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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.

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Das mitteleuropäische Uriegsziel

Gefahr früher oder später aufs neue im Südosten akut machte? Die Ver¬
wirklichung unserer Kriegsziele gegen England und Rußland ist schließlich doch
noch nicht so wichtig, wie der Ausbau unserer mitteleuropäischen Basis, die
Umwandlung des bis jetzt rein völkerrechtlichen auflösbaren Bündnisses mit
Österreich-Ungarn zu einem auf die Dauer geschaffenen Gebilde. Auch wenn
es jetzt gelänge -- was nicht einmal wahrscheinlich ist --, die Gefahr des
russischen Panslawismus für immer zu bannen, so könnte sie doch, wenn wir
nicht weitschauend Vorsorgen, als "Austroslawismus" in noch gefährlicherer Nähe
wiederauftauchen. Man stelle sich doch nur einmal vor, was werden müßte,
wenn Deutschland und Österreich-Ungarn nach dem Kriege getrennte Wege
einschlugen, wenn man auch nur die Möglichkeit offen lassen wollte, andere
politische Konstellationen zu suchen und den von Bismarck und Andrassy ge¬
schlossenen Bund als ein nur zeitweiliges Obdach betrachten wollte, das nun¬
mehr im Kriege seine Dienste getan hat. Ein Osterreich ohne das deutsche
Bündnis müßte im heutigen demokratischen Zeitalter dem Schwergewicht seiner
Volksmassen folgend slawisch werden. Und was läge dann für ein slawisch
geleitetes Habsburgerreich näher, als eine enge Verbindung mit dem neuen
Polen zu suchen, das im Osten von uns aus lange hinaus kein wunschloser
Nachbar sein wird? Dann wäre Deutschland von einer neuen slawischen Gefahr
von zwei Seiten umfaßt. So mag denn manches Kriegsziel in Europa und
Übersee wichtig und wünschenswert sein: das wichtigste von allem ist doch die
dauernde Einrichtung der Lebensgemeinschaft zwischen Deutschland und Österreich-
Ungarn, die Lösung der mitteleuropäischen Frage. Gerade dieses Kriegsziel
beschäftigt jedoch unsere Öffentlichkeit am wenigsten. Von seiner Verwirklichung
schweigen die "unabhängigen Ausschüsse" und die "Vaterlandspartei". Hält
man seine Durchsetzung für selbstverständlich oder weiß man nicht, wie wichtig
es ist?

Wir sind heute noch weit entfernt, mit Osterreich und mit Ungarn so im
Reinen zu sein, daß wir nach dem Kriege anfangen könnten, Mitteleuropa auf¬
zubauen. Erst kürzlich habe ich den Lesern der "Grenzboten" (Ur. 38 d. I.)
berichtet, daß man als Deutscher in Ungarn keineswegs den Eindruck hat, als
sei die ungarische politische Öffentlichkeit schon völlig reif für den mittel¬
europäischen Gedanken. Heute liegt mir nun eine Broschüre von Dr. Richard
Bahr vor, der diesen Eindruck, und zwar im Verkehr mit führenden Politikern
des Stefansreiches. offenbar auch durchaus gehabt hat"). Bahr sagt im Vor¬
wort, er sei mit einer größeren Arbeit beschäftigt, die Reichsdeutschland in das
Verständnis der Habsburgischen Monarchie einführen soll. Ich kann dem
werdenden Buche von ganzem Herzen nur recht großen Erfolg dereinst wünschen.
Schon in der jetzigen kleinen Flugschrift erwirbt sich der Verfasser das große
Verdienst, auf die Wichtigkeit der österreichisch-ungarischen Probleme für uns



") Dr. Richard Bahr "Von der Schicksals- zur Lebensgemeinschaft. Deutschland. Oster¬
reich und Ungarn". Reichsverlag Hera, Kalkoff. Berlin ^. 35, 1917.
Das mitteleuropäische Uriegsziel

Gefahr früher oder später aufs neue im Südosten akut machte? Die Ver¬
wirklichung unserer Kriegsziele gegen England und Rußland ist schließlich doch
noch nicht so wichtig, wie der Ausbau unserer mitteleuropäischen Basis, die
Umwandlung des bis jetzt rein völkerrechtlichen auflösbaren Bündnisses mit
Österreich-Ungarn zu einem auf die Dauer geschaffenen Gebilde. Auch wenn
es jetzt gelänge — was nicht einmal wahrscheinlich ist —, die Gefahr des
russischen Panslawismus für immer zu bannen, so könnte sie doch, wenn wir
nicht weitschauend Vorsorgen, als „Austroslawismus" in noch gefährlicherer Nähe
wiederauftauchen. Man stelle sich doch nur einmal vor, was werden müßte,
wenn Deutschland und Österreich-Ungarn nach dem Kriege getrennte Wege
einschlugen, wenn man auch nur die Möglichkeit offen lassen wollte, andere
politische Konstellationen zu suchen und den von Bismarck und Andrassy ge¬
schlossenen Bund als ein nur zeitweiliges Obdach betrachten wollte, das nun¬
mehr im Kriege seine Dienste getan hat. Ein Osterreich ohne das deutsche
Bündnis müßte im heutigen demokratischen Zeitalter dem Schwergewicht seiner
Volksmassen folgend slawisch werden. Und was läge dann für ein slawisch
geleitetes Habsburgerreich näher, als eine enge Verbindung mit dem neuen
Polen zu suchen, das im Osten von uns aus lange hinaus kein wunschloser
Nachbar sein wird? Dann wäre Deutschland von einer neuen slawischen Gefahr
von zwei Seiten umfaßt. So mag denn manches Kriegsziel in Europa und
Übersee wichtig und wünschenswert sein: das wichtigste von allem ist doch die
dauernde Einrichtung der Lebensgemeinschaft zwischen Deutschland und Österreich-
Ungarn, die Lösung der mitteleuropäischen Frage. Gerade dieses Kriegsziel
beschäftigt jedoch unsere Öffentlichkeit am wenigsten. Von seiner Verwirklichung
schweigen die „unabhängigen Ausschüsse" und die „Vaterlandspartei". Hält
man seine Durchsetzung für selbstverständlich oder weiß man nicht, wie wichtig
es ist?

Wir sind heute noch weit entfernt, mit Osterreich und mit Ungarn so im
Reinen zu sein, daß wir nach dem Kriege anfangen könnten, Mitteleuropa auf¬
zubauen. Erst kürzlich habe ich den Lesern der „Grenzboten" (Ur. 38 d. I.)
berichtet, daß man als Deutscher in Ungarn keineswegs den Eindruck hat, als
sei die ungarische politische Öffentlichkeit schon völlig reif für den mittel¬
europäischen Gedanken. Heute liegt mir nun eine Broschüre von Dr. Richard
Bahr vor, der diesen Eindruck, und zwar im Verkehr mit führenden Politikern
des Stefansreiches. offenbar auch durchaus gehabt hat"). Bahr sagt im Vor¬
wort, er sei mit einer größeren Arbeit beschäftigt, die Reichsdeutschland in das
Verständnis der Habsburgischen Monarchie einführen soll. Ich kann dem
werdenden Buche von ganzem Herzen nur recht großen Erfolg dereinst wünschen.
Schon in der jetzigen kleinen Flugschrift erwirbt sich der Verfasser das große
Verdienst, auf die Wichtigkeit der österreichisch-ungarischen Probleme für uns



") Dr. Richard Bahr „Von der Schicksals- zur Lebensgemeinschaft. Deutschland. Oster¬
reich und Ungarn". Reichsverlag Hera, Kalkoff. Berlin ^. 35, 1917.
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[0117] Das mitteleuropäische Uriegsziel Gefahr früher oder später aufs neue im Südosten akut machte? Die Ver¬ wirklichung unserer Kriegsziele gegen England und Rußland ist schließlich doch noch nicht so wichtig, wie der Ausbau unserer mitteleuropäischen Basis, die Umwandlung des bis jetzt rein völkerrechtlichen auflösbaren Bündnisses mit Österreich-Ungarn zu einem auf die Dauer geschaffenen Gebilde. Auch wenn es jetzt gelänge — was nicht einmal wahrscheinlich ist —, die Gefahr des russischen Panslawismus für immer zu bannen, so könnte sie doch, wenn wir nicht weitschauend Vorsorgen, als „Austroslawismus" in noch gefährlicherer Nähe wiederauftauchen. Man stelle sich doch nur einmal vor, was werden müßte, wenn Deutschland und Österreich-Ungarn nach dem Kriege getrennte Wege einschlugen, wenn man auch nur die Möglichkeit offen lassen wollte, andere politische Konstellationen zu suchen und den von Bismarck und Andrassy ge¬ schlossenen Bund als ein nur zeitweiliges Obdach betrachten wollte, das nun¬ mehr im Kriege seine Dienste getan hat. Ein Osterreich ohne das deutsche Bündnis müßte im heutigen demokratischen Zeitalter dem Schwergewicht seiner Volksmassen folgend slawisch werden. Und was läge dann für ein slawisch geleitetes Habsburgerreich näher, als eine enge Verbindung mit dem neuen Polen zu suchen, das im Osten von uns aus lange hinaus kein wunschloser Nachbar sein wird? Dann wäre Deutschland von einer neuen slawischen Gefahr von zwei Seiten umfaßt. So mag denn manches Kriegsziel in Europa und Übersee wichtig und wünschenswert sein: das wichtigste von allem ist doch die dauernde Einrichtung der Lebensgemeinschaft zwischen Deutschland und Österreich- Ungarn, die Lösung der mitteleuropäischen Frage. Gerade dieses Kriegsziel beschäftigt jedoch unsere Öffentlichkeit am wenigsten. Von seiner Verwirklichung schweigen die „unabhängigen Ausschüsse" und die „Vaterlandspartei". Hält man seine Durchsetzung für selbstverständlich oder weiß man nicht, wie wichtig es ist? Wir sind heute noch weit entfernt, mit Osterreich und mit Ungarn so im Reinen zu sein, daß wir nach dem Kriege anfangen könnten, Mitteleuropa auf¬ zubauen. Erst kürzlich habe ich den Lesern der „Grenzboten" (Ur. 38 d. I.) berichtet, daß man als Deutscher in Ungarn keineswegs den Eindruck hat, als sei die ungarische politische Öffentlichkeit schon völlig reif für den mittel¬ europäischen Gedanken. Heute liegt mir nun eine Broschüre von Dr. Richard Bahr vor, der diesen Eindruck, und zwar im Verkehr mit führenden Politikern des Stefansreiches. offenbar auch durchaus gehabt hat"). Bahr sagt im Vor¬ wort, er sei mit einer größeren Arbeit beschäftigt, die Reichsdeutschland in das Verständnis der Habsburgischen Monarchie einführen soll. Ich kann dem werdenden Buche von ganzem Herzen nur recht großen Erfolg dereinst wünschen. Schon in der jetzigen kleinen Flugschrift erwirbt sich der Verfasser das große Verdienst, auf die Wichtigkeit der österreichisch-ungarischen Probleme für uns ") Dr. Richard Bahr „Von der Schicksals- zur Lebensgemeinschaft. Deutschland. Oster¬ reich und Ungarn". Reichsverlag Hera, Kalkoff. Berlin ^. 35, 1917.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/117>, abgerufen am 09.11.2024.