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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.

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Der altdeutsche Einwanderer im Elsaß

Da war in der Tat unendlich vieles, das auf den Außenstehenden nur
lächerlich wirken konnte: es gab Oberpostsekretäre, die tödlich beleidigt waren,
wenn man sie Herr Postsekretär anredete (-- und erst die Gemahlinnen, denen
man etwas vom Titel ihres Mannes vorenthielt! Im Elsaß sagt man Madame,
und aller Form war Genüge geschehen --), es gab Oberlehrer, die einen
Volksschullehrer nicht als Kollegen gelten lassen wollten, es gab Juristen, die
auf Philologen, und Offiziere, die auf alle Zivilisten von oben herabsahen.
Alle anerzogenen oder ererbten Vorurteile brachte man hierher mit, wo sie
gegenüber den unveräußerlichen Vorzügen des deutschen Wesens grell hervor¬
traten, sehr wenigen kam der Gedanke, daß all dies hier in der Halbfremde
zurückzutreten habe, wo es eine geschlossene deutsche Gesellschaft achtunggebietend
und menschlich gewinnend zu gestalten galt. Die intimen Reize des boden¬
ständigen stammhaften deutschen Lebens, die Welt Jean Pauls, Raabes und
Ludwig Richters, waren diesen Entwurzelten verloren gegangen, sie fristeten
allenfalls noch im Schoße der Familien ein gedrücktes und scheues Dasein, --
was zutage trat, waren all die Unarten einer unausgereiften.. widerspruchs¬
vollen und unschönen Sozialkultur, wie sie namentlich für die traurige Gründer¬
zeit charakteristisch waren.

Und all das wucherte fort, ohne daß diese dem Einheimischen offenkundiger
Mängel nun auch den altdeutschen Kreisen beschämend ins Bewußtsein getreten
wäre, ebensowenig freilich, wie sich das Elsässertum die Dürftigkeit seiner
bourgeoisen Lebensanschauung eingestand und eingesteht. Bei den Eingewanderten
drängte der Stolz auf das junge Reich, dessen Sache man guten Willens, aber
mit höchst unzulänglichen Mitteln vertrat, alle Selbstkritik zurück. Und während
man an Stammtischen Bier trank, Krieger- und andere Vereine gründete. Skat
und Kegel spielte und Sonntags in gewagten Kostümen Bergtouren unternahm,
glaubte man allen Ernstes, der fraglos überlegenen deutschen Kultur in einem
verwelschten Lande Eingang zu verschaffen.

Noch immer ist der Altdeutsche, der hier nur in scheinbar allzu grellen
Farben geschildert wurde, im Elsaß anzutreffen. Gewiß hat er sich mit den
Jahrzehnten einigermaßen dem Laudschaftskolorit angepaßt, seine Kinder, fern
von der Heimat der Eltern aufgewachsen, sprechen eine diesen fremde Sprache,
das Elsässerdeutsch, und sind auf den ersten Blick schwer von den Eingesessenen
zu unterscheiden. So ist es selbstverständlich, daß Bande reiner menschlicher
Zuneigung, wie sie sich über alle geschilderten Gegensätzlichkeiten hinweg auch
von einwandernden zu einheimischen Familien geschlungen haben, die überaus
tiefgehenden Unterschiede von Tradition und Lebenshaltung des öfteren über¬
wunden haben. Die Hemmungen aber waren und sind außerordentlich groß.
Das beweisen vor allem die unter großen Widerständen geschlossenen Mischehen,
in der häufig der eine Teil -- nicht selten war es der deutsche -- die ur¬
sprüngliche Eigenart vollkommen aufgeopfert hat. Nicht wenige der schlimmsten
Französlinge, die sich in den Jahren vor dem Krieg so unheilvoll bemerkbar


Der altdeutsche Einwanderer im Elsaß

Da war in der Tat unendlich vieles, das auf den Außenstehenden nur
lächerlich wirken konnte: es gab Oberpostsekretäre, die tödlich beleidigt waren,
wenn man sie Herr Postsekretär anredete (— und erst die Gemahlinnen, denen
man etwas vom Titel ihres Mannes vorenthielt! Im Elsaß sagt man Madame,
und aller Form war Genüge geschehen —), es gab Oberlehrer, die einen
Volksschullehrer nicht als Kollegen gelten lassen wollten, es gab Juristen, die
auf Philologen, und Offiziere, die auf alle Zivilisten von oben herabsahen.
Alle anerzogenen oder ererbten Vorurteile brachte man hierher mit, wo sie
gegenüber den unveräußerlichen Vorzügen des deutschen Wesens grell hervor¬
traten, sehr wenigen kam der Gedanke, daß all dies hier in der Halbfremde
zurückzutreten habe, wo es eine geschlossene deutsche Gesellschaft achtunggebietend
und menschlich gewinnend zu gestalten galt. Die intimen Reize des boden¬
ständigen stammhaften deutschen Lebens, die Welt Jean Pauls, Raabes und
Ludwig Richters, waren diesen Entwurzelten verloren gegangen, sie fristeten
allenfalls noch im Schoße der Familien ein gedrücktes und scheues Dasein, —
was zutage trat, waren all die Unarten einer unausgereiften.. widerspruchs¬
vollen und unschönen Sozialkultur, wie sie namentlich für die traurige Gründer¬
zeit charakteristisch waren.

Und all das wucherte fort, ohne daß diese dem Einheimischen offenkundiger
Mängel nun auch den altdeutschen Kreisen beschämend ins Bewußtsein getreten
wäre, ebensowenig freilich, wie sich das Elsässertum die Dürftigkeit seiner
bourgeoisen Lebensanschauung eingestand und eingesteht. Bei den Eingewanderten
drängte der Stolz auf das junge Reich, dessen Sache man guten Willens, aber
mit höchst unzulänglichen Mitteln vertrat, alle Selbstkritik zurück. Und während
man an Stammtischen Bier trank, Krieger- und andere Vereine gründete. Skat
und Kegel spielte und Sonntags in gewagten Kostümen Bergtouren unternahm,
glaubte man allen Ernstes, der fraglos überlegenen deutschen Kultur in einem
verwelschten Lande Eingang zu verschaffen.

Noch immer ist der Altdeutsche, der hier nur in scheinbar allzu grellen
Farben geschildert wurde, im Elsaß anzutreffen. Gewiß hat er sich mit den
Jahrzehnten einigermaßen dem Laudschaftskolorit angepaßt, seine Kinder, fern
von der Heimat der Eltern aufgewachsen, sprechen eine diesen fremde Sprache,
das Elsässerdeutsch, und sind auf den ersten Blick schwer von den Eingesessenen
zu unterscheiden. So ist es selbstverständlich, daß Bande reiner menschlicher
Zuneigung, wie sie sich über alle geschilderten Gegensätzlichkeiten hinweg auch
von einwandernden zu einheimischen Familien geschlungen haben, die überaus
tiefgehenden Unterschiede von Tradition und Lebenshaltung des öfteren über¬
wunden haben. Die Hemmungen aber waren und sind außerordentlich groß.
Das beweisen vor allem die unter großen Widerständen geschlossenen Mischehen,
in der häufig der eine Teil — nicht selten war es der deutsche — die ur¬
sprüngliche Eigenart vollkommen aufgeopfert hat. Nicht wenige der schlimmsten
Französlinge, die sich in den Jahren vor dem Krieg so unheilvoll bemerkbar


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/58>, abgerufen am 01.09.2024.