Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.Rolonialverluste und Kriegsziele Dieser Satz findet dann auch auf den kolonialpolitischen Vorschlag der Papstnote Kriegspolitische Fragen wie die vorliegende nach dem Einflüsse der Kolonial¬ Es ist nicht das erstemal, daß England während eines Weltkrieges außer¬ Großmütig machten die Engländer den Franzosen damals das Anerbieten, *) Vgl. den Aufsatz "An der Schwelle einer neudeutschen Kolonialpolitik" von Karstedt
in Heft 50 der "Grenzboten" 1917. Rolonialverluste und Kriegsziele Dieser Satz findet dann auch auf den kolonialpolitischen Vorschlag der Papstnote Kriegspolitische Fragen wie die vorliegende nach dem Einflüsse der Kolonial¬ Es ist nicht das erstemal, daß England während eines Weltkrieges außer¬ Großmütig machten die Engländer den Franzosen damals das Anerbieten, *) Vgl. den Aufsatz „An der Schwelle einer neudeutschen Kolonialpolitik" von Karstedt
in Heft 50 der „Grenzboten" 1917. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0338" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/333053"/> <fw type="header" place="top"> Rolonialverluste und Kriegsziele</fw><lb/> <p xml:id="ID_1089" prev="#ID_1088"> Dieser Satz findet dann auch auf den kolonialpolitischen Vorschlag der Papstnote<lb/> seine Anwendung. Das neue deutsche Kolonialreich, dessen Wiederaufrichtung aus<lb/> tausend Gründen als Kriegsziel nicht aufgegeben werden darf"), kann vielmehr<lb/> erst dann auf feste Füße gestellt werden, wenn dafür zugleich in Europa die nötigen<lb/> Sicherungen geschaffen werden. Erst in festem Zusammenhange mit diesen europäischen<lb/> Sicherungen kann der wahre und dauernde Wert einer Wiedererwerbung des deutsche»<lb/> Kolonialbesitzes zur Geltung kommen. Daß über das Schicksal dieses Besitzes in<lb/> Europa entschieden wird, ist also noch nicht die ganze Wahrheit. Man muß diesen<lb/> Satz vielmehr dahin ergänzen, daß auch eine günstige Entscheidung über dies<lb/> Schicksal für Deutschland erst dann wertvoll, wenn in den europäischen Teilen<lb/> des Friedensinstrumentes die nötigen Sicherungen angebracht werden.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p xml:id="ID_1090"> Kriegspolitische Fragen wie die vorliegende nach dem Einflüsse der Kolonial¬<lb/> verluste auf die Kriegsziele sollten stets mit besonderer Nüchternheit und ohne alle<lb/> Sentimentalität behandelt werden. Es bedarf dazu des rechten kriegspolitischen<lb/> Geistes, der besonders von der Geschichte her gestärkt werden kann. Ungeachtet<lb/> allen Mißbrauches, der während der Kriegsziel- und Friedenserörterungen auch<lb/> in Deutschland mit der Geschichte getrieben worden ist (man denke nur an die Hinweise<lb/> auf den Westfälischen Frieden, den siebenjährigen Krieg und auf Nikolsburg), können<lb/> gerade für das Thema „Kolonialverluste und Kriegsziele" gewisse Lehren der<lb/> Geschichte nutzbar gemacht werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1091"> Es ist nicht das erstemal, daß England während eines Weltkrieges außer¬<lb/> halb Europas zu einer Zeit glänzende Siege ersieht, in der sich seine europäische<lb/> Lage nicht gerade beneidenswert gestaltet. Grundsätzlich ähnlich wie heute ent¬<lb/> wickelte sich das Verhältnis zwischen dem englischen Gewinn in Übersee und dem<lb/> englischen Verlust in Europa am Ende des achtzehnten Jahrhunderts während<lb/> des letzten großen gegen Frankreich geführten Krieges. In der Lage, in der sich<lb/> heute das junge Deutsche Reich befindet, befand sich damals die junge französische<lb/> Republik. Frankreich hatte seine Kolonien in verhältnismäßig kurzer Zeit fast<lb/> alle an England verloren und kaum noch begründete Aussicht, sie wieder zu er¬<lb/> langen. In Europa dagegen hatte Frankreich erhebliche Vorteile erzielt, wenigstens<lb/> die einzelnen Mitglieder des für England gegen die Revolution kämpfenden euro<lb/> Mischen Bundes schwer geschädigt und sich insbesondere der belgischen Lande an¬<lb/> scheinend für immer bemächtigt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1092" next="#ID_1093"> Großmütig machten die Engländer den Franzosen damals das Anerbieten,<lb/> sie würden ihnen ihre Kolonien, an die sich so manche ruhmvolle französische Er¬<lb/> innerung knüpfte, zurückgeben, wenn die Franzosen ihrerseits Belgien räume»<lb/> würden. Die englischen Diplomaten gaben damit zu erkennen, daß sie Belgien<lb/> nicht als dauernde französische Erwerbung, sondern nur als französisches Faust¬<lb/> pfand betrachteten. Sonst hätten sie es nicht gewagt, einen Austausch der Kolonien<lb/> gegen die „französische Ostmark" vorzuschlagen. Die englischen Unterhändler setzten<lb/> also die Frage der französischen Kolonialverluste zwar in Beziehung zu den euro-</p><lb/> <note xml:id="FID_57" place="foot"> *) Vgl. den Aufsatz „An der Schwelle einer neudeutschen Kolonialpolitik" von Karstedt<lb/> in Heft 50 der „Grenzboten" 1917.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0338]
Rolonialverluste und Kriegsziele
Dieser Satz findet dann auch auf den kolonialpolitischen Vorschlag der Papstnote
seine Anwendung. Das neue deutsche Kolonialreich, dessen Wiederaufrichtung aus
tausend Gründen als Kriegsziel nicht aufgegeben werden darf"), kann vielmehr
erst dann auf feste Füße gestellt werden, wenn dafür zugleich in Europa die nötigen
Sicherungen geschaffen werden. Erst in festem Zusammenhange mit diesen europäischen
Sicherungen kann der wahre und dauernde Wert einer Wiedererwerbung des deutsche»
Kolonialbesitzes zur Geltung kommen. Daß über das Schicksal dieses Besitzes in
Europa entschieden wird, ist also noch nicht die ganze Wahrheit. Man muß diesen
Satz vielmehr dahin ergänzen, daß auch eine günstige Entscheidung über dies
Schicksal für Deutschland erst dann wertvoll, wenn in den europäischen Teilen
des Friedensinstrumentes die nötigen Sicherungen angebracht werden.
Kriegspolitische Fragen wie die vorliegende nach dem Einflüsse der Kolonial¬
verluste auf die Kriegsziele sollten stets mit besonderer Nüchternheit und ohne alle
Sentimentalität behandelt werden. Es bedarf dazu des rechten kriegspolitischen
Geistes, der besonders von der Geschichte her gestärkt werden kann. Ungeachtet
allen Mißbrauches, der während der Kriegsziel- und Friedenserörterungen auch
in Deutschland mit der Geschichte getrieben worden ist (man denke nur an die Hinweise
auf den Westfälischen Frieden, den siebenjährigen Krieg und auf Nikolsburg), können
gerade für das Thema „Kolonialverluste und Kriegsziele" gewisse Lehren der
Geschichte nutzbar gemacht werden.
Es ist nicht das erstemal, daß England während eines Weltkrieges außer¬
halb Europas zu einer Zeit glänzende Siege ersieht, in der sich seine europäische
Lage nicht gerade beneidenswert gestaltet. Grundsätzlich ähnlich wie heute ent¬
wickelte sich das Verhältnis zwischen dem englischen Gewinn in Übersee und dem
englischen Verlust in Europa am Ende des achtzehnten Jahrhunderts während
des letzten großen gegen Frankreich geführten Krieges. In der Lage, in der sich
heute das junge Deutsche Reich befindet, befand sich damals die junge französische
Republik. Frankreich hatte seine Kolonien in verhältnismäßig kurzer Zeit fast
alle an England verloren und kaum noch begründete Aussicht, sie wieder zu er¬
langen. In Europa dagegen hatte Frankreich erhebliche Vorteile erzielt, wenigstens
die einzelnen Mitglieder des für England gegen die Revolution kämpfenden euro
Mischen Bundes schwer geschädigt und sich insbesondere der belgischen Lande an¬
scheinend für immer bemächtigt.
Großmütig machten die Engländer den Franzosen damals das Anerbieten,
sie würden ihnen ihre Kolonien, an die sich so manche ruhmvolle französische Er¬
innerung knüpfte, zurückgeben, wenn die Franzosen ihrerseits Belgien räume»
würden. Die englischen Diplomaten gaben damit zu erkennen, daß sie Belgien
nicht als dauernde französische Erwerbung, sondern nur als französisches Faust¬
pfand betrachteten. Sonst hätten sie es nicht gewagt, einen Austausch der Kolonien
gegen die „französische Ostmark" vorzuschlagen. Die englischen Unterhändler setzten
also die Frage der französischen Kolonialverluste zwar in Beziehung zu den euro-
*) Vgl. den Aufsatz „An der Schwelle einer neudeutschen Kolonialpolitik" von Karstedt
in Heft 50 der „Grenzboten" 1917.
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