Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Freimaurer-Jubiläum

für die politische Duldung der Brüderschaft zu sorgen, sondern zog sogleich die
führenden Männer des Staates und die einflußreichen Kreise der Gesellschaft
zur tätigen Mitarbeit und besonders zur Vertretung des Bundes nach außen
heran. So wurde das englische Logenwesen von Anfang an eine mächtige
Bewegung, und noch heute bildet es einen gewichtigen Faktor im gesellschaft¬
lichen Leben. Fast alle führenden Männer Englands sind noch heute Frei¬
maurer. Die drei selbständigen Großlagen von England, Irland und Schottland
sind dadurch miteinander verbunden, daß der König von England ihr Protektor ist.

Wenn die Statistik den Maßstab für geistige Bewegungen lieferte, müßte man
den glänzenden Aufstieg der englischen Freimaurerei rückhaltlos bewundern.
Schon das erste gedruckte Mitgliederverzeichnis belehrt uns. daß siebzehn Jahre
nach Gründung der Londoner Großloge einhundertachtundzwanzig englische Logen
bestanden, unter denen bereits sieben im Auslande. Ein Jahr vor Ausbruch
des Weltkrieges aber gab es auf den britischen Inseln dreitausendneunhundert-
undsiebenunddreißig Logen mit zweihundertundzwanzigtausend Mitgliedern. Allein
London hat mehr Logen, als Deutschland, Holland, Schweden, Norwegen, Däne¬
mark und Ungarn -zusammen. Auf der Erde aber sind gegen neunzehntausend
Logen mit eineinhalb Millionen englisch redenden Mitgliedern. Wie sich das
englische Staats- und Lebensideal mit Macht über den größten Teil der Erde
ausgebreitet hat, so hat auch die englische Freimaurerei überall in der Welt Fuß
gefaßt; und wie die englische Misston, so ist auch die englische Freimaurerei eine
Kolonialmacht größten Stiles geworden. Freimaurerlogen nach englischem
Muster gibt es in allen Weltteilen. Und alle diese Logen sind Pflanz- und
Sammelstellen englischen Denkens und Wirkens in der Ferne. So in Amerika,
in Indien, in Australien. England verdankt seinen Koloniallogen nicht zum
geringen Teil seine Weltherrschaft; denn alle diese Logen halten die englische
Art auch dann fest, wenn sich die Kolonien politisch unabhängig machen, oder
niemals englischer Besitz gewesen sind. Dafür hat der Weltkrieg die Beweise
gebracht und uns zu spät die Augen geöffnet.

Nicht der in ihr enthaltene Kulturwert hat der Freimaurerei in England
die Wege zu ihrer Ausbreitung geebnet. Die englischen Geschichtsschreiber be¬
zeugen selbst, daß die englischen Logen schon bald nach 1717 Klubs waren, in denen
man sich wohl fühlte, weil man an dem geheimnisvollen Gebrauchtum Ver¬
gnügen fand und den religiösen wie politischen Meinungskämpfen entrückt war.
Aber schon gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts verfiel das englische Volk
wieder in das andere Extrem; es wurde kirchlich orthodox. Und das färbte
sofort auf seine Freimaurerei ab, bei der in steigendem Maße das Gebrauchtum
in diesem Sinne ausgebeutet und dem Grundgesetze eine christlich-orthodoxe
Deutung untergelegt wurde. Auch heute ist die englische Freimaurerei äußer¬
liches Klubwesen, in dem es zahlreiche gesellige Freuden, schöne Freundschaften
und viel sentimentale nach außen gerichtete Frömmigkeit gibt. Sie erschöpft
sich in rituellen Formalismus und kostspieliger Geselligkeit. Die englischen


Freimaurer-Jubiläum

für die politische Duldung der Brüderschaft zu sorgen, sondern zog sogleich die
führenden Männer des Staates und die einflußreichen Kreise der Gesellschaft
zur tätigen Mitarbeit und besonders zur Vertretung des Bundes nach außen
heran. So wurde das englische Logenwesen von Anfang an eine mächtige
Bewegung, und noch heute bildet es einen gewichtigen Faktor im gesellschaft¬
lichen Leben. Fast alle führenden Männer Englands sind noch heute Frei¬
maurer. Die drei selbständigen Großlagen von England, Irland und Schottland
sind dadurch miteinander verbunden, daß der König von England ihr Protektor ist.

Wenn die Statistik den Maßstab für geistige Bewegungen lieferte, müßte man
den glänzenden Aufstieg der englischen Freimaurerei rückhaltlos bewundern.
Schon das erste gedruckte Mitgliederverzeichnis belehrt uns. daß siebzehn Jahre
nach Gründung der Londoner Großloge einhundertachtundzwanzig englische Logen
bestanden, unter denen bereits sieben im Auslande. Ein Jahr vor Ausbruch
des Weltkrieges aber gab es auf den britischen Inseln dreitausendneunhundert-
undsiebenunddreißig Logen mit zweihundertundzwanzigtausend Mitgliedern. Allein
London hat mehr Logen, als Deutschland, Holland, Schweden, Norwegen, Däne¬
mark und Ungarn -zusammen. Auf der Erde aber sind gegen neunzehntausend
Logen mit eineinhalb Millionen englisch redenden Mitgliedern. Wie sich das
englische Staats- und Lebensideal mit Macht über den größten Teil der Erde
ausgebreitet hat, so hat auch die englische Freimaurerei überall in der Welt Fuß
gefaßt; und wie die englische Misston, so ist auch die englische Freimaurerei eine
Kolonialmacht größten Stiles geworden. Freimaurerlogen nach englischem
Muster gibt es in allen Weltteilen. Und alle diese Logen sind Pflanz- und
Sammelstellen englischen Denkens und Wirkens in der Ferne. So in Amerika,
in Indien, in Australien. England verdankt seinen Koloniallogen nicht zum
geringen Teil seine Weltherrschaft; denn alle diese Logen halten die englische
Art auch dann fest, wenn sich die Kolonien politisch unabhängig machen, oder
niemals englischer Besitz gewesen sind. Dafür hat der Weltkrieg die Beweise
gebracht und uns zu spät die Augen geöffnet.

Nicht der in ihr enthaltene Kulturwert hat der Freimaurerei in England
die Wege zu ihrer Ausbreitung geebnet. Die englischen Geschichtsschreiber be¬
zeugen selbst, daß die englischen Logen schon bald nach 1717 Klubs waren, in denen
man sich wohl fühlte, weil man an dem geheimnisvollen Gebrauchtum Ver¬
gnügen fand und den religiösen wie politischen Meinungskämpfen entrückt war.
Aber schon gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts verfiel das englische Volk
wieder in das andere Extrem; es wurde kirchlich orthodox. Und das färbte
sofort auf seine Freimaurerei ab, bei der in steigendem Maße das Gebrauchtum
in diesem Sinne ausgebeutet und dem Grundgesetze eine christlich-orthodoxe
Deutung untergelegt wurde. Auch heute ist die englische Freimaurerei äußer¬
liches Klubwesen, in dem es zahlreiche gesellige Freuden, schöne Freundschaften
und viel sentimentale nach außen gerichtete Frömmigkeit gibt. Sie erschöpft
sich in rituellen Formalismus und kostspieliger Geselligkeit. Die englischen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0087" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/332366"/>
          <fw type="header" place="top"> Freimaurer-Jubiläum</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_290" prev="#ID_289"> für die politische Duldung der Brüderschaft zu sorgen, sondern zog sogleich die<lb/>
führenden Männer des Staates und die einflußreichen Kreise der Gesellschaft<lb/>
zur tätigen Mitarbeit und besonders zur Vertretung des Bundes nach außen<lb/>
heran. So wurde das englische Logenwesen von Anfang an eine mächtige<lb/>
Bewegung, und noch heute bildet es einen gewichtigen Faktor im gesellschaft¬<lb/>
lichen Leben. Fast alle führenden Männer Englands sind noch heute Frei¬<lb/>
maurer. Die drei selbständigen Großlagen von England, Irland und Schottland<lb/>
sind dadurch miteinander verbunden, daß der König von England ihr Protektor ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_291"> Wenn die Statistik den Maßstab für geistige Bewegungen lieferte, müßte man<lb/>
den glänzenden Aufstieg der englischen Freimaurerei rückhaltlos bewundern.<lb/>
Schon das erste gedruckte Mitgliederverzeichnis belehrt uns. daß siebzehn Jahre<lb/>
nach Gründung der Londoner Großloge einhundertachtundzwanzig englische Logen<lb/>
bestanden, unter denen bereits sieben im Auslande. Ein Jahr vor Ausbruch<lb/>
des Weltkrieges aber gab es auf den britischen Inseln dreitausendneunhundert-<lb/>
undsiebenunddreißig Logen mit zweihundertundzwanzigtausend Mitgliedern. Allein<lb/>
London hat mehr Logen, als Deutschland, Holland, Schweden, Norwegen, Däne¬<lb/>
mark und Ungarn -zusammen. Auf der Erde aber sind gegen neunzehntausend<lb/>
Logen mit eineinhalb Millionen englisch redenden Mitgliedern. Wie sich das<lb/>
englische Staats- und Lebensideal mit Macht über den größten Teil der Erde<lb/>
ausgebreitet hat, so hat auch die englische Freimaurerei überall in der Welt Fuß<lb/>
gefaßt; und wie die englische Misston, so ist auch die englische Freimaurerei eine<lb/>
Kolonialmacht größten Stiles geworden. Freimaurerlogen nach englischem<lb/>
Muster gibt es in allen Weltteilen. Und alle diese Logen sind Pflanz- und<lb/>
Sammelstellen englischen Denkens und Wirkens in der Ferne. So in Amerika,<lb/>
in Indien, in Australien. England verdankt seinen Koloniallogen nicht zum<lb/>
geringen Teil seine Weltherrschaft; denn alle diese Logen halten die englische<lb/>
Art auch dann fest, wenn sich die Kolonien politisch unabhängig machen, oder<lb/>
niemals englischer Besitz gewesen sind. Dafür hat der Weltkrieg die Beweise<lb/>
gebracht und uns zu spät die Augen geöffnet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_292" next="#ID_293"> Nicht der in ihr enthaltene Kulturwert hat der Freimaurerei in England<lb/>
die Wege zu ihrer Ausbreitung geebnet. Die englischen Geschichtsschreiber be¬<lb/>
zeugen selbst, daß die englischen Logen schon bald nach 1717 Klubs waren, in denen<lb/>
man sich wohl fühlte, weil man an dem geheimnisvollen Gebrauchtum Ver¬<lb/>
gnügen fand und den religiösen wie politischen Meinungskämpfen entrückt war.<lb/>
Aber schon gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts verfiel das englische Volk<lb/>
wieder in das andere Extrem; es wurde kirchlich orthodox. Und das färbte<lb/>
sofort auf seine Freimaurerei ab, bei der in steigendem Maße das Gebrauchtum<lb/>
in diesem Sinne ausgebeutet und dem Grundgesetze eine christlich-orthodoxe<lb/>
Deutung untergelegt wurde. Auch heute ist die englische Freimaurerei äußer¬<lb/>
liches Klubwesen, in dem es zahlreiche gesellige Freuden, schöne Freundschaften<lb/>
und viel sentimentale nach außen gerichtete Frömmigkeit gibt. Sie erschöpft<lb/>
sich in rituellen Formalismus und kostspieliger Geselligkeit. Die englischen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0087] Freimaurer-Jubiläum für die politische Duldung der Brüderschaft zu sorgen, sondern zog sogleich die führenden Männer des Staates und die einflußreichen Kreise der Gesellschaft zur tätigen Mitarbeit und besonders zur Vertretung des Bundes nach außen heran. So wurde das englische Logenwesen von Anfang an eine mächtige Bewegung, und noch heute bildet es einen gewichtigen Faktor im gesellschaft¬ lichen Leben. Fast alle führenden Männer Englands sind noch heute Frei¬ maurer. Die drei selbständigen Großlagen von England, Irland und Schottland sind dadurch miteinander verbunden, daß der König von England ihr Protektor ist. Wenn die Statistik den Maßstab für geistige Bewegungen lieferte, müßte man den glänzenden Aufstieg der englischen Freimaurerei rückhaltlos bewundern. Schon das erste gedruckte Mitgliederverzeichnis belehrt uns. daß siebzehn Jahre nach Gründung der Londoner Großloge einhundertachtundzwanzig englische Logen bestanden, unter denen bereits sieben im Auslande. Ein Jahr vor Ausbruch des Weltkrieges aber gab es auf den britischen Inseln dreitausendneunhundert- undsiebenunddreißig Logen mit zweihundertundzwanzigtausend Mitgliedern. Allein London hat mehr Logen, als Deutschland, Holland, Schweden, Norwegen, Däne¬ mark und Ungarn -zusammen. Auf der Erde aber sind gegen neunzehntausend Logen mit eineinhalb Millionen englisch redenden Mitgliedern. Wie sich das englische Staats- und Lebensideal mit Macht über den größten Teil der Erde ausgebreitet hat, so hat auch die englische Freimaurerei überall in der Welt Fuß gefaßt; und wie die englische Misston, so ist auch die englische Freimaurerei eine Kolonialmacht größten Stiles geworden. Freimaurerlogen nach englischem Muster gibt es in allen Weltteilen. Und alle diese Logen sind Pflanz- und Sammelstellen englischen Denkens und Wirkens in der Ferne. So in Amerika, in Indien, in Australien. England verdankt seinen Koloniallogen nicht zum geringen Teil seine Weltherrschaft; denn alle diese Logen halten die englische Art auch dann fest, wenn sich die Kolonien politisch unabhängig machen, oder niemals englischer Besitz gewesen sind. Dafür hat der Weltkrieg die Beweise gebracht und uns zu spät die Augen geöffnet. Nicht der in ihr enthaltene Kulturwert hat der Freimaurerei in England die Wege zu ihrer Ausbreitung geebnet. Die englischen Geschichtsschreiber be¬ zeugen selbst, daß die englischen Logen schon bald nach 1717 Klubs waren, in denen man sich wohl fühlte, weil man an dem geheimnisvollen Gebrauchtum Ver¬ gnügen fand und den religiösen wie politischen Meinungskämpfen entrückt war. Aber schon gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts verfiel das englische Volk wieder in das andere Extrem; es wurde kirchlich orthodox. Und das färbte sofort auf seine Freimaurerei ab, bei der in steigendem Maße das Gebrauchtum in diesem Sinne ausgebeutet und dem Grundgesetze eine christlich-orthodoxe Deutung untergelegt wurde. Auch heute ist die englische Freimaurerei äußer¬ liches Klubwesen, in dem es zahlreiche gesellige Freuden, schöne Freundschaften und viel sentimentale nach außen gerichtete Frömmigkeit gibt. Sie erschöpft sich in rituellen Formalismus und kostspieliger Geselligkeit. Die englischen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/87
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/87>, abgerufen am 01.07.2024.