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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Reichsgewalt und Tandesverfassung im Reichslande

Der Reichskanzler hatte in den Neichstagsverhandlungen sehr mit Recht
einen Widerspruch darin gefunden, daß ein Glied des Reiches, dem die Eigen-
schaft eines Bundesstaats fehle, doch im Bundesrat mit abstimme, dieses Be¬
denken aber zurücktreten lassen hinter dem Wert einer selbständigen Vertretung
der Lebensinteressen Elsaß-Lothringens.

Nun sind berechtigte Anliegen Elsaß-Lothringens im Gegensatz zu Reichs¬
interessen überhaupt nicht denkbar. Das Reichspräsidium, dem mit der Staats¬
gewalt in Elsaß-Lothringen das Wohl des Landes anvertraut ist, hat voll
ausreichende Gelegenheit, im Bundesrate für die wahren Landesinteressen, für
billigenswerte Wünsche und Bestrebungen der Elsaß-Lothringer einzutreten, und
es ist auch die Erwartung begründet, daß in dem immerhin möglichen, wenn
auch nicht wahrscheinlichen Falle eines Widerstreits elsaß-lothringischer und
preußischer Interessen (etwa auf wirtschaftlichem Gebiete) das Präsidium durch
sachgemäße Darlegung der Auffassungen und Forderungen beider Teile eine
unbeeinflußte Entscheidung des Bundesrath in gleicher Weise ermöglichen wird,
wie sie bei einem Konflikt zwischen dem Reichslande und Baden, Bayern usw.
sich bietet. Jedenfalls hätte völlig genügt, einer solchen besonderen Sachlage
durch Abordnung elsaß-lothringischer Kommissare zu den Verhandlungen des
Bundesrath mit beratender Stimme Rechnung zu tragen. Da die elsa߬
lothringische Verfassung von 1879 diese Anteilnahme sogar allgemein gestattete,
so war bereits mehr als ausreichend vorgesorgt; nur hätte die Ermächtigung
zur Entsendung von Kommissären nicht dem Statthalter, sondern dem Kaiser
selbst gebührt.

Wird hingegen Elsaß-Lothringen Stimmrecht im Bundesrate gegeben, so
wirkt, da die Staatsgewalt im Reichslande dem Reiche selbst zusteht, das Reich
mit an der Bildung des eigenen Willens durch Bundesratsbeschlüsse. Ein
handgreiflicher Widerspruch! Nur Teile eines Ganzen dulden Gleichstellung,
nicht kann das Ganze dem Teil gleich behandelt werden. Das Reich in feiner
Vollberechtigung, also mit Einschluß der Hoheitsrechte über Elsaß-Lothringen,
und das Reich als Träger dieser besonderen Gewalten in Gegensatz zu bringen,
widerstreitet gleichmäßig der Logik und gesunder Reichspolitik.

Logisch unanfechtbar wäre gewesen, den Organen der elsaß-lothringischen
Autonomie Anteilnahme an den Bundesratsbeschlüssen durch von ihnen abzu¬
ordnende Bevollmächtigte zuzubilligen. Denn das Reichsland in seiner auto¬
nomen Berechtigung läßt sich ohne Verstoß gegen die Denkgesetze als relativ
selbständiger Reichsten auf gleiche Stufe mit den Reichsstaaten stellen.

Indes aus triftigsten Gründen ist dem elsaß-lothringischen Landtage eine
solche Berechtigung nicht erteilt worden. Einen so unzuverlässigen Genossen
will man doch nicht im Bunde haben. Und wie könnte den elsaß-lothringischen
Ständen -- gerade ihnen -- ein Recht zustehen, das kein anderes deutsches
Parlament hat und haben kann -- gemäß der Gestaltung unserer Reichs-
Verfassung?


Reichsgewalt und Tandesverfassung im Reichslande

Der Reichskanzler hatte in den Neichstagsverhandlungen sehr mit Recht
einen Widerspruch darin gefunden, daß ein Glied des Reiches, dem die Eigen-
schaft eines Bundesstaats fehle, doch im Bundesrat mit abstimme, dieses Be¬
denken aber zurücktreten lassen hinter dem Wert einer selbständigen Vertretung
der Lebensinteressen Elsaß-Lothringens.

Nun sind berechtigte Anliegen Elsaß-Lothringens im Gegensatz zu Reichs¬
interessen überhaupt nicht denkbar. Das Reichspräsidium, dem mit der Staats¬
gewalt in Elsaß-Lothringen das Wohl des Landes anvertraut ist, hat voll
ausreichende Gelegenheit, im Bundesrate für die wahren Landesinteressen, für
billigenswerte Wünsche und Bestrebungen der Elsaß-Lothringer einzutreten, und
es ist auch die Erwartung begründet, daß in dem immerhin möglichen, wenn
auch nicht wahrscheinlichen Falle eines Widerstreits elsaß-lothringischer und
preußischer Interessen (etwa auf wirtschaftlichem Gebiete) das Präsidium durch
sachgemäße Darlegung der Auffassungen und Forderungen beider Teile eine
unbeeinflußte Entscheidung des Bundesrath in gleicher Weise ermöglichen wird,
wie sie bei einem Konflikt zwischen dem Reichslande und Baden, Bayern usw.
sich bietet. Jedenfalls hätte völlig genügt, einer solchen besonderen Sachlage
durch Abordnung elsaß-lothringischer Kommissare zu den Verhandlungen des
Bundesrath mit beratender Stimme Rechnung zu tragen. Da die elsa߬
lothringische Verfassung von 1879 diese Anteilnahme sogar allgemein gestattete,
so war bereits mehr als ausreichend vorgesorgt; nur hätte die Ermächtigung
zur Entsendung von Kommissären nicht dem Statthalter, sondern dem Kaiser
selbst gebührt.

Wird hingegen Elsaß-Lothringen Stimmrecht im Bundesrate gegeben, so
wirkt, da die Staatsgewalt im Reichslande dem Reiche selbst zusteht, das Reich
mit an der Bildung des eigenen Willens durch Bundesratsbeschlüsse. Ein
handgreiflicher Widerspruch! Nur Teile eines Ganzen dulden Gleichstellung,
nicht kann das Ganze dem Teil gleich behandelt werden. Das Reich in feiner
Vollberechtigung, also mit Einschluß der Hoheitsrechte über Elsaß-Lothringen,
und das Reich als Träger dieser besonderen Gewalten in Gegensatz zu bringen,
widerstreitet gleichmäßig der Logik und gesunder Reichspolitik.

Logisch unanfechtbar wäre gewesen, den Organen der elsaß-lothringischen
Autonomie Anteilnahme an den Bundesratsbeschlüssen durch von ihnen abzu¬
ordnende Bevollmächtigte zuzubilligen. Denn das Reichsland in seiner auto¬
nomen Berechtigung läßt sich ohne Verstoß gegen die Denkgesetze als relativ
selbständiger Reichsten auf gleiche Stufe mit den Reichsstaaten stellen.

Indes aus triftigsten Gründen ist dem elsaß-lothringischen Landtage eine
solche Berechtigung nicht erteilt worden. Einen so unzuverlässigen Genossen
will man doch nicht im Bunde haben. Und wie könnte den elsaß-lothringischen
Ständen — gerade ihnen — ein Recht zustehen, das kein anderes deutsches
Parlament hat und haben kann — gemäß der Gestaltung unserer Reichs-
Verfassung?


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[0408] Reichsgewalt und Tandesverfassung im Reichslande Der Reichskanzler hatte in den Neichstagsverhandlungen sehr mit Recht einen Widerspruch darin gefunden, daß ein Glied des Reiches, dem die Eigen- schaft eines Bundesstaats fehle, doch im Bundesrat mit abstimme, dieses Be¬ denken aber zurücktreten lassen hinter dem Wert einer selbständigen Vertretung der Lebensinteressen Elsaß-Lothringens. Nun sind berechtigte Anliegen Elsaß-Lothringens im Gegensatz zu Reichs¬ interessen überhaupt nicht denkbar. Das Reichspräsidium, dem mit der Staats¬ gewalt in Elsaß-Lothringen das Wohl des Landes anvertraut ist, hat voll ausreichende Gelegenheit, im Bundesrate für die wahren Landesinteressen, für billigenswerte Wünsche und Bestrebungen der Elsaß-Lothringer einzutreten, und es ist auch die Erwartung begründet, daß in dem immerhin möglichen, wenn auch nicht wahrscheinlichen Falle eines Widerstreits elsaß-lothringischer und preußischer Interessen (etwa auf wirtschaftlichem Gebiete) das Präsidium durch sachgemäße Darlegung der Auffassungen und Forderungen beider Teile eine unbeeinflußte Entscheidung des Bundesrath in gleicher Weise ermöglichen wird, wie sie bei einem Konflikt zwischen dem Reichslande und Baden, Bayern usw. sich bietet. Jedenfalls hätte völlig genügt, einer solchen besonderen Sachlage durch Abordnung elsaß-lothringischer Kommissare zu den Verhandlungen des Bundesrath mit beratender Stimme Rechnung zu tragen. Da die elsa߬ lothringische Verfassung von 1879 diese Anteilnahme sogar allgemein gestattete, so war bereits mehr als ausreichend vorgesorgt; nur hätte die Ermächtigung zur Entsendung von Kommissären nicht dem Statthalter, sondern dem Kaiser selbst gebührt. Wird hingegen Elsaß-Lothringen Stimmrecht im Bundesrate gegeben, so wirkt, da die Staatsgewalt im Reichslande dem Reiche selbst zusteht, das Reich mit an der Bildung des eigenen Willens durch Bundesratsbeschlüsse. Ein handgreiflicher Widerspruch! Nur Teile eines Ganzen dulden Gleichstellung, nicht kann das Ganze dem Teil gleich behandelt werden. Das Reich in feiner Vollberechtigung, also mit Einschluß der Hoheitsrechte über Elsaß-Lothringen, und das Reich als Träger dieser besonderen Gewalten in Gegensatz zu bringen, widerstreitet gleichmäßig der Logik und gesunder Reichspolitik. Logisch unanfechtbar wäre gewesen, den Organen der elsaß-lothringischen Autonomie Anteilnahme an den Bundesratsbeschlüssen durch von ihnen abzu¬ ordnende Bevollmächtigte zuzubilligen. Denn das Reichsland in seiner auto¬ nomen Berechtigung läßt sich ohne Verstoß gegen die Denkgesetze als relativ selbständiger Reichsten auf gleiche Stufe mit den Reichsstaaten stellen. Indes aus triftigsten Gründen ist dem elsaß-lothringischen Landtage eine solche Berechtigung nicht erteilt worden. Einen so unzuverlässigen Genossen will man doch nicht im Bunde haben. Und wie könnte den elsaß-lothringischen Ständen — gerade ihnen — ein Recht zustehen, das kein anderes deutsches Parlament hat und haben kann — gemäß der Gestaltung unserer Reichs- Verfassung?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/408>, abgerufen am 01.07.2024.