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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.

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Belgien

verbürgen. Die unbehinderte und unbedrohte Freiheit aller Völker und Staaten
zu einer vollen Entwicklung, das ist der Kern des von den Mittelmächten ge¬
forderten Prinzips der Freiheit der Meere, ein Ausdruck und ein Kriegsziel, das
von Napoleon dem Ersten stammt und letzten Endes das Ziel seines zwanzigjährigen
Kampfes gegen England war. "ManmußdasLand demMeere entgegenstellen", sagte
er auf Se. Helena. "Man muß das Meer dem Land vermählen", sagen wir heute.

Die belgische Frage bietet England Gelegenheit, sowohl seine politischen und
wirtschaftlichen Freiheitslehrer, die bisher ihm und nur ihm reichen Ertrag gebracht
haben, allgemein in die Tat umzusetzen, als'auch durch ehrliche handelspolitische
Neutralisierung ein für allemal seinen Welthandel aus der chronischen und aussicht¬
losen Kampfstellung zur Weltwirtschaft, in die er seit der Konsolidierung Europas,
der Erstarkung Amerikas, dem Erwachen Ostasiens mit abnehmenden Kräften
mehr und mehr geraten ist, in die Bahnen friedlichen Wettbewerbs zu leiten
und so ihn zu verjüngen, ehe er zum völligen Anachronismus geworden ist.
Die besonderen Mittel zur handelspolitischen Neutralisierung Belgiens wären:

1. Die Umwandlung Antwerpens in einen Freihafen, am besten wohl
in einen Freistaat unter belgischer Oberhoheit, etwa nach der Art
Hamburgs und seines Verhältnisses zum Deutschen Reich;
2. Freie Scheide-, Maas- und Rheinschiffahrt und nach allen Seiten gleich¬
mäßiges Verkehrssystem zu Lande und zu Wasser;
3. Meistbegünstigung und Gleichberechtigung in bezug auf Ein- und Aus¬
fuhr, Abgaben. Niederlassung, Handel und Gewerbe.

Belgien selbst würde den größten Vorteil von solcher wirtschaftlichen Ent¬
fesselung haben und in Antwerpen würde ein neues Brügge entstehen. Der
"Schutz der Kleinstaaten" würde also hier einmal zur Tat werden können.

Einfach ist die noch bleibende Entschädigungsfrage zu lösen: wir
haben nichts dagegen, daß die Entente Belgien für seinen Neutralitätsbruch zu
ihren Gunsten so hoch und so oft entschädigt, wie es ihr gefällt.--

Welche Kompensationen Deutschland für ein so weitgehendes Entgegen¬
kommen in Belgien, das es durch das Recht der ihm in die Hand gezwungenen
Waffen besetzt hält, von der Entente zu fordem hätte, ist eine zweite Frage.
Gering können sie nicht sein; denn es ist anzunehmen, daß dieses Land für die
Entente noch einen weit größeren Wert hat als für Deutschland selbst, nament¬
lich wenn zu gewärtigen ist, daß wir in Ermangelung einer Verständigung
allein behalten, was wir jetzt haben. Von einer bloßen Rückerstattung unserer
Kolonien kann natürlich keine Rede sein, schon weil sich die in unserer Gewalt
befindlichen etwa 10 Millionen Belgier und Franzosen dafür wohl bedanken
werden, den etwa 8 Millionen Schwarzen, die uns weggenommen wurden,
gleichgestellt zu werden -- von jedem sonstigen Vergleiche Belgiens und Nord¬
frankreichs mit Kamerun, Neuguinea usw. zu schweigen. Ostafrika ist übrigens
zum Teil noch unser und der Krieg im Kongobecken ist ein unzweifelhafter
F. - Völkerrechtsbruch



Belgien

verbürgen. Die unbehinderte und unbedrohte Freiheit aller Völker und Staaten
zu einer vollen Entwicklung, das ist der Kern des von den Mittelmächten ge¬
forderten Prinzips der Freiheit der Meere, ein Ausdruck und ein Kriegsziel, das
von Napoleon dem Ersten stammt und letzten Endes das Ziel seines zwanzigjährigen
Kampfes gegen England war. „ManmußdasLand demMeere entgegenstellen", sagte
er auf Se. Helena. „Man muß das Meer dem Land vermählen", sagen wir heute.

Die belgische Frage bietet England Gelegenheit, sowohl seine politischen und
wirtschaftlichen Freiheitslehrer, die bisher ihm und nur ihm reichen Ertrag gebracht
haben, allgemein in die Tat umzusetzen, als'auch durch ehrliche handelspolitische
Neutralisierung ein für allemal seinen Welthandel aus der chronischen und aussicht¬
losen Kampfstellung zur Weltwirtschaft, in die er seit der Konsolidierung Europas,
der Erstarkung Amerikas, dem Erwachen Ostasiens mit abnehmenden Kräften
mehr und mehr geraten ist, in die Bahnen friedlichen Wettbewerbs zu leiten
und so ihn zu verjüngen, ehe er zum völligen Anachronismus geworden ist.
Die besonderen Mittel zur handelspolitischen Neutralisierung Belgiens wären:

1. Die Umwandlung Antwerpens in einen Freihafen, am besten wohl
in einen Freistaat unter belgischer Oberhoheit, etwa nach der Art
Hamburgs und seines Verhältnisses zum Deutschen Reich;
2. Freie Scheide-, Maas- und Rheinschiffahrt und nach allen Seiten gleich¬
mäßiges Verkehrssystem zu Lande und zu Wasser;
3. Meistbegünstigung und Gleichberechtigung in bezug auf Ein- und Aus¬
fuhr, Abgaben. Niederlassung, Handel und Gewerbe.

Belgien selbst würde den größten Vorteil von solcher wirtschaftlichen Ent¬
fesselung haben und in Antwerpen würde ein neues Brügge entstehen. Der
„Schutz der Kleinstaaten" würde also hier einmal zur Tat werden können.

Einfach ist die noch bleibende Entschädigungsfrage zu lösen: wir
haben nichts dagegen, daß die Entente Belgien für seinen Neutralitätsbruch zu
ihren Gunsten so hoch und so oft entschädigt, wie es ihr gefällt.--

Welche Kompensationen Deutschland für ein so weitgehendes Entgegen¬
kommen in Belgien, das es durch das Recht der ihm in die Hand gezwungenen
Waffen besetzt hält, von der Entente zu fordem hätte, ist eine zweite Frage.
Gering können sie nicht sein; denn es ist anzunehmen, daß dieses Land für die
Entente noch einen weit größeren Wert hat als für Deutschland selbst, nament¬
lich wenn zu gewärtigen ist, daß wir in Ermangelung einer Verständigung
allein behalten, was wir jetzt haben. Von einer bloßen Rückerstattung unserer
Kolonien kann natürlich keine Rede sein, schon weil sich die in unserer Gewalt
befindlichen etwa 10 Millionen Belgier und Franzosen dafür wohl bedanken
werden, den etwa 8 Millionen Schwarzen, die uns weggenommen wurden,
gleichgestellt zu werden — von jedem sonstigen Vergleiche Belgiens und Nord¬
frankreichs mit Kamerun, Neuguinea usw. zu schweigen. Ostafrika ist übrigens
zum Teil noch unser und der Krieg im Kongobecken ist ein unzweifelhafter
F. - Völkerrechtsbruch



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[0081] Belgien verbürgen. Die unbehinderte und unbedrohte Freiheit aller Völker und Staaten zu einer vollen Entwicklung, das ist der Kern des von den Mittelmächten ge¬ forderten Prinzips der Freiheit der Meere, ein Ausdruck und ein Kriegsziel, das von Napoleon dem Ersten stammt und letzten Endes das Ziel seines zwanzigjährigen Kampfes gegen England war. „ManmußdasLand demMeere entgegenstellen", sagte er auf Se. Helena. „Man muß das Meer dem Land vermählen", sagen wir heute. Die belgische Frage bietet England Gelegenheit, sowohl seine politischen und wirtschaftlichen Freiheitslehrer, die bisher ihm und nur ihm reichen Ertrag gebracht haben, allgemein in die Tat umzusetzen, als'auch durch ehrliche handelspolitische Neutralisierung ein für allemal seinen Welthandel aus der chronischen und aussicht¬ losen Kampfstellung zur Weltwirtschaft, in die er seit der Konsolidierung Europas, der Erstarkung Amerikas, dem Erwachen Ostasiens mit abnehmenden Kräften mehr und mehr geraten ist, in die Bahnen friedlichen Wettbewerbs zu leiten und so ihn zu verjüngen, ehe er zum völligen Anachronismus geworden ist. Die besonderen Mittel zur handelspolitischen Neutralisierung Belgiens wären: 1. Die Umwandlung Antwerpens in einen Freihafen, am besten wohl in einen Freistaat unter belgischer Oberhoheit, etwa nach der Art Hamburgs und seines Verhältnisses zum Deutschen Reich; 2. Freie Scheide-, Maas- und Rheinschiffahrt und nach allen Seiten gleich¬ mäßiges Verkehrssystem zu Lande und zu Wasser; 3. Meistbegünstigung und Gleichberechtigung in bezug auf Ein- und Aus¬ fuhr, Abgaben. Niederlassung, Handel und Gewerbe. Belgien selbst würde den größten Vorteil von solcher wirtschaftlichen Ent¬ fesselung haben und in Antwerpen würde ein neues Brügge entstehen. Der „Schutz der Kleinstaaten" würde also hier einmal zur Tat werden können. Einfach ist die noch bleibende Entschädigungsfrage zu lösen: wir haben nichts dagegen, daß die Entente Belgien für seinen Neutralitätsbruch zu ihren Gunsten so hoch und so oft entschädigt, wie es ihr gefällt.-- Welche Kompensationen Deutschland für ein so weitgehendes Entgegen¬ kommen in Belgien, das es durch das Recht der ihm in die Hand gezwungenen Waffen besetzt hält, von der Entente zu fordem hätte, ist eine zweite Frage. Gering können sie nicht sein; denn es ist anzunehmen, daß dieses Land für die Entente noch einen weit größeren Wert hat als für Deutschland selbst, nament¬ lich wenn zu gewärtigen ist, daß wir in Ermangelung einer Verständigung allein behalten, was wir jetzt haben. Von einer bloßen Rückerstattung unserer Kolonien kann natürlich keine Rede sein, schon weil sich die in unserer Gewalt befindlichen etwa 10 Millionen Belgier und Franzosen dafür wohl bedanken werden, den etwa 8 Millionen Schwarzen, die uns weggenommen wurden, gleichgestellt zu werden — von jedem sonstigen Vergleiche Belgiens und Nord¬ frankreichs mit Kamerun, Neuguinea usw. zu schweigen. Ostafrika ist übrigens zum Teil noch unser und der Krieg im Kongobecken ist ein unzweifelhafter F. - Völkerrechtsbruch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/81>, abgerufen am 27.07.2024.