Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.Im chemisch-baltische" Gebiet während des Weltkrieges ---------- ------- ------ ziehen. Oe iactv ist auch von gemäßigter chemischer Seite über die im "Landtag" Für die nunmehr -- am 6./19. August -- bevorstehenden städtischen Neu¬ Im chemisch-baltische» Gebiet während des Weltkrieges --------— ------- ------ ziehen. Oe iactv ist auch von gemäßigter chemischer Seite über die im „Landtag" Für die nunmehr — am 6./19. August — bevorstehenden städtischen Neu¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0260" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/332975"/> <fw type="header" place="top"> Im chemisch-baltische» Gebiet während des Weltkrieges<lb/> --------— ------- ------</fw><lb/> <p xml:id="ID_850" prev="#ID_849"> ziehen. Oe iactv ist auch von gemäßigter chemischer Seite über die im „Landtag"<lb/> vertretenen jüngst-chemischen Elemente manch mißbilligendes Wort ausgesprochen<lb/> worden und von den neugewählten chemischen „Landräten" faßte es wohl der eine<lb/> oder der andere als einen schlechten Scherz auf, wenn ihn ein Deutscher ganz<lb/> ernsthaft mit „Herr Landrat" anredete. — Zur Eröffnung des „Landtages" war<lb/> auch eine Einladung an die bisherige deutsche Repräsentation in der Person des<lb/> estlandischen Nitterschaftshauptmannes Baron Dellingshausen nicht oder jedenfalls<lb/> nicht in einer annehmbaren Form erfolgt. Und man wunderte sich dann<lb/> estnischerseits, daß auf der Eröffnungssitzung — die übrigens ohne jede gottesdienstliche<lb/> Feier vor sich ging! — die Deutschen den neuen Landtag nicht begrüßt hatten!</p><lb/> <p xml:id="ID_851"> Für die nunmehr — am 6./19. August — bevorstehenden städtischen Neu¬<lb/> wahlen mußte eine vollkommen neue Basis geschaffen werden. Es war selbst¬<lb/> verständlich, daß das alte Wahlrecht, das mit einem Zensus an Jmmobilbesitz im<lb/> Wert von mindestens 1500 Rubel rechnete, unter dem neuen Regime nicht mehr<lb/> würde beibehalten werden können. Die Parole lautete natürlich: allgemeines,<lb/> geheimes, gleiches (also auch für dieFrauen) und direktes Wahlrecht. Dazu aber wurde<lb/> angesichts der nationalen Sonderbestrebungen auch das proportionale Wahlsystem<lb/> beliebt, das jeder Nationalität so ipso eine Vertretung sicherte. Daraus ergab<lb/> sich für die Deutschen eine Vereinfachung der Wahlvorbereitungen. Es war an<lb/> sich klar, daß nun eine rein national deutsche Liste aufgestellt werden konnte, ohne<lb/> daß man auf Kartellbestrebungen mit Ehlen oder Russen hätte ausgehen müssen.<lb/> Eine strategische Auseinandersetzung mit den anderen Nationalitäten — vorläufige<lb/> Besprechungen hatten das klargelegt — konnte vielmehr nach geschehener Wahl<lb/> erfolgen. Es galt also in der Hauptsache, die deutsche Bevölkerung möglichst<lb/> zahlreich an die Wahlurne zu bringen und eine Liste deutscher Kandidaten auf¬<lb/> zustellen. Freilich mußte man sich von vornherein klar darüber sein, daß bei der<lb/> Art und Weise, in der die anderen Parteien Agitation trieben, die Aussichten der<lb/> Deutschen nur gering sein konnten. Das deutsche Programm vertrat bescheidene<lb/> Wünsche, forderte vor allem eine rationelle, sparsame Kommunalpolitik, städtische<lb/> Unternehmungen in den Grenzen des Erreichbaren. Auch die großen Massen<lb/> konnten durch ein Programm nicht die werbende Kraft ausüben, wie das die<lb/> Wahlprogramme der revolutionären Parteien taten, die Neuordnung und Demo¬<lb/> kratisierung von Grund aus nicht nur für Neval und Estland, sondern für das<lb/> ganze Reich forderten. Da wurden für das Volk freier Schulunterricht, billige und<lb/> gute Wohnungen, natürlich der Achtstunden-Arbeitstag — als Maximalleistung<lb/> — und manches andere als das nur durch Eintreten für die Liste der betreffenden Partei<lb/> erreichbare Ziele hingestellt. Am wüstesten trieben es die Maximalisten. Ihre Methode<lb/> wird durch das Faktum gekennzeichnet, daß sie noch am Wahltage, einem Sonn¬<lb/> tage, an den Kirchentüren das Volk darauf aufmerksam machten, wer für die Liste<lb/> der Maximalisten stimme, sei für Jesus Christus, jeder andere stimme für den<lb/> Antichrist. Den wahlberechtigten jungen Mädchen wurden von ihnen nichts mehr<lb/> und nichts weniger als maximalistische Ehemänner in Aussicht gestellt, wenn sie<lb/> ihr Wahlrecht in diesem Sinne ausübten. Demgegenüber rührten sich die Sozial¬<lb/> revolutionäre in dem Bewußtsein, im Augenblick so etwas wie Regierungspartei<lb/> zu sein. Es ergaben sich schließlich ganze 15 Wahllisten, die um die 101 neu zu<lb/> wählenden Stadtverordneten in Wettbewerb traten.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0260]
Im chemisch-baltische» Gebiet während des Weltkrieges
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ziehen. Oe iactv ist auch von gemäßigter chemischer Seite über die im „Landtag"
vertretenen jüngst-chemischen Elemente manch mißbilligendes Wort ausgesprochen
worden und von den neugewählten chemischen „Landräten" faßte es wohl der eine
oder der andere als einen schlechten Scherz auf, wenn ihn ein Deutscher ganz
ernsthaft mit „Herr Landrat" anredete. — Zur Eröffnung des „Landtages" war
auch eine Einladung an die bisherige deutsche Repräsentation in der Person des
estlandischen Nitterschaftshauptmannes Baron Dellingshausen nicht oder jedenfalls
nicht in einer annehmbaren Form erfolgt. Und man wunderte sich dann
estnischerseits, daß auf der Eröffnungssitzung — die übrigens ohne jede gottesdienstliche
Feier vor sich ging! — die Deutschen den neuen Landtag nicht begrüßt hatten!
Für die nunmehr — am 6./19. August — bevorstehenden städtischen Neu¬
wahlen mußte eine vollkommen neue Basis geschaffen werden. Es war selbst¬
verständlich, daß das alte Wahlrecht, das mit einem Zensus an Jmmobilbesitz im
Wert von mindestens 1500 Rubel rechnete, unter dem neuen Regime nicht mehr
würde beibehalten werden können. Die Parole lautete natürlich: allgemeines,
geheimes, gleiches (also auch für dieFrauen) und direktes Wahlrecht. Dazu aber wurde
angesichts der nationalen Sonderbestrebungen auch das proportionale Wahlsystem
beliebt, das jeder Nationalität so ipso eine Vertretung sicherte. Daraus ergab
sich für die Deutschen eine Vereinfachung der Wahlvorbereitungen. Es war an
sich klar, daß nun eine rein national deutsche Liste aufgestellt werden konnte, ohne
daß man auf Kartellbestrebungen mit Ehlen oder Russen hätte ausgehen müssen.
Eine strategische Auseinandersetzung mit den anderen Nationalitäten — vorläufige
Besprechungen hatten das klargelegt — konnte vielmehr nach geschehener Wahl
erfolgen. Es galt also in der Hauptsache, die deutsche Bevölkerung möglichst
zahlreich an die Wahlurne zu bringen und eine Liste deutscher Kandidaten auf¬
zustellen. Freilich mußte man sich von vornherein klar darüber sein, daß bei der
Art und Weise, in der die anderen Parteien Agitation trieben, die Aussichten der
Deutschen nur gering sein konnten. Das deutsche Programm vertrat bescheidene
Wünsche, forderte vor allem eine rationelle, sparsame Kommunalpolitik, städtische
Unternehmungen in den Grenzen des Erreichbaren. Auch die großen Massen
konnten durch ein Programm nicht die werbende Kraft ausüben, wie das die
Wahlprogramme der revolutionären Parteien taten, die Neuordnung und Demo¬
kratisierung von Grund aus nicht nur für Neval und Estland, sondern für das
ganze Reich forderten. Da wurden für das Volk freier Schulunterricht, billige und
gute Wohnungen, natürlich der Achtstunden-Arbeitstag — als Maximalleistung
— und manches andere als das nur durch Eintreten für die Liste der betreffenden Partei
erreichbare Ziele hingestellt. Am wüstesten trieben es die Maximalisten. Ihre Methode
wird durch das Faktum gekennzeichnet, daß sie noch am Wahltage, einem Sonn¬
tage, an den Kirchentüren das Volk darauf aufmerksam machten, wer für die Liste
der Maximalisten stimme, sei für Jesus Christus, jeder andere stimme für den
Antichrist. Den wahlberechtigten jungen Mädchen wurden von ihnen nichts mehr
und nichts weniger als maximalistische Ehemänner in Aussicht gestellt, wenn sie
ihr Wahlrecht in diesem Sinne ausübten. Demgegenüber rührten sich die Sozial¬
revolutionäre in dem Bewußtsein, im Augenblick so etwas wie Regierungspartei
zu sein. Es ergaben sich schließlich ganze 15 Wahllisten, die um die 101 neu zu
wählenden Stadtverordneten in Wettbewerb traten.
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