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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.

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Die deutsche Arbeiterschaft seit der Reichsgründung

dies Ziel, das die weitesten Ausblicke auf eine liberale Entwicklung eröffnete,
nicht erreicht werden sollte. Und die Schuld besteht in dem willigen Nachgeben
an die polnischen Forderungen. Dergestalt tragen die Polen die volle Verant-
wortung; sie haben es verschuldet durch die Maßlosigkeit ihrer Ansprüche, ihren
kurzsichtigen Egoismus und ihre nationale Eitelkeit, wenn ihnen heute nicht das
große Maß von Freiheit zugebilligt werden darf, das wir ihnen gern eingeräumt
hätten. Von Polen geht die Reaktion aus. die das politische Leben der Völker
beherrschen wird, wie in allen wichtigen Epochen des vorigen Jahrhunderts. Das
sollten die Sentimentalen, die vor dem Schritt der Aussiedlung zittern, sich immer
im Gedächtnis halten: verbreitern wir die nationale Basis deS Deutschtums, so
erweitern wir die Möglichkeiten des politischen Fortschrittes für die Zukunft.




Die deutsche Arbeiterschaft seit der Reichsgründuna
Hadubert von

us dem wilden Chor von Schmähungen und Verleumdungen, den
die bunte Gesellschaft unserer Feinde gegen uns angestimmt hat,
tönt recht zaghaft doch hier und da ein Laut des Staunens hervor:
was ist das für eine unheimliche neue Gestalt, die dieser moderne
Deutsche in sich verkörpert? Ist dieser deutsche Mensch der 42-Zenti¬
meter-Kanonen und der U-Boote noch der plumpe schwärmerische Idealist, den
wir nie so recht verstanden, immer etwas belächelten und verachteten, aber im
Grunde doch leidlich gern hatten? Und vor allem: sind das noch Preußen, Sachsen,
Bayern, ist das nicht vielmehr plötzlich und wider alles Erwarten ein einheitliches,
in sich geschlossenes Volksganzes, das hinter diesem jungen deutschen Reichsbau
steht und Hab und Gut, Leib und Leben für seinen Fortbestand einsetzt? Welche
Kräfte mögen es wohl gewesen sein, die aus dem kunterbunten Gemisch von
Stämmchen und Miniaturstaaten über Nacht ein modernes Staatsvolk mit stahl¬
hart verschweißtem Machtwillen zusammengeschmiedet haben?

Auch wir haben allen Grund, uns diese Frage vorzulegen. Denn tiefer als
es dem Feinde offenkundig wird, fühlen wir uns auch heute noch unserem Sonder¬
staat und Sonderstamm zugehörig. Und nur wie ein kunstvoller Überbau wölbt
sich über unserem einzelstaatlichen Patriotismus das Gefühl unverbrüchlicher Reichs¬
zugehörigkeit. Zu seiner Erstarkung wird -- so hoffen und vertrauen wir --
dieser Krieg sein gutes Teil beitragen. Aber wie wir noch kurz vor seinem Aus¬
bruch ein kräftiges Aufbäumen einzelstaatlicher Sondergefühle erlebten, so haben
wir auch in seinem Verlaufe nicht selten eine Belebung dieser Partikularistischen


Die deutsche Arbeiterschaft seit der Reichsgründung

dies Ziel, das die weitesten Ausblicke auf eine liberale Entwicklung eröffnete,
nicht erreicht werden sollte. Und die Schuld besteht in dem willigen Nachgeben
an die polnischen Forderungen. Dergestalt tragen die Polen die volle Verant-
wortung; sie haben es verschuldet durch die Maßlosigkeit ihrer Ansprüche, ihren
kurzsichtigen Egoismus und ihre nationale Eitelkeit, wenn ihnen heute nicht das
große Maß von Freiheit zugebilligt werden darf, das wir ihnen gern eingeräumt
hätten. Von Polen geht die Reaktion aus. die das politische Leben der Völker
beherrschen wird, wie in allen wichtigen Epochen des vorigen Jahrhunderts. Das
sollten die Sentimentalen, die vor dem Schritt der Aussiedlung zittern, sich immer
im Gedächtnis halten: verbreitern wir die nationale Basis deS Deutschtums, so
erweitern wir die Möglichkeiten des politischen Fortschrittes für die Zukunft.




Die deutsche Arbeiterschaft seit der Reichsgründuna
Hadubert von

us dem wilden Chor von Schmähungen und Verleumdungen, den
die bunte Gesellschaft unserer Feinde gegen uns angestimmt hat,
tönt recht zaghaft doch hier und da ein Laut des Staunens hervor:
was ist das für eine unheimliche neue Gestalt, die dieser moderne
Deutsche in sich verkörpert? Ist dieser deutsche Mensch der 42-Zenti¬
meter-Kanonen und der U-Boote noch der plumpe schwärmerische Idealist, den
wir nie so recht verstanden, immer etwas belächelten und verachteten, aber im
Grunde doch leidlich gern hatten? Und vor allem: sind das noch Preußen, Sachsen,
Bayern, ist das nicht vielmehr plötzlich und wider alles Erwarten ein einheitliches,
in sich geschlossenes Volksganzes, das hinter diesem jungen deutschen Reichsbau
steht und Hab und Gut, Leib und Leben für seinen Fortbestand einsetzt? Welche
Kräfte mögen es wohl gewesen sein, die aus dem kunterbunten Gemisch von
Stämmchen und Miniaturstaaten über Nacht ein modernes Staatsvolk mit stahl¬
hart verschweißtem Machtwillen zusammengeschmiedet haben?

Auch wir haben allen Grund, uns diese Frage vorzulegen. Denn tiefer als
es dem Feinde offenkundig wird, fühlen wir uns auch heute noch unserem Sonder¬
staat und Sonderstamm zugehörig. Und nur wie ein kunstvoller Überbau wölbt
sich über unserem einzelstaatlichen Patriotismus das Gefühl unverbrüchlicher Reichs¬
zugehörigkeit. Zu seiner Erstarkung wird — so hoffen und vertrauen wir —
dieser Krieg sein gutes Teil beitragen. Aber wie wir noch kurz vor seinem Aus¬
bruch ein kräftiges Aufbäumen einzelstaatlicher Sondergefühle erlebten, so haben
wir auch in seinem Verlaufe nicht selten eine Belebung dieser Partikularistischen


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[0274] Die deutsche Arbeiterschaft seit der Reichsgründung dies Ziel, das die weitesten Ausblicke auf eine liberale Entwicklung eröffnete, nicht erreicht werden sollte. Und die Schuld besteht in dem willigen Nachgeben an die polnischen Forderungen. Dergestalt tragen die Polen die volle Verant- wortung; sie haben es verschuldet durch die Maßlosigkeit ihrer Ansprüche, ihren kurzsichtigen Egoismus und ihre nationale Eitelkeit, wenn ihnen heute nicht das große Maß von Freiheit zugebilligt werden darf, das wir ihnen gern eingeräumt hätten. Von Polen geht die Reaktion aus. die das politische Leben der Völker beherrschen wird, wie in allen wichtigen Epochen des vorigen Jahrhunderts. Das sollten die Sentimentalen, die vor dem Schritt der Aussiedlung zittern, sich immer im Gedächtnis halten: verbreitern wir die nationale Basis deS Deutschtums, so erweitern wir die Möglichkeiten des politischen Fortschrittes für die Zukunft. Die deutsche Arbeiterschaft seit der Reichsgründuna Hadubert von us dem wilden Chor von Schmähungen und Verleumdungen, den die bunte Gesellschaft unserer Feinde gegen uns angestimmt hat, tönt recht zaghaft doch hier und da ein Laut des Staunens hervor: was ist das für eine unheimliche neue Gestalt, die dieser moderne Deutsche in sich verkörpert? Ist dieser deutsche Mensch der 42-Zenti¬ meter-Kanonen und der U-Boote noch der plumpe schwärmerische Idealist, den wir nie so recht verstanden, immer etwas belächelten und verachteten, aber im Grunde doch leidlich gern hatten? Und vor allem: sind das noch Preußen, Sachsen, Bayern, ist das nicht vielmehr plötzlich und wider alles Erwarten ein einheitliches, in sich geschlossenes Volksganzes, das hinter diesem jungen deutschen Reichsbau steht und Hab und Gut, Leib und Leben für seinen Fortbestand einsetzt? Welche Kräfte mögen es wohl gewesen sein, die aus dem kunterbunten Gemisch von Stämmchen und Miniaturstaaten über Nacht ein modernes Staatsvolk mit stahl¬ hart verschweißtem Machtwillen zusammengeschmiedet haben? Auch wir haben allen Grund, uns diese Frage vorzulegen. Denn tiefer als es dem Feinde offenkundig wird, fühlen wir uns auch heute noch unserem Sonder¬ staat und Sonderstamm zugehörig. Und nur wie ein kunstvoller Überbau wölbt sich über unserem einzelstaatlichen Patriotismus das Gefühl unverbrüchlicher Reichs¬ zugehörigkeit. Zu seiner Erstarkung wird — so hoffen und vertrauen wir — dieser Krieg sein gutes Teil beitragen. Aber wie wir noch kurz vor seinem Aus¬ bruch ein kräftiges Aufbäumen einzelstaatlicher Sondergefühle erlebten, so haben wir auch in seinem Verlaufe nicht selten eine Belebung dieser Partikularistischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/274>, abgerufen am 09.11.2024.