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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.

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Ole polnische Frage von Zum bis September <9<7

1917); als aber der Staatsrat versagte, das polnische Heer nicht zustande kam,
nahm das Komitee seine Arbeiten wieder auf. Im August begann die Quer¬
treiberei gegen seinen Bestand. Die Beratungen darüber fanden am 2. September
in Krakau statt und zeigen die gewaltige Kluft zwischen den polnischen Parteien.
Abgeordneter Witos stellte im Namen der polnischen Volkspartei den Antrag,
man solle das Präsidium des Polenklubs beauftragen, einen Liquidationsaus¬
schuß für die Angelegenheiten des Obersten Nationalkomitees einzusetzen, und
verlangte eine namentliche Abstimmung darüber unter Ausschluß der Herren¬
hausmitglieder. Über diesen Antrag entwickelte sich eine lange und heftige
Debatte, besonders aber über die Stimmberechtigten der Herrenhausmitglieder,
die von den Sozialdemokraten, der Volkspartei und den Nationaldemokraten
heftig bekämpft, hingegen von den Demokraten und den Konservativen ver¬
teidigt wurde. In diese formelle Debatte wurden auch politische Erklärungen
und Anträge einbezogen. So stellte Abgeordneter Wysocki einen Antrag, worin
unverzügliche Bildung der polnischen Regierung und des polnischen Heeres ver¬
langt und gegen alle Versuche, eine polnische Regierung und ein polnisches
Heer außerhalb Polens zu bilden, protestiert wurde. Einen Sturm rief die
vom Grafen Tarnowski im Namen der Konservativen abgegebene Erklärung
zugunsten der Aufrechterhaltung des Obersten Nationalkomitees hervor. In
dieser Erklärung wird betont, daß der am 28. Mai in Krakau gefaßte Beschluß
von gewissen Parteien dazu benützt wurde, in Polen den Staatsrat zu stürzen
und es nicht zur Bildung einer polnischen Regierung und Armee kommen zu
lassen, und in Galizien die seit einem halben Jahrhundert mit Erfolg befolgte
Politik zu Falle zu bringen. Die Konservativen sehen es für eine politische
Pflicht an. die Proklamation vom 5. November, durch die ein unabhängiges
Polen gebildet wird, zu unterstützen, also die Entstehung einer polnischen Armee
und Regierung zu fördern, in Osterreich aber eine Politik, die als aufrichtig
staatserhaltend heute die einzige Bürgschaft der politischen Einheit des polnischen
Besitzstandes im Bereiche Galiziens und des polnischen Einflusses in der Mon¬
archie bildet, aufrechtzuerhalten. Diese Erklärung wurde schon während des
Verlesens durch große Lärmszenen unterbrochen. Abgeordneter Glombinski er¬
klärte im Namen der Nationaldemokraten, seine Partei lasse es nicht zu. die
Beschlüsse vom 28. Mai zu bezweifeln und betrachte das Oberste National¬
komitee als nicht existierend, da alle Vertreter der anderen Parteien aus ihm
ausgetreten seien. Hierauf verließen die Mitglieder der Volkspartei, der Sozial¬
demokraten, der Nalionaldemokraten und die Angehörigen der polnischen Na-
tionalvereimgung den Sitzungssaal.

Seither stehen die Konservativen und ihre gegnerischen Parteien im offenen
Streit; sie bekämpfen sich in den Zeitungen und die Sozialdemokraten sind
aus dem Nationalkomitee ausgetreten, weil dieses bloß zum Vorteile der konser¬
vativen Politik arbeitet und die aus der Opferwilligkeit des ganzen Volke?
geflossenem Mittel mißbraucht. Ebenso ist im Polenklub wieder eine Krise aus-


Ole polnische Frage von Zum bis September <9<7

1917); als aber der Staatsrat versagte, das polnische Heer nicht zustande kam,
nahm das Komitee seine Arbeiten wieder auf. Im August begann die Quer¬
treiberei gegen seinen Bestand. Die Beratungen darüber fanden am 2. September
in Krakau statt und zeigen die gewaltige Kluft zwischen den polnischen Parteien.
Abgeordneter Witos stellte im Namen der polnischen Volkspartei den Antrag,
man solle das Präsidium des Polenklubs beauftragen, einen Liquidationsaus¬
schuß für die Angelegenheiten des Obersten Nationalkomitees einzusetzen, und
verlangte eine namentliche Abstimmung darüber unter Ausschluß der Herren¬
hausmitglieder. Über diesen Antrag entwickelte sich eine lange und heftige
Debatte, besonders aber über die Stimmberechtigten der Herrenhausmitglieder,
die von den Sozialdemokraten, der Volkspartei und den Nationaldemokraten
heftig bekämpft, hingegen von den Demokraten und den Konservativen ver¬
teidigt wurde. In diese formelle Debatte wurden auch politische Erklärungen
und Anträge einbezogen. So stellte Abgeordneter Wysocki einen Antrag, worin
unverzügliche Bildung der polnischen Regierung und des polnischen Heeres ver¬
langt und gegen alle Versuche, eine polnische Regierung und ein polnisches
Heer außerhalb Polens zu bilden, protestiert wurde. Einen Sturm rief die
vom Grafen Tarnowski im Namen der Konservativen abgegebene Erklärung
zugunsten der Aufrechterhaltung des Obersten Nationalkomitees hervor. In
dieser Erklärung wird betont, daß der am 28. Mai in Krakau gefaßte Beschluß
von gewissen Parteien dazu benützt wurde, in Polen den Staatsrat zu stürzen
und es nicht zur Bildung einer polnischen Regierung und Armee kommen zu
lassen, und in Galizien die seit einem halben Jahrhundert mit Erfolg befolgte
Politik zu Falle zu bringen. Die Konservativen sehen es für eine politische
Pflicht an. die Proklamation vom 5. November, durch die ein unabhängiges
Polen gebildet wird, zu unterstützen, also die Entstehung einer polnischen Armee
und Regierung zu fördern, in Osterreich aber eine Politik, die als aufrichtig
staatserhaltend heute die einzige Bürgschaft der politischen Einheit des polnischen
Besitzstandes im Bereiche Galiziens und des polnischen Einflusses in der Mon¬
archie bildet, aufrechtzuerhalten. Diese Erklärung wurde schon während des
Verlesens durch große Lärmszenen unterbrochen. Abgeordneter Glombinski er¬
klärte im Namen der Nationaldemokraten, seine Partei lasse es nicht zu. die
Beschlüsse vom 28. Mai zu bezweifeln und betrachte das Oberste National¬
komitee als nicht existierend, da alle Vertreter der anderen Parteien aus ihm
ausgetreten seien. Hierauf verließen die Mitglieder der Volkspartei, der Sozial¬
demokraten, der Nalionaldemokraten und die Angehörigen der polnischen Na-
tionalvereimgung den Sitzungssaal.

Seither stehen die Konservativen und ihre gegnerischen Parteien im offenen
Streit; sie bekämpfen sich in den Zeitungen und die Sozialdemokraten sind
aus dem Nationalkomitee ausgetreten, weil dieses bloß zum Vorteile der konser¬
vativen Politik arbeitet und die aus der Opferwilligkeit des ganzen Volke?
geflossenem Mittel mißbraucht. Ebenso ist im Polenklub wieder eine Krise aus-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/100>, abgerufen am 01.09.2024.