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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Freimaurer-Jubiläum

dentender war der Einfluß Fichtes. Nach dessen "Philosophie der Maurerei"
ist ihr Zweck nicht Geheimnisse zu enthüllen oder politische und religiöse Zwecke
Zu verfolgen, sondern die Vervollkommnung des Menschen um der Vervoll¬
kommnung der Menschheit willen. Die Erreichung des letzten Zieles der
Menschheit, die Humanität, ist ihre Aufgabe. Diese wird durch Selbsterziehung
gelöst. Das praktische Handeln in Einklang mit dem Willen Gottes bringen,
das, was Kaiser Friedrich einst die Darstellung der Sittlichkeit im Leben nannte,
und dadurch Glückseligkeit schaffen, d. h. Übereinstimmung des Menschen mit
sich selbst erzielen, ist der wahre Zweck aller Freimaurerei. Der Antrieb zur
Übung des Guten ist der Glaube an eine bessere Welt, und dieser Glaube
erringt die sittliche Freiheit als Ausgangspunkt aller Tugend. Solche Freiheit
aber erwächst nur auf religiöser Grundlage, und diese ist der Glaube an eine
sittliche Weltordnuna, innerhalb der sich alles Geschehene abspielt. Glaube an
Gott ist Glaube an die Kraft des sittlichen Gedankens und seine Verbreitung
in der Welt, sowie Zuversicht auf den Sieg des Guten und Schönen. In
der Kraft dieses Glaubens bewährt sich die Tugend des Freimaurers, und sie
zu erwerben ist seine höchste Kunst.

Das ist der gemeinsame Inhalt der Deutschen Freimaurerei; sie selbst
aber wird dadurch zur Erziehungskunst. Der Mensch wird nicht durch seine
Aufnahme in den Bund Freimaurer; das kann er erst durch die erziehende
Wirkung der Logenarbeit werden. Durch sie soll er zur sittlichen Persönlich-
km ausgebildet werden, die im Leben nach selbständig gewonnener Überzeugung
Ma Wohle, der Mitmenschen wirkt und dadurch menschliche Glückseligkeit fördert.
Zu den Anlagen und Kräften des Menschen, die der Ausbildung bedürfen,
gehört aber auch der religiöse Trieb. Daher hat die Deutsche Freimaurerei noch
als besonderes Kennzeichen die Religiosität. Darin gleicht sich das Gebrauchtum
in allen deutschen Systemen, und es macht keinen Unterschied, ob neben dem einen
Teile der Logen, die sich als "christliche" bezeichnen, weil sie bei den Auf¬
zunehmenden das christliche Bekenntnis voraussetzen, diejenigen stehen, welche
steh "humanitäre" nennen, bei denen eine solche Forderung nichr gestellt wird.
In der symbolischen Sprache aller deutschen Systeme kehrt übereinstimmend die
Idee eines Tempelbaues wieder. Der aber ist gleichermaßen das Sinnbilo
für die Menschheit, wie für den einzelnen Menschen, dem damit die Aufgabe
gestellt wird, an sich im Kleinen zu arbeiten, damit die große Arbeit gelinge;
ganz im Sinne Fichtes. Hier liegt auch wieder ein Gegensatz der deutschen
gegenüber der französischen Freimaurerei. In allen Irrungen und Schwankungen,
die der deutsche Geist und die mit ihm verbundene deutsche Freimaurerei
durchlebt hat. wuchs immer wieder die ursprüngliche Auffassung hervor, die
schon deutsche Aufklärung von französischer getrennt hatte. Das ist der tiefe
Gegensatz der Kultur, die ihren Gipfel im Goethe-Schillerschen Persönlich¬
keitsideal und im Kantschen Imperativ erblickt, jenen" französischen Frei¬
heitsdrang gegenüber, der die Menschen aufstachelt, ihre Rechte zu


ö-
Freimaurer-Jubiläum

dentender war der Einfluß Fichtes. Nach dessen „Philosophie der Maurerei"
ist ihr Zweck nicht Geheimnisse zu enthüllen oder politische und religiöse Zwecke
Zu verfolgen, sondern die Vervollkommnung des Menschen um der Vervoll¬
kommnung der Menschheit willen. Die Erreichung des letzten Zieles der
Menschheit, die Humanität, ist ihre Aufgabe. Diese wird durch Selbsterziehung
gelöst. Das praktische Handeln in Einklang mit dem Willen Gottes bringen,
das, was Kaiser Friedrich einst die Darstellung der Sittlichkeit im Leben nannte,
und dadurch Glückseligkeit schaffen, d. h. Übereinstimmung des Menschen mit
sich selbst erzielen, ist der wahre Zweck aller Freimaurerei. Der Antrieb zur
Übung des Guten ist der Glaube an eine bessere Welt, und dieser Glaube
erringt die sittliche Freiheit als Ausgangspunkt aller Tugend. Solche Freiheit
aber erwächst nur auf religiöser Grundlage, und diese ist der Glaube an eine
sittliche Weltordnuna, innerhalb der sich alles Geschehene abspielt. Glaube an
Gott ist Glaube an die Kraft des sittlichen Gedankens und seine Verbreitung
in der Welt, sowie Zuversicht auf den Sieg des Guten und Schönen. In
der Kraft dieses Glaubens bewährt sich die Tugend des Freimaurers, und sie
zu erwerben ist seine höchste Kunst.

Das ist der gemeinsame Inhalt der Deutschen Freimaurerei; sie selbst
aber wird dadurch zur Erziehungskunst. Der Mensch wird nicht durch seine
Aufnahme in den Bund Freimaurer; das kann er erst durch die erziehende
Wirkung der Logenarbeit werden. Durch sie soll er zur sittlichen Persönlich-
km ausgebildet werden, die im Leben nach selbständig gewonnener Überzeugung
Ma Wohle, der Mitmenschen wirkt und dadurch menschliche Glückseligkeit fördert.
Zu den Anlagen und Kräften des Menschen, die der Ausbildung bedürfen,
gehört aber auch der religiöse Trieb. Daher hat die Deutsche Freimaurerei noch
als besonderes Kennzeichen die Religiosität. Darin gleicht sich das Gebrauchtum
in allen deutschen Systemen, und es macht keinen Unterschied, ob neben dem einen
Teile der Logen, die sich als „christliche" bezeichnen, weil sie bei den Auf¬
zunehmenden das christliche Bekenntnis voraussetzen, diejenigen stehen, welche
steh „humanitäre" nennen, bei denen eine solche Forderung nichr gestellt wird.
In der symbolischen Sprache aller deutschen Systeme kehrt übereinstimmend die
Idee eines Tempelbaues wieder. Der aber ist gleichermaßen das Sinnbilo
für die Menschheit, wie für den einzelnen Menschen, dem damit die Aufgabe
gestellt wird, an sich im Kleinen zu arbeiten, damit die große Arbeit gelinge;
ganz im Sinne Fichtes. Hier liegt auch wieder ein Gegensatz der deutschen
gegenüber der französischen Freimaurerei. In allen Irrungen und Schwankungen,
die der deutsche Geist und die mit ihm verbundene deutsche Freimaurerei
durchlebt hat. wuchs immer wieder die ursprüngliche Auffassung hervor, die
schon deutsche Aufklärung von französischer getrennt hatte. Das ist der tiefe
Gegensatz der Kultur, die ihren Gipfel im Goethe-Schillerschen Persönlich¬
keitsideal und im Kantschen Imperativ erblickt, jenen« französischen Frei¬
heitsdrang gegenüber, der die Menschen aufstachelt, ihre Rechte zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/95>, abgerufen am 01.07.2024.