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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.

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Im Kiosk zum Pfauen

Im Alost zum Pfauen
Line türkische "Lrzählung
M. Sven Larsen von

! iazim Pascha lebt längst nicht mehr. Zwar gehörte er nicht zu jenen
Machthabern des alten Regimes, die durch die jungtürkische Revo-
jlution hinweggefegt wurden; sein freundliches, offenes Wesen und
die Gradheit seiner Gesinnung, Eigenschaften, die im alten Stambul
! seltener waren als Perlen und Edelsteine, hatten ihn davor bewahrt,
ein ruhmloses Ende nehmen zu müssen. Aber die Aufregungen jener Tage waren
auch an ihm nicht spurlos vorübergegangen', er starb im zweiten Frühling der
neuen Freiheit und wurde unter den Zypressen von Rumeli Hissar im Angesicht
des Bosporus begraben. "Das brausende Lied seiner Wogen ist durch meine
Tage gerauscht und soll mir auch in der Nacht nicht fehlen," so hatte er noch
kurz vor dem Ende geäußert. Man ehrte diesen Wunsch und brach mit einer
alten Überlieferung, denn bisher waren sämtliche Vorfahren des Paschas in Eyoub
am Goldenen Horn zur Ruhe bestattet worden.

Die Männer und Knaben des Dorfes begleiteten den Leichenzug, auch vom
cmatolischen Ufer kamen seine Freunde in Barken herüber. Zehn Derwische schritten
dem Sarge voran und murmelten die Totengebete.

Alles dies wäre noch nichts Auffälliges gewesen, denn der Türke ehrt auch
den Toten, den er im Leben nicht kannte. Der Vorübergehende schließt sich oft
genug einem Trauergefolge an und leiht selbst den Sargträgern bereitwillig, seine
Hilfe. Aber daß zwei Straßenhunde den Leichenzug Kiazim Paschas begleiteten
und auch nachher, als sich schon das Grab geschlossen hatte, nicht vom Friedhof
wichen, sondern laut heulend zwischen den Zypressen umherirrten, ähnliches war
noch nicht vorgekommen. Auch später verließen sie diesen Ort nicht mehr. Auf
der Straße, die den Friedhof vorn Wasser trennt, wurden sie heimisch, nährten
sich von Brocken, die ihnen zugeworfen wurden, krochen nachts unter eine zer¬
fallene Mauer und gingen erst im folgenden Winter bei Schnee und Kälte
zugrunde.

Merkwürdig genug, auch diese zwei Hunde gehörten nicht zu den Opfern
der türkischen Revolution! Bis dahin hatten Tausende dieser mageren und oft
recht bissigen Geschöpfe in den Straßen Stambuls und seiner Vororte gehaust.
Die einzelnen Rudel bewohnten bestimmte Bezirke, einen kleinen Marktplatz, den
Hof vor einer Moschee, ja-selbst Straßen mit lebhaftem Verkehr waren ihre Heimat.
Und diese verteidigten sie alle mit wilder Hartnäckigkeit. Wehe der Bestie, die
sich durch Hunger .oder Abenteurerlust verleiten ließ, ihre eigenen Grenzen zu
überschreiten! Sie wurde unbarmherzig vom feindlichen Rudel überfallen und
oft mit klaffenden Bißwunden wieder heimgeschickt. Daraus entwickelten sich nicht
selten langwierige Fehden zwischen einzelnen Rudeln, die gewöhnlich des Nachts
ausgefochten wurden und friedliche Bürger des Schlafes beraubten..

Die neue Regierung beschloß, mit diesem Übelstand aufzuräumen und ging
ebenso energisch wie grausam zu Werke. Die Tiere wurden von dazu bestellten
Zigeunern und Landstreichern mittels großer Zangen eingefangen, auf Leichter-


Im Kiosk zum Pfauen

Im Alost zum Pfauen
Line türkische «Lrzählung
M. Sven Larsen von

! iazim Pascha lebt längst nicht mehr. Zwar gehörte er nicht zu jenen
Machthabern des alten Regimes, die durch die jungtürkische Revo-
jlution hinweggefegt wurden; sein freundliches, offenes Wesen und
die Gradheit seiner Gesinnung, Eigenschaften, die im alten Stambul
! seltener waren als Perlen und Edelsteine, hatten ihn davor bewahrt,
ein ruhmloses Ende nehmen zu müssen. Aber die Aufregungen jener Tage waren
auch an ihm nicht spurlos vorübergegangen', er starb im zweiten Frühling der
neuen Freiheit und wurde unter den Zypressen von Rumeli Hissar im Angesicht
des Bosporus begraben. „Das brausende Lied seiner Wogen ist durch meine
Tage gerauscht und soll mir auch in der Nacht nicht fehlen," so hatte er noch
kurz vor dem Ende geäußert. Man ehrte diesen Wunsch und brach mit einer
alten Überlieferung, denn bisher waren sämtliche Vorfahren des Paschas in Eyoub
am Goldenen Horn zur Ruhe bestattet worden.

Die Männer und Knaben des Dorfes begleiteten den Leichenzug, auch vom
cmatolischen Ufer kamen seine Freunde in Barken herüber. Zehn Derwische schritten
dem Sarge voran und murmelten die Totengebete.

Alles dies wäre noch nichts Auffälliges gewesen, denn der Türke ehrt auch
den Toten, den er im Leben nicht kannte. Der Vorübergehende schließt sich oft
genug einem Trauergefolge an und leiht selbst den Sargträgern bereitwillig, seine
Hilfe. Aber daß zwei Straßenhunde den Leichenzug Kiazim Paschas begleiteten
und auch nachher, als sich schon das Grab geschlossen hatte, nicht vom Friedhof
wichen, sondern laut heulend zwischen den Zypressen umherirrten, ähnliches war
noch nicht vorgekommen. Auch später verließen sie diesen Ort nicht mehr. Auf
der Straße, die den Friedhof vorn Wasser trennt, wurden sie heimisch, nährten
sich von Brocken, die ihnen zugeworfen wurden, krochen nachts unter eine zer¬
fallene Mauer und gingen erst im folgenden Winter bei Schnee und Kälte
zugrunde.

Merkwürdig genug, auch diese zwei Hunde gehörten nicht zu den Opfern
der türkischen Revolution! Bis dahin hatten Tausende dieser mageren und oft
recht bissigen Geschöpfe in den Straßen Stambuls und seiner Vororte gehaust.
Die einzelnen Rudel bewohnten bestimmte Bezirke, einen kleinen Marktplatz, den
Hof vor einer Moschee, ja-selbst Straßen mit lebhaftem Verkehr waren ihre Heimat.
Und diese verteidigten sie alle mit wilder Hartnäckigkeit. Wehe der Bestie, die
sich durch Hunger .oder Abenteurerlust verleiten ließ, ihre eigenen Grenzen zu
überschreiten! Sie wurde unbarmherzig vom feindlichen Rudel überfallen und
oft mit klaffenden Bißwunden wieder heimgeschickt. Daraus entwickelten sich nicht
selten langwierige Fehden zwischen einzelnen Rudeln, die gewöhnlich des Nachts
ausgefochten wurden und friedliche Bürger des Schlafes beraubten..

Die neue Regierung beschloß, mit diesem Übelstand aufzuräumen und ging
ebenso energisch wie grausam zu Werke. Die Tiere wurden von dazu bestellten
Zigeunern und Landstreichern mittels großer Zangen eingefangen, auf Leichter-


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[0362] Im Kiosk zum Pfauen Im Alost zum Pfauen Line türkische «Lrzählung M. Sven Larsen von ! iazim Pascha lebt längst nicht mehr. Zwar gehörte er nicht zu jenen Machthabern des alten Regimes, die durch die jungtürkische Revo- jlution hinweggefegt wurden; sein freundliches, offenes Wesen und die Gradheit seiner Gesinnung, Eigenschaften, die im alten Stambul ! seltener waren als Perlen und Edelsteine, hatten ihn davor bewahrt, ein ruhmloses Ende nehmen zu müssen. Aber die Aufregungen jener Tage waren auch an ihm nicht spurlos vorübergegangen', er starb im zweiten Frühling der neuen Freiheit und wurde unter den Zypressen von Rumeli Hissar im Angesicht des Bosporus begraben. „Das brausende Lied seiner Wogen ist durch meine Tage gerauscht und soll mir auch in der Nacht nicht fehlen," so hatte er noch kurz vor dem Ende geäußert. Man ehrte diesen Wunsch und brach mit einer alten Überlieferung, denn bisher waren sämtliche Vorfahren des Paschas in Eyoub am Goldenen Horn zur Ruhe bestattet worden. Die Männer und Knaben des Dorfes begleiteten den Leichenzug, auch vom cmatolischen Ufer kamen seine Freunde in Barken herüber. Zehn Derwische schritten dem Sarge voran und murmelten die Totengebete. Alles dies wäre noch nichts Auffälliges gewesen, denn der Türke ehrt auch den Toten, den er im Leben nicht kannte. Der Vorübergehende schließt sich oft genug einem Trauergefolge an und leiht selbst den Sargträgern bereitwillig, seine Hilfe. Aber daß zwei Straßenhunde den Leichenzug Kiazim Paschas begleiteten und auch nachher, als sich schon das Grab geschlossen hatte, nicht vom Friedhof wichen, sondern laut heulend zwischen den Zypressen umherirrten, ähnliches war noch nicht vorgekommen. Auch später verließen sie diesen Ort nicht mehr. Auf der Straße, die den Friedhof vorn Wasser trennt, wurden sie heimisch, nährten sich von Brocken, die ihnen zugeworfen wurden, krochen nachts unter eine zer¬ fallene Mauer und gingen erst im folgenden Winter bei Schnee und Kälte zugrunde. Merkwürdig genug, auch diese zwei Hunde gehörten nicht zu den Opfern der türkischen Revolution! Bis dahin hatten Tausende dieser mageren und oft recht bissigen Geschöpfe in den Straßen Stambuls und seiner Vororte gehaust. Die einzelnen Rudel bewohnten bestimmte Bezirke, einen kleinen Marktplatz, den Hof vor einer Moschee, ja-selbst Straßen mit lebhaftem Verkehr waren ihre Heimat. Und diese verteidigten sie alle mit wilder Hartnäckigkeit. Wehe der Bestie, die sich durch Hunger .oder Abenteurerlust verleiten ließ, ihre eigenen Grenzen zu überschreiten! Sie wurde unbarmherzig vom feindlichen Rudel überfallen und oft mit klaffenden Bißwunden wieder heimgeschickt. Daraus entwickelten sich nicht selten langwierige Fehden zwischen einzelnen Rudeln, die gewöhnlich des Nachts ausgefochten wurden und friedliche Bürger des Schlafes beraubten.. Die neue Regierung beschloß, mit diesem Übelstand aufzuräumen und ging ebenso energisch wie grausam zu Werke. Die Tiere wurden von dazu bestellten Zigeunern und Landstreichern mittels großer Zangen eingefangen, auf Leichter-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/362>, abgerufen am 27.07.2024.