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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.

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Rriegszielc

Das gilt aber schließlich auch weiter für die gesamte politische Debatte. So
seltsam an sich schon in Zeiten ernstester Tat ein bloßes Gerede anmutet -- die
Römer nannten das mit trefflichem Hohne verba avere --, so sollte man sich
schließlich einmal das Folgende klar machen: zwei Drittel aller Reichstagswähler
können sich zurzeit an der Politik gar nicht beteiligen. Alles was jetzt daheim
"in Politik gemacht" wird, ist vorläufig unwirkliche Arbeit. Denn jene zwei
Drittel werden nachher doch machen, was sie wollen, nicht was andere inzwischen
für sie gewollt haben. Nicht einmal daß Gefahr im Verzüge wäre, kann man
einwenden, da selbst bei ärgster politischer Umwälzung das entscheidende Prinzip
des Augenblickes, die Durchführung des Krieges gegen völlig intransigente Gegner,
in nichts geändert werden und immer erst nachher an die Aufgabe herangetreten
werden könnte, die Sache endgültig zu regeln, und zwar im Geiste jener zwei
Drittel zu regeln. Es ist freilich sehr schwer, wenn nicht unmöglich, die sogenannte
allgemeine Stimmung bei einer solchen Millionenmaffe zu ergründen. Nach allen
Anzeichen und nach der gesunden Vernunft des Krieges wird man aber zum
mindesten sagen dürfen, daß die überwiegende Mehrzahl dieser Männer, un¬
beschadet aller Parteirichtung und aller vor drei Jahren eingetrichterten Partei-
disziplin, den Kopf schüttelt, wenn während der furchtbarsten Schlachten, die die
Welt kennt, daheim z. B. darüber gestritten wird, ob Bundesratsmitglieder in den
Reichstag gewählt werden können. Schon ihr Instinkt muß sich dagegen wehren,
in ihrer schweren Arbeit durch solches Gerede veralbert oder gar durch eine sicht¬
lich ganz erfolglose Kannegießerei über Kriegsziele gestört und wahrscheinlich ge¬
fährdet zu werden.

Daß der eine oder andere Parteiheld seinen Namen gern in das gerade
offen liegende Buch der Geschichte eintragen möchte, ist menschlich verständlich.
Aber die Geschichte ist schließlich groß und gerecht und wird, wenn sie Schaden
feststellen muß. der Eintragung die ma-no nvwe nicht ersparen.




Rriegszielc

Das gilt aber schließlich auch weiter für die gesamte politische Debatte. So
seltsam an sich schon in Zeiten ernstester Tat ein bloßes Gerede anmutet — die
Römer nannten das mit trefflichem Hohne verba avere —, so sollte man sich
schließlich einmal das Folgende klar machen: zwei Drittel aller Reichstagswähler
können sich zurzeit an der Politik gar nicht beteiligen. Alles was jetzt daheim
„in Politik gemacht" wird, ist vorläufig unwirkliche Arbeit. Denn jene zwei
Drittel werden nachher doch machen, was sie wollen, nicht was andere inzwischen
für sie gewollt haben. Nicht einmal daß Gefahr im Verzüge wäre, kann man
einwenden, da selbst bei ärgster politischer Umwälzung das entscheidende Prinzip
des Augenblickes, die Durchführung des Krieges gegen völlig intransigente Gegner,
in nichts geändert werden und immer erst nachher an die Aufgabe herangetreten
werden könnte, die Sache endgültig zu regeln, und zwar im Geiste jener zwei
Drittel zu regeln. Es ist freilich sehr schwer, wenn nicht unmöglich, die sogenannte
allgemeine Stimmung bei einer solchen Millionenmaffe zu ergründen. Nach allen
Anzeichen und nach der gesunden Vernunft des Krieges wird man aber zum
mindesten sagen dürfen, daß die überwiegende Mehrzahl dieser Männer, un¬
beschadet aller Parteirichtung und aller vor drei Jahren eingetrichterten Partei-
disziplin, den Kopf schüttelt, wenn während der furchtbarsten Schlachten, die die
Welt kennt, daheim z. B. darüber gestritten wird, ob Bundesratsmitglieder in den
Reichstag gewählt werden können. Schon ihr Instinkt muß sich dagegen wehren,
in ihrer schweren Arbeit durch solches Gerede veralbert oder gar durch eine sicht¬
lich ganz erfolglose Kannegießerei über Kriegsziele gestört und wahrscheinlich ge¬
fährdet zu werden.

Daß der eine oder andere Parteiheld seinen Namen gern in das gerade
offen liegende Buch der Geschichte eintragen möchte, ist menschlich verständlich.
Aber die Geschichte ist schließlich groß und gerecht und wird, wenn sie Schaden
feststellen muß. der Eintragung die ma-no nvwe nicht ersparen.




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[0227] Rriegszielc Das gilt aber schließlich auch weiter für die gesamte politische Debatte. So seltsam an sich schon in Zeiten ernstester Tat ein bloßes Gerede anmutet — die Römer nannten das mit trefflichem Hohne verba avere —, so sollte man sich schließlich einmal das Folgende klar machen: zwei Drittel aller Reichstagswähler können sich zurzeit an der Politik gar nicht beteiligen. Alles was jetzt daheim „in Politik gemacht" wird, ist vorläufig unwirkliche Arbeit. Denn jene zwei Drittel werden nachher doch machen, was sie wollen, nicht was andere inzwischen für sie gewollt haben. Nicht einmal daß Gefahr im Verzüge wäre, kann man einwenden, da selbst bei ärgster politischer Umwälzung das entscheidende Prinzip des Augenblickes, die Durchführung des Krieges gegen völlig intransigente Gegner, in nichts geändert werden und immer erst nachher an die Aufgabe herangetreten werden könnte, die Sache endgültig zu regeln, und zwar im Geiste jener zwei Drittel zu regeln. Es ist freilich sehr schwer, wenn nicht unmöglich, die sogenannte allgemeine Stimmung bei einer solchen Millionenmaffe zu ergründen. Nach allen Anzeichen und nach der gesunden Vernunft des Krieges wird man aber zum mindesten sagen dürfen, daß die überwiegende Mehrzahl dieser Männer, un¬ beschadet aller Parteirichtung und aller vor drei Jahren eingetrichterten Partei- disziplin, den Kopf schüttelt, wenn während der furchtbarsten Schlachten, die die Welt kennt, daheim z. B. darüber gestritten wird, ob Bundesratsmitglieder in den Reichstag gewählt werden können. Schon ihr Instinkt muß sich dagegen wehren, in ihrer schweren Arbeit durch solches Gerede veralbert oder gar durch eine sicht¬ lich ganz erfolglose Kannegießerei über Kriegsziele gestört und wahrscheinlich ge¬ fährdet zu werden. Daß der eine oder andere Parteiheld seinen Namen gern in das gerade offen liegende Buch der Geschichte eintragen möchte, ist menschlich verständlich. Aber die Geschichte ist schließlich groß und gerecht und wird, wenn sie Schaden feststellen muß. der Eintragung die ma-no nvwe nicht ersparen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/227>, abgerufen am 06.10.2024.