Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.An der Schwelle einer neudeutschen Kolonialpolitik kolonien Kamerun und Ostafrika nicht zu bestreiten sein. Ostafrika steht jetzt schon An der Schwelle einer neudeutschen Kolonialpolitik kolonien Kamerun und Ostafrika nicht zu bestreiten sein. Ostafrika steht jetzt schon <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0294" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/333009"/> <fw type="header" place="top"> An der Schwelle einer neudeutschen Kolonialpolitik</fw><lb/> <p xml:id="ID_943" prev="#ID_942" next="#ID_944"> kolonien Kamerun und Ostafrika nicht zu bestreiten sein. Ostafrika steht jetzt schon<lb/> mehr als dreiJahre in einer Gegenwehr, deren hervischeLeistungen sich neben dem. was<lb/> unsere Flandernkämpfer vollbringen, sehen lassen können. Machtmittel im modernen<lb/> Sinn waren überhaupt nicht vorhanden, und zwar weder an Menschen noch an<lb/> Material. Zwei glücklich durchgeführte Blockadebrecherfahrten haben während deS<lb/> Krieges den Materialmangel etwas gemildert, und einer auf den Erfolgen einer<lb/> glänzenden Eingeborenenpolitik fußender Organisation ist es zwar gelungen, das<lb/> schwarze Eingeborenentum'der Verteidigung dienstbar zu machen, immerhin: es<lb/> steht auf der einen Seite eine von allem abgeschlossene Handvoll Menschen, die<lb/> aus dem Land zu leben gezwungen ist, auf der anderen eine zwanzig-, dreißig¬<lb/> fache Übermacht, die aus der unbegrenzten Fülle des englischen Imperiums schöpft.<lb/> Jahrelang bindet das ostafrikanische Kontingent — und darin liegt die politisch¬<lb/> strategische Bedeutung des Kampfes — sehr beträchtliche Teile des Gegners, so<lb/> beträchtliche, daß z. B. die südafrikanische Union auch nicht einen Mann mehr nach<lb/> Europa abgeben kannt Dabei soll noch gar nicht im einzelnen an die etwas be¬<lb/> schämende Tatsache erinnert werden, daß es unserer eng-kontinentalen Auffassung<lb/> zu danken ist, wenn Misere Auslandskreuzer mangels überseeischer Stützpunkte im<lb/> Augenblick, wo sie durch den Kriegsausbruch zum Schutz der deutschen Außen¬<lb/> interessen berufen wurden, das Todesurteil erhielten. Der Seekrieg hätte sehr<lb/> wahrscheinlich ein etwas anderes Aussehen bekommen, wenn wir einem Flotten¬<lb/> stützpunkt wie Hongkong oder Colombo etwas Ähnliches hätten entgegensetzen<lb/> können und uns nicht mit der Schaffung nur von Schiffen begnügt hätten, die<lb/> ohne den Rückhalt an Land die für sie gemachten Aufwendungen wahrhaftig nicht<lb/> wert waren. Auch hier bestätigt sich die historische Wahrheit, daß in der Welt¬<lb/> politik das Gefährlichste die halben Taten sind. Daran ändert auch das zwar<lb/> sehr populäre, aber nichtsdestoweniger ebenso falsche.Schlagwort vom kolonialen<lb/> „zur Mietewohnen bei England" nichts. Es mag denk Durchschnittsdeutschen zwar<lb/> eine historisch in Fleisch und Blut übergegangene Auffassung sein, daß das Deutsche<lb/> Reich seine Bedürfnisse in erster Linie den in Europa maßgebenden anzupassen<lb/> habe. Das stimmte solange wir eben nicht der Weltwirtschaftsstaat von heute,<lb/> sondern der ausschließlich oder wenigstens annähernd sich selbst genügende Kon-<lb/> tinentalsiaat noch der sechziger und siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts<lb/> waren. Im Augenblick, als uus wirtschaftlich das Kleid zu eng wurde, als wir<lb/> hinausstrebten, als wir nacheinander mit Ausnahme von England und Amerika<lb/> alle Handelsstaaten überflügelten, verschob sich der Schwerpunkt Deutschlands,<lb/> genau wie Englands Herrschaftszentrum London gleichsam dezentralisiert wurde<lb/> durch das Entstehen des neuenglischen Kolonialreiches mit Kapstadt, Kalkutta,<lb/> Ottawa usw. als Mittelpunkte ebensovieler Dependenzen. Es ist, glaube ich,<lb/> Seelen, der das heutige England einem ins Gigantische, ins Planetarische über¬<lb/> setzten Venedig vergleicht, mit Ozeanen an Stelle von Kanälen. Und Deutsch¬<lb/> land? In gewisser Beziehung ließe sich das Bild auch auf Deutschland anwenden,<lb/> nur mit der Vorbehaltsvorstellung, daß ihm allenthalben auf den Straßen Schranken<lb/> den freien Weg hemmen, deren Obhut seinem Konkurrenten anvertraut ist, daß<lb/> ferner seine Niederlassungen und Filialen nicht in eigenem Heim betrieben werden,<lb/> sondern wie zur Zeit der Hanse als Gast dritter. Zwischen dem Müssen und dem<lb/> Können klafft hier die Lücke. Ein tragischer Konflikt ist es, der in der Tatsache liegt, daß</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0294]
An der Schwelle einer neudeutschen Kolonialpolitik
kolonien Kamerun und Ostafrika nicht zu bestreiten sein. Ostafrika steht jetzt schon
mehr als dreiJahre in einer Gegenwehr, deren hervischeLeistungen sich neben dem. was
unsere Flandernkämpfer vollbringen, sehen lassen können. Machtmittel im modernen
Sinn waren überhaupt nicht vorhanden, und zwar weder an Menschen noch an
Material. Zwei glücklich durchgeführte Blockadebrecherfahrten haben während deS
Krieges den Materialmangel etwas gemildert, und einer auf den Erfolgen einer
glänzenden Eingeborenenpolitik fußender Organisation ist es zwar gelungen, das
schwarze Eingeborenentum'der Verteidigung dienstbar zu machen, immerhin: es
steht auf der einen Seite eine von allem abgeschlossene Handvoll Menschen, die
aus dem Land zu leben gezwungen ist, auf der anderen eine zwanzig-, dreißig¬
fache Übermacht, die aus der unbegrenzten Fülle des englischen Imperiums schöpft.
Jahrelang bindet das ostafrikanische Kontingent — und darin liegt die politisch¬
strategische Bedeutung des Kampfes — sehr beträchtliche Teile des Gegners, so
beträchtliche, daß z. B. die südafrikanische Union auch nicht einen Mann mehr nach
Europa abgeben kannt Dabei soll noch gar nicht im einzelnen an die etwas be¬
schämende Tatsache erinnert werden, daß es unserer eng-kontinentalen Auffassung
zu danken ist, wenn Misere Auslandskreuzer mangels überseeischer Stützpunkte im
Augenblick, wo sie durch den Kriegsausbruch zum Schutz der deutschen Außen¬
interessen berufen wurden, das Todesurteil erhielten. Der Seekrieg hätte sehr
wahrscheinlich ein etwas anderes Aussehen bekommen, wenn wir einem Flotten¬
stützpunkt wie Hongkong oder Colombo etwas Ähnliches hätten entgegensetzen
können und uns nicht mit der Schaffung nur von Schiffen begnügt hätten, die
ohne den Rückhalt an Land die für sie gemachten Aufwendungen wahrhaftig nicht
wert waren. Auch hier bestätigt sich die historische Wahrheit, daß in der Welt¬
politik das Gefährlichste die halben Taten sind. Daran ändert auch das zwar
sehr populäre, aber nichtsdestoweniger ebenso falsche.Schlagwort vom kolonialen
„zur Mietewohnen bei England" nichts. Es mag denk Durchschnittsdeutschen zwar
eine historisch in Fleisch und Blut übergegangene Auffassung sein, daß das Deutsche
Reich seine Bedürfnisse in erster Linie den in Europa maßgebenden anzupassen
habe. Das stimmte solange wir eben nicht der Weltwirtschaftsstaat von heute,
sondern der ausschließlich oder wenigstens annähernd sich selbst genügende Kon-
tinentalsiaat noch der sechziger und siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts
waren. Im Augenblick, als uus wirtschaftlich das Kleid zu eng wurde, als wir
hinausstrebten, als wir nacheinander mit Ausnahme von England und Amerika
alle Handelsstaaten überflügelten, verschob sich der Schwerpunkt Deutschlands,
genau wie Englands Herrschaftszentrum London gleichsam dezentralisiert wurde
durch das Entstehen des neuenglischen Kolonialreiches mit Kapstadt, Kalkutta,
Ottawa usw. als Mittelpunkte ebensovieler Dependenzen. Es ist, glaube ich,
Seelen, der das heutige England einem ins Gigantische, ins Planetarische über¬
setzten Venedig vergleicht, mit Ozeanen an Stelle von Kanälen. Und Deutsch¬
land? In gewisser Beziehung ließe sich das Bild auch auf Deutschland anwenden,
nur mit der Vorbehaltsvorstellung, daß ihm allenthalben auf den Straßen Schranken
den freien Weg hemmen, deren Obhut seinem Konkurrenten anvertraut ist, daß
ferner seine Niederlassungen und Filialen nicht in eigenem Heim betrieben werden,
sondern wie zur Zeit der Hanse als Gast dritter. Zwischen dem Müssen und dem
Können klafft hier die Lücke. Ein tragischer Konflikt ist es, der in der Tatsache liegt, daß
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