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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.

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Der siebente Kanzler

Wie "un aber sich auch das Verhältnis der einzelnen Parteien zu der neuen
Reichs- und Staatsleitung gestalten wird, soviel darf zuversichtlich gehofft werden,
das die Ära Hertling unter einem wesentlich glücklicheren Stern stehen wird als
die Episode Michaelis. Dafür bürgen schon die Qualitäten des neuen Reichs¬
kanzlers, der als ein langjähriger gewiegter Parlamentarier und Parteiführer von
großer diplomatischer Gewandtheit und ausgesprochenem Vermittelungstalent ein
Meister der parlamentarischen Taktik ist und sich als solcher ja auch schon in
den parlamentarischen Verhandlungen vor seiner Ernennung bewährt hat. Ob
wir in ihm den großen Staatsmann erblicken dürfen, der unser aller größte
Sehnsucht ist, das vermag heute niemand zu sagen. Manches wird gegen
ihn angeführt: sein hohes Alter, seine Eigenschaft als überzeugter Katholik
und als ein Süddeutscher, der mindestens in den preußischen Verhältnissen
nicht zu Hause sei, hier und da auch sein freundschaftliches, nie verleugnetes Ver¬
hältnis zu Herrn von Bethmann Hollweg. Uns scheinen alle diese Bedenken
nicht durchschlagend zu sein; jedenfalls sollten sie, nachdem einmal die Ernennung
zum Reichskanzler erfolgt ist, zurückgestellt werden. Wahrhaft verhängnisvoll würde
es sein, wenn von protestantischer Seite der Katholizismus Graf Hertlings gegen
ihn ausgespielt würde. Leider machen sich ja seit der Aufhebung des Jesuiten¬
gesetzes und der Papstnote vereinzelt kulturkämpferische Regungen bemerklich, die
nicht scharf genug verurteilt werden können. An dem hohen Gut des konfessionellen
Friedens, der durch die treueste Gemeinschaft von Protestanten und Katholiken im
Weltkriege über jeden Zweifel und jede Anfechtung in unseren Herzen verankert
sein sollte, darf unter keinen Umständen gerüttelt werden. Wir möchten vielmehr
hoffen und vertrauen, daß die Eigenschaft Graf Hertlings als Katholik und als
Süddeutscher ein neues Band zwischen den Konsessionen einerseits, zwischen Nord-
uud Süddeutschland anderseits werden möge; nichts Geringeres erwarten wir von
seiner Klugheit. Graf Hertling hat schon als bayerischer Ministerpräsident oft in
den eindringlichsten Worten zur Einigkeit und Geschlossenheit aller Volksklassen
gemahnt. Nun ist er an den Platz gestellt, der seinen Worten, zu denen sich
heute wieder die ernsten Mahnungen des Kaisers und Hindenburgs an Volk und
Parlament gesellen, noch mehr Gewicht verleiht. Wir wollen es glauben, daß
hinter solchen Worten die Fähigkeiten, der starke Wille und- die Kraft zum Zu-
sammenhalten und zum Einigen stehen, so daß aus den Worten Tat und Wirk¬
lichkeit werde. Wir vertrauen, denn heute ist unser Vertrauen Pflicht. So
wollen wir unser Möglichstes tun, um den neuen Kanzler zu stützen, denn neben
Glauben tritt auch das Helfen an dem schweren Werk als sittliche Pflicht.




Der siebente Kanzler

Wie »un aber sich auch das Verhältnis der einzelnen Parteien zu der neuen
Reichs- und Staatsleitung gestalten wird, soviel darf zuversichtlich gehofft werden,
das die Ära Hertling unter einem wesentlich glücklicheren Stern stehen wird als
die Episode Michaelis. Dafür bürgen schon die Qualitäten des neuen Reichs¬
kanzlers, der als ein langjähriger gewiegter Parlamentarier und Parteiführer von
großer diplomatischer Gewandtheit und ausgesprochenem Vermittelungstalent ein
Meister der parlamentarischen Taktik ist und sich als solcher ja auch schon in
den parlamentarischen Verhandlungen vor seiner Ernennung bewährt hat. Ob
wir in ihm den großen Staatsmann erblicken dürfen, der unser aller größte
Sehnsucht ist, das vermag heute niemand zu sagen. Manches wird gegen
ihn angeführt: sein hohes Alter, seine Eigenschaft als überzeugter Katholik
und als ein Süddeutscher, der mindestens in den preußischen Verhältnissen
nicht zu Hause sei, hier und da auch sein freundschaftliches, nie verleugnetes Ver¬
hältnis zu Herrn von Bethmann Hollweg. Uns scheinen alle diese Bedenken
nicht durchschlagend zu sein; jedenfalls sollten sie, nachdem einmal die Ernennung
zum Reichskanzler erfolgt ist, zurückgestellt werden. Wahrhaft verhängnisvoll würde
es sein, wenn von protestantischer Seite der Katholizismus Graf Hertlings gegen
ihn ausgespielt würde. Leider machen sich ja seit der Aufhebung des Jesuiten¬
gesetzes und der Papstnote vereinzelt kulturkämpferische Regungen bemerklich, die
nicht scharf genug verurteilt werden können. An dem hohen Gut des konfessionellen
Friedens, der durch die treueste Gemeinschaft von Protestanten und Katholiken im
Weltkriege über jeden Zweifel und jede Anfechtung in unseren Herzen verankert
sein sollte, darf unter keinen Umständen gerüttelt werden. Wir möchten vielmehr
hoffen und vertrauen, daß die Eigenschaft Graf Hertlings als Katholik und als
Süddeutscher ein neues Band zwischen den Konsessionen einerseits, zwischen Nord-
uud Süddeutschland anderseits werden möge; nichts Geringeres erwarten wir von
seiner Klugheit. Graf Hertling hat schon als bayerischer Ministerpräsident oft in
den eindringlichsten Worten zur Einigkeit und Geschlossenheit aller Volksklassen
gemahnt. Nun ist er an den Platz gestellt, der seinen Worten, zu denen sich
heute wieder die ernsten Mahnungen des Kaisers und Hindenburgs an Volk und
Parlament gesellen, noch mehr Gewicht verleiht. Wir wollen es glauben, daß
hinter solchen Worten die Fähigkeiten, der starke Wille und- die Kraft zum Zu-
sammenhalten und zum Einigen stehen, so daß aus den Worten Tat und Wirk¬
lichkeit werde. Wir vertrauen, denn heute ist unser Vertrauen Pflicht. So
wollen wir unser Möglichstes tun, um den neuen Kanzler zu stützen, denn neben
Glauben tritt auch das Helfen an dem schweren Werk als sittliche Pflicht.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/195>, abgerufen am 05.02.2025.