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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.

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vor hundert Jahren

Mit kurzem Gebet schloß die von Begeisterung getragene Rede. Das
Lied "Nun danket alle Gott" endete die in der Festordmmg vorgesehene Feier.
Ein Schüler Vater Jahns,. Eduard Dürre, erteilte einem von allen Anwesenden
geteilten Drange folgend der Versammlung den Segen. "Die ganze Er¬
innerungsfülle aller Zeiten", so erzählt nachempfindend ein zeitgenössischer Bericht,
"alten Heldensinnes, überströmte die Gemüter. Es war, als wandelten Helden¬
geister unsichtbar unter uns; es war, als spräche der selige Luther selbst mit
seiner Donnersprache seine Kraftworte."

In derselben Ordnung wie zuvor zogen die Burschen wieder in den Hof.
In zwanglosem Gespräch wurden eifrig die Fragen des Tages erörtert, vor¬
nehmlich die den Studenten am nächsten liegenden Forderungen einer inneren
und äußeren Reform des akademischen Gemeinschaftslebens. Eifrig warben
die Anhänger der burschenschaftlichen Bewegung unter den zahlreichen Lands¬
mannschaften und Finken, das schöne Beispiel, das die Gastgeberin, die Jenaer
Burschenschaft, biete, nachzuahmen: "alle Spaltungen, den Keim so mancher
Händel und Unruhen aufzuheben und sich zu einem großen Ganzen, zu einer
Burschenschaft mit bestimmten Gesetzen zu vereinigen." Der unglückliche Karl
Sand aus Erlangen, der später der Mörder Kotzebues werden sollte, verteilte
ein Flugblatt, das in unKaren, schwärmerischen Worten zu solch neuem Leben
aufrief. Hausbackener, zugleich aber auch überzeugender sprach gleichzeitig
Professor Oken aus Jena den Burschen im Schloßhofe ins Gewissen: "Diesen
Augenblick der Rührung und Stimmung", rief er ihnen zu, "müßt Ihr nicht
verrauschen lassen. Jetzt werdet Ihr einig oder niemals! Macht Euch klar,
daß in dem Augenblicke, wo Ihr Euch zum Studieren entschließet, Euch ganz
Deutschland geöffnet ist. Der studierte spricht nicht mehr die Sprache seines
Dorfes, seiner Stadt; er ist ein universaler Mensch! Ihr sollt nur, auch durch
Eure Einrichtung, das werden, was Ihr alle als Studenten seid, gebildete
Deutsche, die sich alle gleich find, und deren Geschäft überall frei ist." Der
Stand der Gebildeten wiederholt in sich den ganzen Staat und zerstört also
sein Wesen durch Zersplitterung in Parteien.

Auch die Rede Okens war nicht in der Festordnung vorgesehen. Aber
sie brachte das zum Ausdruck, was über die Lutherfeier hinaus von den Leitern
des Wartburgfestes als dauernder Gewinn für die Entwicklung der burschen¬
schaftlichen Bewegung selbstbewußt erstrebt wurde*). Zur Aussprache über
die damit aufgeworfenen Gedanken war jedoch keine Zeit. Ein Trompetenstoß
von den Zinnen der Burg rief um 12 Uhr zum Mittagsmahl.

Im Minnesüngersaal und in den anstoßenden Räumen waren Tische auf¬
geschlagen, an denen außer den Studenten die anwesenden Jenaer Professoren,



*) Die Entwicklung dieser Gedanken kann hier nicht näher verfolgt werden. Ich darf
dazu jedoch auf meine "Geschichte der deutschen Burschenschaft" verweisen, deren erster Band,
die Darstellung der "Vor- und Frühzeit bis zu den Karlsbader Beschlüssen", seit längerer
Zeit bereits gedruckt vorliegt, nach den Wünschen des Verlags (C. Winter in Heidelberg)
aber erst nach Friedensschluß im Buchhandel erscheinen soll.
vor hundert Jahren

Mit kurzem Gebet schloß die von Begeisterung getragene Rede. Das
Lied „Nun danket alle Gott" endete die in der Festordmmg vorgesehene Feier.
Ein Schüler Vater Jahns,. Eduard Dürre, erteilte einem von allen Anwesenden
geteilten Drange folgend der Versammlung den Segen. „Die ganze Er¬
innerungsfülle aller Zeiten", so erzählt nachempfindend ein zeitgenössischer Bericht,
„alten Heldensinnes, überströmte die Gemüter. Es war, als wandelten Helden¬
geister unsichtbar unter uns; es war, als spräche der selige Luther selbst mit
seiner Donnersprache seine Kraftworte."

In derselben Ordnung wie zuvor zogen die Burschen wieder in den Hof.
In zwanglosem Gespräch wurden eifrig die Fragen des Tages erörtert, vor¬
nehmlich die den Studenten am nächsten liegenden Forderungen einer inneren
und äußeren Reform des akademischen Gemeinschaftslebens. Eifrig warben
die Anhänger der burschenschaftlichen Bewegung unter den zahlreichen Lands¬
mannschaften und Finken, das schöne Beispiel, das die Gastgeberin, die Jenaer
Burschenschaft, biete, nachzuahmen: „alle Spaltungen, den Keim so mancher
Händel und Unruhen aufzuheben und sich zu einem großen Ganzen, zu einer
Burschenschaft mit bestimmten Gesetzen zu vereinigen." Der unglückliche Karl
Sand aus Erlangen, der später der Mörder Kotzebues werden sollte, verteilte
ein Flugblatt, das in unKaren, schwärmerischen Worten zu solch neuem Leben
aufrief. Hausbackener, zugleich aber auch überzeugender sprach gleichzeitig
Professor Oken aus Jena den Burschen im Schloßhofe ins Gewissen: „Diesen
Augenblick der Rührung und Stimmung", rief er ihnen zu, „müßt Ihr nicht
verrauschen lassen. Jetzt werdet Ihr einig oder niemals! Macht Euch klar,
daß in dem Augenblicke, wo Ihr Euch zum Studieren entschließet, Euch ganz
Deutschland geöffnet ist. Der studierte spricht nicht mehr die Sprache seines
Dorfes, seiner Stadt; er ist ein universaler Mensch! Ihr sollt nur, auch durch
Eure Einrichtung, das werden, was Ihr alle als Studenten seid, gebildete
Deutsche, die sich alle gleich find, und deren Geschäft überall frei ist." Der
Stand der Gebildeten wiederholt in sich den ganzen Staat und zerstört also
sein Wesen durch Zersplitterung in Parteien.

Auch die Rede Okens war nicht in der Festordnung vorgesehen. Aber
sie brachte das zum Ausdruck, was über die Lutherfeier hinaus von den Leitern
des Wartburgfestes als dauernder Gewinn für die Entwicklung der burschen¬
schaftlichen Bewegung selbstbewußt erstrebt wurde*). Zur Aussprache über
die damit aufgeworfenen Gedanken war jedoch keine Zeit. Ein Trompetenstoß
von den Zinnen der Burg rief um 12 Uhr zum Mittagsmahl.

Im Minnesüngersaal und in den anstoßenden Räumen waren Tische auf¬
geschlagen, an denen außer den Studenten die anwesenden Jenaer Professoren,



*) Die Entwicklung dieser Gedanken kann hier nicht näher verfolgt werden. Ich darf
dazu jedoch auf meine „Geschichte der deutschen Burschenschaft" verweisen, deren erster Band,
die Darstellung der „Vor- und Frühzeit bis zu den Karlsbader Beschlüssen", seit längerer
Zeit bereits gedruckt vorliegt, nach den Wünschen des Verlags (C. Winter in Heidelberg)
aber erst nach Friedensschluß im Buchhandel erscheinen soll.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/86>, abgerufen am 01.09.2024.