Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.Das russische Kirchenrecht und die Revolution Wird der Ssobor -- zumal jetzt, unter den äußerst schwierigen politischen Angesichts der überwältigenden Macht der Tatsachen haben die vorliegen¬ Große Entwicklungen sind der russischen Kirche unvermeidlich vorbehalten- Das russische Kirchenrecht und die Revolution Wird der Ssobor — zumal jetzt, unter den äußerst schwierigen politischen Angesichts der überwältigenden Macht der Tatsachen haben die vorliegen¬ Große Entwicklungen sind der russischen Kirche unvermeidlich vorbehalten- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0234" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/332949"/> <fw type="header" place="top"> Das russische Kirchenrecht und die Revolution</fw><lb/> <p xml:id="ID_766"> Wird der Ssobor — zumal jetzt, unter den äußerst schwierigen politischen<lb/> Zuständen — sich seiner außerordentlich wichtigen, hohen Aufgabe gewachsen<lb/> zeigen? Bange Zweifel türmen sich auf bei dem Gedanken, daß anscheinend nur<lb/> unter der Willkürherrschaft der Zaren ein fester Zusammenhang in dem<lb/> russischen Riesenreiche aufrecht zu erhalten war, und daß nach Beseitigung jenes<lb/> Nbels an dessen Stelle zunächst nur ein noch größeres Übel getreten ist, nämlich<lb/> Chaos und Zerfall. — Nach den neuesten, übrigens nur spärlich durchsickernden<lb/> und wenig zuverlässigen Zeitungsberichten über die bisherige Tätigkeit des „All¬<lb/> russischen heiligen Ssobor", der sich bislang mit dem obligatorischen Religions¬<lb/> unterricht in Schulen und mit dergleichen untergeordneten Gegenständen beschäftigt<lb/> hat, gewinnt es den Anschein, als ob die Kirche in keiner Weise die gute Gelegen¬<lb/> heit dazu benutzt hat, sich zu ihrer einstigen autonomen Selbständigkeit und ur¬<lb/> sprünglichen Würde wieder aufzuraffen, ja vielmehr anstatt dessen — Wohl infolge<lb/> .Knebelung seitens der vorläufigen Regierung, also notgedrungen, — es vorzieht,<lb/> fortgesetzt den Rat ihres seitherigen Oberprokurators, in dessen jetziger Gestalt<lb/> als neugeschaffenen Kultusministers, anzurufen und damit aus eigene Kraftentfal¬<lb/> tung zu verzichten. Freilich würde unter solchen Voraussetzungen keine Aussicht<lb/> auf endliche Befreiung von der Bevormundung und auf Wiedererrichtung des<lb/> Patriarchates vorhanden sein. Im Gegenteil erschiene es dann mehr als<lb/> fraglich, ob das an sich legitim zu kirchlicher Selbstbestimmung berufene Konzil<lb/> in Moskau seine Mission, die zugleich sür die politische Neuordnung von großem<lb/> Segen sein könnte, auch nur einigermaßen erfüllen wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_767"> Angesichts der überwältigenden Macht der Tatsachen haben die vorliegen¬<lb/> den Rechtserörterungen lediglich theoretischen Wert. In ihrer Stärke un¬<lb/> berechenbare politische Einflüsse können nämlich auch das Kirchenrecht in Rußland<lb/> dermaßen umwälzen, daß man versucht ist, zu fragen: gehört die Kirche der<lb/> Republik Nußland überhaupt noch zur orientalisch-orthodoxen, d. h. zu der Großen<lb/> Kirche des Orients? Vielleicht ist diese Angelegenheit innerhalb der kirchlichen<lb/> Kreise selbst noch nicht spruchreif. Möglicherweise sind die ernster gesinnten, kon¬<lb/> servativen Bischöfe zu dem Konzil in Moskau nicht erschienen. Oder wagen sie<lb/> nicht, gegen gewisse Beschlüsse zu stimmen, aus Besorgnis, von der demokratischen<lb/> Regierung beseitigt zu werden? Warten die treuen Hüter der canoneg vorsichtig<lb/> der wiederkehrenden Ordnung im Lande? Das alles steht gegenwärtig noch<lb/> dahin. Wenn nun aber beispielsweise jener eingangs wiedergegebene antipaulinische<lb/> Beschluß sogar auch noch von selten der nun wohl bald zusammentretender Kon¬<lb/> stituante durch ein entsprechendes Gesetz die staatliche Bestätigung erhält, so vollzieht<lb/> sich in dem republikanischen Nußland ein höchst bedeutsamer Umsturz, durch den<lb/> die sonst streng apostolischen Grundlagen der Großen Kirche des Orients auf das<lb/> tiefgehendste erschüttert werden würden. Bei der Gesahr einer derartigen<lb/> Umwälzung selbst des seit mehr denn einem Jahrtausend aus festesten<lb/> Grunde ruhenden russischen Kirchenrechtes scheint auch hier, wie überhaupt in<lb/> dem jetzigen Abschnitt der Weltgeschichte, tatsächlich die Zeit im Zeichen der unbe¬<lb/> grenzten Möglichkeiten zu stehen.</p><lb/> <p xml:id="ID_768" next="#ID_769"> Große Entwicklungen sind der russischen Kirche unvermeidlich vorbehalten-<lb/> allein, einstiveilen bleibt voraussichtlich, bis in Rußland eine allgemeine<lb/> gründliche Volksbildung erzielt ist, also wenigstens solange als wir leben, — alles</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0234]
Das russische Kirchenrecht und die Revolution
Wird der Ssobor — zumal jetzt, unter den äußerst schwierigen politischen
Zuständen — sich seiner außerordentlich wichtigen, hohen Aufgabe gewachsen
zeigen? Bange Zweifel türmen sich auf bei dem Gedanken, daß anscheinend nur
unter der Willkürherrschaft der Zaren ein fester Zusammenhang in dem
russischen Riesenreiche aufrecht zu erhalten war, und daß nach Beseitigung jenes
Nbels an dessen Stelle zunächst nur ein noch größeres Übel getreten ist, nämlich
Chaos und Zerfall. — Nach den neuesten, übrigens nur spärlich durchsickernden
und wenig zuverlässigen Zeitungsberichten über die bisherige Tätigkeit des „All¬
russischen heiligen Ssobor", der sich bislang mit dem obligatorischen Religions¬
unterricht in Schulen und mit dergleichen untergeordneten Gegenständen beschäftigt
hat, gewinnt es den Anschein, als ob die Kirche in keiner Weise die gute Gelegen¬
heit dazu benutzt hat, sich zu ihrer einstigen autonomen Selbständigkeit und ur¬
sprünglichen Würde wieder aufzuraffen, ja vielmehr anstatt dessen — Wohl infolge
.Knebelung seitens der vorläufigen Regierung, also notgedrungen, — es vorzieht,
fortgesetzt den Rat ihres seitherigen Oberprokurators, in dessen jetziger Gestalt
als neugeschaffenen Kultusministers, anzurufen und damit aus eigene Kraftentfal¬
tung zu verzichten. Freilich würde unter solchen Voraussetzungen keine Aussicht
auf endliche Befreiung von der Bevormundung und auf Wiedererrichtung des
Patriarchates vorhanden sein. Im Gegenteil erschiene es dann mehr als
fraglich, ob das an sich legitim zu kirchlicher Selbstbestimmung berufene Konzil
in Moskau seine Mission, die zugleich sür die politische Neuordnung von großem
Segen sein könnte, auch nur einigermaßen erfüllen wird.
Angesichts der überwältigenden Macht der Tatsachen haben die vorliegen¬
den Rechtserörterungen lediglich theoretischen Wert. In ihrer Stärke un¬
berechenbare politische Einflüsse können nämlich auch das Kirchenrecht in Rußland
dermaßen umwälzen, daß man versucht ist, zu fragen: gehört die Kirche der
Republik Nußland überhaupt noch zur orientalisch-orthodoxen, d. h. zu der Großen
Kirche des Orients? Vielleicht ist diese Angelegenheit innerhalb der kirchlichen
Kreise selbst noch nicht spruchreif. Möglicherweise sind die ernster gesinnten, kon¬
servativen Bischöfe zu dem Konzil in Moskau nicht erschienen. Oder wagen sie
nicht, gegen gewisse Beschlüsse zu stimmen, aus Besorgnis, von der demokratischen
Regierung beseitigt zu werden? Warten die treuen Hüter der canoneg vorsichtig
der wiederkehrenden Ordnung im Lande? Das alles steht gegenwärtig noch
dahin. Wenn nun aber beispielsweise jener eingangs wiedergegebene antipaulinische
Beschluß sogar auch noch von selten der nun wohl bald zusammentretender Kon¬
stituante durch ein entsprechendes Gesetz die staatliche Bestätigung erhält, so vollzieht
sich in dem republikanischen Nußland ein höchst bedeutsamer Umsturz, durch den
die sonst streng apostolischen Grundlagen der Großen Kirche des Orients auf das
tiefgehendste erschüttert werden würden. Bei der Gesahr einer derartigen
Umwälzung selbst des seit mehr denn einem Jahrtausend aus festesten
Grunde ruhenden russischen Kirchenrechtes scheint auch hier, wie überhaupt in
dem jetzigen Abschnitt der Weltgeschichte, tatsächlich die Zeit im Zeichen der unbe¬
grenzten Möglichkeiten zu stehen.
Große Entwicklungen sind der russischen Kirche unvermeidlich vorbehalten-
allein, einstiveilen bleibt voraussichtlich, bis in Rußland eine allgemeine
gründliche Volksbildung erzielt ist, also wenigstens solange als wir leben, — alles
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