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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Ist England steucrmüde geworden?

der englische Schatzkanzler über deutsche Steuerverhältnisse. insbesondere über
die deutsche Kriegsgewinnsteuergesetzgebung zu sagen sich unterfing.

Bei den allgemeinen Erörterungen des Budgets wurde von Mr. Arran
Price angeregt, man möchte größere Reseroestellungen von der Kriegsgewinn¬
steuer freigeben und es so den Firmen ermöglichen, für deU nach dem Kriege
einsetzenden scharfen internationalen Wettbewerb sich zu rüsten. Er führte dabei
aus. daß in Deutschland seines Wissens die Einkommensteuer nicht erhöht
worden sei; dort erhebe man auch keine Kriegsgewinnsteuer. Aus den Ab¬
schlüssen großer deutscher Gesellschaften ginge hervor, daß sie ungeheure Summen
für den wirtschaftlichen Krieg nach dem Friedensschluß bereitstellten. Diesem
Beispiel müßten die englischen Gesellschaften folgen können.

Was gab der Schatzkanzler darauf zur Antwort?

Wenn er es schon unter seiner Würde erachtete, sich um die Finanzgesetz¬
gebung der deutschen Bundesstaaten zu kümmern, so war er doch eigentlich
verpflichtet, von der Steuergesetzgebung des Deutschen Reiches etwas zu wissen
und den Vorredner dahin zu berichtigen, daß -- entgegen dessen Annahme --
eine Kriegsgewinnsteuer in Deutschland ausgeschrieben worden ist. Davon aber
war dem (auch bevor er ins Kabinett berufen wurde) in der politischen Hierarchie
weit oben stehenden, und deshalb zur Beobachtung wirtschaftlicher Vorgänge im
Feindesland verpflichteten Bonar Law nichts bekannt. Als Schatzkanzler hätte
er natürlich erst recht darum wissen sollen, daß auch in Deutschland eine Kriegs¬
gewinnsteuer eingeführt worden ist. Er "wußte aber von nichts", hat vielmehr
folgende Darlegungen gewagt, mit denen er sich selbst und dem ganzen englischen
Unterhaus, aus dem heraus niemand ihn zu verbessern wagte, ein Denkmal
setzte:

"Was den vom Vorredner angestellten Vergleich der Lage von Industrie
und Handel in der Zeit nach dem Kriege in Deutschland und England angeht,
so hat das Mitglied des Hauses ganz richtig bemerkt (Ksä sala quite truly),
daß in Deutschland so etwas wie eine Kriegsgewinnsteuer nicht eingeführt
worden ist, und daß deshalb die deutschen Unternehmungen für die Zeit nach
dem Kriege sich in einer wesentlich günstigeren Lage befinden als die englischen.
Warum hat Deutschland keine Kriegsgewinnsteuer eingeführt? Der Grund
dafür ist der gleiche wie sür den Krieg überhaupt: die Regierung befindet sich
in Deutschland in den Händen einer kleinen, aber stimmkrüftigen (8irmll but
vocal) Klasse, und man hat es nicht über sich gebracht, dieser Opfer im
Interesse des Krieges zuzumuten, die man anderen, von der Regierung aus¬
geschlossenen Klassen sehr reichlich aufgebürdet hat."

Und um jeden berichtigungslustigen Abgeordneten "niederzuboxen", ver¬
sicherte der Schatzkanzler später nochmals: Es sei ganz richtig (It is quite true).
daß man in Deutschland keine Kriegsgewinnsteuer ausgeschrieben habe.

Nachdem der englische Schatzkanzler das Kunststück fertig gebracht hat.
nichts davon zu wissen, daß bei uns im Jahre 1916 eine Kriegsgewinnsteuer


Ist England steucrmüde geworden?

der englische Schatzkanzler über deutsche Steuerverhältnisse. insbesondere über
die deutsche Kriegsgewinnsteuergesetzgebung zu sagen sich unterfing.

Bei den allgemeinen Erörterungen des Budgets wurde von Mr. Arran
Price angeregt, man möchte größere Reseroestellungen von der Kriegsgewinn¬
steuer freigeben und es so den Firmen ermöglichen, für deU nach dem Kriege
einsetzenden scharfen internationalen Wettbewerb sich zu rüsten. Er führte dabei
aus. daß in Deutschland seines Wissens die Einkommensteuer nicht erhöht
worden sei; dort erhebe man auch keine Kriegsgewinnsteuer. Aus den Ab¬
schlüssen großer deutscher Gesellschaften ginge hervor, daß sie ungeheure Summen
für den wirtschaftlichen Krieg nach dem Friedensschluß bereitstellten. Diesem
Beispiel müßten die englischen Gesellschaften folgen können.

Was gab der Schatzkanzler darauf zur Antwort?

Wenn er es schon unter seiner Würde erachtete, sich um die Finanzgesetz¬
gebung der deutschen Bundesstaaten zu kümmern, so war er doch eigentlich
verpflichtet, von der Steuergesetzgebung des Deutschen Reiches etwas zu wissen
und den Vorredner dahin zu berichtigen, daß — entgegen dessen Annahme —
eine Kriegsgewinnsteuer in Deutschland ausgeschrieben worden ist. Davon aber
war dem (auch bevor er ins Kabinett berufen wurde) in der politischen Hierarchie
weit oben stehenden, und deshalb zur Beobachtung wirtschaftlicher Vorgänge im
Feindesland verpflichteten Bonar Law nichts bekannt. Als Schatzkanzler hätte
er natürlich erst recht darum wissen sollen, daß auch in Deutschland eine Kriegs¬
gewinnsteuer eingeführt worden ist. Er „wußte aber von nichts", hat vielmehr
folgende Darlegungen gewagt, mit denen er sich selbst und dem ganzen englischen
Unterhaus, aus dem heraus niemand ihn zu verbessern wagte, ein Denkmal
setzte:

„Was den vom Vorredner angestellten Vergleich der Lage von Industrie
und Handel in der Zeit nach dem Kriege in Deutschland und England angeht,
so hat das Mitglied des Hauses ganz richtig bemerkt (Ksä sala quite truly),
daß in Deutschland so etwas wie eine Kriegsgewinnsteuer nicht eingeführt
worden ist, und daß deshalb die deutschen Unternehmungen für die Zeit nach
dem Kriege sich in einer wesentlich günstigeren Lage befinden als die englischen.
Warum hat Deutschland keine Kriegsgewinnsteuer eingeführt? Der Grund
dafür ist der gleiche wie sür den Krieg überhaupt: die Regierung befindet sich
in Deutschland in den Händen einer kleinen, aber stimmkrüftigen (8irmll but
vocal) Klasse, und man hat es nicht über sich gebracht, dieser Opfer im
Interesse des Krieges zuzumuten, die man anderen, von der Regierung aus¬
geschlossenen Klassen sehr reichlich aufgebürdet hat."

Und um jeden berichtigungslustigen Abgeordneten „niederzuboxen", ver¬
sicherte der Schatzkanzler später nochmals: Es sei ganz richtig (It is quite true).
daß man in Deutschland keine Kriegsgewinnsteuer ausgeschrieben habe.

Nachdem der englische Schatzkanzler das Kunststück fertig gebracht hat.
nichts davon zu wissen, daß bei uns im Jahre 1916 eine Kriegsgewinnsteuer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/35>, abgerufen am 29.06.2024.