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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.

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Iungelsaß und die neudeutsche Kultur

wie sie das überall sonst tat. Beim kleinen Mann, auf den sie sich stützt, find
eben auch am wenigsten partikularistische und fremdkulturelle Vorurteile zu über¬
winden.

Die Weiterentwicklung der oberelsässischen Industrie wird überhaupt für
das Fortschreiten des entschiedenen Deutschtums im Lande von allerhöchster Be¬
deutung sein. Das Oberelsaß ist vorherrschend katholisch, politisch zwischen
Zentrum und Sozialdemokratie strittig. Der oberelsässische Fabrikant gehört
zur kleinen kalvinistischen Diaspora. Er ist Aristokrat und Franzose gleicher¬
maßen von vorgestern. Seine Voreltern find vor etwa hundert Jahren großen¬
teils aus der deutschen Schweiz oder von jenseits des Rheines eingewandert,
so daß viele dieser urfranzösischen Familien die französische Sprache erst in,
Lande erlernt haben, wie man das auch heute noch an einwandernden Deutsch¬
schweizern beobachten kann. Aus kleinen Ansängen find diese Familien mit
dem ersten industriellen Aufschwung zu Anfang des vorigen Jahrhunderts hoch¬
gekommen. Sehr vielfach haftet ihrem Fabrikbetrieb noch heute etwas manu-
fakturenhaft. handwerkliches an. In einer der betriebsamen oberelsässischen
Fabrikstädte war kurz vor dem Kriege noch kaum ein akademisch gebildeter
Ingenieur anzutreffen. Die wenigen wirklich mit der modernen technischen
Entwicklung fortschreitenden Fabrikanten fühlen sich vielfach durch ein Mißtrauen
isoliert, in dem wohl eine starke Note von Neid mitschwingen dürfte. Gerade
die Fähigsten und Tüchtigsten unter ihnen sind häufig als Emporkömmlinge
verschrien und werden daraufhin von den führenden Familien nicht für voll
angesehen. Übrigens fühlen sich diese -- das zeigt so recht die Kluft von der
reichsdeutschen Auffassung -- keineswegs zu den Pflichten eines Bildungs-
patriziat verbunden. Oft bringen die Fabrikantensöhne es knapp bis zum Ein¬
jährigen und ergänzen dann in der Schweiz oder "im Frankreich" ihre welt¬
männische Erziehung. Auch viele der gutbezahlter Fabrikdirektoren mit viel
Praxis und wenig Theorie und Bildung, die die französische Lebenshaltung
ihrer Prinzipale getreu und unterwürfig kopieren, begnügen sich noch immer
damit, ihre Söhne und dereinstigen Nachfolger statt auf eine technische Hoch¬
schule lieber auf die altbewährte Mülhauser Chemieschule und ähnliche Technika
zu schicken. Man sperrt sich in diesen reaktionären Kreisen fachlich so gut wie
menschlich gegen den frischen Hauch gesunder Fortschrittlichkeit ab, der von
jenseits des Rheines herüberweht und die Zirkel dieses erstarrenden Früh-
technizismus zu stören droht. Ängstlich hütet, mühsam bewahrt er die Stellung,
die ihm die Väter errungen haben. Nur wenige der Söhne gehen entschlossen
mit der Zeit mit und zeigen sich den eindrucksvoller Leistungen ihrer Vorfahren
würdig.

Schon die Entdeckung der Kalilager im Oberelsaß brachte einen erfreulich
frischen Luftstoß. Sie führte eine Kolonie altdeutscher Ingenieure ins Land.
Jetzt rüttelt der Krieg noch ganz anders an allem, was morsch und zum
Untergange reif ist. Für das Deutschtum ist das kein Schade. Es dürfte


Iungelsaß und die neudeutsche Kultur

wie sie das überall sonst tat. Beim kleinen Mann, auf den sie sich stützt, find
eben auch am wenigsten partikularistische und fremdkulturelle Vorurteile zu über¬
winden.

Die Weiterentwicklung der oberelsässischen Industrie wird überhaupt für
das Fortschreiten des entschiedenen Deutschtums im Lande von allerhöchster Be¬
deutung sein. Das Oberelsaß ist vorherrschend katholisch, politisch zwischen
Zentrum und Sozialdemokratie strittig. Der oberelsässische Fabrikant gehört
zur kleinen kalvinistischen Diaspora. Er ist Aristokrat und Franzose gleicher¬
maßen von vorgestern. Seine Voreltern find vor etwa hundert Jahren großen¬
teils aus der deutschen Schweiz oder von jenseits des Rheines eingewandert,
so daß viele dieser urfranzösischen Familien die französische Sprache erst in,
Lande erlernt haben, wie man das auch heute noch an einwandernden Deutsch¬
schweizern beobachten kann. Aus kleinen Ansängen find diese Familien mit
dem ersten industriellen Aufschwung zu Anfang des vorigen Jahrhunderts hoch¬
gekommen. Sehr vielfach haftet ihrem Fabrikbetrieb noch heute etwas manu-
fakturenhaft. handwerkliches an. In einer der betriebsamen oberelsässischen
Fabrikstädte war kurz vor dem Kriege noch kaum ein akademisch gebildeter
Ingenieur anzutreffen. Die wenigen wirklich mit der modernen technischen
Entwicklung fortschreitenden Fabrikanten fühlen sich vielfach durch ein Mißtrauen
isoliert, in dem wohl eine starke Note von Neid mitschwingen dürfte. Gerade
die Fähigsten und Tüchtigsten unter ihnen sind häufig als Emporkömmlinge
verschrien und werden daraufhin von den führenden Familien nicht für voll
angesehen. Übrigens fühlen sich diese — das zeigt so recht die Kluft von der
reichsdeutschen Auffassung — keineswegs zu den Pflichten eines Bildungs-
patriziat verbunden. Oft bringen die Fabrikantensöhne es knapp bis zum Ein¬
jährigen und ergänzen dann in der Schweiz oder „im Frankreich" ihre welt¬
männische Erziehung. Auch viele der gutbezahlter Fabrikdirektoren mit viel
Praxis und wenig Theorie und Bildung, die die französische Lebenshaltung
ihrer Prinzipale getreu und unterwürfig kopieren, begnügen sich noch immer
damit, ihre Söhne und dereinstigen Nachfolger statt auf eine technische Hoch¬
schule lieber auf die altbewährte Mülhauser Chemieschule und ähnliche Technika
zu schicken. Man sperrt sich in diesen reaktionären Kreisen fachlich so gut wie
menschlich gegen den frischen Hauch gesunder Fortschrittlichkeit ab, der von
jenseits des Rheines herüberweht und die Zirkel dieses erstarrenden Früh-
technizismus zu stören droht. Ängstlich hütet, mühsam bewahrt er die Stellung,
die ihm die Väter errungen haben. Nur wenige der Söhne gehen entschlossen
mit der Zeit mit und zeigen sich den eindrucksvoller Leistungen ihrer Vorfahren
würdig.

Schon die Entdeckung der Kalilager im Oberelsaß brachte einen erfreulich
frischen Luftstoß. Sie führte eine Kolonie altdeutscher Ingenieure ins Land.
Jetzt rüttelt der Krieg noch ganz anders an allem, was morsch und zum
Untergange reif ist. Für das Deutschtum ist das kein Schade. Es dürfte


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[0104] Iungelsaß und die neudeutsche Kultur wie sie das überall sonst tat. Beim kleinen Mann, auf den sie sich stützt, find eben auch am wenigsten partikularistische und fremdkulturelle Vorurteile zu über¬ winden. Die Weiterentwicklung der oberelsässischen Industrie wird überhaupt für das Fortschreiten des entschiedenen Deutschtums im Lande von allerhöchster Be¬ deutung sein. Das Oberelsaß ist vorherrschend katholisch, politisch zwischen Zentrum und Sozialdemokratie strittig. Der oberelsässische Fabrikant gehört zur kleinen kalvinistischen Diaspora. Er ist Aristokrat und Franzose gleicher¬ maßen von vorgestern. Seine Voreltern find vor etwa hundert Jahren großen¬ teils aus der deutschen Schweiz oder von jenseits des Rheines eingewandert, so daß viele dieser urfranzösischen Familien die französische Sprache erst in, Lande erlernt haben, wie man das auch heute noch an einwandernden Deutsch¬ schweizern beobachten kann. Aus kleinen Ansängen find diese Familien mit dem ersten industriellen Aufschwung zu Anfang des vorigen Jahrhunderts hoch¬ gekommen. Sehr vielfach haftet ihrem Fabrikbetrieb noch heute etwas manu- fakturenhaft. handwerkliches an. In einer der betriebsamen oberelsässischen Fabrikstädte war kurz vor dem Kriege noch kaum ein akademisch gebildeter Ingenieur anzutreffen. Die wenigen wirklich mit der modernen technischen Entwicklung fortschreitenden Fabrikanten fühlen sich vielfach durch ein Mißtrauen isoliert, in dem wohl eine starke Note von Neid mitschwingen dürfte. Gerade die Fähigsten und Tüchtigsten unter ihnen sind häufig als Emporkömmlinge verschrien und werden daraufhin von den führenden Familien nicht für voll angesehen. Übrigens fühlen sich diese — das zeigt so recht die Kluft von der reichsdeutschen Auffassung — keineswegs zu den Pflichten eines Bildungs- patriziat verbunden. Oft bringen die Fabrikantensöhne es knapp bis zum Ein¬ jährigen und ergänzen dann in der Schweiz oder „im Frankreich" ihre welt¬ männische Erziehung. Auch viele der gutbezahlter Fabrikdirektoren mit viel Praxis und wenig Theorie und Bildung, die die französische Lebenshaltung ihrer Prinzipale getreu und unterwürfig kopieren, begnügen sich noch immer damit, ihre Söhne und dereinstigen Nachfolger statt auf eine technische Hoch¬ schule lieber auf die altbewährte Mülhauser Chemieschule und ähnliche Technika zu schicken. Man sperrt sich in diesen reaktionären Kreisen fachlich so gut wie menschlich gegen den frischen Hauch gesunder Fortschrittlichkeit ab, der von jenseits des Rheines herüberweht und die Zirkel dieses erstarrenden Früh- technizismus zu stören droht. Ängstlich hütet, mühsam bewahrt er die Stellung, die ihm die Väter errungen haben. Nur wenige der Söhne gehen entschlossen mit der Zeit mit und zeigen sich den eindrucksvoller Leistungen ihrer Vorfahren würdig. Schon die Entdeckung der Kalilager im Oberelsaß brachte einen erfreulich frischen Luftstoß. Sie führte eine Kolonie altdeutscher Ingenieure ins Land. Jetzt rüttelt der Krieg noch ganz anders an allem, was morsch und zum Untergange reif ist. Für das Deutschtum ist das kein Schade. Es dürfte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/104>, abgerufen am 01.09.2024.