtig sei, gipfeln, schließen aus diesem Zu¬
sammenhange heraus nicht nur weltwirtschaftliche Probleme ein, sondern und in
erster Linie meinen sie das innerpolitische Problem der Schaffung eines ungarischen
Staatsvolkes durch Jndustriealisierung des Landes und in dessen Folge soziale
Hebung der zurückgebliebenen Völkerschaften. Es ist bekannt, daß die Magyaren
sich bisher als staatbildendes Volk außerordentlich bewährt haben; zu unter-
suchen, ob ihre Kräfte auch in Zukunft ausreichen würden ihren Staatsgedanken
den anderen Völkern aufzuzwingen, ist hier nicht der Ort. Augenscheinlich
wollen sie ihre Kräfte noch mehr wie bisher zusammenfassen, wenn sie gerade jetzt
danach streben ihr Verhältnis zu Österreich auf einer andern Grundlage aufzubauen,
als es der Ausgleich vou1867war. DieimvorigenJahre eingeleitete Wahlrechtsreform,
die ein allgemeines Stimmrecht vorsieht, soll nach Ansicht so tüchtiger Kenner der
ungarischen Verhältnisse, wie Emil neugeboren*) die überragende Stellung der
Unabhängigkeitspartei nach sich ziehen, die neben der eigenen Armee, das Sonder¬
zollgebiet und eine eigene Notenbank anstrebt*"). Angesichts der großen inner-
politischen Aufgaben, die dergestalt der Ungarn harren, ist es wohl verständlich,
daß sie danach trachten zwischen sich und Rußland einen befreundeten Staat zu
schieben, wie es ein mit Osterreich verbundener Polenstaat sein könnte. Hieraus
wird auch der Ungarn Interesse am Zustandekommen der austropolnischen Lösung
begreiflich.
Herrscht nun schon in einer so wichtigen Frage, wie der österreichisch-unga¬
rische Ausgleich es ist, unter den regierenden Faktoren keine Übereinstimmung, so
darf man auch kaum erwarten, daß man sich in Wien ganz klar darüber ist, was
in der auswärtigen Politik erreicht werden kann. Kurz vor Ausbruch des Welt¬
krieges erlebte eine in politischer Hinsicht recht naive Schrift von Octavus „Groß-
Habsburg das Resultat des russisch-österreischen Krieges 1918" fünf Auflagen'
die das österreichisch-ungarische Kriegsziel also umschrieb: „Der Niederbruch der
russischen Großmacht verursachte eine wesentliche Neugestaltung der europäischen
Machtverhältnisse. Es gab nunmehr Großmächte mit sichtbar aufsteigender Macht-
und Kulturentwicklung und solche, welche den Höhepunkt staatlicher Führergeltung
bereits überschritten hatten. Zu den Großstaaten mit aufwärts gerichteter Evolu¬
tionskurve zählten 1918: Groß-Habsburg mit 99 Millionen Einwohnern, das
deutsche Reich mit 71 Millionen . .. starken Bevölkerung . . ."Eine der Schrift
beigelegte Karte zeigt die Ukraina in ihrer vollen ethnographischen Ausdehnung
als Bestandteil der Habsburgischen Monarchie. Diesem vor vier Jahren aufge-
*) „Osterreichische Rundschau" v. 1. Nov. 1917 S. 107.
**) E. Treumund, ebenda v. 16. Jan. 1918 S. S1.
°
*") Krakau 1914. Druck und Verlag von M. Deutscher. S. 50.
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