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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Großbritanniens Gstseexolitik

Truppenmassen in Finnland und der englischen Befestigungen auf Aland gibt
die "Nya Dagligt Allehanda" in einem Artikel vom 7." August Ausdruck, aus
dem wir nur folgende Sätze anmerken: "Schweden ist in Gefahr, zwischen Hammer
und Amboß zu geraten . . . Kommt Aland in englischen Besitz, dann haben wir
Schweden den schlimmsten Wetterwinkel unmittelbar vor uns". Über die militärischen
Gesichtspunkte kann auch bei den Handelsstraßen nicht ganz hinweggesehen werden.

Andere Querlinien durch Skandinavien, bei denen nicht Gotenburg als
Hauptträger im Mittelpunkt steht, etwa Bergen--Gefle, Drontheim--Sundsvall
oder Narwik--Lutea, würden die Schwierigkeiten der Verkehrsanlage steigern,
ohne durch besondere Vorzüge sich zu empfehlen. Bei ihnen wird teilweise auch
norwegisches Gebiet einbezogen, was der dortigen Regierung im Hinblick auf
die Begünstigung ihrer Handelsflotte durch die Belebung des Warenverkehrs
mit Großbritannien willkommen wäre, aber politische Bedenken ähnlicher Art,
wie sie im Nachbarlande bestehen, anregt. Zum Puffer zwischen den beiden
beteiligten Großmächten für den Fall, daß sie miteinander in Hader geraten,
möchte eben keiner der skandinavischen Nutznießer eines anglo-russischen Freund-
schaftsbundes sich hergeben.

In Norwegen trägt man sich übrigens noch mit anderen Verkehrsplänen,
die dem Handel nach dem Festlande breitere Wege erschließen sollen. So soll
Kristiansund zu einem Zentralhafen ausgebaut werden, in dem große Schiff¬
fahrtslinien nach Westen und Osten sich vereinigen sollen. Auch eine Dampf¬
fähre von dort nach der Nordspitze Jütlands wird im kaufmännischen Wunsch¬
register aufgeführt. Da Norwegen aber durch seine Meereslage ganz über¬
wiegend auf die westlichen Meere hingewiesen wird, berühren diese Absichten
die Ostseefrage nur äußerlich.

Anders liegt es bei Finnland, das wie das Baltikum ein unumgänglicher
Vermittler für die wirtschaftliche Umarmung Rußlands und Englands ist, von
der im äußersten Winkel des finnischen Meerbusens belegenen Residenzstadt
Petersburg sehen wir hierbei ab. Kann Finnland nach Unterdrückung der
aufflammenden Unabhängigkeitsbewegung wieder unter das alte Joch gebeugt
werden, so steht seiner Einfügung nach Gutdünken der slawischen Machthaber
in das Verkehrsnetz nichts im Wege. Bei der Befreiung Finnlands hingegen
aus den Fesseln seiner Vergewaltiger muß die Sehnsucht der Moskowiter nach
dem freien Meer erst bei dem abtrünnig gewordenen Lande höflich anfragen,
ob dieses zur Pflege der englischen Freundschaft sein Teil beitragen will. Es
hat den Anschein, als wenn England sein Spiel bereits auf beide Möglich¬
keiten eingerichtet hat, um entweder mit russischer Einwilligung im unterdrückten
Finnland es sich bequem zu machen oder dem freien Finnland Vormundschaft
und Gönnerschaft anzutragen. Wie die Würfel des Krieges fallen mögen, die
Pioniere des britischen Imperiums sind auf dem Posten, bereit zum Sprunge
nach den Küsten der Ostsee und willens, beim Fehlschlag ihres überdreisten
"Annexionismus" den Wirtschaftskrieg um den Ostseehandel aufzunehmen.


Großbritanniens Gstseexolitik

Truppenmassen in Finnland und der englischen Befestigungen auf Aland gibt
die „Nya Dagligt Allehanda" in einem Artikel vom 7." August Ausdruck, aus
dem wir nur folgende Sätze anmerken: „Schweden ist in Gefahr, zwischen Hammer
und Amboß zu geraten . . . Kommt Aland in englischen Besitz, dann haben wir
Schweden den schlimmsten Wetterwinkel unmittelbar vor uns". Über die militärischen
Gesichtspunkte kann auch bei den Handelsstraßen nicht ganz hinweggesehen werden.

Andere Querlinien durch Skandinavien, bei denen nicht Gotenburg als
Hauptträger im Mittelpunkt steht, etwa Bergen—Gefle, Drontheim—Sundsvall
oder Narwik—Lutea, würden die Schwierigkeiten der Verkehrsanlage steigern,
ohne durch besondere Vorzüge sich zu empfehlen. Bei ihnen wird teilweise auch
norwegisches Gebiet einbezogen, was der dortigen Regierung im Hinblick auf
die Begünstigung ihrer Handelsflotte durch die Belebung des Warenverkehrs
mit Großbritannien willkommen wäre, aber politische Bedenken ähnlicher Art,
wie sie im Nachbarlande bestehen, anregt. Zum Puffer zwischen den beiden
beteiligten Großmächten für den Fall, daß sie miteinander in Hader geraten,
möchte eben keiner der skandinavischen Nutznießer eines anglo-russischen Freund-
schaftsbundes sich hergeben.

In Norwegen trägt man sich übrigens noch mit anderen Verkehrsplänen,
die dem Handel nach dem Festlande breitere Wege erschließen sollen. So soll
Kristiansund zu einem Zentralhafen ausgebaut werden, in dem große Schiff¬
fahrtslinien nach Westen und Osten sich vereinigen sollen. Auch eine Dampf¬
fähre von dort nach der Nordspitze Jütlands wird im kaufmännischen Wunsch¬
register aufgeführt. Da Norwegen aber durch seine Meereslage ganz über¬
wiegend auf die westlichen Meere hingewiesen wird, berühren diese Absichten
die Ostseefrage nur äußerlich.

Anders liegt es bei Finnland, das wie das Baltikum ein unumgänglicher
Vermittler für die wirtschaftliche Umarmung Rußlands und Englands ist, von
der im äußersten Winkel des finnischen Meerbusens belegenen Residenzstadt
Petersburg sehen wir hierbei ab. Kann Finnland nach Unterdrückung der
aufflammenden Unabhängigkeitsbewegung wieder unter das alte Joch gebeugt
werden, so steht seiner Einfügung nach Gutdünken der slawischen Machthaber
in das Verkehrsnetz nichts im Wege. Bei der Befreiung Finnlands hingegen
aus den Fesseln seiner Vergewaltiger muß die Sehnsucht der Moskowiter nach
dem freien Meer erst bei dem abtrünnig gewordenen Lande höflich anfragen,
ob dieses zur Pflege der englischen Freundschaft sein Teil beitragen will. Es
hat den Anschein, als wenn England sein Spiel bereits auf beide Möglich¬
keiten eingerichtet hat, um entweder mit russischer Einwilligung im unterdrückten
Finnland es sich bequem zu machen oder dem freien Finnland Vormundschaft
und Gönnerschaft anzutragen. Wie die Würfel des Krieges fallen mögen, die
Pioniere des britischen Imperiums sind auf dem Posten, bereit zum Sprunge
nach den Küsten der Ostsee und willens, beim Fehlschlag ihres überdreisten
»Annexionismus" den Wirtschaftskrieg um den Ostseehandel aufzunehmen.


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[0343] Großbritanniens Gstseexolitik Truppenmassen in Finnland und der englischen Befestigungen auf Aland gibt die „Nya Dagligt Allehanda" in einem Artikel vom 7." August Ausdruck, aus dem wir nur folgende Sätze anmerken: „Schweden ist in Gefahr, zwischen Hammer und Amboß zu geraten . . . Kommt Aland in englischen Besitz, dann haben wir Schweden den schlimmsten Wetterwinkel unmittelbar vor uns". Über die militärischen Gesichtspunkte kann auch bei den Handelsstraßen nicht ganz hinweggesehen werden. Andere Querlinien durch Skandinavien, bei denen nicht Gotenburg als Hauptträger im Mittelpunkt steht, etwa Bergen—Gefle, Drontheim—Sundsvall oder Narwik—Lutea, würden die Schwierigkeiten der Verkehrsanlage steigern, ohne durch besondere Vorzüge sich zu empfehlen. Bei ihnen wird teilweise auch norwegisches Gebiet einbezogen, was der dortigen Regierung im Hinblick auf die Begünstigung ihrer Handelsflotte durch die Belebung des Warenverkehrs mit Großbritannien willkommen wäre, aber politische Bedenken ähnlicher Art, wie sie im Nachbarlande bestehen, anregt. Zum Puffer zwischen den beiden beteiligten Großmächten für den Fall, daß sie miteinander in Hader geraten, möchte eben keiner der skandinavischen Nutznießer eines anglo-russischen Freund- schaftsbundes sich hergeben. In Norwegen trägt man sich übrigens noch mit anderen Verkehrsplänen, die dem Handel nach dem Festlande breitere Wege erschließen sollen. So soll Kristiansund zu einem Zentralhafen ausgebaut werden, in dem große Schiff¬ fahrtslinien nach Westen und Osten sich vereinigen sollen. Auch eine Dampf¬ fähre von dort nach der Nordspitze Jütlands wird im kaufmännischen Wunsch¬ register aufgeführt. Da Norwegen aber durch seine Meereslage ganz über¬ wiegend auf die westlichen Meere hingewiesen wird, berühren diese Absichten die Ostseefrage nur äußerlich. Anders liegt es bei Finnland, das wie das Baltikum ein unumgänglicher Vermittler für die wirtschaftliche Umarmung Rußlands und Englands ist, von der im äußersten Winkel des finnischen Meerbusens belegenen Residenzstadt Petersburg sehen wir hierbei ab. Kann Finnland nach Unterdrückung der aufflammenden Unabhängigkeitsbewegung wieder unter das alte Joch gebeugt werden, so steht seiner Einfügung nach Gutdünken der slawischen Machthaber in das Verkehrsnetz nichts im Wege. Bei der Befreiung Finnlands hingegen aus den Fesseln seiner Vergewaltiger muß die Sehnsucht der Moskowiter nach dem freien Meer erst bei dem abtrünnig gewordenen Lande höflich anfragen, ob dieses zur Pflege der englischen Freundschaft sein Teil beitragen will. Es hat den Anschein, als wenn England sein Spiel bereits auf beide Möglich¬ keiten eingerichtet hat, um entweder mit russischer Einwilligung im unterdrückten Finnland es sich bequem zu machen oder dem freien Finnland Vormundschaft und Gönnerschaft anzutragen. Wie die Würfel des Krieges fallen mögen, die Pioniere des britischen Imperiums sind auf dem Posten, bereit zum Sprunge nach den Küsten der Ostsee und willens, beim Fehlschlag ihres überdreisten »Annexionismus" den Wirtschaftskrieg um den Ostseehandel aufzunehmen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/343>, abgerufen am 03.07.2024.