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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Diplomatennot und Auswärtiges Amt

Mechanismus bedarf die des diplomatischen Dienstes Vielseitigkeit in An¬
schauungen, Lebenserfahrungen, Wissen und Können, Neigungen, Beziehungen.
Unsere Diplomatennot wird aber gerade durch die Einseitigkeit des diploma¬
tischen Korps bedingt. Darum gilt es hier sie und nicht einzelne bevorzugte
Schichten zu bekämpfen.

Die Vereinigung Englands mit Frankreich und damit der Krieg in
seiner furchtbaren Ausdehnung konnte sicher hintertrieben werden, wenn wir
nach dem Fortgange des Fürsten Radolin aus Paris, statt eines Botschasts-
Personals aus lauter Vertretern des jungen Geldadels, der ja dem im¬
perialistischen Frankreich allein durch sein Dasein und ohne überhaupt den Mund
aufzutun, jeden Tag vor Augen führte, was aus Deutschland seit dem Zu¬
sammenbruche des französischen Kaiserreiches geworden war, die Möglichkeit
gehabt hätten, der Pariser Gesellschaft auch Vertreter anderer Ideenkreise vor¬
zustellen, Freunde internationaler Verständigung, Freunde und damit Erklärer
unserer so stark ausgedehnten Sozialpolitik. Gab es in den kritischen
letzten zehn Jahren vor Ausbruch des Krieges unter dem diplomatischen
Personal der deutschen Botschaft zu Paris auch nur einen Vertreter der breiten
deutschen Schichten, deren Anschauungen z. B. einem Jaurös ohne weiteres ver¬
ständlich und sympathisch gewesen wären? Gab es auch nur eine Persönlichkeit,
die befähigt gewesen wäre, die französischen Sozialisten dem Verständnis für
das Wirken unseres sozialen Kaisertums und die Klerikalen für die Notwendigkeit
des Ausgleichs zwischen Katholiken und Protestanten und der Aussöhnung der
ersteren mit dem Reich näherzubringen? Es ist mir nicht erinnerlich, einer
solchen Persönlichkeit begegnet zu sein. Gleichzeitig wirkte die Einseitigkeit
in der Zusammensetzung des diplomatischen Korps in Rußland geradezu
katastrophal: was der Nachfolger des Grafen Alvensleben am Se. Peters¬
burger Hofe dort an Vertrauen eingerissen hat, konnte auch ein Graf
Pourtalös, der an sich ein hervorragender Vertreter der deutschen Inter¬
essen an der Newa gewesen wäre, nicht wieder aufbauen. Auch in Rußland
konnte die Tätigkeit der englischen Diplomatie stark behindert, wenn nicht ganz
matt gesetzt werden, sobald die Zusammensetzung des diplomatischen Korps den
Verhältnissen sowohl der Petersburger Hofgesellschaft, wie den geistigen Strömungen
in den gebildeten Kreisen des russischen Volkes sorgsam angepaßt wurde.
Die deutsche Botschaft und auch die konsularische Vertretung hatte mit dem
eigentlichen Nußland und dem wirklichen Russentum tatsächlich keine direkte
Verbindung! Man lebte in den deutschen Kolonien der Großstädte -- natür¬
lich nur in deren reichstem, nicht etwa gebildetstein Teile --, der internationalen
Hochfinanz und in einigen, sehr wenigen Familien der Hofgesellschaft. Die
Hofkreise entfremdete man sich aber in dem Maße, wie man eben durch den intimer
gewordenen Verkehr mit der nichtrussischen Kaufmannschaft und die unverhüllt
zur Schau getragene Jnteressenlosigkeit an den wirklich russischen Dingen, sowie
das schließlich überhaupt nicht mehr verschleierte Wirken für rein kommerzielle


Diplomatennot und Auswärtiges Amt

Mechanismus bedarf die des diplomatischen Dienstes Vielseitigkeit in An¬
schauungen, Lebenserfahrungen, Wissen und Können, Neigungen, Beziehungen.
Unsere Diplomatennot wird aber gerade durch die Einseitigkeit des diploma¬
tischen Korps bedingt. Darum gilt es hier sie und nicht einzelne bevorzugte
Schichten zu bekämpfen.

Die Vereinigung Englands mit Frankreich und damit der Krieg in
seiner furchtbaren Ausdehnung konnte sicher hintertrieben werden, wenn wir
nach dem Fortgange des Fürsten Radolin aus Paris, statt eines Botschasts-
Personals aus lauter Vertretern des jungen Geldadels, der ja dem im¬
perialistischen Frankreich allein durch sein Dasein und ohne überhaupt den Mund
aufzutun, jeden Tag vor Augen führte, was aus Deutschland seit dem Zu¬
sammenbruche des französischen Kaiserreiches geworden war, die Möglichkeit
gehabt hätten, der Pariser Gesellschaft auch Vertreter anderer Ideenkreise vor¬
zustellen, Freunde internationaler Verständigung, Freunde und damit Erklärer
unserer so stark ausgedehnten Sozialpolitik. Gab es in den kritischen
letzten zehn Jahren vor Ausbruch des Krieges unter dem diplomatischen
Personal der deutschen Botschaft zu Paris auch nur einen Vertreter der breiten
deutschen Schichten, deren Anschauungen z. B. einem Jaurös ohne weiteres ver¬
ständlich und sympathisch gewesen wären? Gab es auch nur eine Persönlichkeit,
die befähigt gewesen wäre, die französischen Sozialisten dem Verständnis für
das Wirken unseres sozialen Kaisertums und die Klerikalen für die Notwendigkeit
des Ausgleichs zwischen Katholiken und Protestanten und der Aussöhnung der
ersteren mit dem Reich näherzubringen? Es ist mir nicht erinnerlich, einer
solchen Persönlichkeit begegnet zu sein. Gleichzeitig wirkte die Einseitigkeit
in der Zusammensetzung des diplomatischen Korps in Rußland geradezu
katastrophal: was der Nachfolger des Grafen Alvensleben am Se. Peters¬
burger Hofe dort an Vertrauen eingerissen hat, konnte auch ein Graf
Pourtalös, der an sich ein hervorragender Vertreter der deutschen Inter¬
essen an der Newa gewesen wäre, nicht wieder aufbauen. Auch in Rußland
konnte die Tätigkeit der englischen Diplomatie stark behindert, wenn nicht ganz
matt gesetzt werden, sobald die Zusammensetzung des diplomatischen Korps den
Verhältnissen sowohl der Petersburger Hofgesellschaft, wie den geistigen Strömungen
in den gebildeten Kreisen des russischen Volkes sorgsam angepaßt wurde.
Die deutsche Botschaft und auch die konsularische Vertretung hatte mit dem
eigentlichen Nußland und dem wirklichen Russentum tatsächlich keine direkte
Verbindung! Man lebte in den deutschen Kolonien der Großstädte — natür¬
lich nur in deren reichstem, nicht etwa gebildetstein Teile —, der internationalen
Hochfinanz und in einigen, sehr wenigen Familien der Hofgesellschaft. Die
Hofkreise entfremdete man sich aber in dem Maße, wie man eben durch den intimer
gewordenen Verkehr mit der nichtrussischen Kaufmannschaft und die unverhüllt
zur Schau getragene Jnteressenlosigkeit an den wirklich russischen Dingen, sowie
das schließlich überhaupt nicht mehr verschleierte Wirken für rein kommerzielle


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[0046] Diplomatennot und Auswärtiges Amt Mechanismus bedarf die des diplomatischen Dienstes Vielseitigkeit in An¬ schauungen, Lebenserfahrungen, Wissen und Können, Neigungen, Beziehungen. Unsere Diplomatennot wird aber gerade durch die Einseitigkeit des diploma¬ tischen Korps bedingt. Darum gilt es hier sie und nicht einzelne bevorzugte Schichten zu bekämpfen. Die Vereinigung Englands mit Frankreich und damit der Krieg in seiner furchtbaren Ausdehnung konnte sicher hintertrieben werden, wenn wir nach dem Fortgange des Fürsten Radolin aus Paris, statt eines Botschasts- Personals aus lauter Vertretern des jungen Geldadels, der ja dem im¬ perialistischen Frankreich allein durch sein Dasein und ohne überhaupt den Mund aufzutun, jeden Tag vor Augen führte, was aus Deutschland seit dem Zu¬ sammenbruche des französischen Kaiserreiches geworden war, die Möglichkeit gehabt hätten, der Pariser Gesellschaft auch Vertreter anderer Ideenkreise vor¬ zustellen, Freunde internationaler Verständigung, Freunde und damit Erklärer unserer so stark ausgedehnten Sozialpolitik. Gab es in den kritischen letzten zehn Jahren vor Ausbruch des Krieges unter dem diplomatischen Personal der deutschen Botschaft zu Paris auch nur einen Vertreter der breiten deutschen Schichten, deren Anschauungen z. B. einem Jaurös ohne weiteres ver¬ ständlich und sympathisch gewesen wären? Gab es auch nur eine Persönlichkeit, die befähigt gewesen wäre, die französischen Sozialisten dem Verständnis für das Wirken unseres sozialen Kaisertums und die Klerikalen für die Notwendigkeit des Ausgleichs zwischen Katholiken und Protestanten und der Aussöhnung der ersteren mit dem Reich näherzubringen? Es ist mir nicht erinnerlich, einer solchen Persönlichkeit begegnet zu sein. Gleichzeitig wirkte die Einseitigkeit in der Zusammensetzung des diplomatischen Korps in Rußland geradezu katastrophal: was der Nachfolger des Grafen Alvensleben am Se. Peters¬ burger Hofe dort an Vertrauen eingerissen hat, konnte auch ein Graf Pourtalös, der an sich ein hervorragender Vertreter der deutschen Inter¬ essen an der Newa gewesen wäre, nicht wieder aufbauen. Auch in Rußland konnte die Tätigkeit der englischen Diplomatie stark behindert, wenn nicht ganz matt gesetzt werden, sobald die Zusammensetzung des diplomatischen Korps den Verhältnissen sowohl der Petersburger Hofgesellschaft, wie den geistigen Strömungen in den gebildeten Kreisen des russischen Volkes sorgsam angepaßt wurde. Die deutsche Botschaft und auch die konsularische Vertretung hatte mit dem eigentlichen Nußland und dem wirklichen Russentum tatsächlich keine direkte Verbindung! Man lebte in den deutschen Kolonien der Großstädte — natür¬ lich nur in deren reichstem, nicht etwa gebildetstein Teile —, der internationalen Hochfinanz und in einigen, sehr wenigen Familien der Hofgesellschaft. Die Hofkreise entfremdete man sich aber in dem Maße, wie man eben durch den intimer gewordenen Verkehr mit der nichtrussischen Kaufmannschaft und die unverhüllt zur Schau getragene Jnteressenlosigkeit an den wirklich russischen Dingen, sowie das schließlich überhaupt nicht mehr verschleierte Wirken für rein kommerzielle

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/46>, abgerufen am 29.06.2024.