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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.

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Das mitteleuropäische Rriegsziel

Mitbestimmung der Volksvertretung, des Volkes selbst die Würde der Krone
selbst beeinträchtigt werde. Ein Kanzler, der von dem vollen Vertrauen des
Volkes und seiner Vertretung getragen wird, ist heute schlechthin ein natio¬
nales Erfordernis, wir dürfen sagen das nationale Erfordermsi




Das mitteleuropäische Ariegsziel
Dr. Karl Bllchheim von

M-RMI
GW
^A^sE.! eutschland hallt wider von den Schlachtrufen der Kriegszielparteien:
hie "Verständigungs-", hie "Sicherungs-"friedet Ob die Gegen¬
sätze gar so unüberbrückbar sind? Ich bin nach wie vor der
Meinung, daß es diplomatischer gewesen wäre, nicht gegen die
^ Reichstagsmehrheit Sturm zu laufen, sondern ihre Friedens¬
entschließung ebenso für die nationale Sache auszuwerten, wie man es doch
verstanden hat. das Friedensangebot vom Dezember 1916 zu benutzen. Unsere
Kriegsziele lassen sich auf dem Boden der Reichstagsentschließung erreichen*),,
wie es ja auch die Negierung des Herrn Dr. Michaelis allem Anschein nach
zu tun unternimmt. Die Gefahr des kommenden Friedens scheint mir nicht
gar so arg darin zu liegen, daß man einen sogenannten "Verzichtfrieden"
schließen könnte -- "Verständigung" ist noch lange kein "Verzicht" I --, sondern
daß man über der Sorge der Sicherung gegen England und Rußland die
rechtzeitige Erneuerung des eigenen Hauses übersieht. Ich denke an "Mittel¬
europa". Die Vorherrschaft über Belgien ist dringend wünschenswert, denn sie
kann uns fähig machen, den Wettlauf mit England und Amerika um die wirt¬
schaftliche Ausnutzung des Atlantischen Ozeans noch einmal und unter besseren
Bedingungen als vor dem Kriege aufzunehmen. Aber um dieser Aussicht willen
dürfen wir die Grundlagen unserer Stellung in Mitteleuropa nicht gering
achten. Wir werden ferner vielleicht Rußland hinter die Narowa, wenigstens
hinter die Dura zurückdrängen. Aber was könnte das nützen, wenn wir in
Österreich-Ungarn etwa eine Entwicklung geschehen ließen, die die slawische



*) Vgl. meinen Aufsatz "Das belgische Kriegsziel und die Friedenserttürung des Reichs¬
tages" "Grenzboten" 1917, Ur. 31.
Das mitteleuropäische Rriegsziel

Mitbestimmung der Volksvertretung, des Volkes selbst die Würde der Krone
selbst beeinträchtigt werde. Ein Kanzler, der von dem vollen Vertrauen des
Volkes und seiner Vertretung getragen wird, ist heute schlechthin ein natio¬
nales Erfordernis, wir dürfen sagen das nationale Erfordermsi




Das mitteleuropäische Ariegsziel
Dr. Karl Bllchheim von

M-RMI
GW
^A^sE.! eutschland hallt wider von den Schlachtrufen der Kriegszielparteien:
hie „Verständigungs-", hie „Sicherungs-"friedet Ob die Gegen¬
sätze gar so unüberbrückbar sind? Ich bin nach wie vor der
Meinung, daß es diplomatischer gewesen wäre, nicht gegen die
^ Reichstagsmehrheit Sturm zu laufen, sondern ihre Friedens¬
entschließung ebenso für die nationale Sache auszuwerten, wie man es doch
verstanden hat. das Friedensangebot vom Dezember 1916 zu benutzen. Unsere
Kriegsziele lassen sich auf dem Boden der Reichstagsentschließung erreichen*),,
wie es ja auch die Negierung des Herrn Dr. Michaelis allem Anschein nach
zu tun unternimmt. Die Gefahr des kommenden Friedens scheint mir nicht
gar so arg darin zu liegen, daß man einen sogenannten „Verzichtfrieden"
schließen könnte — „Verständigung" ist noch lange kein „Verzicht" I —, sondern
daß man über der Sorge der Sicherung gegen England und Rußland die
rechtzeitige Erneuerung des eigenen Hauses übersieht. Ich denke an „Mittel¬
europa". Die Vorherrschaft über Belgien ist dringend wünschenswert, denn sie
kann uns fähig machen, den Wettlauf mit England und Amerika um die wirt¬
schaftliche Ausnutzung des Atlantischen Ozeans noch einmal und unter besseren
Bedingungen als vor dem Kriege aufzunehmen. Aber um dieser Aussicht willen
dürfen wir die Grundlagen unserer Stellung in Mitteleuropa nicht gering
achten. Wir werden ferner vielleicht Rußland hinter die Narowa, wenigstens
hinter die Dura zurückdrängen. Aber was könnte das nützen, wenn wir in
Österreich-Ungarn etwa eine Entwicklung geschehen ließen, die die slawische



*) Vgl. meinen Aufsatz „Das belgische Kriegsziel und die Friedenserttürung des Reichs¬
tages" „Grenzboten" 1917, Ur. 31.
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[0116] Das mitteleuropäische Rriegsziel Mitbestimmung der Volksvertretung, des Volkes selbst die Würde der Krone selbst beeinträchtigt werde. Ein Kanzler, der von dem vollen Vertrauen des Volkes und seiner Vertretung getragen wird, ist heute schlechthin ein natio¬ nales Erfordernis, wir dürfen sagen das nationale Erfordermsi Das mitteleuropäische Ariegsziel Dr. Karl Bllchheim von M-RMI GW ^A^sE.! eutschland hallt wider von den Schlachtrufen der Kriegszielparteien: hie „Verständigungs-", hie „Sicherungs-"friedet Ob die Gegen¬ sätze gar so unüberbrückbar sind? Ich bin nach wie vor der Meinung, daß es diplomatischer gewesen wäre, nicht gegen die ^ Reichstagsmehrheit Sturm zu laufen, sondern ihre Friedens¬ entschließung ebenso für die nationale Sache auszuwerten, wie man es doch verstanden hat. das Friedensangebot vom Dezember 1916 zu benutzen. Unsere Kriegsziele lassen sich auf dem Boden der Reichstagsentschließung erreichen*),, wie es ja auch die Negierung des Herrn Dr. Michaelis allem Anschein nach zu tun unternimmt. Die Gefahr des kommenden Friedens scheint mir nicht gar so arg darin zu liegen, daß man einen sogenannten „Verzichtfrieden" schließen könnte — „Verständigung" ist noch lange kein „Verzicht" I —, sondern daß man über der Sorge der Sicherung gegen England und Rußland die rechtzeitige Erneuerung des eigenen Hauses übersieht. Ich denke an „Mittel¬ europa". Die Vorherrschaft über Belgien ist dringend wünschenswert, denn sie kann uns fähig machen, den Wettlauf mit England und Amerika um die wirt¬ schaftliche Ausnutzung des Atlantischen Ozeans noch einmal und unter besseren Bedingungen als vor dem Kriege aufzunehmen. Aber um dieser Aussicht willen dürfen wir die Grundlagen unserer Stellung in Mitteleuropa nicht gering achten. Wir werden ferner vielleicht Rußland hinter die Narowa, wenigstens hinter die Dura zurückdrängen. Aber was könnte das nützen, wenn wir in Österreich-Ungarn etwa eine Entwicklung geschehen ließen, die die slawische *) Vgl. meinen Aufsatz „Das belgische Kriegsziel und die Friedenserttürung des Reichs¬ tages" „Grenzboten" 1917, Ur. 31.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/116>, abgerufen am 09.11.2024.