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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.

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Vesterreichisch - ungarische Landwirtschaft

land. Die Schafhaltung ist im allgemeinen ein Zeichen einer wenig intensiven
Landwirtschaft, denn die Weidewirtschaft, die mit der Schafhaltung verbunden
ist, erfordert keinen großen Aufwand an Kapital und Arbeit. -- Betrachtet man
die österreichische Reichshälfte für sich allein und vergleicht dieses Gebiet mit
Preußen, so ergibt sich folgendes Bild: Obwohl Preußen der Fläche nach nur
um 16 Prozent größer ist als Osterreich, übertrifft es dieses in der Zahl der
Rinder um 29,5 Prozent, der Schafe um 69,3 Prozent, der Ziegen um
67,3 Prozent, der Schweine um 140 Prozent. Der Fleischverbrauch pro Kopf
und Jahr betrug für Österreich-Ungarn nur etwa 29 Kilogramm gegen 52 Kilo¬
gramm in Deutschland.

3. Die bisherige Leistungsfähigkeit. Früher war die Donaumonarchie ein
ziemlich bedeutendes Ausfuhrland für Körnerfrüchte und auch die Viehausfuhr
war zeitweise recht erheblich; jedoch hat diese Ausfuhr in den letzten Jahren
infolge der steigenden Industrialisierung, der vermehrten Bevölkerung und der
erhöhten Lebensansprüche fast gänzlich aufgehört. Die stark industrialisierte
österreichische Reichshälfte ist in hohem Maße von der Einfuhr des überwiegend
agrarischen Ungarn abhängig. Von dem ungarischen Getreideüberschuß wurden
93,58 Prozent, also fast die gesamte Ausfuhr in Österreich abgesetzt. Des¬
gleichen gelangten von der ungarischen Gesamtviehausfuhr zuletzt gegen 87 Prozent
nach Österreich. Die Mehreinfuhr Österreichs wird ganz überwiegend von Wien
und den Alpenländern verbraucht. Faßt man beide Reichshälften zusammen,
so vermag Österreich-Ungarn sowohl den Bedarf an Brodgetreide wie auch an
Fleisch im großen ganzen durch eigene Erzeugung zu decken. Den Bedarf an
Weizen, Roggen und Hafer vermag die Donaumonarchie zu 99 Prozent, den
Bedarf an Gerste zu 100 Prozent selbst zu decken. Auch beim Mais ist die
Monarchie in Jahren mit befriedigender Ernte bis auf verhältnismäßig kleine
Mengen von der Auslandsznfuhr unabhängig, und von den Kartoffeln gilt
dasselbe, wenn man von den Frühsorten absieht, die zumeist aus Malta und
Italien in einigen hunderttausend Zentnern zur Einfuhr gelangten, sich aber
bei entsprechender Ausnutzung der südlichen Lagen auch zum größten Teile er¬
setzen ließen. Beim Kartoffelbau steht Österreich-Ungarn an dritter Stelle in
der Welt (nach Deutschland und Rußland). In Hülsenfrüchten besteht ziemliche
Ausfuhrmöglichkeit. Erhebliche Ausfuhrwerte verzeichnet auch der Obstbau und
der Hopfenbau. Auf den erstklassiger Hopfen und die hervorragende Malzgerste
stützt sich eine ausgedehnte Bierbrauerei. In der Bierbrauerei und ebenso in
der Spiritusbrennerei steht die Donaumonarchie an vierter Stelle in der Welt.
Eine große Bedeutung hat auch die Rübenzuckerherstellung erlangt, die sich un¬
mittelbar neben jene Deutschlands stellt und erst in der letzten Zeit in manchen
Jahren von der russischen überflügelt worden ist.

Unsere Einfuhr an Lebensmitteln aus Österreich-Ungarn hat gegen früher
erheblich nachgelassen. Im Jahre 1830 machte der österreichisch-ungarische
Weizen noch 36.7 Prozent der deutschen Weizeneinfuhr aus, während er heute


Vesterreichisch - ungarische Landwirtschaft

land. Die Schafhaltung ist im allgemeinen ein Zeichen einer wenig intensiven
Landwirtschaft, denn die Weidewirtschaft, die mit der Schafhaltung verbunden
ist, erfordert keinen großen Aufwand an Kapital und Arbeit. — Betrachtet man
die österreichische Reichshälfte für sich allein und vergleicht dieses Gebiet mit
Preußen, so ergibt sich folgendes Bild: Obwohl Preußen der Fläche nach nur
um 16 Prozent größer ist als Osterreich, übertrifft es dieses in der Zahl der
Rinder um 29,5 Prozent, der Schafe um 69,3 Prozent, der Ziegen um
67,3 Prozent, der Schweine um 140 Prozent. Der Fleischverbrauch pro Kopf
und Jahr betrug für Österreich-Ungarn nur etwa 29 Kilogramm gegen 52 Kilo¬
gramm in Deutschland.

3. Die bisherige Leistungsfähigkeit. Früher war die Donaumonarchie ein
ziemlich bedeutendes Ausfuhrland für Körnerfrüchte und auch die Viehausfuhr
war zeitweise recht erheblich; jedoch hat diese Ausfuhr in den letzten Jahren
infolge der steigenden Industrialisierung, der vermehrten Bevölkerung und der
erhöhten Lebensansprüche fast gänzlich aufgehört. Die stark industrialisierte
österreichische Reichshälfte ist in hohem Maße von der Einfuhr des überwiegend
agrarischen Ungarn abhängig. Von dem ungarischen Getreideüberschuß wurden
93,58 Prozent, also fast die gesamte Ausfuhr in Österreich abgesetzt. Des¬
gleichen gelangten von der ungarischen Gesamtviehausfuhr zuletzt gegen 87 Prozent
nach Österreich. Die Mehreinfuhr Österreichs wird ganz überwiegend von Wien
und den Alpenländern verbraucht. Faßt man beide Reichshälften zusammen,
so vermag Österreich-Ungarn sowohl den Bedarf an Brodgetreide wie auch an
Fleisch im großen ganzen durch eigene Erzeugung zu decken. Den Bedarf an
Weizen, Roggen und Hafer vermag die Donaumonarchie zu 99 Prozent, den
Bedarf an Gerste zu 100 Prozent selbst zu decken. Auch beim Mais ist die
Monarchie in Jahren mit befriedigender Ernte bis auf verhältnismäßig kleine
Mengen von der Auslandsznfuhr unabhängig, und von den Kartoffeln gilt
dasselbe, wenn man von den Frühsorten absieht, die zumeist aus Malta und
Italien in einigen hunderttausend Zentnern zur Einfuhr gelangten, sich aber
bei entsprechender Ausnutzung der südlichen Lagen auch zum größten Teile er¬
setzen ließen. Beim Kartoffelbau steht Österreich-Ungarn an dritter Stelle in
der Welt (nach Deutschland und Rußland). In Hülsenfrüchten besteht ziemliche
Ausfuhrmöglichkeit. Erhebliche Ausfuhrwerte verzeichnet auch der Obstbau und
der Hopfenbau. Auf den erstklassiger Hopfen und die hervorragende Malzgerste
stützt sich eine ausgedehnte Bierbrauerei. In der Bierbrauerei und ebenso in
der Spiritusbrennerei steht die Donaumonarchie an vierter Stelle in der Welt.
Eine große Bedeutung hat auch die Rübenzuckerherstellung erlangt, die sich un¬
mittelbar neben jene Deutschlands stellt und erst in der letzten Zeit in manchen
Jahren von der russischen überflügelt worden ist.

Unsere Einfuhr an Lebensmitteln aus Österreich-Ungarn hat gegen früher
erheblich nachgelassen. Im Jahre 1830 machte der österreichisch-ungarische
Weizen noch 36.7 Prozent der deutschen Weizeneinfuhr aus, während er heute


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[0071] Vesterreichisch - ungarische Landwirtschaft land. Die Schafhaltung ist im allgemeinen ein Zeichen einer wenig intensiven Landwirtschaft, denn die Weidewirtschaft, die mit der Schafhaltung verbunden ist, erfordert keinen großen Aufwand an Kapital und Arbeit. — Betrachtet man die österreichische Reichshälfte für sich allein und vergleicht dieses Gebiet mit Preußen, so ergibt sich folgendes Bild: Obwohl Preußen der Fläche nach nur um 16 Prozent größer ist als Osterreich, übertrifft es dieses in der Zahl der Rinder um 29,5 Prozent, der Schafe um 69,3 Prozent, der Ziegen um 67,3 Prozent, der Schweine um 140 Prozent. Der Fleischverbrauch pro Kopf und Jahr betrug für Österreich-Ungarn nur etwa 29 Kilogramm gegen 52 Kilo¬ gramm in Deutschland. 3. Die bisherige Leistungsfähigkeit. Früher war die Donaumonarchie ein ziemlich bedeutendes Ausfuhrland für Körnerfrüchte und auch die Viehausfuhr war zeitweise recht erheblich; jedoch hat diese Ausfuhr in den letzten Jahren infolge der steigenden Industrialisierung, der vermehrten Bevölkerung und der erhöhten Lebensansprüche fast gänzlich aufgehört. Die stark industrialisierte österreichische Reichshälfte ist in hohem Maße von der Einfuhr des überwiegend agrarischen Ungarn abhängig. Von dem ungarischen Getreideüberschuß wurden 93,58 Prozent, also fast die gesamte Ausfuhr in Österreich abgesetzt. Des¬ gleichen gelangten von der ungarischen Gesamtviehausfuhr zuletzt gegen 87 Prozent nach Österreich. Die Mehreinfuhr Österreichs wird ganz überwiegend von Wien und den Alpenländern verbraucht. Faßt man beide Reichshälften zusammen, so vermag Österreich-Ungarn sowohl den Bedarf an Brodgetreide wie auch an Fleisch im großen ganzen durch eigene Erzeugung zu decken. Den Bedarf an Weizen, Roggen und Hafer vermag die Donaumonarchie zu 99 Prozent, den Bedarf an Gerste zu 100 Prozent selbst zu decken. Auch beim Mais ist die Monarchie in Jahren mit befriedigender Ernte bis auf verhältnismäßig kleine Mengen von der Auslandsznfuhr unabhängig, und von den Kartoffeln gilt dasselbe, wenn man von den Frühsorten absieht, die zumeist aus Malta und Italien in einigen hunderttausend Zentnern zur Einfuhr gelangten, sich aber bei entsprechender Ausnutzung der südlichen Lagen auch zum größten Teile er¬ setzen ließen. Beim Kartoffelbau steht Österreich-Ungarn an dritter Stelle in der Welt (nach Deutschland und Rußland). In Hülsenfrüchten besteht ziemliche Ausfuhrmöglichkeit. Erhebliche Ausfuhrwerte verzeichnet auch der Obstbau und der Hopfenbau. Auf den erstklassiger Hopfen und die hervorragende Malzgerste stützt sich eine ausgedehnte Bierbrauerei. In der Bierbrauerei und ebenso in der Spiritusbrennerei steht die Donaumonarchie an vierter Stelle in der Welt. Eine große Bedeutung hat auch die Rübenzuckerherstellung erlangt, die sich un¬ mittelbar neben jene Deutschlands stellt und erst in der letzten Zeit in manchen Jahren von der russischen überflügelt worden ist. Unsere Einfuhr an Lebensmitteln aus Österreich-Ungarn hat gegen früher erheblich nachgelassen. Im Jahre 1830 machte der österreichisch-ungarische Weizen noch 36.7 Prozent der deutschen Weizeneinfuhr aus, während er heute

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/71>, abgerufen am 01.09.2024.