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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.

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Im Kiosk zum'-Pfauen

Pascha hatte zu viele dieser Großen plötzlich aus ihrer Höhe herabfallen sehen,
um an ein solches Glück glauben zu können. Heimlicher Neid von Rivalen und
der Zorn der Geister war ihnen fast immer zum Verhängnis geworden. Wer
sich dagegen die Straßenhunde zu Schützlingen erwählte, konnte sicherlich nicht
an solchen Klippen stranden. Er blieb einfältigen, demütigen Sinnes und jagte
nicht hohen gefährlichen Zielen nach.

Hätte sich auch die kleine Harum an die Tiere gewöhnen können, so wäre
sie nicht das Opfer der bösen Mächte geworden!

Noch oft versuchte Schefik, den Vereinsamten davon zu überzeugen, wie
nutzlos die Trauer sei.

"Öffne wieder die Fenster deiner Seele, Herr," pflegte er dann zu sagen,
"dein Gram wird weichen wie der Nebel, der am Morgen zwischen den Zypressen
hängt. Tu' nur den ersten Schritt wieder ins Leben hinein-, beim zweiten hast
du dann schon Nieder vergessen, daß du gelähmt warst!"

Aber der Pascha hatte immer nur die eine Antwort: "Nein, Schefik, die
Wege sind mir versperrt. Gehe ich den breiten Pfad, so falle ich dem Haß der
Menschen zum Opfer, und wähle ich den schmalen, so stehen die bösen Geister
bereit, mich in ihre Netze zu locken. Mein Leben hat seinen Wegweiser verloren
ich muß nur lernen, zu vergessen!"

Auch an die Tote sollte nichts mehr ihn erinnern. Der kleine Memisch
mar schon bald nach der Geburt seiner Großmutter zur Pflege übergeben worden.
Nun wurden auch Pferde und Wagen verkauft, die Fenster am Kiosk erblindeten
unter rohen Bretterhütten, keine ordnende Hand basee die Blumenbeete auf der
Terrasse weiter betreue".

Die Mauern am Berg zerbröckelten, auch der Garten verwilderte, und bald
verbreitete sich das Gerücht, diese Stätte sei verrufen. Menschen, die vorüber¬
gingen, blieben einen Augenblick stehen und warfen scheue Blicke hinüber nach
dem Rasen, wo der Pfau in stolzer Unnahbarkeit sich erging und das Farben-
wunder seines Gefieders in der Sonne spielen ließ. Niemand hatte gewagt, ihn
zum zweitenmal heimatlos zu machen.




Seit dem Tode des Paschas steht der Mi leer; auch der Pfau hat seine
Rolle ausgespielt. Auf den Höhen über dem Kiosk sitzen an sonnigen Nachmittagen
türkische Frauen plaudernd beisammen. Alle kennen die Geschichte vom Unglück
des gütigen Mannes, und doch lauscht jedes Ohr. wenn eine der Nachbarinnen
dazukommt und wieder zu erzählen beginnt.

Jahr um Jahr reifen die schönsten Früchte im Berggarten, saftige rote
Beeren wachsen auf den Trümmern der Mauer, und doch greift keine Hand ver¬
langend hinüber. Die Kinder wissen es längst schon, daß es Aassak (verboten) ist.
von ihnen zu naschen. "Das bringt euch Unglück und Krankheit," drohen die
Mütter. "Aber unsere Ziege ist neulich herübergesprungen," ruft vorlaut der
kleine Hassan, "und hat sich dort sattgefressen, ohne nachher krank zu werden!"
Bestürzt springt Ayescha Harum aus und hält ihrem Knaben den Mund zu.
Auch die andern Frauen erheben sich, um nach Hause zu gehen.

"Du hast uns die Stunde des Sonnensterbens verdorben," flüstert zürnend
Ayescha Harum. als Mutter und Kind Hand in Hand inmitten der schweigenden


Im Kiosk zum'-Pfauen

Pascha hatte zu viele dieser Großen plötzlich aus ihrer Höhe herabfallen sehen,
um an ein solches Glück glauben zu können. Heimlicher Neid von Rivalen und
der Zorn der Geister war ihnen fast immer zum Verhängnis geworden. Wer
sich dagegen die Straßenhunde zu Schützlingen erwählte, konnte sicherlich nicht
an solchen Klippen stranden. Er blieb einfältigen, demütigen Sinnes und jagte
nicht hohen gefährlichen Zielen nach.

Hätte sich auch die kleine Harum an die Tiere gewöhnen können, so wäre
sie nicht das Opfer der bösen Mächte geworden!

Noch oft versuchte Schefik, den Vereinsamten davon zu überzeugen, wie
nutzlos die Trauer sei.

„Öffne wieder die Fenster deiner Seele, Herr," pflegte er dann zu sagen,
„dein Gram wird weichen wie der Nebel, der am Morgen zwischen den Zypressen
hängt. Tu' nur den ersten Schritt wieder ins Leben hinein-, beim zweiten hast
du dann schon Nieder vergessen, daß du gelähmt warst!"

Aber der Pascha hatte immer nur die eine Antwort: „Nein, Schefik, die
Wege sind mir versperrt. Gehe ich den breiten Pfad, so falle ich dem Haß der
Menschen zum Opfer, und wähle ich den schmalen, so stehen die bösen Geister
bereit, mich in ihre Netze zu locken. Mein Leben hat seinen Wegweiser verloren
ich muß nur lernen, zu vergessen!"

Auch an die Tote sollte nichts mehr ihn erinnern. Der kleine Memisch
mar schon bald nach der Geburt seiner Großmutter zur Pflege übergeben worden.
Nun wurden auch Pferde und Wagen verkauft, die Fenster am Kiosk erblindeten
unter rohen Bretterhütten, keine ordnende Hand basee die Blumenbeete auf der
Terrasse weiter betreue«.

Die Mauern am Berg zerbröckelten, auch der Garten verwilderte, und bald
verbreitete sich das Gerücht, diese Stätte sei verrufen. Menschen, die vorüber¬
gingen, blieben einen Augenblick stehen und warfen scheue Blicke hinüber nach
dem Rasen, wo der Pfau in stolzer Unnahbarkeit sich erging und das Farben-
wunder seines Gefieders in der Sonne spielen ließ. Niemand hatte gewagt, ihn
zum zweitenmal heimatlos zu machen.




Seit dem Tode des Paschas steht der Mi leer; auch der Pfau hat seine
Rolle ausgespielt. Auf den Höhen über dem Kiosk sitzen an sonnigen Nachmittagen
türkische Frauen plaudernd beisammen. Alle kennen die Geschichte vom Unglück
des gütigen Mannes, und doch lauscht jedes Ohr. wenn eine der Nachbarinnen
dazukommt und wieder zu erzählen beginnt.

Jahr um Jahr reifen die schönsten Früchte im Berggarten, saftige rote
Beeren wachsen auf den Trümmern der Mauer, und doch greift keine Hand ver¬
langend hinüber. Die Kinder wissen es längst schon, daß es Aassak (verboten) ist.
von ihnen zu naschen. „Das bringt euch Unglück und Krankheit," drohen die
Mütter. „Aber unsere Ziege ist neulich herübergesprungen," ruft vorlaut der
kleine Hassan, „und hat sich dort sattgefressen, ohne nachher krank zu werden!"
Bestürzt springt Ayescha Harum aus und hält ihrem Knaben den Mund zu.
Auch die andern Frauen erheben sich, um nach Hause zu gehen.

„Du hast uns die Stunde des Sonnensterbens verdorben," flüstert zürnend
Ayescha Harum. als Mutter und Kind Hand in Hand inmitten der schweigenden


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[0369] Im Kiosk zum'-Pfauen Pascha hatte zu viele dieser Großen plötzlich aus ihrer Höhe herabfallen sehen, um an ein solches Glück glauben zu können. Heimlicher Neid von Rivalen und der Zorn der Geister war ihnen fast immer zum Verhängnis geworden. Wer sich dagegen die Straßenhunde zu Schützlingen erwählte, konnte sicherlich nicht an solchen Klippen stranden. Er blieb einfältigen, demütigen Sinnes und jagte nicht hohen gefährlichen Zielen nach. Hätte sich auch die kleine Harum an die Tiere gewöhnen können, so wäre sie nicht das Opfer der bösen Mächte geworden! Noch oft versuchte Schefik, den Vereinsamten davon zu überzeugen, wie nutzlos die Trauer sei. „Öffne wieder die Fenster deiner Seele, Herr," pflegte er dann zu sagen, „dein Gram wird weichen wie der Nebel, der am Morgen zwischen den Zypressen hängt. Tu' nur den ersten Schritt wieder ins Leben hinein-, beim zweiten hast du dann schon Nieder vergessen, daß du gelähmt warst!" Aber der Pascha hatte immer nur die eine Antwort: „Nein, Schefik, die Wege sind mir versperrt. Gehe ich den breiten Pfad, so falle ich dem Haß der Menschen zum Opfer, und wähle ich den schmalen, so stehen die bösen Geister bereit, mich in ihre Netze zu locken. Mein Leben hat seinen Wegweiser verloren ich muß nur lernen, zu vergessen!" Auch an die Tote sollte nichts mehr ihn erinnern. Der kleine Memisch mar schon bald nach der Geburt seiner Großmutter zur Pflege übergeben worden. Nun wurden auch Pferde und Wagen verkauft, die Fenster am Kiosk erblindeten unter rohen Bretterhütten, keine ordnende Hand basee die Blumenbeete auf der Terrasse weiter betreue«. Die Mauern am Berg zerbröckelten, auch der Garten verwilderte, und bald verbreitete sich das Gerücht, diese Stätte sei verrufen. Menschen, die vorüber¬ gingen, blieben einen Augenblick stehen und warfen scheue Blicke hinüber nach dem Rasen, wo der Pfau in stolzer Unnahbarkeit sich erging und das Farben- wunder seines Gefieders in der Sonne spielen ließ. Niemand hatte gewagt, ihn zum zweitenmal heimatlos zu machen. Seit dem Tode des Paschas steht der Mi leer; auch der Pfau hat seine Rolle ausgespielt. Auf den Höhen über dem Kiosk sitzen an sonnigen Nachmittagen türkische Frauen plaudernd beisammen. Alle kennen die Geschichte vom Unglück des gütigen Mannes, und doch lauscht jedes Ohr. wenn eine der Nachbarinnen dazukommt und wieder zu erzählen beginnt. Jahr um Jahr reifen die schönsten Früchte im Berggarten, saftige rote Beeren wachsen auf den Trümmern der Mauer, und doch greift keine Hand ver¬ langend hinüber. Die Kinder wissen es längst schon, daß es Aassak (verboten) ist. von ihnen zu naschen. „Das bringt euch Unglück und Krankheit," drohen die Mütter. „Aber unsere Ziege ist neulich herübergesprungen," ruft vorlaut der kleine Hassan, „und hat sich dort sattgefressen, ohne nachher krank zu werden!" Bestürzt springt Ayescha Harum aus und hält ihrem Knaben den Mund zu. Auch die andern Frauen erheben sich, um nach Hause zu gehen. „Du hast uns die Stunde des Sonnensterbens verdorben," flüstert zürnend Ayescha Harum. als Mutter und Kind Hand in Hand inmitten der schweigenden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/369>, abgerufen am 09.11.2024.