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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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ZZic polnische Frage

dieser Anschauungen in der Öffentlichkeit ist leider durch die Zensur unmöglich
gemacht worden.

So kam die Entscheidung vom 4. November 1916, die -- wie es heißt --
vom deutschen Reichskanzler gewollt wurde. Darüber und über die möglichen
Beweggründe ist wohl jede Erörterung unzeitgemäß. Genug: es war den Polen
gegen die Absicht der gemäßigten, realen Politiker ein selbständiger Staat ge¬
geben. Da Österreich unter diesen Umständen Galizien an dieses Polen nicht
angliedern konnte, wurde ein weiterer Ausbau der (schon seit 1863 bestehenden)
Sonderstellung Galiziens in Aussicht gestellt.

Diese Maßregeln konnten von den deutschen Blättern nur mit einer ge°
wissen Zurückhaltung beurteilt werden/') Selbstverständlich war ein Teil mit
dem Geschehenen gar nicht einverstanden. Aber man sieht es auch den Ausfüh¬
rungen jener, die die Maßregel billigten, an, daß sie die Schwierigkeiten ahnten.
Man suchte sich damit zu helfen, daß die Verantwortung abgewälzt wurde,
weil die Polenfrage zum endgültigen (?) Abschluß gebracht wunde, ohne daß
vorher Erörterungen in der Presse möglich waren. Man mahnte die Polen¬
gegner, daß sie sich mit der Tatsache abfinden und ein neues Blatt ihrer Polen-
Politik aufschlagen mögen. Man suchte die Polen an ihre frühere Leidenszeit zu
erinnern und sie nunmehr zur friedlichen Zusammenarbeit mit den Deutschen zu
gewinnen. Man hörte sagen, daß den Polen der deutsche Krieg unter unsäg¬
lichen Opfern von deutschem Blut und Gut die Freiheit gebracht habe, die sie
trotz aller Aufstände und Emigrantenarbeit selbst nicht erreichen konnten; das
müßten sie dankbar anerkennen und sich nach Westen orientieren. Auch wies
man darauf hin. daß sie im Ausbau der ihnen überlassenen Gebiete soviel schwierige
und dankbare Arbeit fänden, daß sie sich damit begnügen und nicht sich selbst
unüberwindliche Schwierigkeiten schaffen würden. Die polnischen Blätter jubelten;
für sie war plötzlich ein freies Vaterland aus dem Reiche der Ideale herab¬
gestiegen. Von den Händen fielen die Ketten und die Dornenkrone wurde zum
königlichen Diadem. . .

Aber bald sollte es sich zeigen, daß jene Recht hatten, die vor einer über¬
stürzten Lösung der Polenfrage gewarnt hatten und die Schaffung eines selb¬
ständigen Polen für verfehlt hielten.**)

In Polen selbst zeigten sich bald die vorhergesehenen Schwierigkeiten. Eine
offenbar gut unterrichtete Korrespondenz im "Schwäbischen Merkur" meldet am
6- Februar: "Es ist schon oft der Zweifel ausgesprochen worden, ob die Polen
Zur Behauptung der ihnen in letzter Zeit eingeräumten Stellung die nötigen
Kräfte, vor allem die nötige Einigkeit aufbringen würden. Äußerungen aus
polnischen Kreisen lassen diese Befürchtungen fehr berechtigt erscheinen. Es wird




") Eine Sammlung dieser Stimmen im Berliner "Echo" vom 16. November 1916.
Selbstverständlich gab es auch deutsch geschriebene Blätter, die Jubelartikel veröffentlichten;
auf diese Sorte wird hier gar nicht Rücksicht genommen.
**
) Vgl. mein "Polen".
ZZic polnische Frage

dieser Anschauungen in der Öffentlichkeit ist leider durch die Zensur unmöglich
gemacht worden.

So kam die Entscheidung vom 4. November 1916, die — wie es heißt —
vom deutschen Reichskanzler gewollt wurde. Darüber und über die möglichen
Beweggründe ist wohl jede Erörterung unzeitgemäß. Genug: es war den Polen
gegen die Absicht der gemäßigten, realen Politiker ein selbständiger Staat ge¬
geben. Da Österreich unter diesen Umständen Galizien an dieses Polen nicht
angliedern konnte, wurde ein weiterer Ausbau der (schon seit 1863 bestehenden)
Sonderstellung Galiziens in Aussicht gestellt.

Diese Maßregeln konnten von den deutschen Blättern nur mit einer ge°
wissen Zurückhaltung beurteilt werden/') Selbstverständlich war ein Teil mit
dem Geschehenen gar nicht einverstanden. Aber man sieht es auch den Ausfüh¬
rungen jener, die die Maßregel billigten, an, daß sie die Schwierigkeiten ahnten.
Man suchte sich damit zu helfen, daß die Verantwortung abgewälzt wurde,
weil die Polenfrage zum endgültigen (?) Abschluß gebracht wunde, ohne daß
vorher Erörterungen in der Presse möglich waren. Man mahnte die Polen¬
gegner, daß sie sich mit der Tatsache abfinden und ein neues Blatt ihrer Polen-
Politik aufschlagen mögen. Man suchte die Polen an ihre frühere Leidenszeit zu
erinnern und sie nunmehr zur friedlichen Zusammenarbeit mit den Deutschen zu
gewinnen. Man hörte sagen, daß den Polen der deutsche Krieg unter unsäg¬
lichen Opfern von deutschem Blut und Gut die Freiheit gebracht habe, die sie
trotz aller Aufstände und Emigrantenarbeit selbst nicht erreichen konnten; das
müßten sie dankbar anerkennen und sich nach Westen orientieren. Auch wies
man darauf hin. daß sie im Ausbau der ihnen überlassenen Gebiete soviel schwierige
und dankbare Arbeit fänden, daß sie sich damit begnügen und nicht sich selbst
unüberwindliche Schwierigkeiten schaffen würden. Die polnischen Blätter jubelten;
für sie war plötzlich ein freies Vaterland aus dem Reiche der Ideale herab¬
gestiegen. Von den Händen fielen die Ketten und die Dornenkrone wurde zum
königlichen Diadem. . .

Aber bald sollte es sich zeigen, daß jene Recht hatten, die vor einer über¬
stürzten Lösung der Polenfrage gewarnt hatten und die Schaffung eines selb¬
ständigen Polen für verfehlt hielten.**)

In Polen selbst zeigten sich bald die vorhergesehenen Schwierigkeiten. Eine
offenbar gut unterrichtete Korrespondenz im „Schwäbischen Merkur" meldet am
6- Februar: „Es ist schon oft der Zweifel ausgesprochen worden, ob die Polen
Zur Behauptung der ihnen in letzter Zeit eingeräumten Stellung die nötigen
Kräfte, vor allem die nötige Einigkeit aufbringen würden. Äußerungen aus
polnischen Kreisen lassen diese Befürchtungen fehr berechtigt erscheinen. Es wird




") Eine Sammlung dieser Stimmen im Berliner „Echo" vom 16. November 1916.
Selbstverständlich gab es auch deutsch geschriebene Blätter, die Jubelartikel veröffentlichten;
auf diese Sorte wird hier gar nicht Rücksicht genommen.
**
) Vgl. mein „Polen".
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[0099] ZZic polnische Frage dieser Anschauungen in der Öffentlichkeit ist leider durch die Zensur unmöglich gemacht worden. So kam die Entscheidung vom 4. November 1916, die — wie es heißt — vom deutschen Reichskanzler gewollt wurde. Darüber und über die möglichen Beweggründe ist wohl jede Erörterung unzeitgemäß. Genug: es war den Polen gegen die Absicht der gemäßigten, realen Politiker ein selbständiger Staat ge¬ geben. Da Österreich unter diesen Umständen Galizien an dieses Polen nicht angliedern konnte, wurde ein weiterer Ausbau der (schon seit 1863 bestehenden) Sonderstellung Galiziens in Aussicht gestellt. Diese Maßregeln konnten von den deutschen Blättern nur mit einer ge° wissen Zurückhaltung beurteilt werden/') Selbstverständlich war ein Teil mit dem Geschehenen gar nicht einverstanden. Aber man sieht es auch den Ausfüh¬ rungen jener, die die Maßregel billigten, an, daß sie die Schwierigkeiten ahnten. Man suchte sich damit zu helfen, daß die Verantwortung abgewälzt wurde, weil die Polenfrage zum endgültigen (?) Abschluß gebracht wunde, ohne daß vorher Erörterungen in der Presse möglich waren. Man mahnte die Polen¬ gegner, daß sie sich mit der Tatsache abfinden und ein neues Blatt ihrer Polen- Politik aufschlagen mögen. Man suchte die Polen an ihre frühere Leidenszeit zu erinnern und sie nunmehr zur friedlichen Zusammenarbeit mit den Deutschen zu gewinnen. Man hörte sagen, daß den Polen der deutsche Krieg unter unsäg¬ lichen Opfern von deutschem Blut und Gut die Freiheit gebracht habe, die sie trotz aller Aufstände und Emigrantenarbeit selbst nicht erreichen konnten; das müßten sie dankbar anerkennen und sich nach Westen orientieren. Auch wies man darauf hin. daß sie im Ausbau der ihnen überlassenen Gebiete soviel schwierige und dankbare Arbeit fänden, daß sie sich damit begnügen und nicht sich selbst unüberwindliche Schwierigkeiten schaffen würden. Die polnischen Blätter jubelten; für sie war plötzlich ein freies Vaterland aus dem Reiche der Ideale herab¬ gestiegen. Von den Händen fielen die Ketten und die Dornenkrone wurde zum königlichen Diadem. . . Aber bald sollte es sich zeigen, daß jene Recht hatten, die vor einer über¬ stürzten Lösung der Polenfrage gewarnt hatten und die Schaffung eines selb¬ ständigen Polen für verfehlt hielten.**) In Polen selbst zeigten sich bald die vorhergesehenen Schwierigkeiten. Eine offenbar gut unterrichtete Korrespondenz im „Schwäbischen Merkur" meldet am 6- Februar: „Es ist schon oft der Zweifel ausgesprochen worden, ob die Polen Zur Behauptung der ihnen in letzter Zeit eingeräumten Stellung die nötigen Kräfte, vor allem die nötige Einigkeit aufbringen würden. Äußerungen aus polnischen Kreisen lassen diese Befürchtungen fehr berechtigt erscheinen. Es wird ") Eine Sammlung dieser Stimmen im Berliner „Echo" vom 16. November 1916. Selbstverständlich gab es auch deutsch geschriebene Blätter, die Jubelartikel veröffentlichten; auf diese Sorte wird hier gar nicht Rücksicht genommen. ** ) Vgl. mein „Polen".

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/99>, abgerufen am 01.07.2024.